[Linktipp] Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Von Kristin Kopf

Ich war mir erst nicht sich­er, ob ich Ana­tol Ste­fanow­itschs Peti­tion gegen die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz mitze­ich­nen sollte. Ich fand die ganze Kam­pagne von BILD und VDS so albern, dass es mir unnötig erschien, denen noch weit­ere Aufmerk­samkeit in Form von Gege­nak­tio­nen zukom­men zu lassen.

Dann habe ich die Kom­mentare gele­sen. Und eine Nacht drüber geschlafen. Heute mor­gen habe ich gle­ich als erstes unterschrieben.

Es ist skur­ril, krass, abar­tig und lei­der über­haupt nicht über­raschend, wie sich die Befür­worter der Deutsch-ins-GG-Aktion gebär­den. Da haben wir, ganz typ­isch, den Ver­weis darauf, dass Ana­tol Ste­fanow­itsch keinen deutschen Namen habe – was schon mal über­haupt keine Rel­e­vanz hat –, daraus resul­tierend dann der Schluss, dass er kein Deutsch­er sei, und daraus wird dann abgeleit­et, dass er eh nichts zum The­ma zu melden habe bzw. dass er ja dann inhärent “gegen” das Deutsche sei. Das ken­nt man. Bei der StuTS hat Prof. Wiese, die ja Unter­suchun­gen zu Kiezdeutsch macht, von Drohmails erzählt, die sie bekommt. Ein Beispiel waren Aus­sagen wie “Sie haben zwar einen deutschen Namen, aber wahrschein­lich sind Sie …” und ähn­lich­es. Ein deutsch­er Name scheint für solche Leute un-glaub-lich wichtig zu sein.

Dann gibt es die Leute, die die Ver­ankerung im Grundge­setz nicht für eine rein sym­bol­is­che Hand­lung hal­ten, son­dern für eine konkrete Hand­habe, z.B. gegen Anglizis­men, dage­gen, dass Geschäfte ihre Pro­duk­te auss­chließlich in ein­er Fremd­sprache beschriften (was zumin­d­est für Lebens­mit­tel Unsinn ist), gegen die “Kre­olisierung” des Deutschen, oder gar gegen den Sprach­tod. Wie A.S. schon gründlich aus­ge­führt hat, ist das alles entwed­er absurd oder irrelevant.

Eine Ver­ankerung des Deutschen im Grundge­setz definiert zudem noch lange nicht, was Deutsch eigentlich ist. Wie jede natür­liche (und auch die meis­ten kün­stlichen) Sprache(n) verän­dert sich das Deutsche per­ma­nent. Meist sind dabei die Dinge, die in der Öffentlichkeit als sehr große Verän­derun­gen wahrgenom­men wer­den, eher irrel­e­vant für das Sprach­sys­tem (z.B. Rechtschreibre­form). Aber egal welche Rolle sie für den Sprach­wan­del spie­len: Er ist unaufhalt­bar. Und warum sollte man ihn auch aufhal­ten wollen? Was ist denn so schlimm daran, dass sich eine Sprache verän­dert? Eine Sprache, die sich nicht mehr verän­dert, ist tot.

Und: Eine Sprache kann man nicht auf ihren Aus­gangszu­s­tand zurück­führen. Was wäre das denn? Für die Leute, die sich da ereifern, ist in der Regel das Deutsch ihrer Schulzeit das Maß aller Dinge. Bedenkt man aber, dass die alle ganz unter­schiedlichen Alters sind, und dass sich auch schon vor langer Zeit Leute der­art ereifert haben, wird langsam klar, dass man immer weit­er zurück­ge­hen müsste … ins Früh­neuhochdeutsche, wo es noch gar keine Stan­dard­sprache gab, ins Mit­tel­hochdeutsche, wo die Sit­u­a­tion noch unein­heitlich­er war, ins Althochdeutsche und dann … dann kom­men die Sprach­stufen, für die wir keine schriftlichen Quellen haben. Wird schw­er, das zu sprechen. (Zumal, komm, schriftliche Quellen als Vor­bild für gesproch­ene Sprache? Haha.)

Ich kön­nte mich noch weit­er ereifern, aber das spare ich mir lieber. Meine Bitte: Schaut euch die Links an, bildet euch eine Mei­n­ung und entschei­det euch ganz bewusst, ob ihr die Peti­tion mitze­ichen wollt oder nicht. Ich habe es getan, unter anderen als bewusstes State­ment gegen diesen ganzen Kommentarmüll.

[Update 25.1.2011: Suz hat einen sehr klu­gen Beitrag geschrieben, in dem sie die Argu­mente der Befür­worter und Geg­n­er von allen Seit­en beleuchtet.]

Für eine vielstimmige Gesellschaft

Von Anatol Stefanowitsch

Der Vere­in Deutsche Sprache propagiert seit vie­len Jahren eine Auf­nahme des Deutschen als Staatssprache in das Grundge­setz und hat damit auch immer wieder Gehör bei einzel­nen Politiker/innen gefun­den. Vor zwei Jahren hat sog­ar der CDU-Parteitag, gegen den Willen der Bun­deskan­z­lerin, einen entsprechen­den Beschluss gefasst (siehe z.B. hier [Spiegel Online] oder hier [Zeit Online]).

Bis­lang blieb das Ansin­nen ohne Erfolg, aber im let­zten Novem­ber hat sich der VDS mit der Bild-Zeitung zusam­menge­tan und nach eige­nen Aus­sagen 46 000 Unter­schriften für eine Peti­tion an den deutschen Bun­destag gesam­melt. Über das E‑Pe­ti­tio­nen-Por­tal sind in ein­er vorgestern abge­laufe­nen Peti­tion noch ein­mal 5165 Mitze­ich­nun­gen hinzugekommen.

Im Novem­ber habe ich über die Aktion berichtet und meine schon in früheren Beiträ­gen dargestell­ten Gründe gegen eine Auf­nahme des Deutschen ins Grundge­setz noch ein­mal zusam­menge­fasst. Im Wesentlichen sind das die folgenden: 

Weit­er­lesen

[Anglizismus des Jahres] ausrollen?

Von Kristin Kopf

aus­rollen in Bezug auf Tech­nik (z.B. ein Update) ist ein Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres 2010, der von vie­len Seit­en als schon lang etabliert kri­tisiert wurde. Das ist hier beson­ders schwierig her­auszubekom­men, weil das Wort in ein­er anderen, weniger metapho­rischen Bedeu­tung (Tep­pich, Teig), schon lange existiert. Wir haben es also mit ein­er Lehnbe­deu­tung zu tun: Ein Aspekt des englis­chen to roll out, näm­lich dieser technische/produktionsbezogene, wurde über­nom­men, aber einem deutschen Wort zugeschla­gen. Das passiert oft bei Wörtern, die sich for­mal oder inhaltlich gle­ichen, hier ist bei­des der Fall.

Was kann man alles ausrollen?

Zunächst ein­mal stellt sich die Frage, was das Wort über­haupt heißt. Ich lag mit mein­er Intu­ition z.B. ziem­lich daneben bzw. hat­te nur einen Teilaspekt erfasst. Glück­licher­weise gibt es einen Wikipedi­aein­trag für Roll­out (seit Juni 2004), aus dem sich die fol­gen­den Bedeu­tun­gen des­til­lieren lassen (fast wörtlich übernommen!):

teilw. syn­onym: Mark­te­in­führung, Ein­führung

  1. Flugzeug­bau: erst­ma­liges Her­aus­rollen des Flugzeugs aus sein­er Baustätte (oft mit Fes­takt verbunden)
  2. Soft­ware 1: Veröf­fentlichen und Verteilen von Soft­ware­pro­duk­ten auf entsprechende Clients (auch Soft­ware-Dis­tri­b­u­tion) – wird durch zen­trales Host­ing zunehmend obsolet
  3. Soft­ware 2: organ­isatorische Pro­jekt-The­men (z.B. Infor­ma­tions­dis­tri­b­u­tion über Organ­i­sa­tion­sein­heit­en, Mar­ket­ing, Soft­ware- und Prozess-Train­ing, Mon­i­tor­ing und Report­ing über den Rollout-Verlauf)
  4. Hard­ware: Aus­tausch sämtlich­er Com­put­er­hard­ware bei einem Gen­er­a­tionswech­sel der Com­put­er eines Unternehmens

1, 2 und 4 sind mir klar, aber … 3? Hä? Hinzuge­fügt wurde die entsprechende Pas­sage im Novem­ber 2006, lei­der ohne Erk­lärung in den Diskus­sion­s­seit­en. Weit­er­lesen

Zum Unwort des Jahres

Von Anatol Stefanowitsch

Das Unwort des Jahres ist aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht meis­tens völ­lig unin­ter­es­sant: Die Jury um Horst Dieter Schloss­er betreibt damit auss­chließlich Poli­tik­er­schelte und Gesellschaft­skri­tik. Und auch damit bleibt die Jury typ­is­cher­weise eher ober­fläch­lich, weil sie sich stärk­er von aktuellen Ereignis­sen als von langfristi­gen Entwick­lun­gen bee­in­flussen lässt. Man sehe sich nur die „Unwörter“ der let­zten Jahre an: Ent­las­sung­spro­duk­tiv­ität, frei­willige Aus­reise, Herd­prämie, notlei­dende Banken, betrieb­srats­verseucht. Keins dieser Wörter spielt heute noch irgen­deine Rolle im poli­tis­chen Diskurs (wenn sie es über­haupt je getan haben).

Mit dem diesjähri­gen Unwort, alter­na­tiv­los, haben Horst Dieter Schloss­er und seine Mitjuroren aber aus mein­er Sicht ganz ordentliche Arbeit geleis­tet. Die Jury begrün­det die Entschei­dung wie folgt:

Weit­er­lesen

Kandidat II: SHITSTORM

Von Susanne Flach

Die Jury blog­gt ja ganz fleißig zu den Begrif­f­en und so langsam erscheinen auch Beiträge über Außen­seit­erkan­di­dat­en. Das Stim­mungs­bild mag sich zwar auf ein paar wenige Begriffe konzen­tri­eren — aber das Schöne an unser­er Wahl ist ja, dass die Entschei­dungs­find­ung so trans­par­ent ist. Deshalb möchte ich mich heute einem weniger aus­sicht­sre­ichen Kan­di­dat­en wid­men. Die Diskus­sion um solche Außen­seit­er sollte ja auch zeigen, warum diese ver­mut­lich nur Außen­seit­er bleiben.

Nun denn, heute: Shit­storm. Weit­er­lesen

[Anglizismus des Jahres] entfrienden/entfreunden?

Von Kristin Kopf

Heute beschäftige ich mich mit einem der Kan­di­dat­en, bei denen nicht das kom­plette Mate­r­i­al entlehnt wurde, näm­lich dem Dop­pelka­n­di­dat­en ent­frien­den/ent­fre­un­den. Hier haben wir es mit ein­er Ableitung zu tun. Ihre Bedeu­tung würde ich unge­fähr fassen als: ‘eine bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… beste­hende Verknüp­fung (“Fre­und­schaft”) wieder auflösen’.

Vor man entfrienden kann, muss man frienden!

Will man diese Bil­dung unter­suchen, dann muss man sich zunächst ein­mal anschauen, wie ihre Basis, also frien­den/fre­un­den, zus­tande kam, wie man sie in den fol­gen­den Beispie­len findet:

Noch mehr Leute hier, die ihre Eltern bei Face­book nicht gefrien­det haben? (Quelle)

Ich hab so viele Leute gefrien­det, wenn ich nicht mehrmals täglich die Frienslist lesen würde, käme ich gar nicht mehr hin­ter­her! (Quelle)

Ella Lin­gens Gym­na­si­um kann man nicht “frien­den” nur “liken”, oder? (Quelle)

Hab ein paar von euch gefre­un­det ‚hoffe das ist ok! (Quelle)

Auf­fäl­lig ist, dass hier meist das Par­tizip vorkommt, d.h. über die Hand­lung öfter in der Ver­gan­gen­heit gesprochen wird. Mir selb­st kommt der Infini­tiv schon fast ungram­ma­tisch vor. Weit­er­lesen

When you friend someone …

Von Kristin Kopf

Bevor ich mich im Rah­men der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres 2010 mit ent­fre­un­den/-frien­den im Deutschen beschäftige, will ich kurz den Hin­ter­grund im Englis­chen beleucht­en – zumin­d­est das davon, was ich einiger­maßen klären konnte.

Anfreunden auf Englisch

in the Facebook sense”

Das deutsche Verb frien­den kommt vom gle­ichbe­deu­ten­den englis­chen to friend. Als heutige Bedeu­tung würde ich anset­zen  ‘bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… eine Verknüp­fung (“Fre­und­schaft”) erstellen’. Ein bißchen anders sieht es die englis­che Wikipedia (eigen­er Ein­trag seit dem 1. Novem­ber 2010):

As a neol­o­gism, the term is a tran­si­tive verb mean­ing “to send a friend request on Facebook.”

Hier wird als Bedeu­tung also ‘jeman­dem auf Face­book eine Fre­und­schaft­san­frage schick­en’ angegeben. Das finde ich etwas zu eng, wird doch auch ander­swo, z.B. bei Live­Jour­nal oder MySpace, eine ganze Menge gefrien­det. Außer­dem stellt sich natür­lich die Frage, ob frien­den etwas ist, das man völ­lig eigen­ständig tun kann (also die Anfrage stellen), oder ob es nicht eher reziprok getan wer­den muss (der zukün­ftige “Fre­und” muss ja zus­tim­men). Wäre vielle­icht ganz span­nend, Beispiele daraufhin zu unter­suchen, ob im alltäglichen Gebrauch schon der Ver­such der Fre­und­schaft­sknüp­fung als to friend gew­ertet wird.

Face­book selb­st, das oft als Ursache für die Entste­hung angegeben wird, ver­wen­det das Wort übri­gens nicht, son­dern bedi­ent sich ein­er Umschreibung:

Face­book auf Englisch: “Add as Friend”

Weiterlesen

Whistleblower

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem die anderen Jurymit­glieder ange­fan­gen haben, exzel­lente Diskus­sio­nen zu eini­gen der Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres vorzule­gen (Kristin für App und leak­en, Susanne eben­falls für leak­en, und Michael für Bal­con­ing und durch­faven), möchte ich nicht zurück­ste­hen und möchte ich nun eben­falls einen Kan­di­dat­en vorstellen, der sich derzeit in der Pub­likumsab­stim­mung auf dem drit­ten Platz hält und von dem ich mir gut vorstellen kann, dass er auf mein­er per­sön­lichen Short­list lan­det: Whistle­blow­er.

Weit­er­lesen

Kandidat I: LEAKEN (Anglizismus des Jahres)

Von Susanne Flach

Kristin hat nebe­nan im Sch­plock bere­its einen ganz heißen Kan­di­dat­en für den Titel “Anglizis­mus des Jahres 2010” vorgestellt, die/das App. Mit ihrem aus­führlichen Artikel hat sie die Mess­lat­te für die bloggende Jury hoch ange­set­zt. Dann will ich mich heute dem zweit­en Favouriten der Pub­likums­gun­st wid­men: leak­en.

[Kristin und ich haben unsere Gedanken zu leak­en zeit­gle­ich veröf­fentlicht. Update 0 Uhr 21: Kristins Beitrag find­et sich hier.]

Die Gedanken zu leak­en — auch für alle fol­gen­den Kan­di­dat­en — wer­den sich im Wesentlichen an den für die Wahl aufgestell­ten Haup­tkri­te­rien ori­en­tieren: Aktu­al­ität für eine bre­ite Öffentlichkeit und dem Füllen ein­er lexikalis­chen Lücke in der deutschen Sprache. Darüber hin­aus soll die Sprache und weniger die Gesellschaft­skri­tik im Vorder­grund stehen.

Pack­en wir’s an.

Weit­er­lesen

[Anglizismus des Jahres] leaken?

Von Kristin Kopf

Nach App gibt’s nun eine zweite Betra­ch­tung eines Anglizis­mus-des-Jahres Kan­di­dat­en, näm­lich leak­en. Gepostet wird zeit­gle­ich mit suz, auf deren Bemerkun­gen zum The­ma (edit: jet­zt mit Link) ich sehr ges­pan­nt bin!

Entlehnungsdurcheinander: Wann, was, wie?

Mit leak­en ist was ganz Lustiges passiert: Die laut­liche Form gibt es im Deutschen schon eine ganze Weile. Als ursprüngliche Bedeu­tung würde ich für diese erste Entlehnung anset­zen: ‘etwas (bes. Software/Filme/…), das von seinen Urhe­bern nicht dazu bes­timmt ist, (beson­ders über das Inter­net) an die Öffentlichkeit kom­men lassen’.

Der früh­este Beleg, den ich via Google News gefun­den habe (2001), ist dieser, in dem die Fremd­heit noch ziem­lich deut­lich ist und die Bedeu­tung des Wortes erk­lärt wer­den muss:

nVidia will das Leak­en von Treibern unterbinden: nVidia hat heute in ein­er Ankündi­gung allen reg­istri­erten Entwick­lern mit­geteilt, man wolle in Zukun­ft härter gegen ‘geleak­te’ Treiber vorge­hen. Leak­en bedeutet das inof­fizielle veröf­fentlichen von Soft­ware, die durch “Lück­en” an die Öffentlichkeit gelangt ist. (04.06.2001)

In ebendieser Soft­warebe­deu­tung find­et es sich dann auch 2004 ziem­lich gut integriert:

Far Cry: Beta-Ver­sion geleakt? Inter­net-Gerücht­en zufolge kur­siert bere­its wenige Tage nach Beginn des Beta-Tests eine ille­gal geleak­te Ver­sion des Ego-Shoot­ers Far Cry in diversen Online-Tauschbörsen. (16.01.2004)

Neben dieser Ver­wen­dung ent­stand aber auch ein zweit­er Anwen­dungs­bere­ich, bei dem es nicht um Soft­ware ging, die ille­gal ver­bre­it­et wurde, son­dern um Infor­ma­tio­nen, die an die Öffentlichkeit getra­gen wur­den, ohne dass das vorge­se­hen war. Weit­er­lesen