Grundlose Sorgen

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurzes Post­skrip­tum zum ersten Teil mein­er Serie über die Sprachtipps von BILD.de und Andreas Busch. Let­zter­er hat­te unter anderem für Ver­wirrung über eine ange­blich falsche Ver­wen­dung des Wortes sor­gen gesorgt, indem er behauptet hat­te, dass man dieses nur in Sätzen wie Die Mut­ter sorgt für ihre Kinder, nicht aber in Sätzen wie Blitzeis sorgt für Verkehrschaos ver­wen­den dürfe. Nun stellt sich her­aus, dass just dieses Verb dem Chefredak­teur der Bild, Kai Diek­mann vor eini­gen Jahren Sor­gen bere­it­et hat.

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Von EHEC zu Ehec

Von Kristin Kopf

Mir ist heute aufge­fall­en, dass sich <EHEC> in <Ehec> ver­wan­delt hat – und zwar enorm schnell. Man ken­nt das ja von anderen Akro­ny­men wie <AIDS>/<Aids> oder aktueller <SARS>/<Sars>, aber da hat es, bilde ich mir ein, doch ein Stückchen länger gedauert und bei­de Schreib­weisen sind üblich (bei AIDS) oder gar duden­sank­tion­iert (bei SARS).

Bei der Suche nach Ehec im faz.net-Archiv zeigt sich, dass es mit der Anpas­sung sog­ar noch schneller ging, als ich dachte:

Absolute Zahlen <EHEC> vs. <Ehec> bei faz.net.

Schon am vierten Tag der Berichter­stat­tung dominierte <Ehec>. Eine kluge Wahl, wis­sen damit dann doch auch die Fernsehlosen, dass man das Ding nicht E‑ha-e-ze ausspricht. (Nein, ich war nicht die einzige in meinem Umfeld!) Andere Medi­en hal­ten an EHEC fest, so z.B. die ARD mit der Tagess­chau.

SARS hinge­gen Weit­er­lesen

Der wundersame und geheimnisvolle Fall des Sprachpanschers Nikolaus S.

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Tagen habe ich über die Nominierun­gen für den „Sprach­pan­sch­er des Jahres“ gesprochen, einen Neg­a­tivpreis mit dem der Vere­in der Drö­gen Sprach­mythen (VDS) alljährlich Promi­nente ausze­ich­net, um so auch mal wieder ins Gespräch zu kommen.

Bericht­enswert war dabei nicht die Nominierung selb­st (die angesichts der son­st meis­tens gut funk­tion­ieren­den Pressear­beit des VDS in den Medi­en erstaunlich dürftig aufgenom­men wurde, aber dazu später mehr), son­dern die Tat­sache, dass eine der Nominierten, die Bun­de­sagen­tur für Arbeit, den Vere­in wegen sein­er schlampi­gen und fak­tisch falschen Nominierungs­be­grün­dun­gen öffentlich vorführte.

Ein weit­er­er Nominiert­er schweigt dage­gen behar­rlich, obwohl er noch deut­lich­er wider­sprechen kön­nte: Niko­laus Schnei­der, Vor­sitzen­der des Rates der evan­ge­lis­chen Kirche Deutsch­lands, der laut Pressemel­dung des VDS

… seine Gläu­bi­gen mit „Luther­Ac­tiv­i­ties“ wie „Well­ness für die Män­nerseele“, „mar­riage weeks“ oder „wor­ship sum­mer­par­tys“ bei der Stange hal­ten will. [Pressemel­dung des VDS]

Will er das wirk­lich? Nun traue ich dem Rat der EKD jede Nar­retei und jedes Fehlver­hal­ten der Welt zu (und man gibt sich ja auch immer wieder kräftig Mühe, mein Ver­trauen nicht zu ent­täuschen), aber trotz­dem hat­te ich beim Lesen der Pressemel­dung das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt.

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Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler (Teil 3)

Von Anatol Stefanowitsch

Kom­men wir heute zur drit­ten und let­zten Folge unser­er kleine Rei­he zu den „10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörtern“ von Andreas Busch und BILD.de. Uns fehlen in der Diskus­sion noch drei Wörter, wollte, ver­stor­ben und Reifen­wech­sel, und fehlt noch die Ermah­nung, Berufs­beze­ich­nun­gen wie Arzt für Män­ner zu reservieren und für Frauen immer die weib­liche Form Ärztin zu nehmen. Heute beschränke ich mich auf die drei Wörter, die Frage nach den Berufs­beze­ich­nun­gen ist zu kom­plex um sie im Busch’schen Par­a­dig­ma von „richtig“ und „falsch“ auch nur anzureißen. Ich komme aber in näch­ster Zeit umfassender darauf zurück.

In der ersten Folge ging es ja darum, dass Sprach­nör­gler wie Busch nicht in der Lage sind, Sprach­wan­del zu ver­ste­hen und zu akzep­tieren, in der zweit­en Folge ging es daneben auch noch um ihre Schwierigkeit­en mit der Erken­nt­nis, dass Wörter nor­maler­weise mehr als eine Bedeu­tung haben, von der keine die „richtige“ ist. Die heute disku­tierten Fälle zeigen ein drittes Prob­lem: Die sprach­liche Intel­li­genz der Sprachge­mein­schaft wird sys­tem­a­tisch unterschätzt.

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Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler (Teil 2)

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem ich mich im ersten Teil unser­er kleinen Serie über Andreas Buschs Liste der „10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörter“ mit sor­gen, Kult und Busen beschäftigt habe, komme ich im zweit­en Teil zu irri­tiert und Sym­pa­thie. BILD.de hat die Liste ja unter der Über­schrift „Mit Fremd­wörtern kön­nen Sie mir nicht impräg­nieren!“ veröf­fentlicht und so unter­stellt, dass es vor­rangig um Ver­wech­slun­gen eben dieser gin­ge, aber tat­säch­lich sind nur vier der zehn Wörter über­haupt Fremd­wörter — Pub­lic View­ing (das ich in dieser Serie nicht behan­dle, siehe aber hier und hier), Kult (das ich am Mon­tag bere­its behan­delt habe), und eben irri­tieren und Sym­pa­thie.

Der Grund, warum ich die bei­den Wörter heute gemein­sam bespreche, liegt aber nicht in ihrer lateinis­chen bzw. griechis­chen Herkun­ft, son­dern daran, dass sie das zweite der drei Grund­prob­leme des Sprach­nörgelns demon­stri­eren: Die Vorstel­lung, dass Wörter nur eine Bedeu­tung haben (dür­fen).

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Now sitting in one boat are we?

Von Susanne Flach

Zu den häu­fig­sten Such­be­grif­f­en in mein­er Blogsta­tis­tik gehört “sit­ting in one/the same boat”. In meinem Beitrag zu Oet­tingers Englisch schrieb ich, die englis­che Redewen­dung zu “in einem Boot sitzen” ist “to be in the same boat”. Das ist richtig, die Argu­men­ta­tion war aber nicht kom­plett: Mut­ter­sprach­ler haben mir bere­its damals gesagt, dass ihnen “We’re sit­ting in one boat” gar nicht auf­fall­en würde.

Warum auch? Der Satz ist syn­tak­tisch in Ord­nung, die Meta­pher bleibt. Ganz ähn­lich sehen das auch die Mut­ter­sprach­ler in ein­er Diskus­sion zur Oettinger’schen Rede im LEO.org-Forum: ungewöhn­lich ja, falsch nein (und erst recht nicht schlimm oder gar peinlich).

Das wollte ich jet­zt genauer wis­sen: Nutzen Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen die Redewen­dung so, wie Oet­tinger es tat? Die Antwort vor­weg: Nein, tun sie (fast) nicht. Aber Oet­tinger war auch nicht der erste Deutsche, der sie benutzte.

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Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler (Teil 1)

Von Anatol Stefanowitsch

Die ganze lange und trüb­sin­nige Tra­di­tion der Sprach­nörgelei entspringt einem bedauer­lichen Missver­ständ­nis: Die Sprach­nör­gler unter­schätzen sowohl die Kom­plex­ität von Sprachen als auch die Intel­li­genz von Sprecher/innen (ob let­zteres darin begrün­det liegt, dass sie von sich auf andere schließen, sei dahingestellt).

Drei Vorstel­lun­gen sind für den Sprach­nör­gler nicht fass­bar. Erstens, Sprache verän­dert sich. Zweit­ens, Wörter (und andere sprach­liche Zeichen) kön­nen mehr als eine Bedeu­tung haben. Drit­tens, Ver­ste­hen beste­ht nicht in einem mech­a­nis­chen Dekodieren von Wortbe­deu­tun­gen, son­dern in einem aktiv­en Deuten von Äußerun­gen in konkreten Sit­u­a­tio­nen und im sprach­lichen Zusammenhang.

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Die Sprachpanscher schlagen zurück

Von Anatol Stefanowitsch

Der Vere­in der Dort­munder Sprach­nar­ren hat die Liste der Kan­di­at­en für den „Sprach­pan­sch­er des Jahres“ bekan­nt­gegeben, mit dem die Anglizis­men­jäger jedes Jahr ver­suchen, par­a­sitär von der Medi­en­präsenz bekan­nter Mit­men­schen zu prof­i­tieren, indem sie diese beschuldigen, mit­tels englis­ch­er Lehn­wörter den Unter­gang alles Deutschen voranzutreiben.

Wie nicht anders zu erwarten wer­den die Nominierun­gen mit den sel­ben sub­stan­zlosen und schw­er bis gar nicht über­prüf­baren Behaup­tun­gen unter­mauert, die auch die son­sti­gen Aktiv­itäten des Vere­ins charakterisieren.

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1/2 7 vs. 7 1/2 Uhr

Von Kristin Kopf

Achim hat kür­zlich in einem Kom­men­tar nach ein­er speziellen Uhrzei­tangabe gefragt:

Mir ist bei den Uhrzeit­en einge­fall­en, dass früher (man find­et es z.B. auf alten The­aterzetteln in Pro­grammheften) Uhrzei­tangeben wie „7 1/2 Uhr abends“ üblich waren. Ich tippe ja, dass das „19.30“ und nicht „18.30“ bedeutet, aber hat da jemand Hand­festeres als meine Ver­mu­tung? Ist ja inter­es­sant, dass das neben „halb acht“ existiert hat.

Die Schreib­weise mit nachgestell­tem ½ find­et sich tat­säch­lich häu­fig in älteren Tex­ten, so zum Beispiel hier:

… Von München tre­f­fen diese Pack­wä­gen am Mittwoch um 10 1/2, und am Son­ntag um 7 1/2 Uhr Abends dahi­er ein, und gehen am Mittwoch um 10 3/4 und am Son­ntag um 7 3/4 Uhr Abends nach Regens­burg ab.

Dass es sich nicht um eine Vari­ante von ½ 7 (halb sieben) han­delt, wird schnell klar, wenn man sich Weit­er­lesen

Viren und ihr Genus

Von Anatol Stefanowitsch

SciLog­ger Sören Schewe hat heute Mit­tag per Twit­ter nachge­fragt, ob es der Virus oder das Virus heißen muss. Anlass war wohl dieser Tweet des Nachricht­en­por­tals „Der Westen“.

Anders als son­st war ich bere­it, hier eine absolute Regel zu nen­nen: der bei Com­put­er­viren, das bei allen anderen Viren. Ich habe das behauptet, weil ich meine, das schon ein­mal empirisch unter­sucht zu haben (vielle­icht im Bre­mer Sprach­blog) und eine ziem­lich ein­deutige Ten­denz bestand. Der West­en hat sich gle­ich unter Beru­fung auf den Duden vertei­digt, denn dort ste­ht: „das, außer­halb der Fach­sprache auch: der Virus“. Das ist aber natür­lich keine echte Vertei­di­gung, da der Duden, wie die Sprach­nör­gler nicht müde wer­den, ihm vorzuw­er­fen, lediglich fes­thält, welche For­men im Sprachge­brauch mit ein­er gewis­sen Häu­figkeit vorkom­men (wenn er nicht ger­ade aus PR-Zweck­en erfun­dene Wörter aufn­immt). Weit­er­lesen