Nominiert wurde Masterand von Leser/in kww:
Ich möchte das Wort “Masterand” vorschlagen. Es ist natürlich eine Analogiebildung zu Diplomand, d.h. es bezeichnet jemanden, der an seiner Masterarbeit arbeitet.
Mir ist dieses Wort in diesem Jahr zum ersten Mal und bisher nur in mündlicher Form untergekommen. Nach der Umstellung von den Diplomstudiengängen zu Bachelor/Master-Studiengängen taucht diese Sorte Menschen jetzt zum ersten Mal auf (zumindest in meiner Umgebung). Google zeigt, dass es auch schriftlich vorkommt, vor allem in Stellenanzeigen und da meistens in der Kombination “Diplomand/Masterand”.
Begeben wir uns auf Exkursion und beginnen ein wenig früher.
Der Begriff Master, genau wie der unter augenscheinlicher Verdrängung leidende Magister, geht — wenig überraschend — auf das Lateinische magister zurück (Kluge 1889; Grimmsches Wörterbuch [DWB]). In verkürzter Form wird magister meist als ‘Lehrer, Gelehrter, Meister’ wiedergegeben. Es ist auch verwandt mit dem deutschen Meister und deshalb auch mit allen möglichen Ämtern (Bürgermeister, ursprünglich wohl antonymisch-analog gebildet: Minister); also irgendwie im Wortfeld der Gelehrten und Mächtigen. Der Duden erwähnt gar die morphologische Verwandtschaft zu Magnat [s. ‘Herkunft’, da magis ‘mehr’, als adv. zu magnus, siehe auch magna cum laude, Magna Carta — alles irgendwie Große halt].
Magister (lat.) erfuhr im Deutschen nach der schon in früheren Sprachstadien geklauten lateinischen Bedeutung und Entlehnung Meister im Mittelalter eine weitere, zweite Entlehnung unter Konservierung des lateinischen Begriffs, nämlich eine “von den universitäten seit dem 15. jahrh. ausgehende, mit beibehaltung der gelehrten lateinischen form: magister liberalium artium wurde der in der artisten- (philosophischen) facultät zum range der lehrerschaft erhobene genannt; auch doctoren der theologie hieszen magistri” (DWB).
Immer noch ein Gelehrter (und streitbar Mächtiger), aber eben mit der Bedeutungsschattierung im akademischen Rahmen.
Warum das alles? Weil es im Englischen ähnlich ablief. Also auch hier magister > maystr (in diversen Schreibungen) > master. Schauen wir uns dazu mal eine Auswahl der reichhaltigen Belegsammlung des OED unter dem Stichwort master[1. “master, n.1 and adj.”. OED Online. December 2011. Oxford University Press. 20 January 2012 <http://www.oed.com/viewdictionaryentry/Entry/114751>.] an, wo allerdings die überwältigende Anzahl an Einträgen (Bedeutungen) meine Vorstellungskraft von Wortbedeutungsketten und ‑relationen auf eine herbe Probe stellt — deshalb wirklich Auswahl:
In der Bedeutung als erster Eintrag: ‘Herrscher, Mächtiger, Führer’
Ðonne he gemette ða scylde ðe he stieran scolde, hrædlice he gecyðde ðæt he wæs magister & ealdormonn.
(10. Jhd., King Ælfred, Pastoral Care, Hatton xvii. 117; Übersetzung: van Gelderen 2010: 46)
witodlice he sette him weorca mægstras, þæt hy gehyndon hi mid hefigum byrþenum.
(11. Jhd. Old Eng. Hexateuch: Exod. (Claud.) i. 11)
Heore aȝene pine neure nere þe lesse þah heo meistres weren.
(13. Jhd., MS Lamb. in R. Morris Old Eng. Homilies (1868) 1st Ser. 43)
A kingis prouost may haue na mare power na has his maister.
(15. Jhd., G. Hay Bk. Law of Armys (2005) 103
(Ich bitte um Entschuldigung — meine Altenglischkenntnisse reichen noch nicht aus, um mich in zeitlich vertretbarem Aufwand durch Kasuswindungen und Satzklammern zu friemeln.)
Es folgen 13 Haupteinträge mit einer scrollbalkenatomisierenden Zahl an unter Umständen obsoleten Unterbedeutungen: Manager, Aufseher, Haushaltsvorsteher, Militäroberer, Arbeitgeber, Jemanden-irgendwas-tuend-in-einer-Schule, irgendwas-technisches (master slave), Haustierbesitzer (obächtle! Herrchen!), Sieger einer Schlacht, Jemand-mit-Macht, Freier Mann, être maître, a woman’s huband, Schiffskapitän, Besitzer von irgendwas — vielleicht hätte ich mich auf Online Etymology Dictionary beschränken sollen — Bridgespielkarte, Hauptdokument, Gramophonteil — oha, ab Bedeutung 11: Lehrer, in Komposita auch als Schuldirektor, Lehrmeister, Stil- und Kunstikone — und wenn ich lange genug suchen würde, bestimmt auch noch im Wortfeld des Spaßvogels.
Dreißig Kilometer (es folgen dann noch 10 weitere Einträge und eine Latte an offenbar definitionswürdigen Komposita) später sind wir also bei:
A holder of a senior degree from a university or other academic institution, the degree being originally of a status which conveyed authority to teach at a university. Now usually: the holder of a postgraduate degree below the level of a doctorate.
‘Person mit einem weiterführenden Abschluss einer Universität oder einer anderen akademischen Einrichtung; der Grad befähigte ursprünglich zur Lehre an einer Universität. Jetzt bezeichnet master üblicherweise den/die Träger/in eines postgraduierten Abschlusses unterhalb eines Doktorgrades.’
Bis ins 19. Jahrhundert beschränkte sich master überwiegend auf die Geisteswissenschaften (als Master of Arts oder magister artium), das Doktorat war das Pendant in den anderen Fächern. In dieser Bedeutung ist master erstmals 1380 belegt:
Heyr lyis Ingram of Kethenys prist maystr in arit.
(1380, Proc. Soc. Antiquaries Scotl. (1896) 30 42.)
Nehmen wir die Orthografie als brauchbaren Indikator zur Aussprache, listet der OED eine beeindruckende Liste an Entwicklungsstadien von magister > master:
Altenglisch (bis ca. 11. Jdh.): mægster, magester, magister, mægester, mægister
Im Übergang zu Mittelenglisch (11. Jdh.): mestre, mæstere
Mittelenglisch (12.–14. Jdh.): maȝȝstre, maistere, maistr, maistur, maistyr, maystere, maystir, maystur, maystyr, meister, meistir, meistre, mesteir, meyster, maistir, mayster, maystre, maister,
Spätes Mittelenglisch (15–16 Jhd.): masster, mastur, mastir, mastyr, mastre, master, mastar, muster;
Schottisch (17. Jhd.): maiester, maistere, maisterris (plural)
Eng. Regional (18. Jhd.): maaster (north.), maasther (north.), maestur (west.), maister, maisther (north.), marster (south-east.), mayster, measter, meeaster (north.), mester (north.), mesther (north.), mestur (north.);
Was auffällt: Bereits im Mittelenglischen war das <g> und vermutlich lange davor auch das [ɡ] verschwunden. Außerdem war Mittelenglisch recht nahe am heutigen Meister. Durch Lautverschiebungen und einem intensiven Sprachkontakt mit dem Altnordischen und Französischen (OED), landen wir im Frühneuenglischen (etwa ab 1500) beim master. Man könnte fast sagen: Eine lautliche Entwicklung, die im Deutschen beim Meister und akademisch beim Magister stehengeblieben zu sein schein — die dann vom Bologna-Prozess aber hopplahopp vorangetrieben wurde.*
Kommen wir zum Wesentlichen, sonst steht nachher im Kommentarbereich: “Thema verfehlt!”. Immerhin ist Masterand nominiert und die Feststellung, dass die Englische Sprache im Sprachwandel mal wieder n Zacken flotter war, ist ja auch nicht so neu. Wie der/die Nominierende vermutete, ist Masterand eine analoge Bildung zu Diplomand und Magistrand — also als Bezeichnung für jemanden, der/die gerade kurz vor Erlangung des akademischen Grades steht, also hier dem des Masters. Mit Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse und dem Auslaufen der traditionellen Diplom- und Magisterabschlüsse fehlen uns offenbar auch die Gegenstücke zu diplomieren und magistrieren. Man könnte einwenden, dass magistrieren gar nicht existiert — zugegeben, 255 Treffer sind im Vergleich zu über einer halben Million für diplomieren nicht gerade üppig.
Wozu magistrieren und diplomieren? Das Nominalsuffix -and ist ein Derivationssuffix, das aus Verben auf -ieren die entsprechenden Nomen macht: neben den Diplomanden, Doktoranden und Habilitanden gibt es auch die Probanden, Konfirmanden und Rehabilitanden, in der Mathematik (also unbelebte Entitäten) die Summanden, Multiplikanden, Operanden oder Integranden. Dieses Derivationssuffix gibt es auch in der selteneren Alternative -end: Subtrahend oder Dividend — und aus dem Reich der Akademie natürlich der Promovend.
Die deutlich produktivere Variante ist das Suffixpaar -ant/-ent: auch hier werden Nomen aus -ieren-Verben abgeleitet, allerdings mit einem subtilen semantischen Unterschied: Absolvent, Ministrant, Dirigent, Emigrant, Emitent, Fabrikant, Korrespondent, Demonstrant, Kontrahent oder Querulant bezeichnen Personen, die die Verbhandlung selbst ausführen.
Die -and/-end-Nomen hingegen bezeichnen Personen, die von der Verbhandlung betroffen sind (Canoo.net, Duden.de). Manche qualifizieren sich also über den Ministranten zum Konfirmanden. Darin liegt vielleicht auch eine der Gründe der Konfusion, ob man (selbst) eigentlich promovieren kann oder ob man promoviert wird. (Dies ist mir bisher vor allem von Sprachpflegern vorgehalten worden, weil ich sage: man kann auch *hüstel* selbst promovieren; also sprachlich.) Ergoexkurs: Müsste man nicht sogar eine Unterscheidung zwischen Promovent und Promovend ziehen?
In einem Forumsartikel bei leo.org berichten einige Foristen von ihren Bauchschmerzen beim Wort Masterand (was analog aber auch für Bachelorand gilt): Warum nicht Master-Student? Weil es nicht ausreichend genau ist: Ein Master-Student bezeichnet allgemeiner jemanden, der in einem Masterstudiengang eingeschrieben ist. Der Masterand hingegen spezifiziert den Zeitpunkt des Studiums — kurz vor dem Abschluss.
So suchen bereits viele Unternehmen in Stellenbörsen und ‑anzeigen Masteranden, oft werden derzeit noch Diplomanden angesprochen. Die gesuchten Mitarbeiter werden meist aus technischen Studiengängen rekrutiert, weil sie ihre Abschlussarbeiten häufig als Werkstudierende in den Unternehmen schreiben können. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb Masterand eine recht stattliche Anzahl von Googletreffern erzielt, aber in Trendlisten (z.B GoogleInsights) oder Korpora so gut wie gar nicht auftaucht (weshalb die Nominierung in der Jury sehr skeptisch gesehen wurde) und wohl im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht angekommen zu sein scheint.
Einer der Leo-Foristen merkt an, dass Masterand unsinnig sei, weil — wenn sich Doktorand und Diplomand von Verben auf -ieren ableiten — es gar kein masterieren gäbe. Nun ja, das ist aber auch nicht das Entscheidende: Erstens kann man analog zu diplomieren oder promovieren natürlich masterieren verwenden, um die stressige Phase kurz vor dem akademischen Abschluss zu umschreiben. Zweitens ist auch diplomieren nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern ebenfalls eine Derivation, nämlich von Diplom, dem Abschlussgrad also. So ist der Derivationsprozess Master > masterieren > Masterand quasi implizit. Außerdem finde ich diplomieren persönlich auch nicht so nahe dran am Diplomand, wie beispielsweise promovieren am Doktoranden/Promovenden dran ist — weil bei der Doktorarbeit jeder normalerweise bereits mit dem Aufschlagen des ersten Buches promoviert, also während des gesamten Promotionsstudiums — und nicht erst in der heißen Endphase.
Drittens, und das ist entscheidend, ist die Betrachtung der Bildung von Masterand auf rein morphologisch-formalen Aspekten über die Ableitung masterieren eigentlich eher unspannend. Plausibler ist die Annahme, dass die Bildung auf der Analogie in einem fast identischen, semantischen und konzeptuellen Rahmen beruht, also auf dem Abschlussgrad an sich.
Fazit
Wer es bis hierhin geschafft hat: Herzlichen Glückwunsch! Denn eigentlich ist die vorweggenommene Schlussfolgerung: Kein besonders heißer Kandidat für den Anglizismus des Jahres.
Warum?
Erstens, und vielleicht etwas widersprüchlich für die Kriterien der Wahl, weil die Überlebenswahrscheinlichkeit von Masterand nahezu exorbitant hoch ist — zumindest bis wir Master namentlich durch einen anderen Abschluss ersetzt haben. Masterand wird Diplomand und Magistrand in wenigen Jahren komplett verdrängt haben und der Konventionalisierungseffekt wird auch die Bauchschmerzen heilen. (Die Berufsbezeichnungen Dipl-Ing oder Magister werden mit ihren Trägern/-innen noch etwas überdauern.)
Zweitens, und das finde ich im Endeffekt für einen Kandidaten für den Anglizismus des Jahres zu wenig: Masterand bezieht sich in der Bildung auf einen Abschluss, der jeden Namen tragen könnte (es hat fast Eigennamencharakter). Ergo: Es würde genauso schnell wieder verschwinden. Was noch dazu kommt: Es findet keine wirkliche semantische Differenzierung statt. Also abgesehen von der Tatsache, dass Diplomstudiengänge jetzt Masterstudiengänge sind — und es wirklich eine reine Analogie zu den bestehenden Begriffen ist (durch Austausch). Auch, dass dem Master ein Bachelorgrad vorgeschaltet wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass die Qualen, Pusteln und Stresssituationen die gleichen bleiben.
Drittens: Die einzige wirkliche Bedeutungsdifferenzierung (siehe Nominierungskriterien) befindet sich eigentlich im Wort Master, nicht notwendigerweise im Masterand. Master ist aber entschieden zu alt, um 2011 noch irgendjemanden anglizismentechnisch vom Hocker zu hauen. Deshalb war mein erster Reflex auch eher: Und wo ist der Anglizismus? Master differenziert aber nicht gegenüber Diplom, sondern gegenüber seinem etymologischen Verwandten Meister, also als Grau-Wieder-Re-Übersprungs-Import. Man hätte für Master den Meister im Bildungswesen aus naheliegenden Gründen aber nicht vorschlagen können. Wir vertragen jede Menge Polysemie — aber bei qualifizierenden Bildungs- und Berufsgraden hört die Polysemieverträglichkeit auf fachlicher Grundlage auf. Gut, die Nominierungskriterien lassen auch zu, wenn etwas bis dato umständlich umschrieben werden musste: so ersetzt Masterand die Masterarbeitschreibenden oder gar ganze Phrasen wie die Studierenden, die ihre Masterarbeit schreiben.
Ich finde aber: Das reicht nicht.
Eine letzte Bemerkung, der ich wirklich nicht widerstehen kann: Die Meisternörgler hinter dem Anglizismusindex des VDS finden, dass Master in den Naturwissenschaften ergänzend, für die Geisteswissenschaften aber verdrängend ist — das verstehe im Ungleichschritt der Lexikonentwicklung im Deutschen und Englischen wer will: Gerade in den Geisteswissenschaften wäre der Master doch eine semantisch-verwandte Weiterentwicklung zu Magister. Na, was soll’s.
Oder aber ich hab trotzdem das Thema verfehlt und hätte eigentlich über die Entwicklung von -and/-end aus dem lateinischen Gerundivsuffix -andus sinnieren sollen. Ich setze es mal auf meine lange “irgenwann noch zu bloggen”-Liste.
Spaß gemacht hat’s trotzdem.
–
DWB: Grimm, Jakob und Wilhelm Grimm. 1854–1961. Deutsches Wörterbuch [DWB]. Leipzig 1971. [Online]
Kluge, Friedrich. 1889. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Straßburg: Trübner. [Online].