Wörterwahl nach Wutsherrenart

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe ja nie ein Geheim­nis daraus gemacht, dass ich wenig Begeis­terung für die Wahl von Wörtern zum Wort, Unwort, Jugend­wort oder über­flüs­sig­sten Wort des Jahres oder Monats, zum schön­sten aus­ge­wan­derten oder einge­wan­derten oder zum schön­sten Wort über­haupt auf­brin­gen kann. Ich habe ja nichts gegen Wörter. Viele mein­er besten Fre­unde sind Wörter. Aber, das wird man ja wohl noch sagen dür­fen, ausze­ich­nen sollte man keins von ihnen. Wörter sollen ihre Arbeit erledi­gen, näm­lich, uns beim Reden zu helfen, und davon abge­se­hen sollen sie uns in Ruhe lassen.

Das gilt natür­lich auch für das gestern von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres 2010“ gekürte Wut­bürg­er. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das Wort ohne­hin völ­lig unin­ter­es­sant; es ist ein ganz nor­males Nom­i­nalkom­posi­tum, von denen das Deutsche eins pro Sekunde prä­gen kön­nte, wenn es nur wollte. Und es wollte schon oft: ich nenne nur bespiel­haft Ehren­bürg­er, Schild­bürg­er, Spießbürg­er, Welt­bürg­er, Bun­des­bürg­er, Erden­bürg­er, Net­zbürg­er, Pfahlbürg­er, Cheese­bürg­er und Staats­bürg­er.

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Von r, Nasalstrichen und Häkchen

Von Kristin Kopf

Ich trage seit Urzeit­en die Kind­heit­serin­nerung mit mir herum, dass ich lange Zeit dachte, die Goten bei Aster­ix und die Goten hät­ten einen Sprach­fehler, weil sie immer f statt s sagten. Wer’s nicht ken­nt: Die Goten “sprechen” in Frak­turschrift. Das ist eine soge­nan­nte “gebroch­ene Schrift”, die neben dem run­den <s> auch das lange <ſ> besitzt. (Die Verteilung ist ganz grob: Sil­be­nan­fang und ‑mitte <ſ>, Sil­be­nende <s>.) Nun habe ich eben ein­mal nach einem Beispiel gegooglet und ent­deckt, dass die Erin­nerung wohl falsch ist: In den Comics wird immer das <s> benutzt. Hier z.B. müsste das <ſ> in <marschieren>, <ist> und <Lust> ste­hen und auch hier ist es nir­gends zu find­en. Eine vom heuti­gen Stand­punkt aus leser­fre­undliche Entscheidung.

Dass <ſ> und <f> sich in gebroch­enen Schriften sehr ähn­lich sehen, ist ja recht weit ver­bre­it­etes Wissen:

nit vstopf­fē lassē

r gegen r!

Aber wusstet Ihr, dass es zwei Schrei­bun­gen von <r> gab? Schaut mal:

…/deßhalben sol man sich daruor hüten/vnd sonderlich/vor grossem zoren/Vnmuot/Sorgfeltigkayt/vnnd forchte des todts

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Säumige Handwerker

Von Anatol Stefanowitsch

Die Ham­burg­er Handw­erk­skam­mer wirbt seit eini­gen Monat­en in Bah­nen, Bussen und Zeitun­gen, und im Sep­tem­ber sog­ar mit einem Groß­plakat am Dock 10, mit dem Slo­gan „Zugegeben, Ham­burg ist uns gut gelun­gen. Aber wir hat­ten ja auch 1.200 Jahre Zeit“.

Hamburgistunsgutgelungen

Ich nehme an, dass das Handw­erk sich mit diesem Werbe­spruch pos­i­tiv darstellen will, auch wenn ich den ver­schlun­genen Gedanken­gang nicht nachvol­lziehen kann, auf dem ein Wer­ber zur Überzeu­gung gelangt ist, dass der Slo­gan diesen Zweck erfüllt.

Denn dass die Ham­burg­er Handw­erk­er min­destens 1.200 Jahre brauchen, um über­haupt mal vor­bei zu schauen, das wussten wir auch so. Neu ist nur, dass sie auch noch stolz darauf sind.

Schneechaos

Von Anatol Stefanowitsch

Spiegelfechter Jens Berg­er hat sich vor ein paar Tagen mit der Frage beschäftigt, seit wann die Medi­en jeden Schneefall und die damit ein­herge­hen­den Verkehrs­be­hin­derun­gen als „Schneechaos“ beze­ich­nen und in den Archiv­en von Spiegel und ZEIT den Win­ter 1978/1979 ausgemacht.

Eine Suche auf Google Books zeigt, dass das Wort an sich viel älter ist: Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1900, aus den „Berggeschicht­en“ eines Arthur Achleit­ner, der über ein Law­ine­nunglück schreibt: Weit­er­lesen

Nen kurzer Nachtrag

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Nach­trag zu nen: Ein
Kom­men­ta­tor dort hat im Dig­i­tal­en Wenker-Atlas nachgeschla­gen und darin Belege für nen biss­chen gefun­den (diese Phrase taucht dort in Satz 31 auf und die For­men des indef­i­niten Artikels sind auf Karte 432 zusammengetragen).

Ich habe diesen Dialek­tat­las, in dem der Dialek­tologe Georg Wenker die Ergeb­nisse ein­er Frage­bo­gen­er­he­bung fes­thielt, die er 1887 durchge­führt hat­te, daraufhin noch ein­mal sys­tem­a­tisch durch­sucht und die Belege für nen biss­chen in eine Google-Karte über­tra­gen (dabei bin ich nach Augen­maß vorge­gan­gen, die geo­graphis­chen Koor­di­nat­en sind also nur unge­fähr). Hier ist die Aus­beute, in Farbe und unver­pix­elt (man muss etwas her­aus­zoomen um alle Belege zu sehen): Weit­er­lesen

Schneewittchen does Peking

Von Anatol Stefanowitsch

Durch einen Tweet vom exzel­len­ten Markus Trapp bin ich eben auf eine AFP-Mel­dung aus Chi­na aufmerk­sam gewor­den, die seit ein paar Tagen durch die west­liche Presse geis­tert und in der es um einen schein­bar pein­lichen Fehler bei der Über­set­zung von Grimms Märchen ins Chi­ne­sis­che geht. Hier die deutsche Ver­sion der Meldung:

Peking — Eine neue Auflage der Grimm­schen Märchen ist in Winde­seile aus den Kinder­buchre­galen in Chi­na genom­men wor­den, weil der zuständi­ge Ver­lag aus Verse­hen eine pornografis­che Vari­ante des welt­bekan­nten Werkes über­set­zen ließ. „Wir kon­nten die deutsche Orig­i­nalver­sion der Märchen der Gebrüder Grimm nicht find­en“, entschuldigte sich ein Vertreter von Chi­na Media Time in der Zeitung „Gob­al Times“. „Also nah­men wir eine japanis­che Aus­gabe und über­set­zten diese“, fügte der nur Yuan genan­nte Ver­lagsvertreter hinzu.

Dum­mer­weise han­delte es sich bei der Vor­lage um eine pornografis­che Nacherzäh­lung der Märchen. Darin hat beispiel­sweise Schnee­wittchen Sex mit den sieben Zwer­gen. [Pressemel­dung der Agence France-Presse]

Eine vergnügliche Geschichte über die Gefahren des lit­er­arischen Über­set­zens — wenn sie wahr wäre. Dass sie aber nicht stim­men kann, sollte beim aufmerk­samen Lesen aber auf­fall­en. Weit­er­lesen

Muschi gesucht

Von Anatol Stefanowitsch
Wissenschaftsblog-Auslese 2010

Wis­senschafts­blog-Auslese 2010

Was ist Edmund Stoiber für den Kose­na­men ver­lacht wor­den, den er sein­er Frau gibt. Während des Wahlkampfes zur Bun­destagswahl 2002 hat­te man tageweise den Ein­druck, sein (schein­bar) unglück­lich gewähltes „Muschi“ sei das eigentliche Prob­lem, und nicht, dass er damals schon die katas­trophale Poli­tik gemacht hätte, die die schwarzgelbe Koali­tion heute macht.

Aber war der Spott gerecht­fer­tigt? Oder war es nur unsere kollek­tive schmutzige Phan­tasie, die ein unschuldiges Wort für kleine Kätzchen mit ein­er neck­ischen Beze­ich­nung für das primäre weib­liche Geschlecht­sor­gan des Men­schen in Verbindung brachte? Heißt Muschi eigentlich „Katze“, oder heißt es eigentlich „Vul­va (+ Vagi­na)“? Diese Frage, also die danach, welch­es die ältere Bedeu­tung ist, stell­ten sich vorgestern auch zwei Men­schen in mein­er Twit­ter-Time­line und riefen mich um Hil­fe an. Und wenn Fremde einem im Inter­net poten­ziell ver­saute Fra­gen stellen, dann sollte man die natür­lich unbe­d­ingt beant­worten, son­st wird das Inter­net irgend­wann so lang­weilig, wie es unsere Poli­tik­er dieser Tage ein­stim­mig gerne hätten.

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1642: Das Jahr, da die teusch Sprach verderbt war

Von Kristin Kopf

Wusstet Ihr, dass das Deutsche schon kaputt ist? Ich bin mir auch nicht sich­er, wie es der wach­samen Öffentlichkeit ent­ge­hen kon­nte, aber im Jahr 1642 spätestens war alles ver­dor­ben. Warum und wie? Aber ja, die lei­di­gen Fremd­wörter haben die Sprache ver­saut und dafür gesorgt, dass man sich nicht mehr ver­ständi­gen kon­nte. So zu lesen in diesem wun­der­baren Gedicht auf Wik­isource. Es richtet sich

Wider alle Sprachverder­ber / Cor­ti­sa­nen / Con­cip­is­ten vnd Con­cel­lis­ten / welche die alte teuotsche Mut­ter­sprach mit aller­ley frem­b­den / Lateinis­chen / Welschen / Span­nis­chen vnd Frantzö­sis­chen Wörtern so vielfältig ver­mis­chen / verkehren vnd zer­stehren / daß Sie jhr sel­ber nicht mehr gle­ich sihet / vnd kaum hal­ber kan erkant werden.

Schlümm, schlümm.

Was haben wir noch?

Nach diversen Beschimp­fun­gen geht es dann in Stro­phe 6 los mit einem Fremd­wort-ABC. Ich habe mir mal den Spaß gemacht, die ver­has­sten Wörter zu extrahieren und zu schauen, wie es heute um sie ste­ht. Von 294 Fremd­wörtern und ‑wen­dun­gen haben wir (je nach zugrun­degelegter Wortliste1) etwas mehr als ein Drit­tel behal­ten (116 bzw. 111).

Welche Rolle spielen sie?

Die Über­leben­den sind zwar meist noch als Fremd­wörter zu erken­nen, haben sich aber heute super inte­gri­ert. (Teil­weise auch mit drastis­chen Bedeu­tungsverän­derun­gen.) Viele gehören in spez­i­fis­che Bere­iche, wie z.B. zum Mil­itär: Weit­er­lesen

Mehr Fehler, wie üblich

Von Susanne Flach

Der Erk­lärungs­druck wird größer, weshalb nach der Kon­sul­ta­tion des RSS-Feed der Tagess­chau mein Blick auf Spiegel Online fällt. Es ist ver­mut­lich eine Marotte aus der Zeit, in der Spiegel Online noch nicht ganz so offen­sichtlich als Stu­den­ten-BILD daher kam. Wofür diese Gewohn­heit aber doch recht gut ist: Man find­et oft aller­hand span­nende Übersetzungsfehler.

Nach der Ver­haf­tung von Wik­ileaks-Chef Julian Assange twit­terte Wik­ileaks gestern:

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