[Buchtipp] Heike Wiese: Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht

Von Kristin Kopf

Heute will ich euch  Heike Wieses »Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entste­ht« empfehlen. Viele von euch wer­den in den let­zten Wochen in den Medi­en etwas zum The­ma aufgeschnappt haben – im Rah­men der Buch­pub­lika­tion wurde Frau Wiese oft inter­viewt und rezen­siert. Sie forscht und schreibt  näm­lich über ein The­ma, bei dem die Emo­tio­nen hochkochen und manchen beim Geifern der Schaum aus dem Mund schlägt: Über eine sprach­liche Vari­etät, die sie Kiezdeutsch nennt.

Kiezdeutsch ist eine Jugend­sprache, die sich in mul­ti­eth­nis­chen Wohn­vierteln beson­ders in Berlin, also z.B. Kreuzberg und Neukölln, her­aus­ge­bildet hat. Von anderen Jugend­sprachen unter­schei­det sie sich dadurch, dass sehr viele der SprecherIn­nen zwei- oder mehrsprachig aufwach­sen – aber nicht alle: Weit­er­lesen

Schuldengrammatik

Von Anatol Stefanowitsch

Schon seit ein paar Monat­en geht eine Studie des Wirtschaftswis­senschaftlers Kei­th Chen durch die englis­chsprachige Presse, in der behauptet wird, dass die wirtschaftliche Men­tal­ität eines Volkes von sein­er Sprache abhängt. Eigentlich hat­te ich nicht vor, diese Studie zu kom­men­tieren (zu den Grün­den gle­ich mehr), aber vor zwei Wochen hat auch FAZ.net darüber berichtet und seit­dem bin ich mehrfach gebeten wor­den, etwas dazu zu sagen, vor allem von Leser/innen, die im Sprachlog gerne generell mehr über den Zusam­men­hang von Sprache und Denken lesen wür­den. Deshalb hier doch ein paar Gedanken zu der Studie.

Zunächst kurz zum Inhalt (wer es aus­führlich­er wis­sen will, dem sei der oben ver­link­te FAZ-Artikel emp­fohlen, wer es noch aus­führlich­er wis­sen will, kann die Studie selb­st [PDF, 450 KB] lesen). Chen teilt zunächst die Sprachen der Welt in zwei Grup­pen ein: die mit „schwachem Zukun­fts­bezug“ (weak future-time ref­er­ence) und die mit „starkem Zukun­fts­bezug“ (strong future-time ref­er­ence). Grob gesagt (es wird gle­ich noch fein­er) unter­schei­den let­zere in bes­timmten Zusam­men­hän­gen gram­ma­tisch zwis­chen Gegen­wart und Zukun­ft, während erstere das nicht tun. Will ich z.B. auf Deutsch aus­drück­en, dass ich für mor­gen Regen erwarte, kann ich dazu die Präsens­form (1) oder die Futur­form (2) verwenden:

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Sprachbrocken 12/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Ein­wan­der­er die Sprache ihrer neuen Heimat nicht sprechen, bilden sich schnell Par­al­lelge­sellschaften. Das weiß man auch in Öster­re­ich, und bietet deshalb nun auch für Öster­re­ichs größte Ein­wan­der­ergruppe Sprachkurse an: Für die Deutschen. Denn um sich erfol­gre­ich inte­gri­eren zu kön­nen, müssen die ler­nen, dass Lun­gen­brat­en eigentlich Schweine­lende ist und dass Wir hal­ten Sie in Evi­denz eine gängige Absage auf Stel­len­be­wer­bun­gen ist (wörtlich bedeutet es so etwas wie „Wir behal­ten Sie im Auge/Hinterkopf“).

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Unter Schneeblinden

Von Anatol Stefanowitsch

Es ist völ­lig egal, wie oft man den Mythos von den „vie­len Eski­mowörtern für Schnee“ wider­legt — wie aus­führlich man z.B. die Struk­tur der Eki­mo-Aleut-Sprachen erk­lärt, wieviele all­t­agsmythol­o­gis­che Quellen man durch­forstet, wievie­len Auswe­ich­mythen man nachge­ht. Es gibt immer Leute — einen drit­tk­las­si­gen Krim­i­au­tor, zum Beispiel, oder seine folk­lorisierende Bürokraft — die das alles bess­er wis­sen. Denn sie kan­nten mal jeman­den, der einen kan­nte, der vielle­icht ein Eski­mo war oder zumin­d­est einen dick­en Anorak besaß, und der hat es ihnen gesagt. Außer­dem haben sie eine Liste! Mit ganz vie­len Eskimoschneewörtern!

Nun kön­nte so eine Wörterliste ja sog­ar bei der Beant­wor­tung der Frage weit­er helfen, ob die Eski­mos ent­ge­gen der detail­lierten Auskün­fte von Fach­leuten viele­icht doch „viele Wörter für Schnee“ haben — es kön­nte ja sein, dass es sich bei den Auskün­ften der Fach­leute um eine Ver­schwörung han­delt, um sich von staatlichen Forschungs­geldern ein faules Leben zu gön­nen, so eine Art Wörter­gate. Wäre es nicht toll, wenn der kleine Mann auf der Straße diese Ver­schwörung aufdeck­en kön­nte, in dem er die Wörterlis­ten öffentlich macht, die die Lin­guis­tik-Mafia so verzweifelt unter Ver­schluss zu hal­ten versucht?

Einen Ver­such wäre es wert. Nur reicht es dazu lei­der nicht, so eine Liste gedanken­los in einen aufge­blasen blub­bern­den Blogkom­men­tar zu kopieren oder sie auf der eige­nen gerne­großen pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nden Lang­weil­er­web­seite vor der Welt zu ver­steck­en. Man muss dazu auch min­destens drei Fra­gen beant­worten können:

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Sprachbrocken 11/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Über die Jugend­sprache wird viel geschrieben — meis­tens in Form von frei erfun­de­nen Wörtern wie Knutschbunker und Gam­melfleis­ch­par­ty. Aber Der West­en hat jet­zt her­aus­ge­fun­den, warum die „Jugend­szene“ (ern­sthaft, so heißen junge Men­schen in Bergka­men wohl) so komisch spricht: Um sich der Strafver­fol­gung zu entziehen. Denn wenn die Richter nicht ver­ste­hen, was Kläger und Beklagte ihnen da erzählen, ste­ht am Ende nicht ein­mal Aus­sage gegen Aus­sage. Im vor­liegen­den Fall ist der Richter ange­blich an den für mich völ­lig kryp­tis­chen Sätzen „Ouh, nichts damit zu tun“, „Weiß gar nicht, was der will, weiß du“ und „Kopf umge­dreht, boahh ei, dann noch ein Gong, weiß du ne“ gescheit­ert. Wenn Deutsch als Staatssprache im Grundge­setz stünde, wäre das nicht pass– ach, egal.

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Wortgewaltphantasien

Von Anatol Stefanowitsch

Das mit den Eski­mos und ihren Wörter für Schnee ist ja inzwis­chen abge­früh­stückt – kein Men­sch glaubt mehr an ein aus­gedehntes, lexikalisch man­i­festes Inter­esse der Völk­er des nördlichen Polarkreis­es am kristallför­mi­gen Nierder­schlag. Höch­ste Zeit also für neue Vari­anten des zugrun­deliegen­den Mythos, dass Sprachge­mein­schaften beson­ders viele Wörter für das haben, was ihnen beson­ders wichtig ist.

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Sprachbrocken 10/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Auf vielfachen (genau genom­men: vier­fachen) Wun­sch kehrt heute die Press­eschau ins Sprachlog zurück, in der wir auf mehr oder weniger wichtige sprach­be­zo­gene Mel­dun­gen der ver­gan­genen Woche zurück­blick­en. Die ver­wirrende Num­mer 10 im Titel bezieht sich dabei auf die Kalenderwoche.

Felix Mag­a­th hat den Grund für die schlechte Leis­tung seines VfL Wolfs­burg iden­ti­fiziert: Die Sprach­bar­ri­eren zwis­chen den Spiel­ern aus immer­hin 15 ver­schiede­nen Län­dern sind Schuld. Wie Eurosport meldet, wird Mag­a­th in Zukun­ft seine Mannschaft nach der Mut­ter­sprache der Spiel­er sortiert auf­stellen. Ob diese Strate­gie Früchte trägt, wer­den wir dann schon heute Nach­mit­tag erfahren.

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Etymologiequiz die Dritte

Von Kristin Kopf

So, Semes­ter­fe­rien. Bißchen Zeit zum Luft­holen und, juhu, für’s Sch­plock! Heute gibt es die dritte Aus­gabe des Ety­molo­giequiz: Ich gebe euch einen Haufen Wörter und ihr sagt mir, welche davon auf einen gemein­samen Ursprung zurück­ge­hen. Die Neuerung dies­mal: Es han­delt sich um deutsche und englis­che Wortpaare.

So gehören zum Beispiel engl. very ’sehr’ und dt. wahr zusam­men: Bei­de haben ihren Ursprung in der indoger­man­is­chen Form *weros-. Fun fact: Das englis­che Wort hat nicht den Weg über die his­torischen Vorstufen des Englis­chen genom­men, son­dern Weit­er­lesen

No Shit!

Von Anatol Stefanowitsch

When we select­ed Shit­storm as “Angli­cism of the Year 2011” a few weeks ago, sev­er­al US blogs quicky agreed that our choice was inevitable giv­en our nation­al­i­ty: as Ger­mans, we are “obsessed with poop” (Huff­in­g­ton Post), or even “infat­u­at­ed with crap” (Death and Tax­es). Only Slate’s Katy Wald­man won­dered why Ger­mans, if they are obsessed with feces, would have to bor­row scat­o­log­i­cal ter­mi­nol­o­gy from English.

This bit of ama­teur cul­tur­al psy­chol­o­gy remind­ed me that I still owe a blog post to Kathrin Pas­sig, who, prompt­ed by an alto­geth­er brain­less Van­i­ty Fair arti­cle, asked me some months ago about sci­en­tif­ic sup­port for this sup­posed Teu­ton­ic obses­sion with human waste. So here is my answer, – in Eng­lish, since I hope that it will be rel­e­vant not just for my usu­al Ger­man audi­ence (who will no doubt be sur­prised to learn about their fix­a­tion on fecal mat­ters), but also for the Eng­lish-speak­ing audi­ence for whom this fix­a­tion is so self-evi­dent that they see the exis­tence of the Eng­lish word shit­storm as evi­dence for it.

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Circeln

Von Anatol Stefanowitsch

Der Anglizis­mus-des-Jahres-Wet­tbe­werb 2011 ist zu Ende, auf der Seite des Siegerwortes find­et sich nun auch eine Auswahl aus den sehr zahlre­ichen Press­es­tim­men. Aber bevor die Schlussglocke läutet und wir uns dem Lehngut des laufend­en Jahres zuwen­den kön­nen, muss ich noch etwas über das drittplatzierte circeln schreiben. Denn während das erst­platzierte Shit­storm trotz seines ska­tol­o­gis­chen Naturells (auf das ich näch­ste Woche noch ein­mal in einem ganz anderen Zusam­men­hang zurück­kom­men werde) mit Aus­nahme einiger beson­ders empfind­lich­er See­len auf Zus­tim­mung gestoßen ist, und das zweit­platzierte Stresstest durch seine Ausze­ich­nung zum Wort des Jahres sowieso staat­stra­gende Würde ausstrahlt, hat die Wahl von circeln auf den drit­ten Platz punk­tuell Über­raschung aus­gelöst und im Pub­likum­swet­tbe­werb ist es nur knapp an einem Abstiegsplatz vor­beigeschrammt.

So schreibt z.B. Bernd Matthies auf Tagesspiegel.de:

Sehr viel strit­tiger ist zweifel­los das drittplazierte Wort, das sich­er nicht nur bei mir erst ein­mal ein „Häh?“ aus­gelöst hat. „Circeln“ erschließt sich nur jenen, die sich mit dem sozialen Net­zw­erk Google plus ausken­nen und wis­sen, dass man damit ein­er Kon­tak­tliste hinzuge­fügt wird – das Äquiv­a­lent zum Befre­un­den bei Face­book. Es hat sich­er eine eigen­ständi­ge Bedeu­tung neben dem deutschen, anders kon­notierten „Einkreisen“, aber ob es auch eine Zukun­ft hat?

Und damit trifft er einen Punkt, den auch die Jury öffentlich und intern disku­tiert hat: die Frage nach der aktuellen und zu erwartenden Ver­bre­itung. Susanne kon­nte in ihrer aus­führlichen Darstel­lung des Wortes vor der Abstim­mung zwar zeigen, dass das Verb nicht ger­ade sel­ten ist (son­st wäre es auch gar nicht in die Endrunde gekom­men), aber es ist klar, dass deut­lich häu­figere Wörter im Ren­nen waren. Es ist auch klar, dass circeln derzeit noch auss­chließlich auf das soziale Net­zw­erk Google Plus beschränkt ist und schon auf­grund der rel­a­tiv gese­hen (noch) gerin­gen Ver­bre­itung des Net­zw­erks in der Sprachge­mein­schaft ins­ge­samt sich­er noch eher unbekannt.

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