Die Sprachen der Bundesrepublik sind…

Von Anatol Stefanowitsch

„Die Sprache der Bun­desre­pub­lik ist Deutsch” — diesen Satz wollen die Befür­worter ein­er ver­fas­sungsrechtlich geschützten Lan­dessprache ins Grundge­setz aufnehmen, und argu­men­tieren unter anderem damit, dass schließlich auch viele andere Län­der der Europäis­chen Union — siebzehn ist eine oft genan­nte Zahl — ihre jew­eilige Lan­dessprache in ihrer Ver­fas­sung festschreiben. Vor allem unsere deutschsprachi­gen Nach­bar­län­der, die Schweiz und Öster­re­ich, wer­den in diesem Zusam­men­hang immer wieder genan­nt, so, als dürfe Deutsch­land nicht hin­ten anste­hen, wenn es um patri­o­tis­che Beken­nt­nisse zur deutschen Sprache geht. Obwohl es für die Gestal­tung unseres Grundge­set­zes ja eigentlich neben­säch­lich sein sollte, was andere Län­der in ihre Ver­fas­sun­gen schreiben, ist es also höch­ste Zeit, sich diese ein­mal näher anzusehen.

Begin­nen wir mit der Schweiz. In der Bun­desver­fas­sung der Schweiz­erischen Eidgenossen­schaft wird die Sprach­frage wie fol­gt geregelt:

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Sprachkontakt im Deutschen? *gähn*

Von Kristin Kopf

So, der Anglizis­mus des Jahres 2010 ist gekürt und heute geleakt wor­den. Das möchte ich zum Anlass nehmen, ein bißchen über Sprachkon­takt nachzu­denken und zu zeigen, welche For­men und Inten­sitäts­grade es dabei geben kann. Um es schon mal vor­wegzunehmen: Das Deutsche kann beim Kon­takt eigentlich ein­pack­en. Wirk­lich viel haben wir nicht zu bieten.

Kulturkontakt bringt Sprachkontakt

Sprachkon­takt ist eine natür­liche Begleit­er­schei­n­ung von Kul­turkon­takt und je inten­siv­er dieser Kul­turkon­takt, desto inten­siv­er kön­nen sich auch die beteiligten Sprachen bee­in­flussen. Diese Kon­tak­t­si­t­u­a­tion ist meist irgend­wie asym­metrisch, das heißt eine der Sprachen hat mehr Pres­tige, wird von mehr Men­schen gesprochen, wird von den Men­schen mit den gefährlicheren Waf­fen gesprochen o.ä. – da gibt es einen ganzen Haufen mehr oder weniger voneinan­der abhängiger Fak­toren. Und damit auch eine War­nung vor­weg: Sprachkon­takt ist weitaus kom­plex­er, als ich ihn hier darstelle, es gibt eine Vielzahl von Kon­tak­t­szenar­ien mit den wildesten Resultaten.

Änderungswillig: Wort- und Namenschatz

Es lässt sich grob sagen, dass eine Sprache Teil­bere­iche hat, die auf­nah­me­bere­it­er für Neuerun­gen sind und welche, die sich stärk­er sträuben. Ein­er dieser sehr auf­nah­me­bere­it­en Teile ist der Wortschatz (das “Lexikon”). Hat eine ander­ssprachige Kul­tur ein nüt­zlich­es Ding, das man selb­st nicht besitzt, dann will man nicht nur das Ding haben, nein, man will es auch benen­nen kön­nen. Dazu gibt es einige Strate­gien, die sich in lexikalis­che und seman­tis­che Entlehnun­gen teilen lassen. Weit­er­lesen

Norbert Lammert, die deutsche Sprache und das Grundgesetz

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert hält die Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz nicht nur für wichtig, er hält sie für sehr, sehr wichtig. Eigentlich für wichtiger als alles andere.

O‑Ton Lam­mert:

Wenn ich mir allerd­ings die 58 Änderun­gen und Ergänzun­gen des Grundge­set­zes betra­chte, die es seit 1949 gegeben hat, fall­en mir keine fünf Änderun­gen ein, die es an Bedeu­tung und Rang mit der Sprache als Mit­tel der Selb­stver­ständi­gung und Iden­tität eines Lan­des aufnehmen kön­nen. [welt.de]

Ern­sthaft? Keine fünf? Sie sind doch 1948 geboren, Herr Lam­mert, also alt genug, um sich möglicher­weise and die fol­gen­den Grundge­set­zän­derun­gen zu erin­nern: Weit­er­lesen

Mehr Spaß mit Ngrams

Von Kristin Kopf

Heute gibt es ein buntes Sam­mel­suri­um von Abfra­gen mit dem Ngram View­er. Ich finde sie alle aus dem einen oder anderen Grund ganz erhel­lend. Vielle­icht ja son­st noch wer?

Ab wann ist das Korpus brauchbar?

Meine “schön­ste” Abfrage ist sich­er die fol­gende, die ich kür­zlich (in ein­er min­i­mal abwe­ichen­den Ver­sion) auch in den Sprachlog-Kom­mentaren gepostet habe:

Wie man sieht, wenn man draufk­lickt, habe ich Aller­weltswörter abge­fragt: der, die, und, in, … Das sind Wörter, die so häu­fig sind, dass man in einem aus­ge­wo­ge­nen Kor­pus eigentlich keine großen Schwankun­gen erwarten würde. Man braucht sie ein­fach immer, für jeden Text. Klar, das geht nicht unbe­gren­zt weit zurück, irgend­wann sind die Artikel ja auch ent­standen, und Per­son­al­pronomen waren z.B. im Althochdeutschen noch lange nicht so gebräuch­lich wie heute. Aber für die späte früh­neuhochdeutsche und neuhochdeutsche Zeit, die der Ngram View­er abdeckt, sollte es doch einiger­maßen passen. Weit­er­lesen

Warum die Petition “Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz” sinnvoll ist

Von Anatol Stefanowitsch

Die Peti­tion gegen die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz ist gut ange­laufen, aber bis wir die 5 200 Stim­men erre­ichen, die ich als Min­i­malziel for­muliert habe, ist es noch ein weit­er Weg. Es find­en an ver­schiede­nen Stellen inter­es­sante (manch­mal aber auch erschreck­ende) Diskus­sio­nen über die Peti­tion statt, schon diese Diskus­sio­nen waren die Sache wert. Susanne Flach hat in ihrem Blog einige der wichtig­sten inhaltlichen Argu­mente und Gege­nar­gu­mente aus der Diskus­sion exzel­lent zusam­menge­fasst; ich möchte hier kurz eine Rei­he von Argu­menten gegen die Form der Peti­tion an und für sich auf­greifen und ver­suchen, sie zu entkräften. Vielle­icht kann ich damit zögernde poten­zielle Mitzeichner/innen ermuti­gen, zu entschlosse­nen tat­säch­lichen Mitzeichner/innen zu werden.

Die Peti­tion des Vere­ins Deutsche Sprache ist lächer­lich, aber mit der Gegen­pe­ti­tion lässt man sich auf das­selbe Niveau herab“, oder anders for­muliert: „Indem man eine Gegen­pe­ti­tion startet, zeigt man nur, dass man die lächer­lichen Forderun­gen des VDS ernst nimmt.“

Vielle­icht sind die Posi­tio­nen des Vere­ins Deutsche Sprache tat­säch­lich lächer­lich, aber die Peti­tion ist es sich­er nicht. Es gibt in bei­den großen Volksparteien Unter­stützer dieser Forderung, und vor allem aus der CDU kom­men mit Volk­er Kaud­er und Nor­bert Lam­mert zwei gewichtige Stim­men, die die Argu­men­ta­tion des VDS seit Jahren öffentlich und öffentlichkeitswirk­sam stützen. Die CDU hat gegen den Willen ihrer Vor­sitzen­den, Bun­deskan­z­lerin Merkel, einen Parteitags­beschluss gefasst, der die Auf­nahme des Deutschen ins Grundge­setz vor­sieht. Es han­delt sich also nicht um eine kuriose Forderung eines kleinen Sprachvere­ins, son­dern um einen ern­stzunehmenden Ver­such, ein sprach­lich­es Monopol des Deutschen im Grundge­setz festzuschreiben. Meine Peti­tion dient einem klaren Ziel: Die 46 000 Unter­schriften, die der VDS gemein­sam mit der Bild nach eige­nen Aus­sagen gesam­melt hat, dür­fen nicht unwider­sprochen als Mehrheitsmei­n­ung der Bevölkerung ste­hen bleiben.

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[Werkzeug] Burnouts bei Cosmas II

Von Kristin Kopf

Ein Fre­und hat mich gefragt, ob die Ver­wen­dung des Begriffs Burnout seit den 1990ern in Zeitung­s­tex­ten zugenom­men habe und wie er das her­aus­find­en könne. Für eine medi­zinis­che Dok­torar­beit. Juhu, konkreter Nutzen für die Men­schheit involviert!

Nun gibt es elek­tro­n­is­che Textsamm­lun­gen, mit denen sich solche Abfra­gen machen lassen, aber oft sind sie für Laien schw­er zu durch­schauen. (Und ich will nicht behaupten, dass ich da den vollen Durch­blick hätte.) Eine davon ist das Deutsche Ref­eren­zko­r­pus, das man über Cos­mas II nutzen kann. Bei Beiträ­gen zum Anglizis­mus des Jahres 2010 kamen schon öfter Recherchen dazu vor, jet­zt will ich ein­mal exem­plar­isch zeigen, wie man an solche Fragestel­lun­gen herange­hen kann.

Ich benutze hier die Webober­fläche, aber man kann sich die Soft­ware auch instal­lieren. Zuerst braucht man aber (aus rechtlichen Grün­den) auf jeden Fall ein Nutzerkon­to. Lei­der ist die Nav­i­ga­tion der Ober­fläche sub­op­ti­mal, man muss ständig zwis­chen der hor­i­zon­tal­en Leiste und der linken Spalte hin- und her­sprin­gen. Zunächst ein­mal oben auf “Anmel­dung”, dann links auf “Login” und dann oben wieder auf “Recherche”. Und wieder links auf “Archiv”. Hier kann man jet­zt unter den fol­gen­den Archiv­en auswählen:

  • W — Archiv der geschriebe­nen Sprache
  • W‑ÜBRIG — Archiv der aus­sortierten geschriebe­nen Korpora
  • HIST — Archiv der his­torischen Korpora
  • GFDS — Kartei der Gesellschaft für deutsche Sprache
  • TAGGED — Archiv der mor­phosyn­tak­tisch annotierten Korpora
  • WK-PH — Archiv der phasen­gegliederten Wendekorpora
  • W‑TAGGED — Auswahl mit CONNEXOR getag­gter Korpora

Für unsere Zwecke brauchen wir das W‑Archiv, die anderen sind entwed­er zeitlich nicht rel­e­vant oder zu klein oder bei­des. Nach dem Klick darauf erscheint eine Über­sicht über alle “virtuellen Kor­po­ra”, die darin enthal­ten sind. Das sind haupt­säch­lich Zeitung­s­texte aus ganz ver­schiede­nen Jahren und ganz ver­schiede­nen Umfangs. Damit wir sich­er sagen kön­nen, dass es eine rel­a­tive Zunahme von Burnout gibt, müssen wir sich­er­stellen, dass wir für alle unter­sucht­en Jahre unge­fähr gle­iche Textmen­gen haben – wir brauchen also Zeitun­gen, die die gle­ichen Jahrgänge abdecken.

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Warum Deutsch nicht ins Grundgesetz gehört

Von Susanne Flach

Es ist schw­er, aus dem Wirrwarr der Diskus­sio­nen und Stre­it­ge­spräche über die “(Kein) Deutsch ins Grundgesetz”-Petitionen einiger­maßen diskus­sion­fähige Argu­mente für oder wider her­auszule­sen. Mir war irgend­wie danach, mal meine High­lights an Argu­menten der Befür­worter zusammenzutragen.

Der Ein­fach­heit hal­ber nenne ich die Befür­worter der Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz “Befür­worter” und die Geg­n­er “Geg­n­er”. Das klingt auf den ersten Blick para­dox. Es ist aber über­sichtlich­er, als — von ein­er der bei­den Peti­tio­nen aus betra­chtet — die Men­schen, die dafür sind, als “Geg­n­er” (der Peti­tion von Ana­tol Ste­fanow­itsch) zu nen­nen und die, die dage­gen sind als “Befür­worter” zu beze­ich­nen oder ander­srum. Wenn also alle Klarheit­en beseit­igt sind, kann es losgehen.

Argu­ment 1: “19 Län­der in Europa haben ihre Sprache in ihrer Ver­fas­sung ver­ankert — und haben damit kein Problem.”

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Unwörterwahlen: Sind sie doch zu etwas nütze?

Von Anatol Stefanowitsch

Zum Unwort des Jahres habe ich ja bis­lang wenig Nettes gesagt, aber vielle­icht war ich damit vor­eilig: Sie scheint Wirkung zu zeigen — wenig­stens bei Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lammert…

27. Februar 2010

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert begrün­det seinen Saalver­weis protestieren­der Abge­ord­neter der Linken:

Der Präsi­dent nan­nte den Auss­chluss „alter­na­tiv­los“, betonte aber, dass dieser nicht die kom­plette Frak­tion, son­dern nur die Protest­teil­nehmer betr­e­ffe. Den­noch zog die kom­plette Frak­tion aus. [Tagesspiegel.de]

18. Januar 2011

Alter­na­tiv­los“ wird zum Unwort des Jahres gewählt. [Tagesspiegel.de]

19. Januar 2011

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert find­et, dass es immer Alter­na­tiv­en gibt:

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert (CDU) hat die Entschei­dung, das Wort „alter­na­tiv­los“ zum Unwort des Jahres zu bes­tim­men, als „ein­leuch­t­end“ beze­ich­net. Rein logisch sei es „unsin­nig, von Alter­na­tivlosigkeit zu reden“, sagte Lam­mert am Mittwoch im Inter­view mit der Nachricht­e­na­gen­tur dapd. Moniert werde ein Sprachge­brauch, „der schlicht eine Fahrläs­sigkeit in der Ter­mi­nolo­gie erken­nen lässt, die den meist sehr viel kom­plex­eren Sachver­hal­ten nicht gerecht wird“, fügte der Bun­destagspräsi­dent hinzu. Alter­na­tiv­en gebe es immer. Die eigentlich wichtige Frage sei, welche denkbare Lösung die best­mögliche sei. [dapd]

Art. 22, Abs. 3 GG

Von Susanne Flach

Art. 22, Abs. 3 GG gibt es nicht.

Der VDS möchte, dass Deutsch bess­er geschützt und deshalb als Zusatz zu Artikel 22 ins Grundge­setz aufgenom­men wird. Dafür hat der Vere­in Ende des ver­gan­genen Jahres die BILD-Zeitung gewin­nen kön­nen. Mit der Sache beschäftigten sich im Novem­ber das BILD­blog (hier und hier), sowie Sprachlog­ger Ana­tol Ste­fanow­itsch. Im Dezem­ber dann startete der VDS eine E‑Petition, in der der Bun­destag aufge­fordert wird, Deutsch im Grundge­setz festzuschreiben. Diese Peti­tion ist bei Ablauf in dieser Woche von etwa 5000 Men­schen geze­ich­net worden.

Ste­fanow­itsch kündigte bere­its im Novem­ber an, eine entsprechende Gege­nak­tion zu starten. Es ist soweit. Die Peti­tion find­et sich hier. Zum Wil­lens­bil­dung­sprozess gehört natür­lich auch die Infor­ma­tion über ein The­ma und wer sich die Hin­ter­gründe dazu aneignen möchte und wis­sen möchte, warum, der sei auf die Bekan­nt­machung (inklu­sive der Links zu früheren Beiträ­gen) im Sprachlog hingewiesen. Heute hat auch Ste­fan Nigge­meier auf die Aktion aufmerk­sam gemacht.

Da frage ich mich natür­lich, was die Reich­weite mein­er Wenigkeit noch aus­richt­en kann. Aber mir ist im Laufe der Diskus­sio­nen klar gewor­den (ähn­lich wie Kristin), dass ich auch als kleines Licht den geisti­gen Dün­npfiffter­ror nicht unkom­men­tiert ste­hen lassen will. Wenn man als Feind der deutschen Sprache dif­famiert wird, weil man sich der Peti­tion anschließt oder der Dop­pel­moral bezichtigt wird, weil man dann trotz­dem in Deutsch­land lebt — dann ist jede erden­kliche Moti­va­tion legit­im, mit der diese Peti­tion geze­ich­net wird. Bish­er hielt ich bil­li­gen Pop­ulis­mus für den schlecht­esten aller Gründe — (zumin­d­est) für heute sehe ich das anders. Ich lebe gerne hier, ich liebe Deutsch — und das trotz der unre­flek­tierten Pöbelei, die uns ent­ge­gen weht.

Mein Demokratiev­er­ständ­nis hält das aber aus.