Hacktivism [Kandidaten für den Anglizismus des Jahres]

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Mit den Nominierun­gen für den Anglizis­mus des Jahres haben wir es dies­mal nicht ganz leicht: Viele Vorschläge sind zwar sowohl sprach­lich inter­es­sant als auch gesellschaftlich höchst rel­e­vant, ohne dass die Sprachge­mein­schaft das aber bish­er auf bre­it­er Ebene wahrn­immt. Liq­uid Democ­ra­cy und Post-Pri­va­cy fall­en in diese Kat­e­gorie, und Hack­tivism lei­der auch.

Hack­tivism ist eine Ver­schmelzung der Wörter hack und activism und beze­ich­net im Englis­chen den poli­tisch motivierten und nicht autorisierten Zugriff auf infor­ma­tion­stech­nis­che Sys­teme, z.B. Com­put­er­net­zw­erke. Der Ein­trag zu Hack­tivism in der (englis­chen) Wikipedia schreibt die Wortschöp­fung einem Mit­glied der Hack­er­gruppe Cult of the Dead Cow zu und stützt sich dabei auf einen Artikel im Mag­a­zin Wired, in dem es heißt

But no one called tech­nol­o­gy-enabled polit­i­cal activism “hack­tivism” until 1998, when cDc mem­bers Omega, Reid Flem­ing and Ruf­fin were chat­ting online and were, Ruf­fin said, “bounc­ing some wacky ideas around about hack­ing and polit­i­cal lib­er­a­tion, most­ly in the con­text of work­ing with Chi­nese hack­ers post-Tianan­men Square.”

The next morn­ing Omega sent an e‑mail to the cDc list­serv and includ­ed for the first time the word hack­tivism in the post,” Ruf­fin said. “Like most cDc inven­tions, it was used seri­ous­ly and iron­i­cal­ly at the same time — and when I saw it my head almost explod­ed.” [Michelle Delio, Hack­tivism and how it got here, Wired, 14.7.2004]

Tat­säch­lich muss das Wort aber älter sein. Weit­er­lesen

Anglizismus des Jahres: Ferner liefen

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem die Anglizis­mus-des-Jahres-Jury die Wortkan­di­dat­en zur Diskus­sion unter sich aufgeteilt hat, sind fünf Wörter übrigge­blieben, die nie­mand haben wollte: Bro­mance, Bub­ble Tea, Eurobonds, Hair­cut und Part­ner­ing. Das bedeutet noch nicht zwin­gend, dass diese Wörter keine Chance mehr auf einen Sieg haben, denn wir haben uns die Wörter, mit denen wir uns aus­führlich beschäfti­gen woll­ten, eher nach per­sön­lichem Geschmack und Inter­esse aus­ge­sucht, als nach der Frage, ob sie aus­sicht­sre­iche Kan­di­dat­en sind. Und eine ganze Rei­he der bish­er disku­tierten Wörter sind ja in ihren Aus­sicht­en eher zurück­hal­tend bew­ertet worden.

Trotz­dem muss sich natür­lich irgend­je­mand dieser fünf Wörter annehmen, denn wenn sie gar nicht disku­tiert wer­den, ger­at­en sie am Ende doch in Vergessen­heit, wenn wir in den näch­sten Tagen die noch verbleiben­den Kan­di­dat­en aus­führlich­er disku­tieren. Also sollen sie hier wenig­stens eine Kurzrezen­sion erhalten.

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Liquid Democracy [Kandidaten für den Anglizismus des Jahres]

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Um es gle­ich vor­weg zu nehmen: Für den Anglizis­mus des Jahres wird sich Liq­uid Democ­ra­cy dies­mal wahrschein­lich noch nicht qual­i­fizieren kön­nen. Es ist ein­fach zu sel­ten. Im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus des Insti­tuts für Deutsche Sprache (DeReKo) find­en sich ganze drei Tre­f­fer. Die sind zwar immer­hin (schein­bar) aus dem Jahr 2011, aber zwei davon (aus den „VDI-Nachricht­en“) beziehen sich auf einen Vere­in dieses Namens, zählen also nicht.

Der dritte Tre­f­fer stammt aus dem Wikipedia-Artikel zum Ver­fahren des „Del­e­gat­ed Vot­ing“ (allerd­ings aus ein­er Ver­sion vom 18. Feb­ru­ar 2007):

Eine ein­heitliche Beze­ich­nung für dieses Ver­fahren (auch liq­uid democ­ra­cy), das erst durch elek­tro­n­is­che Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel prak­tik­a­bel ein­set­zbar ist, hat sich bish­er nicht durchge­set­zt. [Wikipedia, s.v. Del­e­gat­ed Vot­ing, 18.2.2007]

Man kön­nte also sagen, dass es für 2011 gar keinen Tre­f­fer im DeReKo gibt (wobei auch die aktuelle Ver­sion des Wikipedia-Artikels das Wort enthält).

Aber bevor ich auf die Aktu­al­ität und Häu­figkeit des Wortes Liq­uid Democ­ra­cy zurück­komme, ein paar Anmerkun­gen zu sein­er Bedeu­tung. Wie der Wikipedia-Artikel zeigt, han­delt es sich um eine Beze­ich­nung für das Prinzip des „Del­e­gat­ed Vot­ing“, das die Wikipedia (in der aktuellen Fas­sung) so erklärt:

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Werden immer mehr Politiker geverbt?

Von Anatol Stefanowitsch

Ich brauche eine kurze Pause vom Anglizis­mus des Jahres, am Woch­enende muss ich mich, mit­ten im Umzugschaos, ordentlich ran­hal­ten, damit alle Wortkan­di­dat­en zu ihrer recht­mäßi­gen Diskus­sion kom­men. Deshalb zwis­chen­durch ein klein­er, und sehr unfer­tiger Beitrag über Ver­ben, die von Poli­tik­er­na­men abgeleit­et sind.

Angeregt wurde ich dazu durch diesen Beitrag auf Bet­ter Media, in dem das Wort wulf­fen in seinen drei Bedeu­tun­gen disku­tiert wird — als da wären:

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[AdJ 2011] — Welches ‑gate nimmst du?

Von Susanne Flach

Heute bloggen Kristin und ich zeit­gle­ich zum Kan­di­dat­en -gate. So ein Par­al­lel­post haben wir uns schon im let­zten Jahr gegön­nt: wir wis­sen also bis 22 Uhr nicht, welche Über­legun­gen die andere angestellt hat, wo sie gesucht hat und zu welchem Ergeb­nis sie kommt. Reizvoll.

(Hier geht’s zu Kristins Beitrag. Sie hat auch die Nominierungs­be­grün­dung von Patrick Schulz aus­ge­graben — ich hat­te gar nicht auf Kom­men­tar­seite 4 geguckt. Auch gut. Dann war ich wenig­stens nicht in eine von bei­den Rich­tun­gen vor­ein­genom­men, weil Patrick let­ztes Jahr das Siegerwort leak­en nominiert hatte.)

Nun denn: Zum ersten Mal in der tra­di­tion­sre­ichen Geschichte der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres ist ein Affix nominiert bzw. hat die erste Runde über­standen: -gate. Die Nominierung, genauer gesagt eigentlich die Entlehnung eines gebun­de­nen Deriva­tion­s­mor­phems an sich, ist deshalb ein biss­chen erstaunlich, weil in den aller­meis­ten Fällen unge­bun­dene, also freie lexikalis­che Ein­heit­en entlehnt wer­den. Es sind also besoders Nomen und Ver­ben, die Sprachen mit Vor­liebe aufnehmen; mit ein klein biss­chen Abstand fol­gen Adjek­tive — und ganz sel­ten in der Entlehnung­shier­ar­chie ste­hen Ein­heit­en, die sich eher am gram­ma­tis­chen Ende unseres Wortschatzes befinden.

Jet­zt haben wir mit -gate also ein Suf­fix, ein (augen­schein­lich) gebun­denes Mor­phem, ein Nom­i­nal- bzw. Derivationssuffix.

Aktualität?

In der Kürze der Zeit im ausklin­gen­den Semes­ter war es mir unmöglich, eine eventuelle Häu­figkeit genau zu bemessen bzw. das Vorkom­men des — nen­nen wir es vor­läu­fig — Wortbe­standteils genauer auf einen Zeitraum einzu­gren­zen. Das liegt primär daran, dass -gate in ober­fläch­lichen Suchan­fra­gen alle möglichen Wortkom­bi­na­tio­nen auswirft, die auf -gate enden: eine flotte Aufzäh­lung bein­hal­tet beispiel­sweise Sur­ro­gate, Aggre­gate, Agate, Spa­gate oder Col­gate. Ander­er­seits wer­den all die “echt­en” -gates überse­hen, die sich bere­its in der Schrei­bung der deutschen Orthografie angepasst haben: also eben nicht Karatchi-Gate oder Bat­tery-Gate, die mit einem Binde­strich die Suche ermöglichen und erleichtern.

Die schnelle Suche in Zeitungsko­r­po­ra bei Cos­mas II ergibt ein eben­so ver­wirrtes Bild und hil­ft bei der Aktu­al­ität­süber­prü­fung nur so viel weit­er: -gate ist als Affix schon lange belegt, eigentlich deut­lich zu alt und für die Wahl 2011 schon vor­weg nicht qualifiziert.

Also müssen wir uns der Nominierung anders näh­ern. Ich werfe deshalb zwei Fra­gen in den Raum: 1.) Hat sich die Bedeu­tung in den let­zten Jahren vor und speziell in 2011 spür­bar vom Surrogat(e) Water­gate ent­fer­nt? Dann frage ich mich allerd­ings auch 2.): worum han­delt es sich eigentlich — um ein Deriva­tion­saf­fix oder vielle­icht doch um den Kopf eines Kompositums?

Ursprung

Na, das über­rascht jet­zt nie­man­den: Water­gate, 1972. Der OED (in der Aus­gabe von 1989, auf der die online ver­füg­bare Def­i­n­i­tion beruht) definiert es folgendermaßen:

A ter­mi­nal ele­ment denot­ing an actu­al or alleged scan­dal (and usu­al­ly an attempt­ed cov­er-up), in some way com­pa­ra­ble with the Water­gate scan­dal of 1972.

Ein Skan­dal mit großer poli­tisch-gesellschaftlich­er Strahlkraft, kön­nte man sagen. Damals.

Im Englis­chen war -gate übri­gens ganz flott pro­duk­tiv zur Stelle (OED):

  1. Vol­ga­gate (1973), Dal­las­gate (1975), Kore­a­gate (1976),
  2. Motor­gate (1975), Lance­gate [is no Water­gate] (1977),
  3. Wine-gate (1973), Ice Cream Gate (1977)

Dabei sind die Grup­pierun­gen hier seman­tisch motiviert vorgenom­men (die sich bis heute wenig ver­wun­der­lich gehal­ten haben): Gruppe 1 ist nach den Orten des Skan­dals, Gruppe 2 nach den Namen der involvierten Per­so­n­en oder Pro­duk­ten und Gruppe 3 nach der Sub­stanz des Skan­dals ein­ge­ord­net. Außer­dem scheint mit zunehmender Zeit die Wucht des Skan­dals und sein­er Öffentlichkeitswirkung doch recht deut­lich abzunehmen.

Inter­es­sant ist auch, dass der OED -gate nicht als pro­to­typ­is­ches Affix kat­e­gorisiert, son­dern als com­bin­ing form. Dies sind For­men, die wie Affixe auftreten (als gebun­dene Mor­pheme), also wie etwa die form medico- (von med­ical), dazu gehören auch beispiel­sweise gebun­dene Mor­pheme wie -olo­gy, bio-, physio- oder astro-, die man auch als Wort­bil­dungse­le­mente der soge­nan­nten neok­las­sis­chen Kom­po­si­tion beze­ich­net (Wort­bil­dung mit gebun­de­nen lateinis­chen oder griechis­chen Ele­menten). Mit -gate scheinen wir uns also in der Grau­zone zwis­chen Kom­po­si­tion und Deriva­tion zu befind­en: Kom­po­si­tion wäre es nur dann eindeutig(er), wenn -gate ein freies Mor­phem wäre. (Ich suche aber noch die Rel­e­vanz der Erken­nt­nis, dass es sich um ein Kom­po­si­tion­se­le­ment han­deln kön­nte.)

Kompositum?

Die Frage ist für die Wahl aber drit­trangig und abschließend beant­worten möchte ich sie nicht. Jaha, dann kam heute näm­lich Babette und tat uns und der Twit­terge­meinde einen ganz wun­der­baren Gefall­en! Das lustige Ket­ten­mail­gate aus dem Bun­destag förderte heute unter anderem diese Ver­wen­dun­gen von Gate als freies Mor­phem zu Tage:

Ein Gate und die #Pirat­en sind nicht dabei? Ich pran­gere das an! #kürschn­er­gate (25. Jan­u­ar 2012) [@AlterPirat]

Mal ein Gate, ohne dass #Pirat­en scheisse gebaut hät­ten. #kürschn­er­gate (25. Jan­u­ar 2012) [@TeleGehirn]

wüsste er, was ihr hier alles als “gate” beze­ich­net, würde richard nixon sich im grabe umdrehen. (25. Jan­u­ar 2012) [@dielilly]

Das ken­nen wir auch schon von Ismus (“Das ist doch bloß wieder so ein komis­ch­er Ismus!”) — das gernz­i­tiertes Beispiel von freige­set­zten Mor­phe­men (mit lexikalis­ch­er Bedeu­tung). Das macht Kom­mu­nis­mus oder Fem­i­nis­mus natür­lich nicht zu Kom­posi­ta. Aber bei Gate bestünde dur­chaus das Poten­tial, dass es sich für den kleinen, leicht amüsant anmu­ten­den Skan­dal für die Früh­stückspause dur­chaus verselb­st­ständigt. Abwarten. Aber Gemach, Gemach — immer­hin suchen wir hier den Anglizis­mus des Jahres 2011 und nicht das Freie Mor­phem 2012.

#kürch­n­er­gate ist seit Stun­den Top­trend bei Twit­ter. Das ist nicht über­raschend — und illus­tri­ert die Bedeu­tungsver­schiebung von -gate in die Rich­tung, dass sich bei dem entsprechen­den Ereig­nis eben noch nicht mal um einen Skan­dal han­deln muss, um ein Gate zu sein.

Produktivität?

Diese Ein­schätzung wird von einem Beitrag in der Frank­furter All­ge­meinen (21.01.2012) gestützt:

Aber man kann Lauer, der ein­er von 15 Abge­ord­neten der Piraten­partei im Berlin­er Abge­ord­neten­haus ist, auch sehr schnell zum Aus­ras­ten brin­gen. Man muss nur „Part­ner­gate“ sagen, „Salz­gate“ oder „Eso­gate“. Es sind die auf Twit­ter benutzten Codewörter der Skandälchen, mit denen die Berlin­er Pirat­en es in let­zter Zeit regelmäßig in die Haupt­stadt­boule­vard­presse geschafft haben.

Also davon abge­se­hen, dass wir ver­mut­lich Prob­leme mit der Aktu­al­ität bekom­men, finde ich diese Bedeu­tungsver­schiebung eigentlich ziem­lich rel­e­vant für die Wahl. Die Suche im Cos­mas II bleibt hier ober­fläch­lich, aber ein gewiss­es Muster zeich­net sich ab:

Waterkant­gate” nen­nen spitze Zun­gen die kaum glaublichen Wahlkampfvorgänge, die bewirk­ten, daß laut und in allen Lagern von Poli­tik und Gesellschaft die Frage nach der Moral der Macht gestellt wird.
1987, Mannheimer Mor­gen, 3. Dezem­ber [H87/KM6.09413]

Welchen Song müßte er heute spie­len, um sein durch “Mon­ica­gate” ram­poniertes Image aufzupolieren?
1998, Frank­furter Rund­schau, 6. April [R98/APR.27953]

Die Lokal­presse fand einen grif­fi­gen Titel für den Abhörskan­dal im CDU-Haus: “Weser­gate”.
2003, Rhein-Zeitung, 1. Juli [RHZ03/JUL.00398]

Der Skan­dal hat­te als »Nip­ple­gate« für Schlagzeilen gesorgt.
2004, Nürn­berg­er Nachricht­en, 24. April [NUN04/SEP.02343]

Die Medi­en sprechen schon vom „Karatschi-Gate“ mit dem Poten­zial, Frankre­ichs neue Staat­saf­färe zu werden.
2010, Nürn­berg­er Nachricht­en, 23. Novem­ber [NUN10/NOV.02267]

Auch ein Kabi­nettsmit­glied ges­tand, dass ein Krawat­ten­verzicht erhe­blichen häus­lichen Ärg­er aus­gelöst hätte. Krawat­ten-Befür­worter sehen in See­hofers Vorstoß ein bedauer­lich­es Krawat­ten-Gate: „Stil­los“ und eine „Mis­sach­tung des Par­la­ments“, schimpfte ein auf Tra­di­tion bedachter CSU-Abgeordneter.
NUZ11/JUL.01355 Nürn­berg­er Zeitung, 14.07.2011

Es ist nur eine Stich­probe — aber wir sind im Deutschen offen­bar von der großen Staat­saf­färe zum kleinen Kan­ti­nen­witz gewan­dert. Von Water­gate zu bajuwarischen Empörung über Krawat­ten? Also da gehört schon eine gehörige Por­tion Dra­maque­enge­quen­gel, aus Let­zterem sowas wie Ern­sthaftigkeit rauszule­sen. Außer­dem fehlt der heuti­gen Ver­wen­dung der Aspekt der Ursprungs­be­deu­tung bzw. der, die noch in den 2000er Jahren vorherrschend war, näm­lich das des Staatsskan­dals und des die Öffentlichkeit täuschen­den Vertuschens.

Fazit?

Ich bin mir nicht sich­er, ob all diese Argu­mente -gate wirk­lich für einen der Top­plätze qual­i­fizieren. Was aber inter­es­sant ist, in Erman­gelung der son­st eher dürfti­gen Erfül­lung der Nominierungskri­te­rien: Wir haben eine Bedeu­tungsver­schiebung zum kleinen, amüsan­ten Skan­dal für zwis­chen­durch. Erneut ist für diese Ein­schätzung natür­lich der Sog von Twit­ter mitver­ant­wortlich. Und in der Kürze der Zeit dann trotz­dem eine span­nende und unter­halt­same Ent­deck­ung, auch für mich. So ist -gate dann doch irgend­wie ein putziger Kan­di­dat — vielle­icht mit Außen­seit­er­chan­cen, weil wir jet­zt ver­all­ge­mein­ert und unge­hemmt pro­duk­tiv auf alles anwend­bar die Gates belächeln dürfen.

[Anglizismus des Jahres] Greift ‑gate um sich?

Von Kristin Kopf

Unter den Vorschlä­gen für den Anglizis­mus des Jahres 2011 gab es auch ein Wort­teil von nicht so recht bes­timm­barem Charak­ter, näm­lich -gate. Das will ich mir heute genauer anschauen – par­al­lel zu suz, die zeit­gle­ich mit mir ihre Beobach­tun­gen zum The­ma postet.

Vorgeschla­gen wurde es von Patrick Schulz, der let­ztes Jahr den Gewin­ner leak­en nominiert hat, und zwar mit der fol­gen­den Begründung:

Ich schlage dieses Jahr das Skan­dal­isierungssuff­fix -gate zum AdJ vor. Es wird dazu benutzt, die seman­tis­che Deno­ta­tion seines Kopfes (Also die Bedeu­tung dessen, an das es sich ran­hängt) zu einem Skan­dal von nationaler Trag­weite zu erk­lären oder auch zu verk­lären. Diese mitunter iro­nisierende Nebenbe­deu­tung hebt es m.E. von beste­hen­den Äquiv­a­len­ten ab.

Ganz aktuelle Beispiele sind u.a. padgate, Gut­ten­gate oder Jena­gate.

Es geht dabei weniger darum, irgendwelche kur­zlebi­gen Wörter, die auf ‑gate enden, für den AdJ2011 vorzuschla­gen, son­dern dieses gebun­dene und sie verbindende Mor­phem, welch­es an beliebige Kopflex­eme ange­hängt wer­den darf um eine sozial- und/oder medi­enkri­tis­che Botschaft zu ver­mit­teln. Es ist dabei im höch­sten Maße pro­duk­tiv, wie die eben erwäh­n­ten Beispiele zeigen. Noch dazu geht es mit eini­gen inter­es­san­ten pho­nol­o­gis­chen Prozessen ein­her, so heist es etwa Gut­ten­gate, nicht aber *Gut­ten­berggate o.ä..

Ich will in diesem Beitrag über­prüfen, ob -gate wirk­lich so häu­fig neue Wort­bil­dun­gen einge­ht und falls ja, wozu sie dienen. Patrick ver­mutet ja einen iro­nis­chen Unter­ton, was ich nicht ganz von der Hand weisen will. Ob der aber nur durch den Äußerungskon­text entste­ht, oder wirk­lich schon dem Ele­ment anhaftet, bleibt zu klären. Weit­er­lesen

Cyberwar/Cyberkrieg [Kandidaten für den Anglizismus des Jahres]

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Als wir vor ein paar Wochen die Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres 2011 vorgestellt haben, gab es zu fast jedem Wort einen der fol­gen­den Kom­mentare: „Das Wort ist viel zu alt, das kenne ich schon ewig“ und „Das Wort habe ich noch nie gehört, das kann es gar nicht geben.“ Das liegt natür­lich in der Natur der Sache: Wir suchen zwar ein englis­ches Lehn­wort, dass sich 2011 im Sprachge­brauch etabliert hat, aber die Entlehnung und bre­it­ere Akzep­tanz eines Lehn­wortes spielt sich eben nicht inner­halb eines einzi­gen Jahres ab, son­dern ist ein Prozess, der leicht ein Jahrzehnt oder länger dauern kann.

Die Wörter Cyber­war und Cyberkrieg dürften für viele in die Kat­e­gorie „Zu alt, kenn ich schon“ fall­en. Auf den ersten Blick scheint es keinen ern­sthafen Anspruch auf den Titel erheben zu kön­nen. Wie wir gle­ich sehen wer­den, täuscht das aber: Alt ist das Wort, aber im bre­it­eren Sprachge­brauch find­et es sich noch nicht sehr lange.

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[AdJ 2011] Where’s my Masterand?

Von Susanne Flach

Nominiert wurde Mas­terand von Leser/in kww:

Ich möchte das Wort “Mas­terand” vorschla­gen. Es ist natür­lich eine Analo­giebil­dung zu Diplo­mand, d.h. es beze­ich­net jeman­den, der an sein­er Mas­ter­ar­beit arbeitet.

Mir ist dieses Wort in diesem Jahr zum ersten Mal und bish­er nur in mündlich­er Form untergekom­men. Nach der Umstel­lung von den Diplom­stu­di­engän­gen zu Bach­e­lor/­Mas­ter-Stu­di­engän­gen taucht diese Sorte Men­schen jet­zt zum ersten Mal auf (zumin­d­est in mein­er Umge­bung). Google zeigt, dass es auch schriftlich vorkommt, vor allem in Stel­lenanzeigen und da meis­tens in der Kom­bi­na­tion “Diplomand/Masterand”.

Begeben wir uns auf Exkur­sion und begin­nen ein wenig früher.

Der Begriff Mas­ter, genau wie der unter augen­schein­lich­er Ver­drän­gung lei­dende Mag­is­ter, geht — wenig über­raschend — auf das Lateinis­che mag­is­ter zurück (Kluge 1889; Grimm­sches Wörter­buch [DWB]). In verkürzter Form wird mag­is­ter meist als ‘Lehrer, Gelehrter, Meis­ter’ wiedergegeben. Es ist auch ver­wandt mit dem deutschen Meis­ter und deshalb auch mit allen möglichen Ämtern (Bürg­er­meis­ter, ursprünglich wohl antonymisch-ana­log gebildet: Min­is­ter); also irgend­wie im Wort­feld der Gelehrten und Mächti­gen. Der Duden erwäh­nt gar die mor­phol­o­gis­che Ver­wandtschaft zu Mag­nat [s. ‘Herkun­ft’, da magis ‘mehr’, als adv. zu mag­nus, siehe auch magna cum laude, Magna Car­ta — alles irgend­wie Große halt].

Mag­is­ter (lat.) erfuhr im Deutschen nach der schon in früheren Sprach­sta­di­en geklaut­en lateinis­chen Bedeu­tung und Entlehnung Meis­ter im Mit­te­lal­ter eine weit­ere, zweite Entlehnung unter Kon­servierung des lateinis­chen Begriffs, näm­lich eine “von den uni­ver­sitäten seit dem 15. jahrh. aus­ge­hende, mit beibehal­tung der gelehrten lateinis­chen form: mag­is­ter lib­er­al­i­um artium wurde der in der artis­ten- (philosophis­chen) fac­ultät zum range der lehrerschaft erhobene genan­nt; auch doc­toren der the­olo­gie hieszen mag­istri” (DWB).

Immer noch ein Gelehrter (und stre­it­bar Mächtiger), aber eben mit der Bedeu­tungss­chat­tierung im akademis­chen Rahmen.

Warum das alles? Weil es im Englis­chen ähn­lich ablief. Also auch hier mag­is­ter > maystr (in diversen Schrei­bun­gen) > mas­ter. Schauen wir uns dazu mal eine Auswahl der reich­halti­gen Belegsamm­lung des OED unter dem Stich­wort mas­ter[1. “mas­ter, n.1 and adj.”. OED Online. Decem­ber 2011. Oxford Uni­ver­si­ty Press. 20 Jan­u­ary 2012 <http://www.oed.com/viewdictionaryentry/Entry/114751>.] an, wo allerd­ings die über­wälti­gende Anzahl an Ein­trä­gen (Bedeu­tun­gen) meine Vorstel­lungskraft von Wortbe­deu­tungs­ket­ten und ‑rela­tio­nen auf eine herbe Probe stellt — deshalb wirk­lich Auswahl:

In der Bedeu­tung als erster Ein­trag: ‘Herrsch­er, Mächtiger, Führer’

Ðonne he gemette ða scylde ðe he stier­an scolde, hrædlice he gecyðde ðæt he wæs mag­is­ter & ealdormonn.
(10. Jhd., King Ælfred, Pas­toral Care, Hat­ton xvii. 117; Über­set­zung: van Gelderen 2010: 46)

witodlice he sette him weor­ca mægstras, þæt hy gehyn­don hi mid hefigum byrþenum.
(11. Jhd. Old Eng. Hexa­teuch: Exod. (Claud.) i. 11)

Heo­re aȝene pine neure nere þe lesse þah heo meistres weren.
(13. Jhd., MS Lamb. in R. Mor­ris Old Eng. Hom­i­lies (1868) 1st Ser. 43)

A kingis prou­ost may haue na mare pow­er na has his mais­ter.
(15. Jhd., G. Hay Bk. Law of Armys (2005) 103

(Ich bitte um Entschuldigung — meine Altenglis­chken­nt­nisse reichen noch nicht aus, um mich in zeitlich vertret­barem Aufwand durch Kasuswin­dun­gen und Satzk­lam­mern zu friemeln.)

Es fol­gen 13 Hauptein­träge mit ein­er scroll­balke­natomisieren­den Zahl an unter Umstän­den obso­leten Unterbe­deu­tun­gen: Man­ag­er, Auf­se­her, Haushaltsvorste­her, Mil­itärober­er, Arbeit­ge­ber, Jeman­den-irgend­was-tuend-in-ein­er-Schule, irgend­was-tech­nis­ches (mas­ter slave), Haustierbe­sitzer (obäch­tle! Her­rchen!), Sieger ein­er Schlacht, Jemand-mit-Macht, Freier Mann, être maître, a woman’s huband, Schiff­skapitän, Besitzer von irgend­was — vielle­icht hätte ich mich auf Online Ety­mol­o­gy Dic­tio­nary beschränken sollen — Bridge­spielka­rte, Haupt­doku­ment, Gramophon­teil — oha, ab Bedeu­tung 11: Lehrer, in Kom­posi­ta auch als Schuldirek­tor, Lehrmeis­ter, Stil- und Kun­stikone — und wenn ich lange genug suchen würde, bes­timmt auch noch im Wort­feld des Spaßvogels.

Dreißig Kilo­me­ter (es fol­gen dann noch 10 weit­ere Ein­träge und eine Lat­te an offen­bar def­i­n­i­tion­swürdi­gen Kom­posi­ta) später sind wir also bei:

A hold­er of a senior degree from a uni­ver­si­ty or oth­er aca­d­e­m­ic insti­tu­tion, the degree being orig­i­nal­ly of a sta­tus which con­veyed author­i­ty to teach at a uni­ver­si­ty. Now usu­al­ly: the hold­er of a post­grad­u­ate degree below the lev­el of a doctorate.

Per­son mit einem weit­er­führen­den Abschluss ein­er Uni­ver­sität oder ein­er anderen akademis­chen Ein­rich­tung; der Grad befähigte ursprünglich zur Lehre an ein­er Uni­ver­sität. Jet­zt beze­ich­net mas­ter üblicher­weise den/die Träger/in eines post­graduierten Abschlusses unter­halb eines Doktorgrades.’

Bis ins 19. Jahrhun­dert beschränk­te sich mas­ter über­wiegend auf die Geis­teswis­senschaften (als Mas­ter of Arts oder mag­is­ter artium), das Dok­torat war das Pen­dant in den anderen Fäch­ern. In dieser Bedeu­tung ist mas­ter erst­mals 1380 belegt:

Heyr lyis Ingram of Kethenys prist maystr in arit.
(1380, Proc. Soc. Anti­quar­ies Scotl. (1896) 30 42.)

Nehmen wir die Orthografie als brauch­baren Indika­tor zur Aussprache, lis­tet der OED eine beein­druck­ende Liste an Entwick­lungssta­di­en von mag­is­ter > mas­ter:

Altenglisch (bis ca. 11. Jdh.): mæg­ster, magester, mag­is­ter, mægester, mægister
Im Über­gang zu Mit­te­lenglisch (11. Jdh.): mestre, mæstere
Mit­te­lenglisch (12.–14. Jdh.): maȝȝstre, mais­tere, maistr, mais­tur, maistyr, maystere, may­stir, maystur, maystyr, meis­ter, mei­s­tir, meistre, mesteir, meyster, mai­s­tir, mayster, maystre, maister,
Spätes Mit­te­lenglisch (15–16 Jhd.): masster, mas­tur, mas­tir, mastyr, mas­tre, mas­ter, mas­tar, muster;
Schot­tisch (17. Jhd.): maiester, mais­tere, mais­ter­ris (plur­al)
Eng. Region­al (18. Jhd.): maaster (north.), maas­ther (north.), maes­tur (west.), mais­ter,  mais­ther (north.), marster (south-east.), mayster, meast­er, meeast­er (north.), mester (north.), mes­ther (north.), mes­tur (north.);

Was auf­fällt: Bere­its im Mit­te­lenglis­chen war das <g> und ver­mut­lich lange davor auch das [ɡ] ver­schwun­den. Außer­dem war Mit­te­lenglisch recht nahe am heuti­gen Meis­ter. Durch Lautver­schiebun­gen und einem inten­siv­en Sprachkon­takt mit dem Alt­nordis­chen und Franzö­sis­chen (OED), lan­den wir im Früh­neuenglis­chen (etwa ab 1500) beim mas­ter. Man kön­nte fast sagen: Eine laut­liche Entwick­lung, die im Deutschen beim Meis­ter und akademisch beim Mag­is­ter ste­henge­blieben zu sein schein — die dann vom Bologna-Prozess aber hop­pla­hopp vor­angetrieben wurde.*

Kom­men wir zum Wesentlichen, son­st ste­ht nach­her im Kom­men­tar­bere­ich: “The­ma ver­fehlt!”. Immer­hin ist Mas­terand nominiert und die Fest­stel­lung, dass die Englis­che Sprache im Sprach­wan­del mal wieder n Zack­en flot­ter war, ist ja auch nicht so neu. Wie der/die Nominierende ver­mutete, ist Mas­terand eine analoge Bil­dung zu Diplo­mand und Mag­is­trand — also als Beze­ich­nung für jeman­den, der/die ger­ade kurz vor Erlan­gung des akademis­chen Grades ste­ht, also hier dem des Mas­ters. Mit Ein­führung der Bach­e­lor- und Mas­ter­ab­schlüsse und dem Aus­laufen der tra­di­tionellen Diplom- und Mag­is­ter­ab­schlüsse fehlen uns offen­bar auch die Gegen­stücke zu diplomieren und mag­istri­eren. Man kön­nte  ein­wen­den, dass mag­istri­eren gar nicht existiert — zugegeben, 255 Tre­f­fer sind im Ver­gle­ich zu über ein­er hal­ben Mil­lion für diplomieren nicht ger­ade üppig.

Wozu mag­istri­eren und diplomieren? Das Nom­i­nal­suf­fix -and ist ein Deriva­tion­ssuf­fix, das aus Ver­ben auf -ieren die entsprechen­den Nomen macht: neben den Diplo­man­den, Dok­toran­den und Habil­i­tanden gibt es auch die Proban­den, Kon­fir­man­den und Reha­bil­i­tanden, in der Math­e­matik (also unbelebte Entitäten) die Sum­man­den, Mul­ti­p­likan­den, Operan­den oder Inte­granden. Dieses Deriva­tion­ssuf­fix gibt es auch in der sel­teneren Alter­na­tive -end: Sub­tra­hend oder Div­i­dend — und aus dem Reich der Akademie natür­lich der Pro­movend.

Die deut­lich pro­duk­ti­vere Vari­ante ist das Suf­fix­paar -ant/-ent: auch hier wer­den Nomen aus -ieren-Ver­ben abgeleit­et, allerd­ings mit einem sub­tilen seman­tis­chen Unter­schied: Absol­vent, Min­is­trant, Diri­gent, Emi­grant, Emi­tent, Fab­rikant, Kor­re­spon­dent, Demon­strant, Kon­tra­hent oder Queru­lant beze­ich­nen Per­so­n­en, die die Verb­hand­lung selb­st ausführen.

Die -and/-end-Nomen hinge­gen beze­ich­nen Per­so­n­en, die von der Verb­hand­lung betrof­fen sind (Canoo.net, Duden.de). Manche qual­i­fizieren sich also über den Min­is­tran­ten zum Kon­fir­man­den. Darin liegt vielle­icht auch eine der Gründe der Kon­fu­sion, ob man (selb­st) eigentlich pro­movieren kann oder ob man pro­moviert wird. (Dies ist mir bish­er vor allem von Sprach­pflegern vorge­hal­ten wor­den, weil ich sage: man kann auch *hüs­tel* selb­st pro­movieren; also sprach­lich.) Ergoexkurs: Müsste man nicht sog­ar eine Unter­schei­dung zwis­chen Pro­movent und Pro­movend ziehen?

In einem Forum­sar­tikel bei leo.org bericht­en einige Foris­ten von ihren Bauch­schmerzen beim Wort Mas­terand (was ana­log aber auch für Bach­e­lo­rand gilt): Warum nicht Mas­ter-Stu­dent? Weil es nicht aus­re­ichend genau ist: Ein Mas­ter-Stu­dent beze­ich­net all­ge­mein­er jeman­den, der in einem Mas­ter­stu­di­en­gang eingeschrieben ist. Der Mas­terand hinge­gen spez­i­fiziert den Zeit­punkt des Studi­ums — kurz vor dem Abschluss.

So suchen bere­its viele Unternehmen in Stel­len­börsen und ‑anzeigen Mas­teran­den, oft wer­den derzeit noch Diplo­man­den ange­sprochen. Die gesucht­en Mitar­beit­er wer­den meist aus tech­nis­chen Stu­di­engän­gen rekru­tiert, weil sie ihre Abschlus­sar­beit­en häu­fig als Werk­studierende in den Unternehmen schreiben kön­nen. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb Mas­terand eine recht stat­tliche Anzahl von Google­tr­e­f­fern erzielt, aber in Trendlis­ten (z.B GoogleIn­sights) oder Kor­po­ra so gut wie gar nicht auf­taucht (weshalb die Nominierung in der Jury sehr skep­tisch gese­hen wurde) und wohl im all­ge­meinen Sprachge­brauch noch nicht angekom­men zu sein scheint.

Ein­er der Leo-Foris­ten merkt an, dass Mas­terand unsin­nig sei, weil — wenn sich Dok­torand und Diplo­mand von Ver­ben auf -ieren ableit­en — es gar kein mas­terieren gäbe. Nun ja, das ist aber auch nicht das Entschei­dende: Erstens kann man ana­log zu diplomieren oder pro­movieren natür­lich mas­terieren ver­wen­den, um die stres­sige Phase kurz vor dem akademis­chen Abschluss zu umschreiben. Zweit­ens ist auch diplomieren nicht ein­fach vom Him­mel gefall­en, son­dern eben­falls eine Deriva­tion, näm­lich von Diplom, dem Abschlussgrad also. So ist der Deriva­tion­sprozess Mas­ter > mas­terieren > Mas­terand qua­si impliz­it. Außer­dem finde ich diplomieren per­sön­lich auch nicht so nahe dran am Diplo­mand, wie beispiel­sweise pro­movieren am Doktoranden/Promovenden dran ist — weil bei der Dok­torar­beit jed­er nor­maler­weise bere­its mit dem Auf­schla­gen des ersten Buch­es pro­moviert, also während des gesamten Pro­mo­tion­sstudi­ums — und nicht erst in der heißen Endphase.

Drit­tens, und das ist entschei­dend, ist die Betra­ch­tung der Bil­dung von Mas­terand auf rein mor­phol­o­gisch-for­malen Aspek­ten über die Ableitung mas­terieren eigentlich eher unspan­nend. Plau­si­bler ist die Annahme, dass die Bil­dung auf der Analo­gie in einem fast iden­tis­chen, seman­tis­chen und konzeptuellen Rah­men beruht, also auf dem Abschlussgrad an sich.

Fazit

Wer es bis hier­hin geschafft hat: Her­zlichen Glück­wun­sch! Denn eigentlich ist die vor­weggenommene Schlussfol­gerung: Kein beson­ders heißer Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres.

Warum?

Erstens, und vielle­icht etwas wider­sprüch­lich für die Kri­te­rien der Wahl, weil die Über­lebenswahrschein­lichkeit von Mas­terand nahezu exor­bi­tant hoch ist — zumin­d­est bis wir Mas­ter namentlich durch einen anderen Abschluss erset­zt haben. Mas­terand wird Diplo­mand und Mag­is­trand in weni­gen Jahren kom­plett ver­drängt haben und der Kon­ven­tion­al­isierungsef­fekt wird auch die Bauch­schmerzen heilen. (Die Berufs­beze­ich­nun­gen Dipl-Ing oder Mag­is­ter wer­den mit ihren Trägern/-innen noch etwas überdauern.)

Zweit­ens, und das finde ich im End­ef­fekt für einen Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres zu wenig: Mas­terand bezieht sich in der Bil­dung auf einen Abschluss, der jeden Namen tra­gen kön­nte (es hat fast Eigen­na­men­charak­ter). Ergo: Es würde genau­so schnell wieder ver­schwinden. Was noch dazu kommt: Es find­et keine wirk­liche seman­tis­che Dif­feren­zierung statt. Also abge­se­hen von der Tat­sache, dass Diplom­stu­di­engänge jet­zt Mas­ter­stu­di­engänge sind — und es wirk­lich eine reine Analo­gie zu den beste­hen­den Begrif­f­en ist (durch Aus­tausch). Auch, dass dem Mas­ter ein Bach­e­lor­grad vorgeschal­tet wurde, ändert nichts an der Tat­sache, dass die Qualen, Pusteln und Stress­si­t­u­a­tio­nen die gle­ichen bleiben.

Drit­tens: Die einzige wirk­liche Bedeu­tungs­d­if­feren­zierung (siehe Nominierungskri­te­rien) befind­et sich eigentlich im Wort Mas­ter, nicht notwendi­ger­weise im Mas­terand. Mas­ter ist aber entsch­ieden zu alt, um 2011 noch irgend­je­man­den anglizis­mentech­nisch vom Hock­er zu hauen. Deshalb war mein erster Reflex auch eher: Und wo ist der Anglizis­mus? Mas­ter dif­feren­ziert aber nicht gegenüber Diplom, son­dern gegenüber seinem ety­mol­o­gis­chen Ver­wandten Meis­ter, also als Grau-Wieder-Re-Über­sprungs-Import. Man hätte für Mas­ter den Meis­ter im Bil­dungswe­sen aus nahe­liegen­den Grün­den aber nicht vorschla­gen kön­nen. Wir ver­tra­gen jede Menge Pol­y­semie — aber bei qual­i­fizieren­den Bil­dungs- und Beruf­s­graden hört die Pol­y­semiev­erträglichkeit auf fach­lich­er Grund­lage auf. Gut, die Nominierungskri­te­rien lassen auch zu, wenn etwas bis dato umständlich umschrieben wer­den musste: so erset­zt Mas­terand die Mas­ter­ar­beitschreiben­den oder gar ganze Phrasen wie die Studieren­den, die ihre Mas­ter­ar­beit schreiben.

Ich finde aber: Das reicht nicht.

Eine let­zte Bemerkung, der ich wirk­lich nicht wider­ste­hen kann: Die Meis­ternör­gler hin­ter dem Anglizis­musin­dex des VDS find­en, dass Mas­ter in den Natur­wis­senschaften ergänzend, für die Geis­teswis­senschaften aber ver­drän­gend ist — das ver­ste­he im Ungle­ich­schritt der Lexiko­nen­twick­lung im Deutschen und Englis­chen wer will: Ger­ade in den Geis­teswis­senschaften wäre der Mas­ter doch eine seman­tisch-ver­wandte Weit­er­en­twick­lung zu Mag­is­ter. Na, was soll’s.

Oder aber ich hab trotz­dem das The­ma ver­fehlt und hätte eigentlich über die Entwick­lung von -and/-end aus dem lateinis­chen Gerun­di­v­suf­fix -andus sin­nieren sollen. Ich set­ze es mal auf meine lange “irgen­wann noch zu bloggen”-Liste.

Spaß gemacht hat’s trotzdem.

DWB: Grimm, Jakob und Wil­helm Grimm. 1854–1961. Deutsches Wörter­buch [DWB]. Leipzig 1971. [Online]

Kluge, Friedrich. 1889. Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch der deutschen Sprache. Straßburg: Trüb­n­er. [Online].

Anglizismus des Jahres: Soll man adden adden?

Von Kristin Kopf

adden ist ein schwieriger Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres 2011. Wie von vie­len Seit­en schnell bemerkt wurde, ist das Wort in gewis­sen Kreisen schon seit langem recht ver­bre­it­et – so zum Beispiel für das Hinzufü­gen von Kon­tak­ten bei ICQ (danke für den Hin­weis, Katrin! Ken­nt und nutzt das noch wer? Und wann und wie ist das eigentlich aus meinem Leben verschwunden?).

Das Wort wurde auch let­ztes Jahr schon nominiert (hier), hat es dann aber nicht in die engere Auswahl geschafft. Allerd­ings hat mein­er Erin­nerung nach nie­mand eine gründliche Analyse dazu geschrieben und wer weiß, vielle­icht hat sich seit damals ja auch einiges getan. Die diesjährige Nominierung ist hier zu finden.

Zunächst ein­mal muss

eine Begriffserklärung

her. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres: Döner-Morde

Von Anatol Stefanowitsch

Mein Ver­hält­nis zur alljährlichen „Unwort-des-Jahres“-Wahl ist etwas gemis­cht. Wie ich gerne sage, als Sprach­wis­senschaftler kann man zu „Unwörtern“ etwa genauso­viel sagen, wie ein Zoologe zu „Untieren“. Ander­er­seits erkenne ich natür­lich an, dass es Beispiele manip­u­la­tiv­er und verz­er­ren­der Sprache gibt, die die öffentliche Diskus­sion­skul­tur verz­er­ren, ver­biegen und manch­mal auch vergiften — die Kol­le­gen von Neusprech.org sezieren solche Wörter ja regelmäßig. Wenn man möchte, kann man hier also wahrschein­lich von „Unwörtern“ sprechen (der Duden definiert Unwort als „schlecht, falsch gebildetes, unschönes Wort“ oder als „schlimmes, unange­bracht­es Wort“).

Die „Sprachkri­tis­che Aktion Unwort des Jahres“ hat m.E. eine gemis­chte Erfol­gs­bi­lanz beim Auffind­en solch­er „Unwörter“. Manch­mal wer­den Wörter gewählt, die irgend­je­mand in irgen­deinem obskuren Zusam­men­hang ver­wen­det hat und die ohne die Ausze­ich­nung zum „Unwort des Jahres“ nie­man­dem aufge­fall­en wären (z.B. betrieb­srats­verseucht 2009), manch­mal wer­den Wörter gewählt, deren Unwortcharak­ter darin beste­ht, dass die Jury den iro­nis­chen Unter­ton des Wortes nicht ver­standen hat (z.B. Herd­prämie 2007).

Aber manch­mal hat die Jury auch ein gutes Händ­chen, z.B. als sie 2010 das unselige alter­na­tiv­los der Merkelschen Nicht-Poli­tik zum Sieger kürte. Auch in diesem Jahr hat die Jury ein „schlimmes, unange­bracht­es Wort“ gefun­den: Dön­er-Morde. Dieses Wort war im Prinzip schon in dem Moment unange­focht­en­er Spitzen­re­it­er der Unwörter, als es im Novem­ber 2011 durch eine Pressemel­dung der Gen­er­al­bun­de­san­waltschaft in die Medi­en geriet:

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