Anglizismus des Jahres 2011: Shitstorm

Von Kristin Kopf

Ihr habt es auf dem ein oder anderen Weg bes­timmt schon mit­bekom­men: Der Anglizis­mus des Jahres 2011 ist gewählt! Auf den ersten Platz hat es Shit­storm geschafft, zu dem ander­swo schon viel geschrieben wurde (Lau­da­tio, AdJ 2010, AdJ 2011) und das auch der Favorit des Pub­likums war.

Den zweit­en Platz hat Stresstest gemacht (Besprechung im Sprachlog). Das war auch ein­er mein­er Top-3-Kan­di­dat­en (unter uns gesagt, der top­ste davon), und weil bish­er qua­si alle Medi­en meine Begrün­dung dafür bis zur Unken­ntlichkeit verkürzt haben, kriegt Ihr sie hier in voller Länge. Nicht furcht­bar kreativ, aber komplett:

Die Bil­dung gefällt mir beson­ders gut, weil das Wort auf den ersten Blick gar nicht so fremd aussieht: Sowohl Stress als auch Test sind schon lange bestens inte­gri­ert. Dass das Kom­posi­tum, neben älteren Bil­dun­gen, neu entlehnt wurde, wird an der Ver­wen­dung im Sinne von ‘Über­prü­fung der physis­chen Belast­barkeit’ deut­lich. Dabei hat das Sim­pliz­ium Stress diese neue Bedeu­tung (noch) nicht angenom­men, sie bleibt auf das Kom­posi­tum beschränkt.
Ein leicht­es Minus muss das Wort bezüglich der seman­tis­chen Lücke in Kauf nehmen: Den extrem ähn­lichen Belas­tung­stest gab es bere­its. Die Moti­va­tion für die Entlehnung dürfte damit eine andere gewe­sen sein.

Der drit­ten Platz ist mit circeln beset­zt, ein Kan­di­dat, dem ich, ganz ehrlich, gar nichts abgewin­nen kann. Andere schon. Hm, wer weiß, vielle­icht über­rascht er mich ja eines Tages doch noch positiv.

So, das war’s für 2011. Hat Spaß gemacht, war aber auch eine Art ganz per­sön­lich­er Stresstest. Was Euch anbe­langt: Gehet hin und entlehnet neue Kan­di­dat­en für den AdJ 2012!

And the winner is: Shitstorm!

Von Anatol Stefanowitsch

Button für den Anglizismus des Jahres 2011

Im let­zten Jahr haben wir den Shit­storm anfangs noch als Außen­seit­er abge­tan — das Wort selb­st (und auch das Phänomen, das es beze­ich­net) schienen uns zu neu und in der Sprachge­mein­schaft ins­ge­samt zu wenig ver­bre­it­et. Tat­säch­lich lan­dete es in der inter­nen Abstim­mung der Jury dann aber immer­hin doch auf einem respek­tablen fün­ften und in der Pub­likumsab­stim­mung auf dem sech­sten Platz.

Und in diesem Jahr haben es nun sowohl die Jury als auch das Pub­likum zum strahlen­den Sieger gekürt. Was ist das also für ein Wort, und was erk­lärt den Sprung aus dem Mit­telfeld an die Spitze des englis­chen Lehnguts?

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[Anglizismus des Jahres] Publikumsabstimmung

Von Kristin Kopf

Für alle, die’s noch nicht mit­bekom­men haben: Noch bis ein­schließlich 11.2. läuft die Pub­likumsab­stim­mung für den Anglizis­mus des Jahres 2011! Noch sind 16 Wörter im Ren­nen, nämlich

-gate, Bar­camp, circeln, Cloud, Con­tent­farm, Cyberkrieg/-war, Euro-Bonds, Hack­tivism, Hair­cut, Mas­terand, Occu­py, Post-Pri­va­cy, Script­ed Real­i­ty, Shit­storm, Stresstest, Tablet

Ich bin ger­ade dabei, mir für die Juryab­stim­mung eine Mei­n­ung zu bilden und finde es ziem­lich schwierig. Ganz ehrlich: Eigentlich haut mich kein Kan­di­dat so richtig um. Bei eini­gen sehe ich Poten­zial für in ein, zwei Jahren, hmja. Aber mal schauen, zu welchen Erken­nt­nis­sen ich heute Nacht gelange, wenn ich alle Blog­beiträge der Jury noch ein­mal gründlich gele­sen habe.

Scripted Reality [Kandidaten für den Anglizismus des Jahres]

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Script­ed Real­i­ty ist schon zum zweit­en Mal für den Anglizis­mus des Jahres nominiert, und — jet­zt kann ich es ja ver­rat­en — eine Art Favorit der Herzen für mich. Dass es damals nicht auf der Short­list gelandet ist, lag daran, dass es, wie auch ich mir eingeste­hen musste, nicht aus­re­ichend weit in den Sprachge­brauch vorge­drun­gen war. Nur sechs Tre­f­fer lieferte das Deutsche Ref­eren­zko­r­pus sein­erzeit, von denen zu allem Über­fluss 4 von 2009. Auch das Google-News-Archiv lieferte nach mein­er Erin­nerung weniger als 50 Tre­f­fer. Ob das in diesem Jahr anders ist, darauf komme ich gle­ich zurück. Zunächst ein paar Anmerkun­gen zur Bedeu­tung und Geschichte.

Im deutschen Sprachge­brauch beze­ich­net Script­ed Real­i­ty auss­chließlich Fernse­hfor­mate, die so tun, als ob sie das spon­tane Ver­hal­ten ganz nor­maler Men­schen in ihrer alltäglichen Lebenswelt zeigen, denen aber tat­säch­lich mehr oder weniger detail­lierte Drehbüch­er zugrunde liegen. Das Wort bezieht sich vor­rangig auf Pseu­do-Talk­shows (wie „Zwei bei Kall­wass“), Pseu­do-Gerichts- und Polizeishows („Rich­terin Bar­bara Salesch“, „Niedrig und Kuh­nt“), und Pseu­do-Dokus (z.B. „Mit­ten im Leben“ oder „Die Schuler­mit­tler“) aber auch bes­timmte Aspek­te von Sendun­gen wie „Big Broth­er“ oder „Dschun­gel­camp“ fall­en darunter (und wer­den von den authen­tiz­itäts­fix­ierten Fans dieser Sendun­gen dann kon­tro­vers disku­tiert).

Diese Bedeu­tung hat das Wort auch im englis­chen Sprachraum, wo es dann meis­tens in Kom­posi­ta wie script­ed real­i­ty (tele­vi­sion) show/series auftritt. Tat­säch­lich ist das Wort aber älter als die betr­e­f­fend­en Fernse­hfor­mate. Der erste Tre­f­fer, den ich bei Google Books find­en kon­nte, stammt aus einem Werk des Lit­er­atur­wis­senschaftlers Joseph O. Dewey von 1990, in dem er über eine Fig­ur aus Robert Coovers „The Ori­gin of the Brunists“ schreibt. Es han­delt sich um den Her­aus­ge­ber ein­er Lokalzeitung, der seine Auf­gabe darin sieht, die Unord­nung des Welt­geschehens für seine Leser/innen in geord­nete und oft teil­weise fik­tion­al­isierte Erzäh­lun­gen zu ver­pack­en. Als er in ein­er Szene auf eine Frau wartet, mit der er sich zu einem roman­tis­chen Tre­f­fen verabre­det hat, begin­nt er, den Ver­lauf des Abends vor­ab aufzuschreiben. Dewey beschreibt das so:

In a ludi­crous moment that nev­er­the­less points up his rad­i­cal depen­dence on script­ed real­i­ty, he decides, “Bet­ter write it out.…” [Joseph Dewey, In a Dark Time, 1990]

Auch die Tre­f­fer in den fol­gen­den Jahren beziehen sich auf die „script­ed real­i­ty“ von lit­er­arischen Tex­ten. Die erste in Ver­wen­dung im Google-Books-Archiv, die der deutschen Bedeu­tung entspricht, ist laut Google von 2003, aber tat­säch­lich von 2005:

Most­ly, the Amer­i­can tele­vi­sion cov­er­age of the Iraq inva­sion in spring 2003 was akin to script­ed “real­i­ty TV,” start­ing with care­ful screen­ing of par­tic­i­pants. [Fair­ness & Accu­ra­cy in Report­ing, Juli/August 2005, vgl. Google Books]

Im Google-News-Archiv find­et sich das Wort schon seit 2001 in dieser Bedeu­tung, ein früher Tre­f­fer ist dieser:

Affleck and Damon also are devel­op­ing ABC’s Push, Neva­da, a script­ed real­i­ty series in which view­ers join a quest for a hid­den pile of cash. [USA Today, 24.7.2001]

Was das Wort script­ed real­i­ty show für mich inter­es­sant macht, ist seine Dop­peldeutigkeit: Da es sich um ein Kom­posi­tum aus einem Adjek­tiv und zwei Sub­stan­tiv­en han­delt, gibt es zwei mögliche Wort­struk­turen, mit zwei leicht unter­schiedlichen Interpretationen.

Syntaktische Analyse des Wortes Scripted Reality Show

Syn­tak­tis­che Analyse des Wortes Script­ed Real­i­ty Show

Entwed­er, es han­delt sich um eine real­i­ty show, die nach Drehbuch (also script­ed) pro­duziert wird (siehe Abbil­dung (a)); so war das Wort ursprünglich gemeint, was man auch an der Set­zung der Anführungsze­ichen im Zitat von 2005 sieht. Das Wort script­ed bezieht sich hier auf show, was nur deshalb zu einem leicht­en seman­tis­chen Wider­spruch führt, weil diese show gle­ichzeit­ig die Real­ität zeigen soll. Oder, es han­delt sich um eine show, die eine script­ed real­i­ty zeigt (siehe Abbil­dung (b)). Hier wäre es die Real­ität selb­st, die nach Drehbuch abläuft — das führt zu einem grundle­gen­den Wider­spruch, denn die Real­ität läuft ja unser­er Vorstel­lung nach spon­tan und unge­plant ab. Die zweite Inter­pre­ta­tion schließt damit den Kreis zum lit­er­atur­wis­senschaftlichen Ursprung des Wortes (und in der Lit­er­atur­wis­senschaft weiß man natür­lich schon lange, dass es bezüglich der Ge-script­ed-heit besten­falls einen gradu­ellen Unter­schied zwis­chen der Kun­st und dem echt­en Leben gibt).

Im Englis­chen wird inzwis­chen häu­fig ein­fach nur von script­ed real­i­ty gesprochen, wenn das Fernse­hfor­mat gemeint ist — diese Inter­pre­ta­tion hat also die ursprüngliche ver­drängt. Im Deutschen war das sog­ar von Anfang an die bevorzugte Inter­pre­ta­tion. Der erste deutsche Tre­f­fer im Google-News-Archiv aus dem Jahr 2004 ver­wen­det den Begriff in dieser Form:

Für Ara­bel­la unan­genehm: Sie muss ihre Prinzip­i­en über Bord wer­fen. Denn in ihrer neuen Show wird ein Gast ein Geständ­nis able­gen, der andere Gast hin­ter ein­er Tren­nwand lauschen. Das Prob­lem: Kein­er der bei­den ist echt, sie sind Laien­darsteller, die sich wegen eines erfun­de­nen Kon­flik­ts in die Wolle kriegen. „Script­ed Real­i­ty“ nen­nen die Experten die neue, beson­ders bei Nach­mit­tagsshows ver­bre­it­ete Form der Dra­maturgie. Der Zuschauer find­et mit­tler­weile die erfun­de­nen Sto­rys span­nen­der und mag keine nor­malen Talks mehr. [Stern.de, 3.6.2004]

Und der erste deutsche Tre­f­fer auf Google Books aus dem Jahr 2005 (auch dieser übri­gens mit Bezug auf Ara­bel­la Kies­bauer), ver­wen­det das drei­gliedrige Kom­posi­tum Script­ed-Real­i­ty-Sendung und die Set­zung der Anführungsze­ichen zeigt deut­lich, dass hier die Inter­pre­ta­tion aus Abbil­dung (b) zugrunde gelegt wird:

Charak­ter­is­tisch hier­für ist der alltägliche Müll an „scripted-reality“-Sendungen, in denen echte Mod­er­a­torin­nen mod­erieren, echte Psy­chologin­nen ther­a­pieren, echte Richter urteilen, „aber ihre Fälle sind nicht nur fik­tiv, son­dern absurd“. [Link]

Das Wort Script­ed Real­i­ty oder [Script­ed Reality]-Sendung/Format/Show erin­nert uns so bei jed­er Ver­wen­dung an die Tat­sache, dass die Script­ed-Real­i­ty-Show nur ein Extrem­fall dessen ist, was einen großen Teil unser­er Real­ität aus­macht: Ein Abspulen vordefiniert­er kul­tureller Skripte, ein Leben, das ständig ver­sucht, sich nach medi­alen Vor­la­gen zu gestal­ten. Die Script­ed-Real­i­ty-Show ist nicht ungewöhn­lich, weil sie eine nur schein­bar authen­tis­che Real­ität zeigt — wir sind ungewöhn­lich, weil wir unsere Real­ität tat­säch­lich für authen­tisch halten.

Abschließend die Frage nach der Häu­figkeit. Das Wort Script­ed Real­i­ty ist sich­er noch nicht im sprach­lichen All­t­ag ein­er Mehrheit angekom­men, aber es hat einen deut­lichen Häu­figkeitssprung gemacht: Vor 2009 find­en sich nur vere­inzelte Tre­f­fer im Google-News-Archiv, 2009 waren es dann acht, 2010 fünzig, und im let­zten Jahr vervier­fachte sich die Tre­f­fer­menge auf 222. Damit gehört es für mich klar in die Endrunde. Allein im Jan­u­ar 2012 gab es übri­gens schon über vierzig Tre­f­fer, ein Hin­weis darauf, dass das Wort immer noch im Kom­men ist.

Wenn es dies­mal wieder leer aus­ge­ht, hat es gute Aus­sicht­en, es im näch­sten Jahr noch ein­mal zu ver­suchen. Und da auch der Anglizis­mus des Jahres einem Skript fol­gt — näm­lich dem von Sportereignis­sen, Cast­ing­shows und anderen insze­nierten Wet­tbe­wer­ben, werde ich dann alles tun, um es zu ein­er Art Menderes unser­er Wörter­wahl hochzustil­isieren, ein Wort, dessen größte Sehn­sucht es ist, ein­mal den begehrten Titel zu tra­gen, und das sich die Erfül­lung dieser Sehn­sucht allein durch seine Behar­rlichkeit ver­di­ent hat.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

[AdJ 2011] Der Kreisläufer: circlen

Von Susanne Flach

Für diesen Kan­di­dat­en eigne ich mich vielle­icht ganz gut: Ich habe zwar ein Kon­to bei Google+, weil ich nach aus­bleiben­den Ein­ladun­gen ganz stolz war, dass ich mich selb­st anmelden kon­nte. Ich bin aber in keinem seine oder ihre Kreise, habe noch nie­man­den eingekreist (haka!) und nutze Google+ nur dann zur kurzfristi­gen Egopflege, wenn ein Link auf meine Seite geht. Ich bin also irgend­wie unvor­ein­genom­men, was cir­clen ange­ht — in die eine, wie in die andere Rich­tung. Dafür müssen Sie mir im Umkehrschluss die eine oder andere Unge­nauigkeit zu tech­nis­chen Funk­tio­nen bei Google+ nach­se­hen, ja?

Die Nominierung für cir­clen kommt von Hannes:

Ich schlage “cir­clen” vor. Es umschreibt das “einkreisen” ein­er Per­son in einen virtuellen Per­so­n­enkreis auf Google+ – http://www.plus.google.com. Damit rei­ht es sich her­vor­ra­gend in die bere­its seit Jahren übliche Ver­wen­dung von anglo-amerikanis­chen Web2.0‑Begriffen, wie z.B. “liken” oder “sharen”.

(ver­wen­det in vie­len Blogs und Beiträ­gen in und um G+, z.B. hier.)

impala sieht die Nominierung skep­tisch und meint:

cir­clen habe ich noch nie gehört und ich habe sog­ar einen Account bei google+. Eine kurze Google-Recherche bestätigt meinen Ver­dacht, dass das Wort so gut wie nicht gebraucht wird.

Dass alle Nominierun­gen mehr oder weniger vom Risiko des “kenn ich nicht!” bedro­ht sind, liegt in der Natur der Sache, den Nominierungskri­te­rien und ein­er gewis­sen nicht-gese­henen Sub­jek­tiv­ität. So antwortet Jan dementsprechend:

Ich benutze das Wort cir­clen und lese es auch häufig.

Das inspiri­erte impala wiederum zu ein­er Suche:

Wenn Sie via Google auf deutschen Web­seit­en nach dem Wort cir­clen suchen, erhal­ten Sie unge­fähr 5.120 Ergeb­nisse, wovon einige auch Dateina­men wie “cir­cleN” sind. Die tat­säch­liche Zahl ist also niedriger. Natür­lich schließt diese Suche Flex­ions­for­men des Wortes aus, aber selb­st wenn man nach diesen sucht und sie mit leak­en oder liken ver­gle­icht, wird deut­lich, dass das Wort kaum Ein­gang in den all­ge­meinen Sprachge­brauch gefun­den hat:

leak­en: ca. 99.000
liken: ca. 1.350.000 (hier sind allerd­ings viele Wörter­buchein­träge mit­gezählt sowie Eigen­na­men etc.)
cir­clen: ca. 5.120

geleakt (oder in Mischorthogra­phie geleaked): 458.000 (354.000)
gelikt (oder in Mischorthogra­phie geliked): 6.550 (109.000)
gecircelt (oder gecir­clet oder gecir­cled): 1.170 (320; 494)

Die Zahlen sprechen glaube ich für sich.

Tun sie das?

Nein. Aber begin­nen wir am Anfang.

Das Wort

cir­clen im Deutschen ist ein Lehn­verb und eine Ein­bürgerung von to cir­cle auf Google+-Basis. Es beze­ich­net in diesem Net­zw­erk das Hinzufü­gen ein­er anderen Per­son zu den eige­nen “Kreisen” (engl. cir­cles), welche man the­ma­tisch, also etwa nach Fre­un­den, Geschäftspart­nern, Kol­le­gen oder wie auch immer anord­nen kann. Im Unter­schied zu Face­book muss dieses Hinzufü­gen nicht auf Gegen­seit­igkeit beruhen (Face­book ver­fol­gt sei­ther ja eine ähn­liche Strate­gie mit ein­er Time­line-ähn­lichen Funk­tion, sub­scribe). Dann kann man seine Inhalte nur für bes­timmte Kreise sicht­bar machen. Fast wie im echt­en Leben, also wenn man an so Sprüche denke wie in gewis­sen Kreisen spricht man schon über

Circeln (v.) ist also eine Deriva­tion von Cir­cles (n.) — im Englis­chen war’s eine Kon­ver­sion: cir­cle > to cir­cle. Wo kommt’s her? Das hab ich mich natür­lich gefragt — und hab mal wieder beim OED vor­beige­se­hen, weil ich wis­sen wollte, ob die Bedeu­tung von “in gewis­sen Kreisen” auch im Englis­chen von cir­cle (n.) abgedeckt ist. Das kön­nte hier aber ähn­lich unüber­sichtlich wer­den, wie bei mas­ter. Offen­bar eignet sich die Kreis-Meta­pher für sehr, sehr viel ver­sprach­lich­bare Wahrnehmung. Um die Geschichte abzukürzen — ja, tut es:

21.a.
A num­ber of per­sons unit­ed by acquain­tance, com­mon sen­ti­ments, inter­ests, etc.; a ‘set’ or coterie; a class or divi­sion of soci­ety, con­sist­ing of per­sons who asso­ciate together.

[Eine Gruppe von Per­so­n­en, die durch Bekan­ntschaft, gemein­same Ansicht­en, Inter­essen etc. ver­bun­den ist, ‘[Kreise]’ oder Seilschaften, eine gesellschaftliche Klasse oder Ein­heit, die zusam­men gehört.]

Der Ursprung wird hier sowohl mit ger­man­isch angegeben, von cir­cul (Altenglisch, Astronomie), als auch mit lateinisch-roman­isch, cir­cu­lus (lat.) und cer­cle (fr.). Bei uns gibt es das Kog­nat als zirk­il schon im Althochdeutschen im 9. Jahrhun­dert als Instru­ment fürs Kreis­malen. Die Bedeu­tung des Per­so­n­enkreis­es war im 18. Jahrhun­dert bei uns gar ein Gal­lizis­mus (für alles: Ety­molo­gieein­trag im DWDS, Zirkel, nach Pfeifer):

Die Bedeu­tung ‘zu Gesel­ligkeit oder zur Wahrnehmung gemein­samer Inter­essen sich ver­sam­mel­nde Men­schen­gruppe’ (1. Hälfte 18. Jh.) ste­ht unter dem Ein­fluß von frz. cer­cle ‘in einem Salon ver­sam­melte Per­so­n­en, Klub, Vere­ini­gung Gle­ich­gesin­nter’ (zunächst ‘um den König oder die Köni­gin ver­sam­melter Kreis von Ver­traut­en’, aus lat. cir­cu­lus im Sinne von ‘Per­so­n­enkreis, Gruppe’), das selb­st Ende des 18. Jhs. in der Form Cer­cle über­nom­men und zeitweilig (bis ins 19. Jh.) neben Zirkel gebraucht wird. Dieses lebt in neuester Zeit vor allem als ‘Kreis von Ler­nen­den, Lehrgang, Kur­sus’ (19. Jh.) weiter.

Aus­gang dieser Über­legun­gen und des Exkurs­es war näm­lich die Tat­sache, dass ich Cir­cel in genau dieser Schreib­weise und in der Bedeu­tung ‘gesellschaftlich­er Kreise’ im Zeitungsko­r­pus (bei Cos­mas II) aus dem Jahr 1996 fand, als ich nach circ*suchte:

Tat­säch­lich fand die UNO-Men­schen­rechts­beauf­tragte für Bosnien, die frühere finnis­che Vertei­di­gungsmin­is­terin Elis­a­beth Rehn, gestern in Wiener Circeln auf­fal­l­end mod­er­ate Vertei­di­gungsworte für die Ser­ben[.] (Oberöster­re­ichis­che Nachricht­en, X96/JUL.12685)

Aber jet­zt scheint man in gewis­sen Circeln unseres Außen­min­is­teri­ums so arro­gant zu sein, daß man die Tirol­er Lan­despoli­tik, die bish­er let­ztlich, zumin­d­est was Südtirol bet­rifft, mit der Außen­poli­tik des Bun­des übere­in­stimmte, ver­höh­nen darf, indem man ein­fach auf die Schutz­macht­funk­tion unser­er Repub­lik für Südtirol verzichtet (oder vergißt?). (Die Presse, P96/MAR.12830)

Ins­ge­samt gibt es drei Belege aus den Oberöster­re­ichis­chen Nachricht­en und den einen aus Die Presse, was mich zu der Annahme ver­leit­ete, es han­dele sich um einen Aus­tri­azis­mus, aber ver­mut­lich nur in der Schreib­weise. Belege aus der deutschen Presse sind zahlre­ich, nur eben mit Zirkel(n), ein Beleg soll mal genü­gen (z.B. aus dem Kernko­r­pus, DWDS):

Das ius san­gui­nis, das Abstam­mung­sprinzip, war kein Code­wort elitär­er Zirkel, es offen­barte sich langfristig auch in (fast) jed­er Zeitung. (27.09.1996, Die Zeit)

So, jet­zt sind wir beim Verb. Da ist es natür­lich etwas kom­pliziert­er — das ‘direk­te’ Kog­nat von to cir­cle, zirkeln beschränkt sich über­wiegend auf:

zirkeln Vb. ‘mit dem Zirkel zeich­nen, abmessen’ (älter auch ‘kreisen, sich drehen’), über­tra­gen ‘mit Sorgfalt und Genauigkeit abmessen, entwer­fen, ausar­beit­en’, mhd. zirkeln ‘mit dem Zirkel messen, nach dem Zirkel­maß ver­fer­ti­gen’ (spätmhd. auch ‘als Wache die Runde machen’);  (DWDS, Zirkel)

Man ken­nt zirkeln ja noch aus dem Fußball­sprech: Er zirkelt den Freis­toß um die Mauer, in sowas wie gezirkelte Spitzfind­igkeit­en (DWDS) oder vom Zirkel­train­ing (als Nomen). Die direk­te Verbindung zu (ein)kreisen, dem ‘erweit­erten’ Kog­nat von to (en)circle, ist es also nicht. Oder anders: wir dif­feren­zieren an dieser Stelle. Aber die ganze seman­tis­che Verbindung ist natür­lich gegeben mit diesen ganzen Kreisen überall.

Wem noch nicht schwindlig ist: cir­clen kommt zu uns und bringt also prak­tis­chw­er­weise Dif­feren­zierungspo­ten­tial mit. Anders als bei den meis­ten bish­eri­gen Kan­di­dat­en, die hier bei mir disku­tiert wur­den, eignet sich circeln her­vor­a­gend dazu, das abzudeck­en, was wed­er die Kog­nate kreisen, einkreisen und schon gar nicht zirkeln leis­ten kön­nen. Zwar kam auch erst mit Google+ das Konzept von “meinen Kreisen im Netz” wirk­lich definiert und tech­nisch konzen­tri­ert auf den Bild­schirm oder war vorher je nach Net­zw­erk mit adden oder frien­den dem Net­zw­erk entsprechend gut abgedeckt — aber ich würde mal sagen: Kri­teri­um erfüllt. Und anders als Kristin für adden fest­gestellt hat (“hat 2011 nichts Beson­deres geleis­tet”), hat cir­clen ein­fach die Gnade der 2011er-Geburt.

Die Aktualität

Google+ startete im Juni 2011. Ende der Durchsage.

Die Verbreitung und Integration

So, zum Schluss kom­men wir zum Kri­tikpunkt der man­gel­nden Ver­bre­itung zurück, den AdJ-Leser/-in impala geäußert hat­te: Das Wort sei zu sel­ten. Ich denke, hier müssen wir aber cir­clen gegenüber fair bleiben.

Die nak­ten Zahlen, die impala anführt, sagen näm­lich lediglich erst­mal, dass leak­en bzw. Wik­ileaks — obäch­tle! — weit­ere Kreise gezo­gen hat und leak­en natür­lich viel all­ge­mein­er auf mehrere Kon­texte anwend­bar ist. Außer­dem sollte man nicht vergessen, dass cir­clen bish­er nur ein halbes Jahr Zeit hat­te, sich zu etablieren — wenn man dann noch die Suchan­frage für leak­en und seine flek­tierten For­men auf 2010 beschränkt, wer­den auch dort die Ergeb­niszahlen geringer. Natür­lich ist es richtig, dass gecir­clet/-d nicht auf ähn­liche Zahlen kom­men kann, wie leak­en. Das hat auch noch einen Anwen­dungs­grund: Bei Wik­ileaks ging es näm­lich um das Leak­en an sich, bei Google+ aber nicht ums cir­clen, son­dern mehr um die Poten­tiale des neuen Netzwerks.

Trotz dieser Über­legun­gen: die Zahlen sind gar nicht so mau, wie impala sie gefun­den hat. Er/sie schreibt, dass die Tre­f­fer “auf deutschen Web­seit­en” gefun­den wur­den, ver­mut­lich mit der Anfrage site:de. Das ist aber wom­öglich der falsche Ansatz. Unter der Annahme, dass gecircelt/gecirclet/gecirceld/gecircled mor­phol­o­gisch durch das Par­tizip Prä­fix ge- recht zuver­läs­sig auf eine deutschsprachige Tex­tumge­bung hin­weist, weit­en wir die Suche auf alles von Google aus. Und siehe da: Allein auf der ersten Ergeb­nis­seite kamen bei drei Stich­proben in ver­schiede­nen Schreib­weisen etwa 8 von 10 Tre­f­fern von anderen Toplevel­do­mains (.fm, .com), davon meist gut die Hälfte direkt aus Google+ selb­st (.com).

Die Nieder­län­der kom­men uns mit ein­er ähn­lichen Mor­pholo­gie in die Quere (stich­probe­nar­tig über­prüft für eine .nl-Suche z.B. 4 Tre­f­fer für gecircelt und 39 für gecir­cled). Das ist natür­lich die Apfel-Bir­nen-Saga, zeigt uns aber, dass nieder­ländis­che Tre­f­fer nicht aus­re­ichend aus den .com-Tre­f­fern raus­ge­filtert wer­den kön­nen. Aber für einen Ein­blick in die Häu­figkeit und Ver­bre­itung von cir­clen muss es halt schlicht reichen (Trust Google search­es with a pinch of salt). Eine all­ge­meine Anfrage und eine mit den flek­tierten For­men löst übri­gens auch das Prob­lem der Grafik­endung cirleN, das zumin­d­est so häu­fig oder beliebt zu sein scheint, dass sie schon die ersten Tre­f­fer­seit­en verdünnt.

So kom­men wir auf fol­gende Näherungswerte (Gesamt-Google, gesamter Zeitraum):

  • gecircelt: 9,030
  • gecir­cled: 4,890
  • gecirceld: 1,130
  • gecir­clet: 400

Näherungsergeb­nisse für circlen/circeln (hier aber site:de, 28.06.–31.12.2011):

  • cir­clen: 15,300
  • circeln: 61

Hier sind wie immer die absoluten Zahlen nicht so entschei­dend, son­dern die Ver­hält­nisse zwis­chen den Vari­anten. Und da zeigt sich mein­er Mei­n­ung nach enorm Erstaunlich­es: der Infini­tiv ist orthografisch ein­deutig die englis­che Vari­ante cir­clen. Beim Par­tizip kristallisieren sich bei vier möglichen zwei mehr oder weniger konkur­ren­zfreudi­ge Alter­na­tiv­en her­aus: gecircelt und gecir­cled. Dabei ist gecircelt gle­ich dop­pelt einge­bürg­ert (-el und -t), gecir­cled behält die nativ-englis­che Schrei­bung für -le und das englis­che Par­tizip­mor­phem -d. Also: Inte­gra­tion ganz oder gar nicht! Derzeit liegt hier die deutsche Orthografie vorn, die sich ver­mut­lich auch noch weit­er etablieren wird. Was im Ver­gle­ich dazu aber erstaunlich ist, ist die deut­liche Präferenz für den orthografis­chen englis­chen Infini­tiv. Will sich jemand an ein­er Erk­lärung versuchen?

(Das Prob­lem ist aber all­ge­mein, dass bei den Par­tizip­i­en für den Zeitraum seit der Grün­dung von Google+ bis Jahre­sende z.B. für gecircelt gar keine Ergeb­nisse aufge­wor­fen wer­den (?!?), mir unerk­lär­lich. Man darf also die Infini­tiv-Gruppe nicht mit der Par­tizip-Gruppe ver­gle­ichen, da sie sich auf andere Zeiträume beziehen und mit unter­schiedlichen Ein­schränkun­gen auf Toplevel­do­mains gefun­den wur­den. Ver­gle­iche sind also nur inner­halb der Grup­pen “möglich”. Für den Rest ver­ste­he ich Google­suchen manch­mal eh nicht.)

Fazit

Ist aus­sicht­sre­ich dabei, defin­i­tiv. Auch wenn ich Google+ bish­er fast nur von But­tons auf Seit­en kenne. Ich finde die Re-Re-Inte­gra­tion der ent­fer­n­ten und ent­fremde­ten Ver­wandtschaft ohne­hin faszinierend (die Kog­natskreisläufe sind so toll!). Zwar ist cir­clen ver­mut­lich solange auf Google+-Kontexte beschränkt, wie nur Google+ mit solchen Kreisen operiert. Aber ich finde die Möglichkeit der Abbil­dung des gesellschaftlichen Kon­struk­ts der Kreise auf die Onlinewelt faszinierend, auch sprach­lich — und sie hat Poten­tial. Mit cir­clen haben wir dafür also ein Wort über­nom­men, was ganz aus­geze­ich­net dif­feren­ziert — denn mal ehrlich: Wür­den Sie Ihre Fre­unde wirk­lich einkreisen wollen?

[AdJ 2011] Content farmen auf Contentfarmen

Von Susanne Flach

Die Nominierung von Con­tent­farm ging von Leserin Simone ein:

Ich möchte “Con­tent­farm” nominieren.

Nomin­ertes Wort: Con­tent­farm (auch Con­tent-Farm oder Con­tent Farm)
Beleg: z.B. http://www.zeit.de/digital/internet/2011–03/google-algorithmus
Begrün­dung: Das Wort ist mir in diesem Jahr ersten Mal aufge­fall­en Ich habe auch einige ältere Beispiele gefun­den, aber ich meine, häu­figer ist es erst durch die Berichte über den Verkauf von Huff­in­g­ton Post an AOL und durch Googles neuen Algo­rith­mus gewor­den. Es ist ein Wort, das den schwinden­den Stel­len­wert von Tex­ten und Kreativ­ität im Inter­net deut­lich macht.

Nun denn.

Das Wort

Con­tent­farm (auch in der Schrei­bung Con­tent Farm oder Con­tent-Farm, wie Simone bere­its ange­merkt hat), ist ein hunds­gewöhn­lich­es Kom­posi­tum mit metapho­rischem Gus­to — der Kopf, farm, beze­ich­net im pro­to­typ­is­chen Sinn einen land­wirtschaftlichen Pro­duk­tions­be­trieb, stre­it­bar­erweise ist damit meist ein­er außer­halb Deutsch­lands gemeint. (das leg­en die ersten 50 Tre­f­fer ein­er schnellen KWIC*-Suche im DWDS nahe). Der Mod­i­fika­tor Con­tent wird vom Duden so definiert: “qual­i­fiziert­er Inhalt, Infor­ma­tion­s­ge­halt beson­ders von Websites”.

Also davon abge­se­hen, dass mir nicht völ­lig klar ist, was der Duden mit “qual­i­fiziertem Inhalt” meint, beze­ich­net Con­tent also recht bre­it den Inhalt im dig­i­tal­en Raum mit einem Fokus auf Infor­ma­tion, also weniger soziale Kom­mu­nika­tion in Foren oder Net­zw­erken. Für einen so all­ge­mein genutzten Begriff wie Con­tent hat der Duden mit sechs Wörtern aber ganz gute Arbeit geleis­tet. Dort, wo solche Infor­ma­tion­sin­halte wie am Fließband pro­duziert wer­den, haben wir eine Con­tent­farm: eine Beze­ich­nung für Web­di­en­ste, die in beson­derem Maße Inhalt zur Ver­fü­gung stellen (also, hm, ‘anbauen’ im über­tra­ge­nen Sinne). Die Frage wäre jet­zt nur, welche Art Inhalt da pro­duziert wird: Denn nicht jede Seite, jede Zeitung oder jedes Infor­ma­tion­sportal ist eine Con­tent­farm.

Nun ist es richtig, dass Inhalts­bauern­hof irgend­wie schon reich­lich daneben liegen würde — weil Con­tent im deutschen Web-Jar­gon längst angekom­men ist (ste­ht ja schon im Duden). Als Con­tent­farm wer­den beson­ders die Ange­bote beze­ich­net, die zur Gener­ierung von Seit­e­naufrufen rel­a­tiv gehalt­lose Texte pro­duzieren, die beson­ders viele Schlag­wörter zu einem The­ma enthal­ten. Das ist grund­sät­zlich ein gängiges Vorge­hen, um die eige­nen kom­merziellen Webange­bote in Such­maschi­nen bess­er zu platzieren. Es soll Nutzer/-innen schneller zur gewün­schen Infor­ma­tion führen. Das nen­nt sich SEO (Search Engine Opti­miza­tion). Con­tent­far­men gehen aber einen Schritt weit­er und pro­duzieren in schnell­ster Abfolge und ohne wirk­lichen Gehalt bil­lige Texte, um Klicks zu gener­ieren, die wiederum auf passend einge­fügte Wer­bung führen soll. Alter­na­tiv gibt es auch den Aus­druck Con­tent­mill (Con­tentmüh­le), der die Meta­pher mit der schnellen Pro­duk­tion noch verstärkt.

So gese­hen hat Con­tent in Con­tent­farm sog­ar eine leicht euphemistis­che Note.

Mir ist bei der Recherche näm­lich schnell aufge­fall­en, dass Con­tent­farm — obwohl recht neu­tral definiert — offen­bar eine ordentlich neg­a­tive Kon­no­ta­tion aufweist:

eine kleine Richtig­stel­lung: content.de ist keine Con­tent­farm. Wir stellen wed­er eige­nen Con­tent ins Netz noch beauf­tra­gen wir sel­ber Con­tent um diesen dann Paketweise an “Con­tent­farmer” zu verkaufen. Der an andere Stelle auch schon gehörte Ver­gle­ich mit Demand Media & Co. passt dem­nach nicht, da unser Geschäftsmod­ell grundle­gend anders funk­tion­iert. [Link]

Als „Con­tent-Farm“ wird eine Seite beze­ich­net, die die Funk­tion hat, durch eine große Anzahl qual­i­ta­tiv min­der­w­er­tiger und inhaltlich anspruch­slos­er Texte möglichst viel Such­maschi­nen­traf­fic abzu­greifen. [Link]

Mehr Profikiller braucht das Land – Die schmud­delige Real­ität der Con­tent-Far­men. [Link]

Eine Kol­loka­tion­s­analyse würde ver­mut­lich sehr schnell ans Licht brin­gen, dass Con­tent­farm im Sprachge­brauch über­wiegend mit neg­a­tiv-kon­notierten Adjek­tiv­en und in wenig schme­ichel­haften Kon­tex­ten auf­taucht: schmud­delig, Trash, min­der­w­er­tig, anspruch­s­los, ober­fläch­lich, schlecht recher­chiert oder “wir wollen nicht mit dem Schwarzen Schaf (Branchen­primus) ver­glichen wer­den, wir sind anders” (s.o.). Eine solche Analyse ist natür­lich nur ober­fläch­lich recherchiert.

Wer Zweifel daran hat, dass es sich tat­säch­lich um wenig gehaltvolle Texte han­delt, darf sich hier dern das WTF des Tages abholen: wie man ein Geschenk ein­packt, Sprüche zum XX. Geburt­stag, ‘Ideen für die Geburt­stagspar­ty ein­er 13jährigen im Jan­u­ar’ oder Wie schreibt man einen roman­tis­chen Liebes­brief?. Aus der taz ist über­liefert, dass ein Anbi­eter auch das große und lange sehr gut gehütete Geheim­nis ver­rät, wie man sein Alter aus­rech­nen kann, wenn man sein Geburt­s­jahr und einen Taschen­rech­n­er parat hat.

Wir sehen, worauf es hin­aus­läuft: In den Tex­ten sind die Schlag­wörter in so schmerzhaft großer Dosierung und unge­lenken Kom­bi­na­tio­nen unterge­bracht, dass einem fast schlecht wird und man nicht glauben möchte, dass das jemand liest oder lesen muss. Man kön­nte natür­lich tol­er­ant anmerken, dass es sich in hier um Tipps und eine Art Lebens­ber­atung (Jaha!) han­delt und es dur­chaus Men­schen geben kön­nte, die damit was anfan­gen kön­nen. Aber ich glaube, die Dinger richt­en mehr Schaden an, fürchte ich (wenn es um rechtlich rel­e­vante The­men geht). Just my two cents, sub­jek­tiv gesprochen.

Simone hat in ihrer Nominierungs­be­grün­dung den Nagel schon ganz gut getrof­fen, vielle­icht nicht voll. Von Con­tent­far­men zu sprechen stellt eigentlich nicht den Stel­len­wert von Tex­ten und Kreativ­ität im Netz per se in Frage — die Kol­loka­tio­nen und Diskus­sio­nen bele­gen, dass da sehr strikt dif­feren­ziert wird. Mit Con­tent­farm wer­den ja erst genau die speziellen Trash­texte beze­ich­net, die es vorher in der Masse und Gehalt­losigkeit sel­tener gab (zumin­d­est nicht mit einem ein­deutig kom­merziellen Inter­esse) — so ist es im Grunde keine beson­ders nenneswerte Beze­ich­nung für etwas, was wir vorher umständlich umschreiben mussten (ein Teilkri­teri­um für die Wahl). Dies kön­nte sich in Zukun­ft natür­lich ändern, wobei ich an dieser Prog­nose kri­tisieren würde, dass der Kom­posi­tumkopf Farm hier die Gen­er­al­isierung und Über­tra­gung auf generelle Trash­in­halte block­ieren kön­nte. Diese Block­ade kön­nte von Con­tent­mill eher geris­sen wer­den. Was Con­tent­farm aber zweifel­s­los mib­ringt ist eine euphemistis­che Bedeu­tungsver­schiebung von Con­tent. Wom­it ich natür­lich alle Nicht-Con­tent­farm-Inhalte automa­tisch für beson­ders gehaltvoll hal­ten würde. Sei’s drum.

Die Aktualität

Keine Frage, es liegt wohl an der Anküngi­gung von Google aus dem Jan­u­ar 2011, Con­tent­far­men ent­ge­gen zu wirken (Google selb­st beze­ich­net es als Such­maschi­nenspam). So find­et man im Jan­u­ar, Feb­ru­ar und nochmal im August vere­inzelt Medi­en­berichte darüber (die taz nen­nt Con­tent­far­men in ihrem Artikel übri­gens Inhal­te­farm). Die Aktu­al­ität liegt natür­lich auch in der Zunahme von Con­tent im Inter­net und der gestiege­nen Bedeu­tung von Such­maschi­nen­rank­ings. So als Über­legung. Mehr dazu auch in der Diskus­sion um…

Die Verbreitung

Deut­lich zu wenig für einen ern­sthaften Anwärter auf den Anglizis­mus des Jahres. Im DeReKo find­et sich das Wort gar nicht, egal in welch­er Schreib­weise (Con­tent allein: über 1000 Tre­f­fer). Bei GoogleIn­sights ist auch nur ein ungewöhn­lich­er Auss­chlag im Feb­ru­ar 2011 zu verze­ich­nen (zwei Tre­f­fer), anson­sten bleibt die Liste leer, da zu wenige Anfra­gen verze­ich­net wer­den. Bei Google­News wird man 2011 mit 2 Tre­f­fern für con­tent­farm und mit ins­ge­samt 5 für con­tent farm/con­tent-farm fündig. Das ist gegenüber 2012 ein Anstieg von 2 bzw. 4 Tre­f­fern. Irgend­wie steil nach oben, aber irgend­wie auch, äh, von gaa­haaanz unten. Ergo: das reicht derzeit lei­der nur für eine Dis­qual­i­fika­tion, zumin­d­est für die Wahl 2011.

[Achtung! Im Laufe der let­zten Tage hat sich offen­bar irgend­was in der Such­maschi­nen­welt ver­schoben — die Google­News-Suche, die ich im let­zten Absatz disku­tiere, ist nicht mehr repro­duzi­er- bzw. rekon­stru­ier­bar. Das ändert aber doch recht wenig an meinem Ein­druck, dass es sich um eine sehr geringe Ver­bre­itung im all­ge­meinen Sprachge­brauch handelt.]

Der Voll­ständigkeit hal­ber: Sucht man nach con­tent­farm im nor­malen Google, wer­den über Zehn­tausend Tre­f­fer angezeigt — und die ersten ver­weisen direkt, ähm, auf Con­tent­far­men. In Extrem­fällen führen sie auf Con­tent­far­men mit Medi­en­bericht­en über Con­ten­far­men. Das ist mir echt zu zirkulär jetzt.

Fazit

Der Ansatz der Nominierung ist nachvol­lziehbar — und die seman­tis­che Analyse hat gezeigt, dass es dur­chaus um eine sin­nvolle Beze­ich­nung für Trash­texte han­deln kön­nte, bis hin zum Euphemis­mussta­tus und ein­er Kor­rumpierung des neu­traleren Begriffs Con­tent. Es deckt aber anderen Trash auf nor­malen Seit­en nicht ab. Ich bin deshalb — alles in allem — der Mei­n­ung, dass Con­tent­farm nicht zum Anglizis­mus des Jahres taugt. Die guten Argu­mente fall­en unter Netz- bzw. Gesellschaft­skri­tik und wären vielle­icht was für die Leute von neusprech.org. Zudem konzen­tri­ert sich die Diskus­sion um Con­tent­far­men auf zwei, drei große Anbi­eter und ist mir nicht all­ge­mein genug, um sich schlussendlich zu qual­i­fizieren. Zuguter­let­zt finde ich entschei­dend, dass es im all­ge­meinen Sprachge­brauch (noch) zu wenig ver­bre­it­et ist.

Dis­claimer: Ich habe als Freiberu­flerin selb­st SEO-Texte ver­fasst. 40.000 Wörter über ein Pro­dukt eines echt­en Pro­duk­tan­bi­eters, der nur dieses eine Pro­dukt anbi­etet. N Spaß ist das nie. Die Arbeit an diesen Tex­ten führt eben­so zielführend zu Gehirn­matsch, wie das Lesen der­sel­ben. Pro­jek­t­man­agerin: “Ich hoffe, du wohnst im Erdgeschoss.” Ich war [naja!] und brauchte das Geld.

*KWIC=Key­word in Con­text. Ein Begriff aus der Kor­puslin­guis­tik. Der Tre­f­fer wird in sein­er kon­textuellen Umge­bung aus­ge­wor­fen. Auf jeden Fall im ganzen Satz, oft aber auch mit mehreren Sätzen davor und danach.

[Veranstaltungstipp] Einladung zur STaPs

Von Kristin Kopf

Ihr Lieben, heute ein Ver­anstal­tungstipp für alle unter euch, die über irgend­was mit Lin­guis­tik pro­movieren: Ende März (30./31.) find­et an der Uni Lux­em­burg
die erste STaPs
(Sprach­wis­senschaftliche Tagung für Promotionsstudierende)

statt. Ich freu mich schon total!

Die Grun­didee ist, sich in ein­er lock­eren Runde zu tre­f­fen, zu erzählen, woran man grade arbeit­et und welche Prob­leme man so damit hat und mit den anderen darüber zu disku­tieren. Es geht also nicht um die Präsen­ta­tion fer­tiger Ergeb­nisse oder kom­plex­er Details, son­dern darum, sich Anre­gun­gen zu holen. Die STaPs ist offen für alle Rich­tun­gen der Lin­guis­tik, wichtig ist das Inter­esse am Austausch.

Zusät­zlich soll es noch kleine method­is­che Work­shops geben, z.B. zur Arbeit mit Praat oder bes­timmten Kor­po­ra etc. Das hängt natür­lich sehr von den Teil­nehmenden ab, also mal schauen, und natür­lich kriegen wir auch einen kleinen Ein­blick in die Forschung an der Uni Luxemburg.

Ein Tagungs­beitrag wird nicht erhoben, man muss also nur für Anreise, Über­nach­tung (z.B. in der Jugend­her­berge) und Verpfle­gung sorgen.

Wer auf der STaPs was erzählen will, sollte bis zum 15.2. ein Abstract an das lokale Orgateam schick­en. Anmelden kann man sich noch bis zum 1. März. Ach ja, eine Face­book­gruppe haben wir auch.

[Anglizismus des Jahres] Emanzipiert sich das Tablet?

Von Kristin Kopf

Heute also das Tablet. Ein flach­er, tas­tatur­los­er Com­put­er von umstrit­ten­em Nutzen und auf jeden Fall ein Wort, das mir für eine Analyse auf den ersten Blick ähn­lich unat­trak­tiv erschien wie die let­ztjährige App: Vor meinem inneren Auge türmten sich Berge von trock­en­er Tech­nikberichter­stat­tung und Wer­bege­fasel, ganz vorne mit dabei die Fir­ma Apple. Aber, coole Sache: So schlimm war’s gar nicht bzw. man kon­nte sehr schnell drüber­scan­nen. Und meine Recherche liefert sog­ar richtig schöne Ergeb­nisse, schaut mal:

(Suche in Nürn­berg­er Nachricht­en, Mannheimer Mor­gen, Ham­burg­er Mor­gen­post, Braun­schweiger Zeitung, per Cos­mas II web; absolute Zahlen)

Das war eine Kor­pus­recherche in den vier Zeitun­gen, die ich auch für -gate genutzt habe.1 Weit­er­lesen

Stresstest [Kandidaten für den Anglizismus des Jahres]

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Über das Wort Stresstest habe ich ja vor ein paar Wochen schon geschrieben, als die Gesellschaft für deutsche Sprache es zum Wort des Jahres 2011 wählte. Als ich dann bekan­nt­gegeben habe, dass Stresstest auch für den Anglizis­mus des Jahres nominiert ist, wurde in den Kom­mentaren gle­ich ver­mutet, dass wir keine Lust haben wür­den, das Wort sozusagen als Zweitver­w­ert­er noch ein­mal zu ehren.

Aber diese Art von strate­gis­chem Denken ist der Jury der besten Wörter­wahl der Welt völ­lig fremd — möge das beste Wort gewin­nen, ist unser Mot­to. Deshalb soll natür­lich auch das Wort Stresstest angemessen disku­tiert wer­den, bevor es näch­ste Woche an die Entschei­dungs­find­ung geht.

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[AdJ 2011] Das neue Mem: Meme.

Von Susanne Flach

Als die Nominierung Meme von Karo­line abgegeben wurde, war ich über­rascht: Denn eigentlich hielt ich es für die Plu­ral­form von Mem, einem längst inte­gri­erten Fachter­mi­nus, dementsprechend mit deutsch­er Aussprache [me:mə], mir war nicht klar, dass es eigentlich und ver­mut­lich einen, äh, pho­nol­o­gis­chen Anglizis­mus [mi:m] gibt. Ich krieche zu Kreuze! Ich lese wenn über­haupt nur von Meme, höre es sel­tenst, ja? (Die Plu­ral­form von Mem kön­nte auch die fol­gen­den Ver­suche zur Häu­figkeitssuche bee­in­flusst und erschw­ert haben.) Bei­de Wörter beze­ich­nen im Englis­chen und Deutschen jew­eils die gle­ichen Ideen und sind natür­lich konzep­tionell miteinan­der verwandt.

Wir haben hier — vor­weggenom­men — zwei Sta­di­en zu betra­cht­en: Die Über­nahme von Mem vor 30 Jahren (mit mor­phol­o­gis­ch­er und pho­nol­o­gis­ch­er Inte­gra­tion) und der zweite Import mit ander­er Bedeu­tung (offen­bar) noch ohne die voll­ständi­ge Inte­gra­tion eben erst jet­zt. Ich halte die Nominierung deshalb auf der Basis des zweit­en Imports für zulässig.

Ursprung

Die Intu­ition, dass Mem längst einge­bürg­ert ist, geht auf die “Ursprungs­be­deu­tung” von Mem zurück, die mir bekan­nt und präsent war: Richard Dawkins entwick­elte in Analo­gie zu Genen das Mem-Mod­ell, das wir auch in Deutsch­land bere­its vor Jahrzehn­ten über­nom­men haben. Hier beze­ich­net ein Mem einen kul­turellen Rep­lika­tor aus den Bere­ichen Ver­hal­ten, Sprache, Mode, Kul­tur — schlicht alles, was in kul­tureller Trans­mis­sion durch Imi­ta­tion weit­erg­ere­icht (oder aus­geson­dert) wird und so im Mem-Pool über­lebt oder eben nicht. Richard Dawkins schreib dazu 1976 (hier in der Fas­sung von 1989):

The new soup is the soup of human cul­ture. We need a name for the new repli­ca­tor, a noun that con­veys the idea of a unit of cul­tur­al trans­mis­sion, or a unit of imi­ta­tion. ‘Mimeme’ comes from a suit­able Greek root, but I want a mono­syl­la­ble that sounds a bit like ‘gene’. I hope my clas­si­cist friends will for­give me if I abbre­vi­ate mimeme to meme* If it is any con­so­la­tion, it could alter­na­tive­ly be thought of as being relat­ed to ‘mem­o­ry’, or to the French word même. It should be pro­nounced to rhyme with ‘cream’.

Exam­ples of memes are tunes, ideas, catch-phras­es, clothes fash­ions, ways of mak­ing pots or of build­ing arch­es. Just as genes prop­a­gate them­selves in the gene pool by leap­ing from body to body via sperms or eggs, so memes prop­a­gate them­selves in the meme pool by leap­ing from brain to brain via a process which, in the broad sense, can be called imitation.

Dawkins (1989: 192)

Entwicklung und Entlehnung

In dieser Beze­ich­nung ist Mem bei uns natür­lich längst etabliert. Aber darum ging es Karo­line in der Nominierung ja nicht. Um dahinzuge­lan­gen, gehen wir über die Entwick­lung im Englis­chen: Nun ist dort also Fol­gen­des passiert: mit engl. meme1, das viel all­ge­mein­er die Rep­lika­tion eines kul­turellen Konzepts bzw. kul­tureller Infor­ma­tio­nen beze­ich­net, wer­den in der Inter­net­gen­er­a­tion auch die Konzepte beze­ich­net, das auf den Prinzip­i­en der Mem- bzw. Infor­ma­tion­srep­lika­tion beruhen, die sich aber gän­zlich im Inter­net abspie­len, also als meme2 (mit ein­er sub­jek­tiv gefühlten Witzkom­po­nente). Diese zweite Bedeu­tungss­chat­tierung haben wir jet­zt auch pho­nol­o­gisch über­nom­men und beze­ich­nen sie mit Meme [mi:m]. Während meme also im Englis­chen die zwei Bedeu­tun­gen meme1 und meme2 abdeckt, haben wir im Deutschen Mem(e) [me:mə] für meme(s)1 und Meme(s) [mi:m] für meme2 und somit ein­deutig eine Bedeu­tungs­d­if­feren­zierung und eine Bere­icherung für die deutsche Sprache.

Dieser Ansicht ist auch Karo­line, die argu­men­tiert, dass Meme die Bere­iche abdeckt, die viral nicht abdeck­en kann. Das ist kor­rekt, allerd­ings ist es mein­er Ansicht nach eine falsche Argu­men­ta­tion. Was mit Meme und viral beze­ich­net wird, sind ‘Rep­lika­tor’ bzw. ‘Rep­lika­tion’: viral beze­ich­net eine Art der Rep­lika­tion, also wie die Rep­lika­toren (Memes) ver­bre­it­et wer­den. Also in diesem konkreten Fall davon abge­se­hen, dass Meme ein Nomen und viral ein Adjek­tiv ist (die Sprachge­mein­schaft hätte natür­lich auch viral in ein Nomen kon­vertieren kön­nen, um die Bedeu­tung von Meme abzudecken).

Ver­wen­dungs­beispiele seien hier kurz ange­führt (inkl. der Belege, die bei der Nominierung aufge­führt wurden):

 Die Koop­er­a­tion von Youtube und dem Guggen­heim-Muse­um Ende let­zten Jahres sollte demon­stri­eren: Die Mut­ter aller Video­plat­tfor­men kann mehr als Musik, ille­gale Auss­chnitte und Meme schleud­ern. (DRa­dio Wis­sen, 23.11.2011)

John Pike und das Hitler-Meme John Pike ist zu einem Meme gewor­den, so nen­nt man schnell sich über das Inter­net sich ver­bre­i­t­ende Bild­witze und Film­chen. (Die Welt, 24.11.2011)

Die Buch­lieb­haber-Chal­lenge – Das zweite Meme! (Noth­ing More Delight­ful, 15.11.2011)

Inter­net Memes im Überblick: Wo sie herkom­men und was sie bedeuten. (Juliane Waack, blogwatch.germanblogs.org, 20.05.2011)

Aber einige der derzeit über­all kur­sieren­den Gut­ten­berg-Meme sind ein­fach zu schön, um unter­schla­gen zu wer­den: (Flo­ri­an Bay­er, seite360.de, 17.02.2011)

Eine schöne Samm­lung von eigentlichen Memes ist auch die Meme-Daten­bank knowyourmeme.com.

Der Voll­ständigkeit hal­ber: Genuszuweisung ver­mut­lich aus­nahm­s­los und ein­deutig Neu­trum (das Meme), möglicher­weise in Analo­gie zu das Mem, das Gen; Plur­al die Memes.

(Wobei man natür­lich nicht abschließend sagen kann, dass Meme auch immer [mi:m] ist: dafür sind einige hier nicht aufge­führte Ver­wen­dun­gen in Abwe­sen­heit von numeru­sanzeigen­den Artikeln (ein bzw. das Meme), sowie auf­grund der pho­nol­o­gis­chen Inte­grier­barkeit in unser Phone­m­inven­tar und natür­lich der ety­mol­o­gis­chen und konzep­tionellen Über­schnei­dung von meme1 und meme2 nicht ein­deutig als [me:mə] oder [mi:m] inter­pretier­bar. Die Ambi­gu­i­tät ist aber auch gar nicht so entschei­dend, son­dern im Prozess des Bedeu­tungswan­dels normal.)

Kri­teri­um der Dif­feren­zierung erfüllt? Ja.

Aktualität

Wie aktuell ist Meme? Wie oben ange­führt, kann Meme als Plur­al von Mem die Suche erschw­eren. Hier soll der Blick in eine GoogleIn­sight-Suche für Mem und Meme genü­gen: Dort ist 2011 eine deut­liche Häu­figkeit­stren­nung von Mem und Meme zu erken­nen. Bis etwa 2011 ver­laufen Meme [me:mə] und Mem im Gle­ich­schritt, ab 2011 steigt Meme sprung­haft an, auch der hypoth­e­sierte Plur­al von Meme, Memes nimmt erst neuerd­ings wirk­lich zu. Dies ließe den vor­sichti­gen Schluss zu, dass wir es 2011 tat­säch­lich mit ein­er Häu­figkeit­szu­nahme von Meme [mi:m] zu tun haben. Dies leg­en auch die Top­suchan­fra­gen für meme nahe: face­book memememe gen­er­a­tor oder inter­net meme, also eben nicht im Sinne von Mem (GoogleIn­sights unter­sucht allerd­ings nur nach Region [hier: DE], lei­der nicht nach Sprache).

Kri­teri­um der Aktu­al­isierung erfüllt? Vor­sichtiges Ja.

Metabemerkung

Was mich fach­lich fasziniert an Meme, Rep­lika­toren und Rep­lika­tion: in der Lin­guis­tik wurde von William Croft (1996, 2000) ein analoges Mod­ell zum Gen- und Mem-Pool vorgeschla­gen, um Sprach­wan­del im evo­lu­tionären Sinn erk­lären zu kön­nen: The­o­ry of Utter­ance Selec­tion (etwa: The­o­rie der Äußerungsauslese). Dort sind sprach­liche Äußerun­gen die Rep­lika­toren aus ein­er Pop­u­la­tion der Sprache, geäußert (repliziert) von den Mit­gliedern der Sprachge­mein­schaft. Eine Äußerun­gen wird danach dann mit höher­er Wahrschein­lichkeit repliziert, je mehr oder bess­er sie eine expres­sive Funk­tion erfüllt (Dar­wins Idee “Sur­vival of the fittest”). Dies ist nicht ger­ade Antwort 42 — aber ein mod­el­liert­er Ansatzpunkt, um das Über­leben und die Ver­bre­itung von sprach­lichen Äußerun­gen auf allen Ebe­nen der Sprache the­o­retisch erk­lären zu kön­nen (aber nicht voraus­sagen!). Das ist für die Wahl natür­lich nur ein fach­lich­er und sub­jek­tiv­er Meta-Ein­schub, erin­nert mich aber daran, dass ich mir das nochmal genauer anschauen [bitte Modalverb der Wahl einsetzen].

Fazit

Das hätte ich vor drei, vier Stun­den (bzw.: vor der gestri­gen Sper­rung mein­er Web­seite) nicht gedacht: Meme ist sog­ar ein ziem­lich guter Kan­di­dat. Er hat echte Über­lebungschan­cen, ist auf dem Vor­marsch und da er nicht auf einen Social Media-Bere­ich beschränkt ist, ste­ht Meme auch der bre­it­en Sprachge­mein­schaft offen — sofern sie natür­lich im weit­eren Sinne mit Inter­net­tech­nolo­gie ver­traut ist und mit ihr umge­hen kann. Und anders als bei vie­len Kan­di­dat­en haben wir hier keine Entlehnung, die wir bedeu­tung­stech­nisch ein­gre­gren­zt, ver­all­ge­mein­ert oder ver­schoben haben (aber was nicht ist, kön­nte noch wer­den — obwohl ich das für eher unwahrschein­lich halte), son­dern eine, die wir in konzep­tioneller Gänze  importiert haben.

Lit­er­atur:
Croft, William. 1996. Lin­guis­tic Selec­tion: An Utter­ance-based Evo­lu­tion­ary The­o­ry of Lan­guage Change. Nordic Jour­nal of Lin­guis­tics 19: 99–139.
Croft, William. 2000. Explain­ing Lan­guage Change: An Evo­lu­tion­ary Approach. Long­man.
Dawkins, Richard. 1989. The Self­ish Gene. Oxford Uni­ver­si­ty Press. (Kapi­tel 11: Memes: the new repli­ca­tors).