Kein Bock auf nen interessantes grammatisches Phänomen?

Von Anatol Stefanowitsch

Vor eini­gen Wochen hat mir Kathrin Pas­sig die fol­gende, mit der Betr­e­f­fzeile „Ich hab nen Haus, nen Äffchen und nen Pferd“ verse­hene sprach­wis­senschaftliche Frage gestellt:

Etwa ein­mal imJahr ver­suche ich zu ergoogeln, ob inzwis­chen jemand eine Erk­lärungfür den Vor­marsch des „nen“ gefun­den hat, das an die Stelle von„n“ tritt. Ich weiß nicht ein­mal, ob es sich um ein regionale­sPhänomen han­delt; in Berlin ist es jeden­falls häu­fig zu hören.Leider bleiben meine Googlever­suche ergeb­nis­los bis auf das üblicheGenörgel, das den Sprech­ern unter­stellt, sie seien schlicht zu blödzur kor­rek­ten Geschlechtsbestimmung.

Das ist es aber­sich­er nicht, erstens, weil das sowieso nie die Erk­lärung ist,zweitens, weil auss­chließlich das Neu­trum zum Maskulinum wird undan­dere Ver­tauschun­gen nie vorkom­men und drit­tens, weil es nur indiesem einen Zusam­men­hang passiert. Ich hege die vage Ver­mu­tung, dass­es sich eher um einen Ver­such han­delt, für mehr Ord­nung und­Deut­lichkeit zu sor­gen, und dass man sich als deutsch­er Sprech­er (und­Schreiber, denn das Netz ist voller schriftlich­er Belege) mit einem­so unklaren Ein­buch­staben­wort wie „n“ und dem damitein­herge­hen­den Apos­tro­phen­ver­dacht leicht unwohl fühlt. Vielle­ichthaben Sie ja Lust, eines Tages Licht in die Angele­gen­heit zu bringen?

Als Beispiel des üblichen Genörgels nen­nt sie unter anderem eine von Bas­t­ian Sicks Zwiebelfisch-Kolum­nen, auf die ich gle­ich zurückkomme.

Wie der Zufall es wollte, hat­te ich das The­ma schon seit Län­gerem im Hin­terkopf und so nahm ich die Anfrage zum Anlass, einige Kolleg/innen zu kon­tak­tieren, die sich mit der Syn­tax des gesproch­enen Deutsch beschäfti­gen. Das Phänomen war natür­lich allen bekan­nt, aber eine Forschungsar­beit zu dem The­makon­nte mir nie­mand nennen.

Ein­mal her­vorge­holt kon­nte ich das The­ma aber nicht wieder in meinen Hin­terkopf ver­ban­nen. Hier deshalb mein Ver­such, selb­st Licht in die Angele­gen­heit zu brin­gen. Eine War­nung vor­weg: Der Beitrag ist lang, und ich tue let­zten Endes nicht viel mehr, als Kathrin Pas­sigs vage Ver­mu­tung zu bestäti­gen (dafür schreibe ich aber bald wieder etwas über Eski­mos und Schnee!).

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Wie man ein Korpus zusammenstückelt und einen Teufelspakt schließt

Von Kristin Kopf

Ich bin momen­tan dabei, eine Samm­lung früh­neuhochdeutsch­er Texte (ein “Kor­pus”), aus denen man ide­al­er­weise Aus­sagen über das Deutsch der dama­li­gen Zeit ableit­en kann, für mein Dis­ser­ta­tionsvorhaben anzu­passen. Das Kor­pus wurde ursprünglich zusam­mengestellt, um die Entste­hung der Sub­stan­tiv­großschrei­bung zu unter­suchen, deshalb machte es z.B. nichts aus, dass auch über­set­zte Texte darin enthal­ten waren. Bei mein­er Fragestel­lung habe ich aber ein bißchen Angst, dass die Wort- und Satzstruk­tur durch direk­te lateinis­che Vor­la­gen bee­in­flusst sein kön­nte. Deshalb werfe ich über­set­zte Texte raus und nehme andere rein.

Ich war also in der let­zten Zeit viel auf der Suche nach passenden Tex­ten – sie müssen aus bes­timmten Zeitspan­nen sein, als Drucke vor­liegen und von bes­timmten Druck­o­rten (oder wenig­stens aus deren Dialek­t­ge­bi­et) stam­men. Ach ja, Gereimtes darf auch nicht. Und min­destens 4000 Wörter lang. Und sie müssen Orig­i­nale oder Fak­sim­i­les als Vor­lage haben.

Per­fekt sind Texte, die elek­tro­n­isch vor­liegen, wie z.B. die Texte des Bon­ner Früh­neuhochdeutschko­r­pus. Auch bei Wik­isource find­et sich für ver­gan­gene Jahrhun­derte einiges, was sorgfältig von den Orig­i­nalen abgetippt und kor­rek­turge­le­sen wurde und sich damit auch bei Unsicher­heit­en immer ver­gle­ichen lässt. Weniger per­fekt, aber als Lück­en­füller geeignet ist auch Google­Books – die Tex­terken­nung, die man über die alten Drucke gejagt hat, taugt zwar für Frak­tur nichts, aber man kann sich viele alte Büch­er als Pdf run­ter­laden und dann per Auge durch­suchen. Anson­sten gibt es auch noch eine ganze Rei­he von Unibib­lio­theken, die ihre alten Drucke und Manuskripte als Bilder dig­i­tal­isieren, z.B. Hei­del­berg und Göt­tin­gen. (Hei­del­berg hat auch eine enorm aus­führliche Lin­kliste zum Thema.)

Auf mein­er Suche habe ich viele Texte ange­le­sen – auch welche, die gar nicht geeignet, aber dafür sehr kurios sind. Zum Beispiel diesen (Foto von His­to­ri­ograf):

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Ich mach das als so …

Von Kristin Kopf

Wer in den let­zten Wochen Zeit mit mir ver­bracht hat, weiß, was jet­zt kommt:

Ich mach das als so.

Ich geh da als hin.

Wir schenken uns als nichts zu Weihnachten.

Wie ver­ste­ht ihr das als? Bish­erige Vorschläge aus meinem mit­tel- und nord­deutschen Fre­un­des- und Bekan­ntenkreis umfassen (Spoil­er alert!) Weit­er­lesen

Niveaulimbo bei Spiegel Online

Von Susanne Flach

Niveaulim­bo ist “Jugend­wort des Jahres 2010”. Spiegel Online schreibt dazu:

Laut Jury­be­grün­dung ste­ht es für ein “ständi­ges Absinken des Niveaus, aus dem Rud­er laufende Par­tys und sinnlose Gespräche” unter Jugendlichen. Zudem werde damit auch die “gegen­wär­tige Entwick­lung der TV-Land­schaft” von Jugendlichen kri­tisch beäugt und kom­men­tiert. Das find­et jeden­falls die Jury.

Soso.

Im Ren­nen waren noch arg gepresst wirk­ende Kreatio­nen wie Arschfax ‘Tex­tilpflege­hin­weis’, Speck­bar­bie ‘dick­es Mäd­chen in engen Klam­ot­ten’ (welch­es von den Jugendlichen in der Jury übri­gens als zu abw­er­tend abgelehnt wurde), und Klapp­karibik ‘Münz­mal­lor­ca’.

Aber mir gefällt das. Also Niveaulim­bo. Sehr tre­f­fend, fast schon unfrei­willig komisch. Und weil ich mir jet­zt nicht die Mühe machen will, alle Google­tr­e­f­fer für Niveaulim­bo von vor dem let­zten Woch­enende zu analysieren (nur so viel: ein Jugend­wort iss­es nicht), hier ein Hin­weis an SPON: Ein­fach mal im eige­nen Archiv nachguck­en, not­falls 2005, da wird die Bedeu­tung anhand ein­er sehr anschaulichen Metaver­wen­dung auch gle­ich mitgeliefert.

Guy Deutscher — Der mit dem Whorf tanzt*

Von Susanne Flach

Begin­nen wir den Neuan­fang mit einem Kauf­be­fehl. Da die Wei­h­nacht­szeit vor der Tür ste­ht und der ein oder die andere schon nach einem Geschenk sucht, hier ein Tipp aus der Sprach­wis­senschaft. Während der Lek­türe von Im Spiegel der Sprache von Guy Deutsch­er ertappte ich mich näm­lich immer wieder bei einem Gedanken: this guy will this year’s christ­mas shop­ping very easy.

Anders ange­fan­gen: Die Sprach­wis­senschaft hat in den let­zten Jahrzehn­ten einige — aus unser­er Sicht — recht ungewöhn­liche Ent­deck­ung gemacht. Ungewöhn­lich für uns, weil das, was wir natür­lich find­en, nicht immer natür­lich für Sprech­er ander­er Sprachen ist. Wenn man beispiel­sweise Sprech­ern europäis­ch­er Sprachen Bilder ein­er Geschichte vor­legt und sie bit­tet, die Bilder in die richtige Rei­hen­folge zu brin­gen, dann ist die Wahrschein­lichkeit recht groß, dass sie sie von links nach rechts leg­en. Mut­ter­sprach­ler des Hebräis­chen leg­en sie ten­den­ziell von rechts nach links (Fuhrmann & Borodit­sky 2010). Das mag man ja noch mit der Rich­tung ihrer Schrift­sprache erk­lären kön­nen. Aber Sprech­er ein­er aus­tralis­chen Sprache leg­en mal von links nach rechts, mal von oben nach unten und umgekehrt. Wer sich das augen­schein­liche Chaos genauer ansieht, stellt fest, dass sie die Bildergeschichte von Ost nach West erzählen (Borodit­sky 2009).

Ups!

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Diverses von der 48. StuTS

Von Kristin Kopf

Die StuTS in Pots­dam ist vor­bei, die in Leipzig ste­ht bevor … fun facts am Rande:

  • Adygeisch (eine Kauka­sussprache) hat dor­so­postalve­o­lare Frika­tive (bei denen man die Zun­gen­spitze unten hin­ter die Zähne leg­en muss), aber nur drei Vokale. (Ludger Paschen)
  • Prof. Wiese unter­sucht Kiezdeutsch und bekommt dazu “sehr viele Zuschriften aus der … soge­nan­nten Öffentlichkeit”. Wir durften zwei lesen – sehr krass, wie sich manche Leute bedro­ht fühlen, wenn man an ihrem Welt­bild kratzt – und zu welch­er Sprache sie dabei greifen. Was macht sie mit den Mails? “Für mich sind das auch erst mal Dat­en.” Spon­tan­er Applaus.
  • Im Lasis­chen (auch ein­er Kauka­sussprache) gibt’s wilde Mor­pholo­gie, aber am schön­sten ist, dass man aus ‘Ich bin glück­lich’ die wörtliche Form ‘Ich bin glück­lich um dich herum’ (d.h. ‘mit dir als Zen­trum’) bilden kann – sie aber mit­tler­weile ‘Ich küsse dich’ bedeutet. (Hagen Blix) Weit­er­lesen

Was hast du getan, Google?

Von Anatol Stefanowitsch

Heute hat Google den Dienst Street View in Deutsch­land ges­tartet. Nach­dem ja bere­its bekan­nt war, dass etwa 250 000 Men­schen die Ver­pix­elung ihrer Häuser und Woh­nun­gen beantragt hat­ten, war ich auf das Schlimm­ste gefasst, als ich mich auf einen virtuellen Spazier­gang durch meine Geburtsstadt Berlin begeben habe.

Aber ich habe dabei unter­schätzt, wie sehr die Straße­nan­sicht­en durch die Ver­pix­elung tat­säch­lich entstellt wer­den. Die eingetrübten Vier- und Vielecke, die einem alle paar Schritte die Sicht versper­ren, sind wie ein Schlag vor den Kopf.

In Straßen mit Einzel­häusern, so wie hier in Alt-Marien­dorf, kann man das noch verkraften:

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[Lesetipp] Anglizismenintegration als kulturelle Leistung

Von Kristin Kopf

Die Bild-Zeitung regt sich momen­tan über englis­che Berufs­beze­ich­nun­gen in deutschen Stel­lenanzeigen auf, im Zuge ein­er über­aus alber­nen Deutsch-ins-Grundge­setz-Aktion (zum Sprachlog-Kom­men­tar dazu). Heute greift der Unispiegel das Berufs­beze­ich­nungs­the­ma mit einem Mini­in­ter­view auf. Befragt wird Car­olin Kruff, die in Aachen dazu pro­moviert. Das Schön­ste nehme ich schon vorweg:

UniSPIEGEL: Ver­hun­zen solche Wortkreatio­nen die deutsche Sprache?

Kruff: Im Gegen­teil. Ich sehe das eher als kul­turelle Leis­tung. Wir inte­gri­eren Anglizis­men in den meis­ten Fällen sehr gut in die deutsche Sprache und hal­ten sie so lebendig. Von ein­er Bedro­hung der deutschen Sprache durch Anglizis­men sind wir momen­tan weit entfernt.

Wer sich für Frau Kruffs Arbeit näher inter­essiert, kann hier ein fün­f­seit­iges Exposé lesen.

Gerechte Sprache und Sprachpurismus

Von Anatol Stefanowitsch

Ich werde immer wieder dafür kri­tisiert, dass ich mich um poli­tisch kor­rek­te Sprache bemühe (siehe z.B. hier, hier und hier), obwohl dies doch im direk­ten Gegen­satz zu mein­er Grundüberzeu­gung stünde, dass ein nor­ma­tives Herange­hen an Sprache sinn­los und falsch sei. Sehr klar hat diese Kri­tik Sprachlogleser Gre­gor in einem Kom­men­tar zu meinem Beitrag über das Wort Rehkid formuliert:

Ich finde diesen Blog dur­chaus inter­es­sant und rel­e­vant, und obwohl ich per­sön­lich dur­chaus für eine behut­same Sprach­pflege bin, kann ich vieles, was hier gesagt wird, nachvollziehen.

Ich finde nur, dass A.S. zwei Rollen ein­nimmt, die er aus mein­er Sicht etwas sauber­er tren­nen sollte.

Ein­er­seits tritt er uns als der entspan­nte Sprachex­perte ent­ge­gen, der übereifrigen Sprach­puris­ten die Sinnlosigkeit ihres Treibens auf wis­senschaftlich fundierte Weise vorhält.

Ander­er­seits ist er selb­st engagiert­er Sprach­poli­tik­er, der bes­timmte Posi­tio­nen zum The­ma Sprache von seinen Nor­men her polemisch kri­tisiert und andere pos­i­tiv darstellt.

Bei­des ist legit­im. Allerd­ings fände ich es fair­er, wenn er offen sagen würde „ich lehne von mein­er gesellschaft­spoli­tis­chen Posi­tion her das Bemühen ab, die deutsche Sprache von Anglizis­men zu reini­gen, weil dieses Bestreben his­torisch oft mit nation­al­is­tis­chem Gedankengut gepaart war und bin für eine poli­tisch kor­rek­te Sprache, weil diese Diskri­m­inierung ent­ge­gen­wirken kann“ (oder so ähn­lich). Anstatt dessen wech­selt er je nach Bedarf zwis­chen der Rolle des neu­tralen Experten, der das Tun ander­er analysiert, und des Sprach­poli­tik­ers, der uns seine eigene Mei­n­ung unter­jubeln will.

Wenn ich mich nicht irre, habe ich auf diese Kri­tik noch nie eine aus­führliche Antwort gegeben. Höch­ste Zeit also.

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Affensprache

Von Anatol Stefanowitsch

Jedes Mal, wenn ich mich aus irgen­deinem Grund auf die Web­seit­en des VDS begebe (was übri­gens sehr sel­ten ist: In den bish­er fün­fzig Beiträ­gen im Sprachlog wer­den die Dort­munder Sprach­nar­ren nur vier­mal erwäh­nt, [1], [2], [3], [4]), finde ich neben der typ­is­chen sprach­pflegerischen Wirr­nis auch Kuriositäten, über die sog­ar andere Sprach­nör­gler nur den Kopf schüt­teln dürften.

In der unteren Ecke der Start­seite ver­linkt der Vere­in per Zufall­sro­ta­tion auf die Pressemel­dun­gen des Jahres, und als ich für meinen let­zten Beitrag recher­chiert habe, stieß ich auf dieses Juwel vom März oder April dieses Jahres:

Einen Fehltritt leis­tete sich Thomas Ste­in­feld von der Süd­deutschen Zeitung. Er behauptete, der Vere­in Deutsche Sprache würde die Ver­flachung des Deutschen mit „Affen­sprache“ beze­ich­nen. Noch dazu hat­te er schlecht recher­chiert und glaubte, die „Deutsche Sprach­welt“ sei die Vere­in­szeitung des VDS. Nach vie­len Beschw­er­den erfol­gte einige Tage später eine teil­weise Kor­rek­tur der SZ. [Pressemel­dung des VDS, 2010]

(Der Artikel, auf den sich die Pressemel­dung bezieht, find­et sich hier, die erwäh­nte „teil­weise Kor­rek­tur“ kon­nte ich nicht finden).

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