Eigentlich habe ich zum Wutbürger ja schon alles gesagt, aber ein Gedanke kam mir noch: Warum dürfen Immigranten frühestens nach acht Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, Neuwörter aber schon nach drei Monaten Wort des Jahres werden?
Wörterwahl nach Wutsherrenart
Ich habe ja nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich wenig Begeisterung für die Wahl von Wörtern zum Wort, Unwort, Jugendwort oder überflüssigsten Wort des Jahres oder Monats, zum schönsten ausgewanderten oder eingewanderten oder zum schönsten Wort überhaupt aufbringen kann. Ich habe ja nichts gegen Wörter. Viele meiner besten Freunde sind Wörter. Aber, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, auszeichnen sollte man keins von ihnen. Wörter sollen ihre Arbeit erledigen, nämlich, uns beim Reden zu helfen, und davon abgesehen sollen sie uns in Ruhe lassen.
Das gilt natürlich auch für das gestern von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres 2010“ gekürte Wutbürger. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist das Wort ohnehin völlig uninteressant; es ist ein ganz normales Nominalkompositum, von denen das Deutsche eins pro Sekunde prägen könnte, wenn es nur wollte. Und es wollte schon oft: ich nenne nur bespielhaft Ehrenbürger, Schildbürger, Spießbürger, Weltbürger, Bundesbürger, Erdenbürger, Netzbürger, Pfahlbürger, Cheesebürger und Staatsbürger.
Von r, Nasalstrichen und Häkchen
Ich trage seit Urzeiten die Kindheitserinnerung mit mir herum, dass ich lange Zeit dachte, die Goten bei Asterix und die Goten hätten einen Sprachfehler, weil sie immer f statt s sagten. Wer’s nicht kennt: Die Goten “sprechen” in Frakturschrift. Das ist eine sogenannte “gebrochene Schrift”, die neben dem runden <s> auch das lange <ſ> besitzt. (Die Verteilung ist ganz grob: Silbenanfang und ‑mitte <ſ>, Silbenende <s>.) Nun habe ich eben einmal nach einem Beispiel gegooglet und entdeckt, dass die Erinnerung wohl falsch ist: In den Comics wird immer das <s> benutzt. Hier z.B. müsste das <ſ> in <marschieren>, <ist> und <Lust> stehen und auch hier ist es nirgends zu finden. Eine vom heutigen Standpunkt aus leserfreundliche Entscheidung.
Dass <ſ> und <f> sich in gebrochenen Schriften sehr ähnlich sehen, ist ja recht weit verbreitetes Wissen:
r gegen r!
Aber wusstet Ihr, dass es zwei Schreibungen von <r> gab? Schaut mal:
Säumige Handwerker
Die Hamburger Handwerkskammer wirbt seit einigen Monaten in Bahnen, Bussen und Zeitungen, und im September sogar mit einem Großplakat am Dock 10, mit dem Slogan „Zugegeben, Hamburg ist uns gut gelungen. Aber wir hatten ja auch 1.200 Jahre Zeit“.
Ich nehme an, dass das Handwerk sich mit diesem Werbespruch positiv darstellen will, auch wenn ich den verschlungenen Gedankengang nicht nachvollziehen kann, auf dem ein Werber zur Überzeugung gelangt ist, dass der Slogan diesen Zweck erfüllt.
Denn dass die Hamburger Handwerker mindestens 1.200 Jahre brauchen, um überhaupt mal vorbei zu schauen, das wussten wir auch so. Neu ist nur, dass sie auch noch stolz darauf sind.
Schneechaos
Spiegelfechter Jens Berger hat sich vor ein paar Tagen mit der Frage beschäftigt, seit wann die Medien jeden Schneefall und die damit einhergehenden Verkehrsbehinderungen als „Schneechaos“ bezeichnen und in den Archiven von Spiegel und ZEIT den Winter 1978/1979 ausgemacht.
Eine Suche auf Google Books zeigt, dass das Wort an sich viel älter ist: Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1900, aus den „Berggeschichten“ eines Arthur Achleitner, der über ein Lawinenunglück schreibt: Weiterlesen
Nen kurzer Nachtrag
Ein kurzer Nachtrag zu nen: Ein
Kommentator dort hat im Digitalen Wenker-Atlas nachgeschlagen und darin Belege für nen bisschen gefunden (diese Phrase taucht dort in Satz 31 auf und die Formen des indefiniten Artikels sind auf Karte 432 zusammengetragen).
Ich habe diesen Dialektatlas, in dem der Dialektologe Georg Wenker die Ergebnisse einer Fragebogenerhebung festhielt, die er 1887 durchgeführt hatte, daraufhin noch einmal systematisch durchsucht und die Belege für nen bisschen in eine Google-Karte übertragen (dabei bin ich nach Augenmaß vorgegangen, die geographischen Koordinaten sind also nur ungefähr). Hier ist die Ausbeute, in Farbe und unverpixelt (man muss etwas herauszoomen um alle Belege zu sehen): Weiterlesen
Schneewittchen does Peking
Durch einen Tweet vom exzellenten Markus Trapp bin ich eben auf eine AFP-Meldung aus China aufmerksam geworden, die seit ein paar Tagen durch die westliche Presse geistert und in der es um einen scheinbar peinlichen Fehler bei der Übersetzung von Grimms Märchen ins Chinesische geht. Hier die deutsche Version der Meldung:
Peking — Eine neue Auflage der Grimmschen Märchen ist in Windeseile aus den Kinderbuchregalen in China genommen worden, weil der zuständige Verlag aus Versehen eine pornografische Variante des weltbekannten Werkes übersetzen ließ. „Wir konnten die deutsche Originalversion der Märchen der Gebrüder Grimm nicht finden“, entschuldigte sich ein Vertreter von China Media Time in der Zeitung „Gobal Times“. „Also nahmen wir eine japanische Ausgabe und übersetzten diese“, fügte der nur Yuan genannte Verlagsvertreter hinzu.
Dummerweise handelte es sich bei der Vorlage um eine pornografische Nacherzählung der Märchen. Darin hat beispielsweise Schneewittchen Sex mit den sieben Zwergen. [Pressemeldung der Agence France-Presse]
Eine vergnügliche Geschichte über die Gefahren des literarischen Übersetzens — wenn sie wahr wäre. Dass sie aber nicht stimmen kann, sollte beim aufmerksamen Lesen aber auffallen. Weiterlesen
Muschi gesucht
Was ist Edmund Stoiber für den Kosenamen verlacht worden, den er seiner Frau gibt. Während des Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2002 hatte man tageweise den Eindruck, sein (scheinbar) unglücklich gewähltes „Muschi“ sei das eigentliche Problem, und nicht, dass er damals schon die katastrophale Politik gemacht hätte, die die schwarzgelbe Koalition heute macht.
Aber war der Spott gerechtfertigt? Oder war es nur unsere kollektive schmutzige Phantasie, die ein unschuldiges Wort für kleine Kätzchen mit einer neckischen Bezeichnung für das primäre weibliche Geschlechtsorgan des Menschen in Verbindung brachte? Heißt Muschi eigentlich „Katze“, oder heißt es eigentlich „Vulva (+ Vagina)“? Diese Frage, also die danach, welches die ältere Bedeutung ist, stellten sich vorgestern auch zwei Menschen in meiner Twitter-Timeline und riefen mich um Hilfe an. Und wenn Fremde einem im Internet potenziell versaute Fragen stellen, dann sollte man die natürlich unbedingt beantworten, sonst wird das Internet irgendwann so langweilig, wie es unsere Politiker dieser Tage einstimmig gerne hätten.
1642: Das Jahr, da die teusch Sprach verderbt war
Wusstet Ihr, dass das Deutsche schon kaputt ist? Ich bin mir auch nicht sicher, wie es der wachsamen Öffentlichkeit entgehen konnte, aber im Jahr 1642 spätestens war alles verdorben. Warum und wie? Aber ja, die leidigen Fremdwörter haben die Sprache versaut und dafür gesorgt, dass man sich nicht mehr verständigen konnte. So zu lesen in diesem wunderbaren Gedicht auf Wikisource. Es richtet sich
Wider alle Sprachverderber / Cortisanen / Concipisten vnd Concellisten / welche die alte teuotsche Muttersprach mit allerley frembden / Lateinischen / Welschen / Spannischen vnd Frantzösischen Wörtern so vielfältig vermischen / verkehren vnd zerstehren / daß Sie jhr selber nicht mehr gleich sihet / vnd kaum halber kan erkant werden.
Was haben wir noch?
Nach diversen Beschimpfungen geht es dann in Strophe 6 los mit einem Fremdwort-ABC. Ich habe mir mal den Spaß gemacht, die verhassten Wörter zu extrahieren und zu schauen, wie es heute um sie steht. Von 294 Fremdwörtern und ‑wendungen haben wir (je nach zugrundegelegter Wortliste1) etwas mehr als ein Drittel behalten (116 bzw. 111).
Welche Rolle spielen sie?
Die Überlebenden sind zwar meist noch als Fremdwörter zu erkennen, haben sich aber heute super integriert. (Teilweise auch mit drastischen Bedeutungsveränderungen.) Viele gehören in spezifische Bereiche, wie z.B. zum Militär: Weiterlesen
Mehr Fehler, wie üblich
Der Erklärungsdruck wird größer, weshalb nach der Konsultation des RSS-Feed der Tagesschau mein Blick auf Spiegel Online fällt. Es ist vermutlich eine Marotte aus der Zeit, in der Spiegel Online noch nicht ganz so offensichtlich als Studenten-BILD daher kam. Wofür diese Gewohnheit aber doch recht gut ist: Man findet oft allerhand spannende Übersetzungsfehler.
Nach der Verhaftung von Wikileaks-Chef Julian Assange twitterte Wikileaks gestern: