Derzeit macht sich die deutsche Internetgemeinde über Günther Oettinger lustig, weil er eine Rede auf Englisch hielt.
Mal davon abgesehen, dass er nicht mal Deutsch spricht, gibt es genug Gründe, diesen Mann zu hassen: Der Geschichtsrevisionist ist CDU-Politiker, Schwabe und Fan des VfB Stuttgart; jedes für sich schon hinreichende Gründe, sich über jedes Fass Häme zu freuen, das über ihm ausgekübelt wird. Und wer versucht, aus Hans Filbinger einen Widerstandskämpfer zu machen, hat im öffentlichen Leben nichts mehr verloren.
Die hämischen Reaktion in Blogs und Foren reichen von Belustigung über Fremdschämen bis zu Verärgerungen darüber, dass Politiker “richtig viel Asche vom Steuerzahler bekommen”. Und dass man für jedes kleinste Praktikum “außereuropäische Sprachkenntnisse vorweisen” müsse. Oettinger hat sich in der Vergangenheit als Verfechter für Englisch als Arbeitssprache etabliert, wofür er vom Verein Deutsche Sprache (jaja, unsere Freunde vom VDS) 2006 den “Sprachpanscher des Jahres” für “besondere Fehlleistungen im Umgang mit der deutschen Sprache” verliehen bekam. (Der Mensch hat diesen Preis verdient, sobald er den Mund aufmacht.)
Und so spiegelt sich das in Internetreaktionen wider: Wer Fremdsprachenkenntnisse fordere, müsse auch selbst mit gutem Beispiel voran gehen, schließlich sei das in der freien Wirtschaft auch so. Dort würde man mit Oettingers Sprachkenntnissen keinen Job bekommen.
Ja und nein. Oettinger ist Politiker, und als solcher maßgeblich an Gesetzen und Politiken beteiligt. Politik sendet Signalwirkungen, und untermauert Forderungen nach Fremdsprachenkenntnissen mit der Umsetzung entsprechender Richtlinien. Sie lenkt mit öffentlichen Geldern, beispielsweise im europäischen Mobilitätsprogramm ERASMUS, welche primär dazu da sind, Fremdsprachenkenntnisse und kulturelles Verständnis zu fördern. Manager tun das nicht. Manager profitieren von entsprechenden Maßnahmen der Regierungen.
Viel wird jetzt auch darauf rumgeritten, dass ja eigentlich auch niemand nach Oettingers Englischkenntnissen gefragt hätte, wäre er in Stuttgart geblieben. Aber in Brüssel sei die Amtssprache ja Englisch, da müsse er, weil auf einem internationalen Parkett, auch vernünftig Englisch sprechen können. Die, die das fordern, haben die EU nicht verstanden.
Nein, Amtssprache in Brüssel ist nicht Englisch, Amtssprachen sind in der EU nicht weniger als 23 Sprachen. Arbeitssprachen hingegen sind die Sprachen, die im täglichen Beamtenapparat die meistgenutzten sind. Und das sind Deutsch, Französisch und Englisch. Anmerkungen von Kommentatoren, Oettinger käme in der informellen Politikmache in Brüssel ohne entsprechende Englischkenntnisse zu kurz, sind von einer reflexartigen Angst geprägt, “wir Deutschen” kämen zu kurz. Die EU-Realität zeigt doch: Deutschland und Frankreich regieren das Orchester.
Darüber hinaus definiert sich die EU über “Einheit in Vielfalt” — und ganz besonders über ihre Sprachenvielfalt. Die EU leistet sich einen bulligen Übersetzungsapparat, der immerhin mehr als 2% ihres Budgets ausmacht. Ob nun in der Hinterzimmerpolitik immer ein Dolmetscher dabei ist, sei mal ernsthaft in Frage gestellt, aber daraus eine Forderung abzuleiten, ein deutscher EU-Kommissar müsse “vernünftig Englisch” beherrschen können, ist falsch und irreführend. Wir können gerne über Oettingers Qualifikationen diskutieren — seine Sprachkenntnisse zählen nicht dazu. Sein Arbeitgeber — die Europäische Union, und damit “wir alle” — legt großen Wert auf Gleichberechtigung. Dies äußert sich eben in ihrem Statut, dass sich jeder Bürger in seiner Muttersprache an sie wenden darf, gleich, wie gut und flüssig er Englisch spricht. Das ist für die Demokratie in dieser Riesenorganisation überlebenswichtig. Die EU definiert sich vielsprachig, nicht englischsprachig.
In der Diskussion offenbart sich auch eine eigenartige Schizophrenie unserer Gesellschaft: wir wollen international sein und haben Angst vor dem Verfall unserer Sprache. Guido Westerwelle bashte man dafür, dass er sich weigerte, auf einer deutschen Pressekonferenz die Frage eines britischen Journalisten auf Englisch zu beantworten, Günther Oettinger amüsiert die Internetgemeinde, in dem er vor einem internationalen Publikum der Columbia University in Berlin Englisch spricht. Dass die Rede an sich scheiße war und inhaltsleer dazu, liegt daran, dass der Mensch Politiker ist.
Im Übrigen: Oettingers Englisch (und auch das von Guido Westerwelle) ist lediglich von einem starken deutschen Akzent geprägt. Er liest die Rede ab und tappt damit in jede Falle, die die unlogische englische Orthographie für ihn aufgestellt hat. Das ist bemitleidenswert, peinlich ist es nicht. Ich bleibe bei meiner These: die Mehrheit derjenigen, die das so unglaublich amüsant finden, hätten mit den fraglichen Fremdwörtern auch ihre Probleme und erfahren vermutlich eine unterbewusste Befreiung, genau dabei nicht selbst ertappt worden zu sein. Deutsche tendieren dazu, ihre eigenen Sprachkenntnisse zu überschätzen.
Einige Kommentatoren belustigen sich unter anderem über seine Schlussbemerkung (zumindest suggeriert uns das das YouTube-Video): “We are all sitting in one boat”. Die englische Entsprechung heißt zwar “we are all in the same boat” — an der Metapher ändert es nichts. Man sollte die Sprache selbst beherrschen, bevor man sich über die Kenntnisse derselben anderer lustig macht.
Um Oettinger zu verstehen, muss man ihm auch zuhören wollen.