Im Rausch der Schärfentiefe

Von Anatol Stefanowitsch

Durch einen Beitrag im mit­machenswerten Lin­guis­tik­fo­rum linguisten.de bin ich dieser Tage wieder ein­mal auf die end­lose Diskus­sion um die Richtigkeit und/oder Logik der Wörter Tiefen­schärfe und Schär­fen­tiefe gestoßen, die mich als begeis­terten, wenn auch lei­der nur sehr gele­gentlichen Hob­by­fo­tografen seit vie­len Jahren verfolgt.

Bei dieser Diskus­sion geht es im Prinzip darum, dass alle Tiefen­schärfe sagen, aber in jed­er Diskus­sion früher oder später jemand kommt und darauf hin­weist, dass es „eigentlich“ Schär­fen­tiefe heißen muss. Das älteste doku­men­tierte Beispiel, das ich für diese Art von Diskus­sion find­en kon­nte, stammt aus dem Jahrbuch für Pho­togra­phie und Repro­duk­tion­stech­nik aus dem Jahre 1905:

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Keine macht den Drogen

Von Kristin Kopf

Vor ein paar Monat­en habe ich meinen Klei­der­schrank durchge­se­hen und eine Menge Zeug zum Roten Kreuz gebracht. Dieses Klei­dungsstück lag lange auf dem Weg­gabestapel, aber schließlich habe ich es aus nos­tal­gis­chen Grün­den doch behalten.

KEINE MACHT DEN DROGEN

Ja, genau, da gabs mal so ne Kam­pagne. Ich war in der ersten Klasse, wir beka­men alle diese T‑Shirts, mussten damit für Presse­fo­tos auf dem Schul­hof herum­laufen und sahen aus wie kleine Gespen­ster. Die näch­sten zehn Jahre benutzte ich das Ding als Nachthemd, heute passt es halb­wegs (siehe links). Und die ganze Zeit über war ich jedes Mal, wenn ich den Slo­gan sah, leicht irritiert.

Hätte man für das Logo (das heute sehr teleko­mar­tig anmutet, aber damals war die Post ja noch gelb) keine Block­buch­staben genutzt, hätte ich die mir damals unbekan­nte Kon­struk­tion “Keine Macht dem/den/der …” gel­ernt und gut wär’s gewe­sen. So aber war meine per­sön­liche Analyse Keine macht den Dro­gen, was ich für höchst kurios hielt, müsste es doch Keine macht die Dro­gen heißen. Nicht, dass das dann irgen­deinen Sinn gehabt hätte, denn wer sollte diese Keine eigentlich sein und warum war es so bemerkenswert, dass sie nicht an der Dro­gen­pro­duk­tion beteiligt war?

Ich glaube so gegen Ende mein­er Schulzeit wurde mir irgend­wann klar, wie der Spruch gemeint war.

Die Keine Macht+Dativ-Kon­struk­tion scheint mir durch diese Kam­pagne ziem­lich beliebt gewor­den zu sein, so find­et sich in der Buch­suche bei Google recht gut als direk­te Anspielung erkennbar:

Keine Macht den Drö­gen, Keine Macht den Proben, Keine Macht den Doofen

Und weit­ere Beispiele, die sich nicht sich­er auf die Kam­pagne zurück­führen lassen (erste 300 Suchergeb­nisse aus­gew­ertet): Weit­er­lesen

Twitter: “Baden-Württemberg” kein Wort

Von Susanne Flach

An dieser Stelle schrieb ich kurz über Koor­di­na­tivkom­posi­ta am Beispiel von Baden-Würt­tem­berg und stellte die Frage, ob Baden-Würt­tem­berg ein solch­es ist. Die patri­o­tis­che Antwort: Es ist ein unmöglich­er Aus­druck. Nun beweist Twit­ter, dass Baden-Würt­tem­berg noch nicht mal ein Wort ist.

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Der Name der Eiche

Von Anatol Stefanowitsch
Eichenblatt

Eichen­blatt

Neben inter­es­san­ten Anre­gun­gen in vie­len Gesprächen habe ich auf unserem Blog­gertr­e­f­fen den SciLogs-Preis 2011 erhal­ten, mit dem die SciLogs-Blog­ger/in­nen alljährlich einen aus ihrer Mitte ausze­ich­nen und mit dem vor mir schon Hel­mut Wicht, Michael Blume und Lars Fis­ch­er aus­geze­ich­net wur­den. Bei der (rel­a­tiv­en) Mehrheit mein­er Mitblogger/innen, die für mich ges­timmt haben, möchte ich mich hier noch ein­mal bedanken. Den anderen sage ich: Ihr kön­nt ver­suchen, nachts ruhig zu schlafen, aber denkt daran: Ich weiß, wo eure Blogs wohnen.

Nominiert für den Preis hat mich Josef Zens, Press­esprech­er der Leib­niz-Gemein­schaft (und Forschung­s­press­esprech­er des Jahres 2010). In sein­er sehr klu­gen und wohlwol­len­den Lau­da­tio fragte er sich unter anderem, ob seine Mut­ter­sprache Bairisch dem Englis­chen näher sei als dem Hochdeutschen — als mögliche Belege führte er unter anderem die laut­liche Ähn­lichkeit zwis­chen dem bairischen Oach („Eiche“) und dem englis­chen oak an. Die Über­legun­gen zu den Ver­wandtschaftsver­hält­nis­sen waren natür­lich nicht ganz ern­st­ge­meint — anders als die dahin­ter­ste­hende Frage, woher die größere laut­liche Nähe des Bairischen und Englis­chen im Ver­gle­ich zum Hochdeutschen in diesem Fall kommt. Die kon­nte ich nicht unmit­tel­bar beant­worten, zum einen, weil ich die Sprachgeschichte des Deutschen, zumal unter Ein­beziehung dialek­taler Vari­a­tion, nur aus der Ferne kenne, zum anderen, weil die Erk­lärung von Laut­wan­del­prozessen im Fall von Vokalen auch dann ein ziem­lich­er Brock­en ist, wenn man die Geschichte ein­er Sprache aus der Nähe ken­nt. Während Kon­so­nan­ten sich eher langsam und sys­tem­a­tisch verän­dern und in den Orthografien der europäis­chen Sprachen rel­a­tiv nachvol­lziehbar dargestellt wer­den, verän­dern sich Vokale schnell, eher unsys­tem­a­tisch (bzw. abhängig von den laut­lichen Zusam­men­hän­gen, in denen sie auftreten), und orthografisch wer­den sie durch Vari­a­tio­nen und Kom­bi­na­tio­nen von nur fünf Sym­bol­en (‹a›, ‹e›, ‹i›, ‹o›, ‹u›) dargestellt, die mit der tat­säch­lichen laut­lichen Form oft nur wenig zu tun haben. Es ist also nicht ganz ein­fach, die Aussprache von Wörtern in älteren Sprach­stufen zu rekon­stru­ieren, was die Beschrei­bung und Erk­lärung von Verän­derun­gen in diesem Bere­ich natür­lich umso schw­er­er macht.

Ich möchte mich aber für Josefs Nominierung meines Blogs bedanken, indem ich wenig­stens ver­suche, ihm seine Frage hier zu beantworten.

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Ichi, ni, san …

Von Kristin Kopf

Eben habe ich in einem Zeit-Artikel gelesen:

Die zwei Atom­an­la­gen in Fukushima‑1 (Dai­i­ni) und ‑2 (Dai­ichi) wur­den nach Angaben des Betreibers Tep­co am Tag des Erd­bebens vor gut ein­er Woche von ein­er 14 Meter hohen Flutwelle getroffen.

Bei den Benen­nun­gen in Klam­mern, Dai­i­ni und Dai­ichi, liegt ein bißchen was im Argen. Zunächst mal hat das erste ein i zu viel abbekom­men (richtig: Dai­ni). Und dann sind die bei­den Wörter ver­tauscht. Das kann man mit ger­ingfügi­gen Japanis­chken­nt­nis­sen erschließen: Es reicht, bis zwei zählen zu kön­nen. In Daini steckt ni ‘zwei’, in Daiichi steckt ichi ‘eins’.

Und das dai? Weit­er­lesen

Ein Apfel am Tag hält den Doktor weg

Von Susanne Flach

Manch­mal glaube ich, dass nicht wir als Gesellschaft andere Prob­leme hät­ten, son­dern dass Nachricht­enredak­tio­nen die Masse an Prak­tikan­ten irgend­wie beschäfti­gen müssen. Und so schaffte es eine abkömm­liche Mel­dung auf die Start­seit­en der Onlineme­di­en, die eigentlich mit Libyen, Fukushi­ma und Knut in diesen Tagen genug zu tun haben dürften.

In der let­zten Woche besucht­en Prinz William und Kate Mid­dle­ton die Hochwasserge­bi­ete im aus­tralis­chen Queens­land und die Erd­beben­re­gion in Neusee­land. Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: Der Besuch des Prinzen und sein­er Zukün­fti­gen wird den dor­ti­gen Men­schen viel bedeuten. Aufhänger für die Nachricht war in den aller­meis­ten Medi­en allerd­ings die Frage, ob das Bald-Prinzen­paar seine Flit­ter­wochen im Son­nen­staat Queens­land ver­bringt. Damit ist die Mel­dung eigentlich doch recht über­flüs­sig bis zynisch.

Aber zur sprach­lichen Seite. Heute: Idioma­tis­che Sprachverwendung.

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[Schplock goes English] Last names in Germany

Von Kristin Kopf

This is a (slight­ly mod­i­fied) trans­la­tion of a text I wrote in Jan­u­ary on the dis­tri­b­u­tion of last names in Ger­many. It was request­ed by Petra and I hope it meets your expec­ta­tions! My heart­felt thanks go to Robert for proof­read­ing, all remain­ing errors are of course my own.

Dur­ing the Christ­mas hol­i­days I noticed once more how names can shape a region. When I’m trav­el­ling south, I real­ize that I’ve arrived home not only because the Ale­man­nic dialect creeps into people’s speech but also because peo­ple are sud­den­ly named Him­mels­bach, Göp­pert and Ohne­mus: Names that are, to my ear, deeply root­ed in the region.

And sure enough: All of them can be shown to have the high­est fre­quen­cy in “my” or one of the neigh­bor­ing dis­tricts (“Land­kreise”). I then dis­cov­ered an excel­lent strat­e­gy to find more of these last names: I scrolled through the face­book friends of my rel­a­tives. (And I got lots of ideas doing that – you could ana­lyze pub­lic face­book pro­files that spec­i­fy the place of res­i­dence in order to cre­at­ed a city’s “name pro­file”. You could put more weight on names of high school stu­dents, because they tend to live were they were born. Major cities would have to be ignored because peo­ple move a lot, etc. How­ev­er that research strat­e­gy might bor­der on ille­gal­i­ty and would set a rather bad exam­ple con­cern­ing privacy.)

So, what to do if you sus­pect that a last name is typ­i­cal for a cer­tain region? How can you local­ize it? Weit­er­lesen

[Lesetipp] Das Gehirn lernt mehrere Sprachen gleichzeitig

Von Kristin Kopf

Kluge Artikel über Sprache scheinen Kon­junk­tur zu haben! Hier schnell ein Hin­weis auf ein schönes Inter­view aus dem Spiegel mit Petra Schulz über Zweis­prachigkeit im Fall von Deutsch und Türkisch – ein Sprach­paar, das in der öffentlichen Wahrnehmung bekan­nter­maßen ziem­lich unfair behan­delt wird. Sie bringt es auf den Punkt:

Wir leben mit ein­er Dop­pel­moral. Wir freuen uns, wenn jemand mit Deutsch und Chi­ne­sisch aufwächst oder mit Deutsch und Englisch. Dafür gibt es Schul­terk­lopfen. Warum nicht Deutsch und Türkisch?

Vokalharmonisches Türkisch

Von Kristin Kopf

Ich habe Anfang des Jahres zum ersten Mal seit ewig eine Zwiebelfis­chkolumne gele­sen. Und erstaunlicher­weise am Ende nicht angewidert weggek­lickt, son­dern eher neu­tral. Ne Kolumne halt. Es geht um Sprache und Sprach­spiele und er ver­sucht nicht, sprach­wis­senschaftlich zu sein. Vielle­icht kann ich ihn vom Erzbösewicht zum nor­malen Bösewicht run­ter­stufen? Mal im Auge behalten.

Der Text han­delt von der ü-Affinität des Türkischen und davon, dass es im Deutschen ja auch eine Menge ü’s gibt. Aber Äpfel und Bir­nen. Dass bei­de Sprachen den Laut ü besitzen, ist eine ziem­lich lasche Gemein­samkeit. Das ü ist zwar ein nicht sooo häu­figer Laut, find­et sich aber doch in ein­er ganzen Rei­he von uns umgeben­den Sprachen, so im Franzö­sis­chen (culture ‘Kul­tur’), im Schwedis­chen (tysk ‘deutsch’), im Nieder­ländis­chen (huren ‘mieten’) und im Ungarischen (kön­nyű ‘ein­fach’). Die weltweite Ver­bre­itung in einem Sam­ple von 562 Sprachen kann man sich im WALS anschauen (und habe ich auch hier schon ein­mal behandelt):

Sprachen mit ü (rot, 6) und mit ü und ö (pink, 23)

Auf­fäl­liger ist (wie Sick auch bemerkt), dass bei­de Sprachen den Laut als <u> mit zwei Punk­ten drauf ver­schriften. Aber mir geht’s um die Verteilung dieser ü’s. Dass Deutsch und Türkisch den Laut haben und gle­ich schreiben, heißt näm­lich noch lange nicht, dass sie ihn auch gle­ich nutzen … Weit­er­lesen

[Lesetipp] Voll eklich wg schule *stöhn*

Von Kristin Kopf

Bei der Zeit gibt es einen sehr schö­nen Artikel von Wolf­gang Krischke zu schrift­sprach­lichen Fähigkeit­en von Schülern, den ich nur empfehlen kann: “Voll eklich wg schule *stöhn*” (Die Kom­mentare zu lesen habe ich mich allerd­ings nicht getraut, aus Angst vor der Zu-meiner-Schulzeit-Fraktion.)

Von Christa Dürscheid, die darin vorkommt, habe ich let­zte Woche bei der DGfS-Tagung übri­gens einen inter­es­san­ten Vor­trag gehört, über Ergeb­nisse aus dem erwäh­n­ten SMS-Pro­jekt. Das ist wirk­lich eine bril­lante Sache: Weit­er­lesen