Der Witwer und seine Witwe

Von Anatol Stefanowitsch

In der Diskus­sion zu meinem Beitrag vom Mon­tag wird unter anderem die Frage disku­tiert, ob die Tat­sache, dass weib­liche Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen häu­fig von männlichen Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen abgeleit­et sind, aber fast nie umgekehrt, auf einen struk­turellen Sex­is­mus der deutschen Sprache hin­weist. Mir ist unklar, wie man ern­sthaft der Mei­n­ung sein kann, dass das nicht der Fall ist: Man müsste dazu entwed­er davon aus­ge­hen, dass die Rich­tung der Ableitung hier rein­er Zufall ist, oder, dass sprach­liche Struk­turen grund­sät­zlich keine Bedeu­tung trans­portieren, sodass die Rich­tung der Ableitung keine Rolle spielt. Bei­de Annah­men scheinen mir abso­lut unplausibel.

Nicht nur offen­sichtliche Aspek­te der Sprach­struk­tur trans­portieren aber ein sex­is­tis­ches Men­schen­bild; auch in ver­steck­ten Muster des Sprachge­brauchs schlägt es sich nieder. Diese Muster kann man nicht durch die Betra­ch­tung einzel­ner Beispiele aufdeck­en, son­dern nur durch die quan­ti­ta­tive Analyse größer­er Textmen­gen. Die Wörter Witwe und Witwer liefern ein schönes Beispiel dafür.

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Witwe vs. Witwerin

Von Kristin Kopf

Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzver­sion: Es han­delt sich um eine Analo­giebil­dung zu all den anderen abgeleit­eten For­men auf -in, die an Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen auf -er ange­hängt werden.)

In den Kom­mentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin ein­mal gle­ich­berechtigt nebeneinan­der existierten:

Waren damals die Witwerin ein gle­ci­h­berechtigtes Syn­onym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grund­wort und die Witwerin war immer eine zweifel­hafte Neben­form. Wann und warum set­zte sich die Witwe durch?

Nun haben wir lei­der keine per­fek­ten his­torischen Kor­po­ra, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild ver­mit­telt.1 Ich habe mal bei Google­Books alle deutschsprachi­gen Büch­er nach Jahrhun­derten getren­nt durch­sucht, begin­nend mit dem 16. Jahrhun­dert. (Vorher sah es ja bekan­ntlich mau aus mit dem Buchdruck.)

Kaum einer mag die Witwerin

Die Ergeb­nisse zeigen recht deut­lich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Neben­form war: Weit­er­lesen

Witwer und Witwerinnen

Von Anatol Stefanowitsch

Im Blog Kom­pe­ten­zteam für schöne und für schlimme Wörter wer­den, wie der Name schon sagt, „schöne und schlimme Wörter“ gesam­melt. Let­zte Woche sam­melte jemand das Wort Witwerin­nen in die Kat­e­gorie „schlimme Wörter“:

Witwerin­nen … Solch­es sprach in der Kom­bi­na­tion „Witwer und Witwerin­nen“ die Qual­ität­sjour­nal­istin Brigitte Büsch­er in der gestri­gen Aus­gabe von „Hart aber fair“. Und zwar mehr als ein­mal. Zeit für einen Seman­tik-Check. [Link]

Die Schuld an diesem Ver­sprech­er gab man umge­hend der „poli­tisch kor­rek­ten, ins­beson­dere gen­der­be­wußten Sprache“ [Lud­wig Tre­pl] und dem „durchge­gen­derten Medi­en- und Polit­deutsch“ [Nachtwächter].

Aber ganz so ein­fach ist es nicht. Das Wort wäre eigentlich (wie vielle­icht die Mehrzahl der vom Kom­pe­ten­zteam gesam­melten Wörter) in ein­er lei­der fehlen­den Kat­e­gorie „inter­es­sante Wörter“ bess­er aufgehoben.

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Die Japaner haben kein Wort für Tsunami

Von Anatol Stefanowitsch

Man muss nichts über die japanis­che Sprache — oder Sprache über­haupt — wis­sen, um über eine Ausstel­lung von Werken des japanis­chen Kün­stlers Katushi­ka Hoku­sai zu schreiben. Aber man sollte dann eben auch nur über die Ausstel­lung, und nicht über die japanis­che Sprache schreiben. Wenn man es doch tut, kommt dabei dieser Artikel in der Main-Post heraus.

Er fängt schon wenig vielver­sprechend an:

In Japan nen­nt man die Dinge nie gern beim Namen, das zeigte sich bei den Mit­teilun­gen der Regierung zum Reak­torunglück in Fukushi­ma. Aber das war auch schon früher so, als Kat­sushi­ka Hoku­sai (sprich: Hok’sai, 1760–1849) lebte, der als 13-Jähriger seine Kün­stlerkar­riere begann…

Ja, so ken­nen wir sie, die Japan­er — wollen sich ein­fach der Real­ität nicht stellen. Ganz anders als wir Deutschen. Unsere Regierung nen­nt ja die Dinge gerne beim Namen — außer, wenn es um akademis­chen Betrug, Panz­er für Sau­di-Ara­bi­en oder den Erfolg wirtschaftlich­er Sank­tio­nen gegen libysche Dik­ta­toren geht. Aber son­st — immer ganz auf die Real­ität fixiert.

Aber ich schweife ab, Fukushi­ma war ja nur der unver­mei­dliche Ein­stieg, der auf abse­hbare Zeit oblig­a­torisch für alle Artikel über Japan ist. Eigentlich geht es aber um ein berühmtes Bild des eben genan­nten Katushi­ka Hoku­sai, näm­lich dieses hier:

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Von Sprachpanschern und Faktenpanschern

Von Anatol Stefanowitsch

Die Wahl des „Sprach­pan­sch­ers des Jahres“ vom Vere­in Deutsche Sprache stellt mich jedes Jahr vor ein Dilem­ma: Darüber schreiben, und die vom VDS euphemistisch als „Schmäh­preis“ beze­ich­nete Desin­for­ma­tion­skam­pagne durch diese Aufmerk­samkeit adeln, oder sie mit der Mis­sach­tung strafen, die sie ver­di­ent, und den Sprach­nör­glern damit die medi­ale Deu­tung­shoheit über den Gebrauch von Lehn­wörtern überlassen?

Wohin diese Deu­tung­shoheit führen kann, zeigt das trau­rige Beispiel der Deutschen Bahn, der der Titel „Sprach­pan­sch­er“ zweimal ver­liehen wurde — 1999 musste der dama­lige Vor­standsvor­sitzende Johannes Ludewig sich so schimpfen lassen [VDS, 1.9.1999], 2007 dann sein Nach­fol­ger Hart­mut Mehdorn [VDS, 31.8.2007]. Beque­mer­weise war die Begrün­dung in bei­den Fällen dieselbe: Fahrkarten­schal­ter wür­den „Tick­et Counter“ genan­nt, Infor­ma­tion­sstände „Ser­vice Point“ und Bahn­hof­s­toi­let­ten „McClean“. Und statt auf die Denk­fehler hin­ter dieser Begrün­dung hinzuweisen, gelobte die Deutsche Bahn im let­zten Jahr dann tat­säch­lich Besserung (wobei unklar ist, ob tat­säch­lich die Quen­geleien des VDS dafür ver­ant­wortlich waren, oder eher die sprach­puris­tis­chen Scheinat­tack­en des Verkehrsmin­is­ters Peter Ramsauer.

In diesem Jahr zeigte sich dage­gen schon früh, dass dem Vere­in Deutsche Sprache bei seinen bil­li­gen Ver­suchen, sich auf ihre Kosten bekan­nter Namen und Insti­tu­tio­nen als Bewahrer der deutschen Sprache darzustellen, ein etwas rauer­er Wind ins Gesicht wehen würde. Als im Mai die Nominierun­gen bekan­nt­gegeben wur­den [VDS, 26.5.2011], war unter den Kandidat/innen auch der Vor­standsvor­sitzende der Bun­de­sagen­tur für Arbeit, Frank-Jür­gen Wiese. Ihm wur­den Wörter wie Job­cen­ter, Start-Up-Coach­ing und Busi­nesstalks angekrei­det. Und statt zerknirschte Besserung zu geloben, wies die BfA in ein­er Pressemel­dung auf etwas hin, das der VDS nie ver­ste­hen wird: Lehn­wörter sind ein Teil der deutschen Sprache, und wer ver­standen wer­den will, wird sie deshalb verwenden.

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Homöopathische Sprachfallen und wie GEO sie nicht vermeidet

Von Anatol Stefanowitsch

Die aktuelle GEO-Titelgeschichte „Die neue Heilkun­st“ sorgt in der Skep­tik- und Wis­senschafts­blog­com­mu­ni­ty schon seit ein paar Wochen für Unmut, denn in dieser Geschichte geht es nicht um eine neue Heilkun­st, son­dern um die Schar­la­taner­ie, die unter dem Namen „Alter­na­tivmedi­zin“ fir­miert. Dieser Unmut hat sich in den let­zten Tagen verdichtet, nach­dem die GEO-Redak­tion in ein­er Diskus­sion auf der GEO-Face­book­seite zunächst gar nicht, dann abwedel­nd und dann pseu­doein­sichtig auf Kri­tik an der Geschichte einge­gan­gen ist.

Ich will mich mit dem GEO-Artikel selb­st nicht weit­er aufhal­ten (das ist z.B. hier in her­vor­ra­gen­der Weise geschehen, der Artikel ist hier online ver­füg­bar, sodass sich alle selb­st ihr Bild davon machen kön­nen). Ich will auch nicht die Frage stellen, warum ein (wenig­stens früher ein­mal) hoch ange­se­henes Wis­sens­magazin wie GEO eine Titelgeschichte über ein medi­zinis­ches The­ma nicht von jeman­dem schreiben lässt, der sich mit Medi­zin ausken­nt, son­dern von ein­er Poli­tik­wis­senschaft­lerin — oder warum diese Poli­tik­wis­senschaft­lerin sich auch auf Focus Online als medi­zinis­che Exper­tin gerieren darf (das ist z.B. hier behan­delt wor­den). Ich will mich auch nicht im Detail mit dem Ver­hal­ten der GEO-Redak­tion im betr­e­f­fend­en Diskus­sion­sstrang auf GEOs Face­book­seite beschäfti­gen (am besten, man liest sich den Strang selb­st durch).

Stattdessen will ich mich — wir sind ja im Sprachlog — mit eini­gen sprach­lichen Aspek­ten der Antwort der GEO-Redak­tion befassen, die für solche Debat­ten auch all­ge­mein typ­isch sind und die zeigen, dass der Ver­fass­er, der stel­lvertre­tende Chefredak­teur Jens Schröder, tief in der sprach­lichen Welt der pseudomedi­zinis­chen Eso­terik ver­haftet ist (wom­it ich übri­gens, darauf weise ich aus­drück­lich hin, kein­er­lei Aus­sage darüber machen will, ob er auch gedanklich in dieser Welt ver­haftet ist). Mein Beitrag ist im Prinzip eine etwas länger aus­for­mulierte Fas­sung eines Kom­men­tars, den ich in der Diskus­sion auf der Face­book­seite von GEO abgegeben habe, er erhebt keinen Anspruch auf Sys­tem­atik oder Vollständigkeit.

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Das Blog ist tot, es lebe der Blog

Von Anatol Stefanowitsch

Mein Sprachge­fühl sagt mir ohne jeden Zweifel: Es muss das Blog heißen. Natür­lich höre und lese ich immer wieder auch die Maskulin­form der Blog, sie klingt also ver­traut, fühlt sich aber trotz­dem falsch an. Auch für den Duden ist das Neu­trum die dom­i­nante Form: das, auch: der Blog, erfährt man dort.

Nur liegen mein Sprachge­fühl und der Duden da falsch: der Blog ist die dom­i­nante Form, nur eine Min­der­heit der deutschen Sprachge­mein­schaft bevorzugt das Blog. Das zeigt zunächst eine (sich­er nicht repräsen­ta­tive) Umfrage, die ich gestern auf der Face­book-Seite des Sprachlog durchge­führt habe:

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[Werkzeug] Es läppert sich …

Von Kristin Kopf

Kür­zlich kam jemand mit der Suchan­frage es läp­pert sich ethy­mol­o­gisch hier­her. Zu ethy­mol­o­gisch hab ich schon mal was geschrieben, zum Läp­pern aber nicht. Wie zur Herkun­ft viel­er ander­er Wörter oder Phrasen auch nicht. Daher gibt’s heute ein bißchen Hil­fe zur Selbsthilfe.

Will man die Bedeu­tungs- und Laut­geschichte eines Wortes erkun­den, dann hil­ft ein Blick in ein soge­nan­ntes “Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch”. Für das Deutsche gibt es da mehrere, zum Beispiel den Kluge, den Pfeifer und das Duden-Herkun­ftswörter­buch (genaue Angaben s.u.). Ich habe früher meist den Kluge benutzt, finde aber Pfeifer mit­tler­weile bess­er, weil er mehr Wort­bil­dun­gen verze­ich­net. Und die gute Nachricht: Die Ein­träge aus dem Pfeifer gibt es auch online, und zwar auf der DWDS-Seite.

Ein­fach in das Such­feld das fragliche Wort (hier: läp­pern) eingeben. Die Suche erfol­gt in allen Kom­po­nen­ten des DWDS (das sind u.a. Kor­po­ra und ein “nor­males” Wörter­buch) und die Ergeb­nisse wer­den in kleinen Kästen präsen­tiert. Der Ety­molo­gie-Kas­ten befind­et sich oben rechts, hier orange  hinterlegt:

Da zeigt sich dann, dass es läp­pert sich (bzw. es läp­pert sich zusam­men) die Bedeu­tung ‘in kleinen Men­gen zusam­menkom­men’ hat. Sie lässt sich mit der Geschichte des Verbs läp­pern recht gut nachvol­lziehen: Weit­er­lesen

Viren und ihr grammatisches Geschlecht

Von Anatol Stefanowitsch

Viren haben kein natür­lich­es Geschlecht, aber ihr Genus, also ihr gram­ma­tis­ches Geschlecht, sorgt immer wieder für Unsicher­heit. Immer wieder mal werde ich gefragt, ob es denn nun kor­rek­ter­weise das Virus oder der Virus heißen müsste. Nun gibt es auf diese Frage natür­lich keine „kor­rek­te“ Antwort, son­dern nur die Antworten, die sich alle deutsche Muttersprachler/innen auf der Grund­lage des eige­nen Sprachge­fühls selb­st geben kön­nen. Aber da diese Antworten eben wahrnehm­bar voneinan­der abwe­ichen, will ich hil­fs­bere­it sein und gebe deshalb schon mal das weit­er, was mein Sprachge­fühl mir sagt: Es heißt der Com­put­er­virus (Maskulinum), son­st aber das Virus (Neu­trum).

Bei dieser Antwort habe ich immer ein etwas schlecht­es Gewis­sen, denn aus dem Sprachge­fühl Einzel­ner kann nun ein­mal keine sprach­liche Hand­lungsan­weisung für alle abgeleit­et wer­den. In einem kurzen Beitrag in der Außen­stelle bin ich der Frage nach dem gram­ma­tis­chen Geschlecht von Viren deshalb genauer nachge­gan­gen. Inzwis­chen hat sich das dort berichtete Bild noch etwas verkom­pliziert, sodass sich ein neuer Beitrag lohnt.

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Sherlock Holmes und die Mormonen von Virginia

Von Anatol Stefanowitsch

Seit eini­gen Tagen braut in den englis­chsprachi­gen Medi­en ein Sturm der Entrüs­tung über den jüng­sten Fall von amerikanis­ch­er Zen­sur­wut. Erwis­cht hat es dies­mal Arthur Conan Doyles A Study in Scar­let („Eine Studie in Schar­lachrot“), das in einem kleinen Schuld­is­trikt in Vir­ginia für Unruhe sorgt. Grund dafür ist die unvorteil­hafte Darstel­lung der mor­monis­chen Kul­tur und Reli­gion darin. Deshalb, so ent­nimmt man den Mel­dun­gen, sei das Buch jet­zt „ver­boten“ wor­den — ein paar Über­schriften zur Illus­tra­tion: Sher­lock Holmes book banned in Albe­mar­le Coun­ty, Vir­ginia (Los Ange­les Times), School board yanks Sher­lock Holmes book because it trash­es Mor­mons (Stan­dard Exam­in­er), und sog­ar Book Ban­ning is Alive and Well in Vir­ginia (Forbes).

Heute erre­ichen die ersten Vor­läufer dieses Sturms auch die deutschen Medi­en. Das Deutsch­landra­dio Kul­tur titelte heute früh noch neu­tral „Erster Sher­lock Holmes-Band in Vir­ginia von Lit­er­aturliste genom­men — ange­blich mor­mo­nen-feindlich“, spricht dann aber davon, dass das Buch „an Schulen im US-Bun­desstaat Vir­ginia nicht mehr erwün­scht“ sei. Eine Pressemel­dung der DPA, die in diesen Stun­den ihren Siegeszug durch die Online-Medi­en antritt, trägt die etwas aufgeregtere Schlagzeile „Schul­be­hörde ver­ban­nt Sher­lock Holmes vom Lehrplan“ und por­traitiert das Ganze als qua­si-bilder­stürmerischen Akt:

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