Der andere Mai

Von Kristin Kopf

Ihr ken­nt doch sich­er “das andere Links” – aber wusstet ihr, dass es auch mal einen “anderen Mai” gab? Also known as Juni.

Diese Benen­nung wird logis­ch­er, wenn man weiß, dass ander­er nicht immer nur seine heutige Bedeu­tung besaß, die ja so unge­fähr ‘nicht dieser’ ist. Schaut mal diese Bibel­stellen aus dem ersten Buch Gen­e­sis von ca. 1466 (Straßburg) und 1494 (Lübeck) an:

(1) … vnd es war gemacht abent und der mor­gen DER ANDER TAGE. (2) … und van deme auende vnd van deme morghen waert DE ANDER DACH

Bei Luther heißt die entsprechende Stelle:

7 Da machet Gott die Feste / vnd schei­det das wass­er vnter der Fes­ten / von dem wass­er vber der Fes­ten / Vnd es geschach also.
8 Vnd Gott nen­net die Fes­ten / Himel. Da ward aus abend vnd mor­gen der ander Tag.

Für die nicht ganz so Bibelfesten noch deut­lich­er wird es dann, wenn man sich das Inhaltsverze­ich­nis der Luther­bibel anschaut, oder auch sowas hier: Weit­er­lesen

Heilige Gespenster

Von Anatol Stefanowitsch

Auf der Face­book-Seite des Sprachlogs (auf der man die neuesten Beiträge aus dem Sprachlog, der Sprachlog-Außen­stelle sowie gele­gentliche Lek­türetipps bekommt, also unbe­d­ingt Fan wer­den!), fragt Felix Rauch folgendes:

Bei der royalen Hochzeit fiel mir auf, dass es in der Ref­erenz auf die Trinität „the father, the son and the holy ghost“ heißt, son­st aber auf „the holy spir­it“ Bezug genom­men wird. Was hat es denn damit aus lin­guis­tisch-ety­mol­o­gis­ch­er Sicht auf sich? 

Diese Frage beant­worte ich gern, denn so bekommt die rät­sel­hafte öffentliche Hys­terie um die gestrige Traumhochzeit doch noch einen Sinn.

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Mein App Store, dein App Store

Von Anatol Stefanowitsch

Ich hat­te vor ein paar Wochen einen Beitrag zum laufend­en Rechtsstre­it zwis­chen Apple und Microsoft um das Wort App Store geschrieben, ihn aber dann nicht veröf­fentlicht, weil er mir zu lang und lang­weilig, und dann auch nicht mehr aktuell genug erschien. Jet­zt liegt in dem gle­ich gelagerten Rechtsstre­it zwis­chen Apple und Ama­zon eine erste Reak­tion von Ama­zon vor, die ich mir in den näch­sten Tagen genauer anse­hen will, und deshalb habe ich mich entschlossen, den alten Beitrag zu Apple gegen Microsoft doch noch zu veröf­fentlichen. Wenn eine Nation Zeit find­et, sich einen ganzen Tag lang die Eheschließung eines möglichen zukün­fti­gen Feu­dal­her­ren ein­er kleinen Insel vor der Küste Europas im Fernse­hen anzuse­hen, gibt es offen­sichtlich für alles ein Pub­likum, warum also nicht auch für einen aus dem Vor­ruh­e­s­tand geretteten Blog­beitrag. Und außer­dem sind die Woch­enen­daus­gaben der großen Tageszeitun­gen auch alle zu lang und zu lang­weilig. Und ich habe diesen Monat sehr sparsam pub­liziert und dies ist die let­zte Gele­gen­heit, daran etwas zu ändern. 

In dem Rechtsstre­it geht es um die Frage, ob der Aus­druck App Store ein all­ge­mein gebräuch­lich­es Wort für jede Art von Verkauf­s­plat­tform für Soft­ware ist (eine soge­nan­nte „gener­ische“ Beze­ich­nung), oder ob es ein Eigen­name ist, der sich auss­chließlich auf Apples App Store bezieht. Apple ist natür­lich der Mei­n­ung, dass let­zteres der Fall ist, für Microsoft, Ama­zon und andere dage­gen ist klar, dass ersteres zutrifft und sie deshalb das Recht haben, ihre eige­nen Plat­tfor­men eben­falls als App Stores zu bezeichnen.

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Sprachgeografische Verwirrung

Von Anatol Stefanowitsch

Nein, ich meinte tat­säch­lich „sor­bis­che Pronomen“, son­st hätte ich „rus­sis­che“ oder „ara­bis­che“ geschrieben (wobei let­ztere auch äußerst inter­es­sant sind)

Sorbischepronomen

Merke: Such­maschi­nen soll­ten nur dann ver­suchen, klüger als der Nutzer zu sein, wenn sie klüger als der Nutzer sind.

Wir gedenken an den Tod von Jesus

Von Kristin Kopf

Spiegel online berichtet darüber, dass ein Pfar­rer eine Tode­sanzeige für Jesus geschal­tet hat und zur Gedenk­feier ein­lädt. So weit, so triv­ial. Allerd­ings ist der Text mit einem Bild der Anzeige illus­tri­ert, und das fand ich span­nend. Da heißt es nämlich:

Wir gedenken an den Tod von

Jesus Ben Josef

genan­nt der “König der Juden”
*04 v. Chr. †34 n. Chr.

Das Verb gedenken in der Bedeu­tung ‘sich ehrfurchtsvoll erin­nern an’ geht in meinem Kopf näm­lich nur mit einem Objekt im Gen­i­tiv oder Dativ zusam­men, also Wir gedenken des Todes von … oder Wir gedenken dem Tod von … Let­zteres noch nicht ganz so salon­fähig, aber ich prog­nos­tiziere gute Aus­sicht­en, weil wir generell Gen­i­tivob­jek­te abbauen. (Auch wenn sich der unsägliche Bas­t­ian Sick dabei im Grab umdr darüber geifer­nd ereifert.)

Erster Gedanke also: Man hat hier an denken oder die Wen­dung in Gedenken an gedacht und Kon­se­quen­zen daraus gezo­gen. Zweit­er Gedanke: Stop! Wer weiß, das kann auch alt sein. Weit­er­lesen

Das egoistische Phonem

Von Anatol Stefanowitsch

In der aktuellen Aus­gabe von Sci­ence stellt der neuseeländis­che Psy­chologe Quentin Atkin­son eine Studie vor, in der er auf eine höchst inter­es­sante und orig­inelle Weise der Frage nach dem Ursprung­sort men­schlich­er Sprachen nachgeht.

Er stützt seine Studie auf den soge­nan­nten Grün­der­ef­fekt. Mit diesem Begriff beze­ich­net man in der Pop­u­la­tion­s­genetik die Tat­sache, dass eine kleine Pop­u­la­tion, die sich von ein­er größeren abspal­tet, eine gerin­gere genetis­che Vielfalt aufweist. Diese gerin­gere genetis­che Vielfalt ist der Tat­sache geschuldet, dass die Indi­viduen der kleinen Gruppe (der Grün­der­pop­u­la­tion) jew­eils nur einen kleinen Teil der in der Gesamt­pop­u­la­tion vorhan­de­nen Allele in sich tragen.

 Der Gründereffekt (siehe auch Wikipedia (Engl.), s.v. Founder Effect)

Der Grün­der­ef­fekt (siehe auch Wikipedia (Engl.), s.v. Founder Effect)

Atkin­son ver­sucht nun, die Logik des Grün­der­ef­fek­ts auf das Lautin­ven­tar von Sprachen anzuwen­den, genauer gesagt, auf das Phone­m­inven­tar. Phoneme sind diejeni­gen Sprach­laute, die in ein­er bes­timmten Sprache dazu ver­wen­det wer­den kön­nen, Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen zu tre­f­fen. Im Englis­chen beispiel­sweise kann der Unter­schied zwis­chen dem „gelispel­ten“ S [θ] und dem „nor­malen“ S [s] ver­wen­det wer­den, um unter­schiedliche Bedeu­tun­gen zu sig­nal­isieren – thin ist etwas anderes als sin, thong ist etwas anderes als song usw. Im Deutschen dage­gen kann der Kon­trast zwis­chen [θ] und [s] keine Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen anzeigen – das [θ] wird hier nur als falsch aus­ge­sproch­enes [s] wahrgenommen.

Die Sprachen der Welt unter­schei­den sich recht deut­lich in den Kon­trasten, die sie zur Bedeu­tung­sun­ter­schei­dung nutzen, und damit auch in der Größe ihres Phone­m­inven­tars. Diese reicht von nur 11 Phone­men (z.B. im Pirahã, der let­zten über­leben­den Sprache der Mura-Fam­i­lie im Ama­zonas) bis zu 141 Phone­men im Kung-Eko­ka, ein­er Sprache der Khoisan-Fam­i­lie aus Namib­ia (das Deutsche liegt mit rund 44 Phone­men übri­gens irgend­wo in der Mitte, aber deut­lich ober­halb des Durch­schnitts, der bei etwa 30 Phone­men anzuset­zen ist).

Atkin­sons Hypothese ist nun, dass das Phone­m­inven­tar von Sprachen auch einen Grün­der­ef­fekt zeigen kön­nte, sodass es poten­ziell umso klein­er wäre, je weit­er eine Sprachge­mein­schaft von dem Ort ent­fer­nt ist, an dem die men­schliche Sprache ent­standen ist. Wenn man zeigen kön­nte, dass dieser Ort sich, wie der Ursprung­sort der Men­schheit, in Afri­ka befände, wäre dies natür­lich beson­ders inter­es­sant, da es ein klar­er Hin­weis darauf wäre, dass Sprache ent­standen ist, bevor sich unsere Spezies über die ganze Welt ver­bre­it­et hat.

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Haarige Sache

Von Kristin Kopf

So, JJ und radier­er haben das Ety­molo­giequiz per­fekt gelöst! Ich hat­te ja einen Preis mit Ety­molo­giebezug ver­sprochen (den jet­zt ein­fach bei­de kriegen), was hal­tet Ihr von Olschan­skys “Täuschende Wörter”? Und als Trost­preis für alle anderen Teil­nehmer gibt’s einen Link zu Spec­Grams Etym­Geo™, wo man Städte­na­men rauskriegen muss – abso­lut empfehlenswert.

Gut, For­mal­itäten gek­lärt, jet­zt weit­er mit der Nach­be­tra­ch­tung aus­gewählter Wortpaare:

Zopf und Weiterlesen

Zwei Auswüchse

Von Kristin Kopf

Das Ety­molo­giequiz ist vor­bei und ich will ein paar der Wort­paare in den näch­sten Tagen noch ein wenig näher beleucht­en. Los geht’s mit dem Dau­men und seinem Partnerwort …

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Etymologiequiz

Von Kristin Kopf

Im fol­gen­den Wor­dle habe ich sprach­liche Ver­wandte durcheinan­derge­wor­fen – immer zwei Wörter besitzen eine gemein­same Wurzel. Welche gehören euer­er Mei­n­ung nach zusammen?


Die Ver­wandtschaft kann ziem­lich weit zurück­ge­hen, weshalb der Bezug bei den wenig­sten offen­sichtlich ist. So wür­den, wären sie drin, Etat und Dis­tanz zusam­menge­hören, denn Etat kommt über frz. état aus lat. sta­tus ‘Zus­tand’, was zu stāre ‘ste­hen’ gebildet wurde und Dis­tanz kommt von lat. dis­tan­tia, ein­er Abstrak­t­bil­dung zu dis­tāre ‘voneinan­der weg­ste­hen’, das sich aus dis- und stāre ‘ste­hen’ zusam­menset­zt.

Ich schalte die Kom­mentare mal auf “mod­eriert”, damit ihr eine Weile Zeit zum Rät­seln habt, und gebe dann alle auf ein­mal frei. Hil­f­s­mit­tel sind natür­lich erlaubt, aber ich glaube es wäre sehr lang­weilig, dafür in den Kluge zu guck­en – da habe ich die Wörter näm­lich her. Für die schön­ste (Teil-)Lösung gibt’s einen kleinen Preis mit Etymologiebezug.

Update 13.4.: Ab sofort sind die Kom­mentare wieder freigeschal­tet – wer noch selb­st rät­seln will, sollte also nicht rein­schauen. Die richti­gen Lösun­gen haben JJ und radier­er gefun­den, Respekt! Hier sind sie, ein paar Erläuterun­gen dazu fol­gen in den näch­sten Tagen: Weit­er­lesen

Die unverträgliche Verträglichkeit des E10

Von Anatol Stefanowitsch

Woll­ten die Deutschen das E10-Ben­zin ein­fach aus einem all­ge­meinen Wut­bürg­er­tum her­aus nicht — weil es neu ist (wie die Präim­plan­ta­tions­di­ag­nos­tik), oder weil es sich um einen Energi­eträger han­delt (wie Uran), oder weil es eine Zahl im Namen trägt (wie Stuttgart 21)?

Oder war es am Ende sog­ar ein sprach­lich­es Prob­lem? Mit dieser Ver­mu­tung wurde let­zte Woche der Direk­tor des Insti­tus für Deutsche Sprache, Lud­wig Eichinger, in ein­er dpa-Mel­dung zitiert:

Vor allem der offizielle Begriff „E10-Verträglichkeit“ sei ein gutes Beispiel für den großen Ein­fluss der Sprache — die Auto­mo­bilin­dus­trie hat­te ihrer Liste mit Autos, die E10 tanken dür­fen, den Titel „E10-Verträglichkeit“ gegeben. „Verträglichkeit klingt natür­lich nach großer Vor­sicht und ist daher auch nicht geeignet, die Sor­gen der Nutzer zu zer­streuen — wenn sie denn begrün­det sind“, sagte Eichinger, dem neu­tralere Alter­na­tiv­en ein­fall­en. „Da wäre so etwas wie ‚E10-Eig­nung‘ oder Ähn­lich­es zweifel­los eine pos­i­ti­vere Vari­ante gewesen.“

Dem Wis­senschaftler zufolge schwingt bei „E10-Verträglichkeit“ immer mit, dass der Kraft­stoff eben auch unverträglich sein kann und damit ein Poten­zial für Schä­den hat. Die offizielle Beze­ich­nung sei somit ger­adezu geeignet, Mis­strauen her­vorzu­rufen und Skep­sis zu bestäti­gen. „Denn bei ‚E10-Verträglichkeit‘ hat der Kon­sument natür­lich sofort die Idee: “Die for­mulieren so vor­sichtig wie sie nur kön­nen, weil sie sel­ber auch nicht genau wis­sen, wie es ist“, sagte Eichinger. „Es klingt nach ein­er Juris­ten­for­mulierung.“ [sueddeutsche.de]

Wenn das Wort Verträglichkeit den Konsument/innen nahelegt, dass ein Kraft­stoff für bes­timmte Motoren auch unverträglich sein kann, dann muss man die Schöpfer des Begriffs eigentlich beglück­wün­schen, denn genau das ist ja bei E10 der Fall. Die Vor­sicht, die bei dem Wort Verträglichkeit möglicher­weise seman­tisch mitschwingt, ist abso­lut ange­bracht. Man muss sich also eher wun­dern, dass nicht von vorne­here­in ein pos­i­tiv beset­zter Aus­druck gewählt wurde — so etwas wie „E10 Ready“ (in Analo­gie zu „HD Ready“, das immer­hin offen­sichtlich sexy genug klingt, um erwach­sene Men­schen dazu zu bewe­gen, sich Fernse­her mit ein­er Auflö­sung zuzule­gen, in der wenig bis gar nichts gesendet wird).

Aber über diesen unge­wohn­ten Anfall von anti-euphemistis­ch­er Behör­denehrlichkeit zu sin­nieren über­lasse ich den Koll­gen von neusprech.org (die sich immer­hin schon mit dem Bio in Biosprit befasst haben). Stattdessen möchte ich mir Eichingers Argu­ment aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht näher ansehen. 

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