Empörende Geburt in einer krummen Krippe

Von Kristin Kopf

Fro­he Botschaft: Das Ety­molo­giequiz ist vor­bei, und größ­ten­teils mit Bravour gelöst wor­den. Eine Ehrenurkunde geht an koma, Grumpfzessin, zr0wrk und Zitro­nen­milch! Eben­falls tapfer geschla­gen haben sich Thier­bach und paci­oli mit je ein­er Ver­wech­slung. Gratulation!

Wie die einzel­nen Wort­paare zusam­men­hän­gen, will ich im Schnell­durch­lauf erk­lären. Wenn ich dabei von ein­er konkreten laut­lichen Form spreche, set­ze ich sie kur­siv, wenn die Rede von ein­er Bedeu­tung ist, ste­ht sie in ein­fachen Anführungszeichen.

Geburt und empören haben bei­de eine gemein­same indoeu­ropäis­che (ie.) Wurzel mit der Bedeu­tung ‘tra­gen’. Bei der Geburt ist das noch recht deut­lich (vgl. ein Kind unter dem Herzen tra­gen), bei empören muss eine Bedeu­tungser­weiterung hin zu ‘erheben’ stattge­fun­den haben (wie auch bei empor), wenn man empört ist, ist man ja auch oft auffahrend.

Gold und Galle sind bei­de gelb, auch wenn man’s bei der Galle in der Regel nicht so sieht.  Sie sind von ein­er ie. Wurzel ‘glänzen, schim­mern’ abgeleit­et. Lustiger­weise haben andere Sprachen die Wurzel auch für andere leuch­t­ende Far­ben benutzt, Weit­er­lesen

Weihnachtslektüre

Von Kristin Kopf

In den ver­gan­genen Jahren haben sich in unseren Vorgängerblogs eine ganze Menge Beiträge mit Fest­tagsanstrich ange­sam­melt, die gerne gemein­sam mit den Baumkugeln aus dem Keller geholt wer­den möchten:

Um X‑mas geht es gle­ich in mehreren Beiträ­gen von Ana­tol: Hin­ter der Form steckt, oh Wun­der, nicht das Ende des Chris­ten­tums – obschon ein Mr. Mar­tin aus den USA ander­er Mei­n­ung war. Ein Jahr später war X‑mas dann auch bei uns angekom­men und richtete die deutsche Sprache zugrunde. Das fand zumin­d­est die zwis­chen­zeitlich selb­st zugrun­dege­gan­gene »Aktion Lebendi­ges Deutsch«. Außer­dem gab es mal wieder kreative Mei­n­un­gen zur Bedeu­tung des X.

In Wei­h­nacht­sliedern steck­en eine Menge sprach­liche Beson­der­heit­en, die ich mir ange­se­hen habe: In »Ihr Kinder­lein, kom­met …« geht es um die Kind-er-lein (statt Kind-lein) und bei »Wie schon die Alten sun­gen« um die Ver­gan­gen­heits­form. (Nein, sun­gen statt san­gen wurde nicht nur deshalb gewählt, weil es sich dann reimt! )

 Außer­dem habe ich gek­lärt, warum es  Christ­mette heißt – die Messe hat damit gar nichts zu tun! – und wieso man Wei­h­nacht­en sagt, wo doch die Mehrzahl von Nacht Nächte sein müsste. In Wei­h­nachts- vs. Christ­baum schließlich geht es darum, welche der bei­den Beze­ich­nun­gen für das Gewächs wo und wann häu­figer ist.

Wer jet­zt noch immer nicht genug Leses­toff mit Wei­h­nachts­bezug hat, die kann sich ander­swo weit­er umschauen:

Bei DR. BOPP lässt sich nach­le­sen, ob man denn nun an oder zu Wei­h­nacht­en zu Besuch kommt,  im LEXIKOGRAPHIEBLOG find­et sich eine sehr schöne Kor­pu­s­analyse ver­schieden­er Gruß­formelnfroh oder geseg­net, Wei­h­nacht­en oder Fest­tage? –, im ADA kann man sehen, mit welchen Wörtern selb­st­gemacht­es Gebäck im deutschen Sprachraum beze­ich­net wird (ich bin für Bre­tle) und im OXFORDWORDS BLOG (Englisch) geht es um Beze­ich­nun­gen für den Wei­h­nachts­mann, ein Analy­se­tool für A Christ­mas Car­ol, die Ety­molo­gie von Plätzchen­sorten wie gin­ger­snaps und die exzel­lente Arbeitsmoral beim OED an den Wei­h­nachts­feierta­gen des Jahres 1879.

Wir hof­fen, dass Sie eine eben­solche nicht an den Tag leg­en müssen und wün­schen Ihnen schöne Feiertage ganz nach Ihrem Geschmack!

Blogspektrogramm 51/2012

Von Sprachlog

Auch diese Woche hat sich im Inter­net viel lesenswertes Lin­guis­tis­ches getan – hier unsere Empfehlungen:

 

  • Im DWDS gibt es jede Woche ein nigel­nagel­neues deutsches Wort. Dieses Mal: der Baum­schmuck­rech­n­er. Möge er wach­sen und gedeihen!
  • Auf LAUT & LUISE schreibt Luise Pusch über neu­modisch gegen­derte Sprache in — wie bitte, den Märchen der Gebrüder Grimm?
  • Bei DR. BOPP wird diese Woche die Frage beant­wortete, welche Mehrzahl Licht hat – Lichter oder Lichte?
  • Für den NEW YORKER (Englisch) erzählt Joshua Foer die Geschichte von Ithkuil, ein­er Kun­st­sprache, die plöt­zlich uner­warteten Zus­pruch aus der (ehe­ma­li­gen) Sow­je­tu­nion bekam, und ihrem Erfind­er John Qui­ja­da, der in eine bizarre Welt ein­ge­laden wird, deren Bedrohlichkeit sich nach und nach enthüllt. Fan­tastisch. (Via @symbolicstorage)
  • In der indis­chen Wochen­zeitschrift OPEN (Englisch) berichtet Peg­gy Mohan, wie sie als Lin­guistin in einem Gerichtsver­fahren gegen Ter­rorverdächtige über­prüfte, ob es bei der Entste­hung der schriftlichen Geständ­nisse mit recht­en Din­gen zuge­gan­gen war. (Via @superlinguo)
  • Wenn eine Sprache stirbt, ste­hen die Chan­cen gar nicht schlecht, dass das nicht in entle­ge­nen Dör­fern im Himalaya passiert, son­dern in einem Wolkenkratzer. Im BBC NEWS MAGAZINE (Englisch) schreibt Mark Turin über die sprach­liche Vielfalt New Yorks. (Via @markturin)
  • Deb­o­rah Cameron analysiert auf BERFROIS (Englisch) Poli­tik­er­forderun­gen in Großbri­tan­nien, nach denen Men­schen mit Migra­tionsh­in­ter­grund Englisch ler­nen sollen – und zeigt scharf­sin­nig, welchem Trugschluss in der Debat­te aufge­sessen wird. (Via @Lg_on_the_Move)
  • Und zum Schluss noch eine Sprach­spiel­erei zum Hören: The Most­ly Ger­man Philoso­phers Love Song von Jere­my Boor

Sprachbrocken 51/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Alle Jahre wieder wen­det sich Hans Zehet­mair, Vor­sitzen­der des Rats für deutsche Rechtschrei­bung, an die Presse um den Ver­fall der deutschen Sprache zu bekla­gen. Dieses Jahr beschw­ert er sich über „Recy­cling-Sprache“, den SMS-bed­ingten Man­gel an „Gefühl und Her­zlichkeit“ und über englis­che Wörter, „die man eben­so auch auf Deutsch for­mulieren kön­nte“. Und natür­lich benen­nt er scho­nungs­los die Ver­ant­wortlichen für den Sprachver­fall: die Jugend von heute und ihre iPads, auf denen sie die Sprache Schillers und Goethes regel­recht kaputt twit­tern. Weit­er­lesen

Für Gott und Pippi Langstrumpf

Von Anatol Stefanowitsch

Man kann — und muss — Kristi­na Schröder für vieles kri­tisieren — ihren schiefen Extrem­is­mus­be­griff und die Fol­gen, die der für die Förderung von Ini­ti­atven gegen Recht­sex­trem­is­mus hat­te, ihren leicht­fer­ti­gen Umgang mit recht­spop­ulis­tis­chen Schlag­worten wie dem von der „deutschen­feindlichen Gewalt“ und maskulis­tis­chen wie dem von der „jun­gen­feindlichen Päd­a­gogik“, und ganz all­ge­mein natür­lich ihre oft antifem­i­nis­tis­che und antie­manzi­pa­torische Welt­sicht, wie sie z.B. in ihrem Buch „Danke, emanzip­iert sind wir sel­ber: Abschied vom Dik­tat der Rol­len­bilder“ zum Aus­druck kommt.

Darüber ver­gisst man dann leicht, dass ihre konkreten fam­i­lien­poli­tis­chen Posi­tio­nen deut­lich pro­gres­siv­er sind als die der Mehrheit ihrer Partei (was ja auch der Grund ist, warum sie sich mit diesen Posi­tio­nen nie durch­set­zen kann).

[Hin­weis: Im fol­gen­den Text wer­den Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache zitiert.] Weit­er­lesen

Es ist nicht alles Gold, was Bär

Von Anatol Stefanowitsch

Das Marken­recht macht mich als Sprach­wis­senschaftler schon an ganz nor­malen Tagen trau­rig. Ich bin kein Recht­san­walt (deshalb ja auch „mich als Sprach­wis­senschaftler“), aber so weit ich das beurteilen kann, ermöglicht es Han­del­treiben­den, so gut wie jedes sprach­liche Ele­ment als Beze­ich­nung ihres Pro­duk­ts zu reservieren, solange sie die ersten sind, die es für sich beanspruchen.

So wer­den nicht nur Wörter, Wortkom­bi­na­tio­nen und Satzteile oder ganze Sätze dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen, son­dern auch pro­duk­tive Wort­bil­dung­sprozesse – Volk­swa­gen und Springer haben sich vor eini­gen Jahren darum gestrit­ten, wem Wörter gehören, die mit Volks- begin­nen (auch solche, die noch gar nicht existieren) – oder einzelne Buch­staben (BMW hat ger­ade vom Patent­gericht bescheinigt bekom­men, dass der Buch­stabe M als Beze­ich­nung für ein Auto schutzfähig ist).

Eine Entschei­dung des Landgerichts Köln geht nun einen Schritt weit­er und ver­bi­etet sog­ar Dinge, die uns an Wörter erin­nern kön­nten, die dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen sind. Weit­er­lesen

Das weihnachtliche Etymologie-Quiz

Von Kristin Kopf

Zur Ein­stim­mung auf die Feiertage gibt es heute ein Ety­molo­giequiz mit Wei­h­nacht­shin­ter­grund. Im fol­gen­den Wor­dle habe ich sprach­liche Ver­wandte durcheinan­derge­wor­fen – immer zwei Wörter besitzen eine gemein­same Wurzel. Welche gehören zusammen?

Zur Erk­lärung:

Die Ver­wandtschaft kann ziem­lich weit zurück­ge­hen, weshalb der Bezug bei den wenig­sten offen­sichtlich ist. So wür­den, wären sie drin, Etat und Dis­tanz zusam­menge­hören, denn Etat kommt über frz. état aus lat. sta­tus ‘Zus­tand’, was zu stāre ‘ste­hen’ gebildet wurde und Dis­tanz kommt von lat. dis­tan­tia, ein­er Abstrak­t­bil­dung zu dis­tāre ‘voneinan­der weg­ste­hen’, das sich aus dis- und stāre ‘ste­hen’ zusam­menset­zt. (aus Ety­molo­giequiz Nr. 1)

Das Quiz läuft bis zum 26.12. – falls über die Feiertage mal Langeweile aufkom­men sollte –, dann poste ich die Auflö­sung. Nach­schla­gen und Googeln sind erlaubt!

[Edit: Die Kom­mentare scheinen sich nicht unsicht­bar machen zu lassen, ich färbe sie daher weiß ein – wer noch rät­seln will, sollte nicht zu weit nach unten scrollen!

Auf vielfachen Wun­sch hier die Wörter noch ein­mal im Textfor­mat, streng alphabetisch:

Elch, empören, erlöschen, Galle, Geburt, Gen­er­a­tion, gerin­nen, Gold, Heer, Her­berge, Kind, kön­nen, Krippe, krumm, lahm, Lamm, liegen, Lüm­mel, peku­niär, Reise, riechen, Säugling, Stall, stre­ichen, Stroh, stülpen, Suppe, verkün­den, Vieh, Visi­er, Weihrauch, weise

]

Viel Spaß beim Grübeln!

Wer hier noch nicht genug zu rät­seln hat, kann sich ja an ver­gan­genen Ety­molo­giequizzen aus­pro­bieren (Achtung, Lösun­gen immer am Ende des Beitrags):

Blogspektrogramm 50/2012

Von Sprachlog

Unsere Link­tipps der Woche:

 

  • Auton­a­men sind im Deutschen immer Maskuli­na: der BMW, der Opel, der Mer­cedes. Im eng ver­wandten Lux­em­bur­gis­chen ist das ganz anders, wie Peter Gilles auf INFOLUX berichtet.
  • Schneewörtchen, Sprach­mythchen, wann kommt ihr geschneit? Jeden Win­ter meldet sich die Medi­en­welt bei Ana­tol, um nachzufra­gen, wieviele Wörter für Schnee die Eski­mos nun wirk­lich haben. Dies­mal die DPA, nachzule­sen z.B. hier.
  • Mor­bide Gedanken treiben DR. BOPP und davon angesteckt auch Michael Mann im LEXIKOGRAPHIEBLOG um: kann jemand tot­er als tot sein? Oder wenig­stens töter?
  • Im STILSTAND disku­tiert Klaus Jar­chow einen inter­es­san­ten Fall poli­tis­chen Antonymie-Ver­ständ­niss­es von Spiegel Online.
  • In Graz hat die Kom­mu­nis­tis­che Partei Öster­re­ichs einen erstaunlichen Wahler­folg erzielt – für die öster­re­ichis­che Presse Anlass für manip­u­la­tive Ver­gle­iche und Meta­phern, die Olja Alvir auf DASTANDARD.at auseinan­dern­immt.
  • M. Ash­er Cantrell stellt auf MENTAL FLOSS 12 Buch­staben vor, die es nicht ins englis­che Alpha­bet geschafft haben (Englisch) – darunter z.B. das von Studieren­den oft als »dieses, äh, P« beze­ich­nete Thorn. (Via @SpecGram)

Hin­weise für das näch­ste Blogspek­tro­gramm nehmen wir gerne bis zum 22.12. unter kontakt@sprachlog.de ent­ge­gen. Wegen des Leis­tungss­chutzrechts ver­linken wir derzeit in den Sprach­brock­en und im Blogspek­tro­gramm nicht auf Presseerzeug­nisse aus Deutschland.

Nicht zu retten: das Wort des Jahres

Von Anatol Stefanowitsch

Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat eine sehr gemis­chte Nachvol­lziehbarkeits­bi­lanz, wenn es um das Wort des Jahres geht. Die Kri­te­rien, die ein Wort zu einem Anwärter um diesen Titel machen, beschreibt die Gesellschaft so:

Aus­gewählt wer­den Wörter und Aus­drücke, die die öffentliche Diskus­sion des betr­e­f­fend­en Jahres beson­ders bes­timmt haben, die für wichtige The­men ste­hen oder son­st als charak­ter­is­tisch erscheinen („ver­bale Leit­fos­silien“ eines Jahres). Es geht nicht um Worthäu­figkeit­en. Auch ist mit der Auswahl keine Wer­tung bzw. Empfehlung ver­bun­den. [Web­seite der GfdS]

Um Wort des Jahres zu wer­den, soll ein Wort also ein­er­seits im laufend­en Jahr „wichtig“ und „charak­ter­is­tisch“ gewe­sen sein, gar die „öffentliche Diskus­sion … beson­ders bes­timmt haben“, auf der anderen Seite muss es aber nicht beson­ders häu­fig gewe­sen sein.

Ein ana­lytisch denk­ender Men­sch kön­nte da einen gewis­sen Wider­spruch erken­nen, und dieser Wider­spruch würde auch erk­lären, warum die Wörter des Jahres von milde inter­es­sant (Teu­ro [2002], Stresstest [2011], Hartz IV [2004]) über milde triv­ial (Finanzkrise [2008], Kli­makatas­tro­phe [2007]) bis mildes Kopf­schüt­teln aus­lösend (Wut­bürg­er [2010], Das alte Europa [2003]) reichen.

Aber, und ich will da gar nicht lange um den heißen Brei herum­re­den, selb­st bei ein­er an dieses Wörter­wirrwar angepassten Erwartung­shal­tung kann ich das Gefühl, das mich beim diesjähri­gen Siegerwort erfasst, nur als „nicht ein­mal fas­sungs­los“ beze­ich­nen. Die Jury selb­st scheint zu ahnen, dass sie da eine merk­würdi­ge Wahl getrof­fen hat, denn auch in der Pressemit­teilung wieder­holt sie noch ein­mal, dass „[n]icht die Häu­figkeit eines Aus­drucks“ entschei­dend sei, son­dern „seine Sig­nifikanz bzw. Popularität“.

So, wie beim Wort Ret­tungsrou­tine, halt:

Dieses Wort spiegelt nicht nur das schon seit eini­gen Jahren dauer­haft aktuelle The­ma der insta­bilen europäis­chen Wirtschaft­slage wider, son­dern beschreibt zudem die zahlre­ichen und wiederkehren­den Maß­nah­men, die bish­er zur Sta­bil­isierung unter­nom­men wur­den. Sprach­lich inter­es­sant ist die wider­sprüch­liche Bedeu­tung der bei­den Wortbe­standteile: Während eine Ret­tung im eigentlichen Sinn eine akute, ini­tia­tive, aber abgeschlossene Hand­lung darstellt, bein­hal­tet Rou­tine – als Lehn­wort aus dem Franzö­sis­chen – eine wiederkehrende, wenn nicht gar auf Dauer angelegte und auf Erfahrun­gen basierende Entwicklung.

Ich meine, es ist ja das gute Recht der Jury, sich nicht an Vorkom­men­shäu­figkeit­en zu binden, aber.

Aber.

Ein Wort, das im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus des Insti­tuts für Deutsche Sprache genau einen Tre­f­fer hat? Und das in der Schweiz­er Tageszeitung St. Galler Tag­blatt? Aus dem Jahr 2001? In einem Zusam­men­hang, der so gar nichts mit der Bedeu­tung zu tun hat, mit der die Gesellschaft das Wort ver­sieht? Nämlich:

Ist der Zusam­men­stoss unver­mei­dlich, kön­nte eine Früherken­nung zumin­d­est das Ver­let­zungsrisiko der Pas­sagiere min­dern. Denn heute starten Sicher­heitssys­teme wie Airbag oder Gurt­straf­fer ihre Ret­tungsrou­tine erst, wenn sich die Kon­tra­hen­ten tat­säch­lich berühren und die Sen­sorik eine bedrohliche Sit­u­a­tion erkan­nt hat. [St. Galler Tag­blatt, Das sehende Auto, 9.11.2001]

Ein Wort, das selb­st der Spiegel im gemein­samen Archiv von Print und Online nur ein einziges Mal find­et? Und zwar eben­falls in einem Zusam­men­hang, der keinen Bezug zu Wirtschaft und Sta­bil­isierung hat? Nämlich:

1614 Ein­sätze fuhren die Nothelfer let­ztes Jahr, ret­teten dabei 1933 Men­schen, holten ver­let­zte Mas­chin­is­ten von Frachtern und klaubten im Sturm Män­ner von Bohrin­seln. … Häu­fig find­et die Ret­tungsrou­tine im tück­ischen Bran­dungs­bere­ich statt, bei hohen Grund­seen und mit nur weni­gen Metern Wass­er unter dem Kiel. [Der Spiegel, Sie rauschen weit­er, bis es böse knallt, 15.9.1975]

Ein Wort, für das sich nur mit Mühe über­haupt rel­e­vante Tre­f­fer find­en lassen, die nicht mit der Wörter­wahl selb­st zusam­men­hän­gen? Ein Wort, das haupt­säch­lich in einem ein­samen Zitat des CDU-Poli­tik­ers Wolf­gang Bos­bach über­liefert ist? Nämlich:

Bos­bach hat schon mehrfach gegen Ret­tungs­maß­nah­men ges­timmt. Den­noch rech­net er mit ein­er klaren eige­nen Mehrheit der Koali­tion im Par­la­ment: „Alleine der Umstand, dass die EFSF noch einige Jahre par­al­lel läuft zum ESM, wird nicht dazu führen, dass die Regierung keine eigene Mehrheit bekommt“, sagte er. Bos­bach beklagte „eine Art Ret­tungsrou­tine“, die sich bei den Euro-Hil­fen eingestellt habe. [dpa, zit. laut. Wirtschaftswoche, 28.3.2012]

Einem Zitat, das, wie die dpa in ihrer Mel­dung fest­stellt, die einzige Fund­stelle ist, die sie für das Wort in den „470 000 Artikeln, die alle deutschsprachi­gen Dien­ste der Nachricht­e­na­gen­tur dpa dieses Jahr bis zum Don­ner­stag ver­bre­it­eten“ find­en kann?

Wenn dieses Wort „pop­ulär“ und „sig­nifikant“ ist, dann mehr so im Stillen und gut ver­steckt vor der deutschen Sprachge­mein­schaft. Wenn es „öffentliche Diskus­sion des betr­e­f­fend­en Jahres beson­ders bes­timmt“ hat, dann muss das unter Auss­chluss der Öffentlichkeit geschehen sein. Wenn es „charak­ter­is­tisch“ ist, dann in dem Sinne, in dem Del­phine charak­ter­is­tisch für die Sahara sind.

Das ist kein „ver­bales Leit­fos­sil“, das ist eine ver­bale Zufallsmu­ta­tion, die es kaum aus der Mund­höh­le her­aus geschafft hat, in der sie geschlüpft ist. Wenn es den Wet­tbe­werb „Das bedro­hte Wort“ noch gäbe, man würde aufgeregt her­beieilen, denn ein der­art seltenes Wort hat man selb­st dort mit viel Mühe nie find­en können.

Um ein Wort zu find­en, das es noch weniger ver­di­ent, Wort des Jahres zu wer­den, wird die Gesellschaft für deutsche Sprache den Sieger im näch­sten Jahr gle­ich selb­st erfind­en müssen. Vielle­icht Wörter­wahlfälschung. Oder Sig­nifikanzver­bot. Oder Pop­ulärm (wie in Viel Pop­ulärm um Nichts).

Sprachbrocken 50/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wie das Bun­despatent­gericht heute offiziell bekan­nt­gab, betra­chtet es einzelne Buch­staben — hier: das M — als Wort­marke für schutzfähig. BMW möchte das M in der Pro­duk­tk­lasse „Sport­wa­gen“ ganz für sich haben, und das Patent­gericht sieht darin kein Prob­lem, da das M „zum einen unter­schei­dungskräftig“ sei, „da der ange­sproch­ene Durch­schnittsver­brauch­er dem Buch­staben „M“ keine beschreibende Bedeu­tung“ für die beantragte Pro­duk­tk­lasse beimesse. Zum anderen sei der Buch­stabe „auch nicht für die Konkur­renten der Anmelderin frei­hal­tebedürftig“ — mit anderen Worten: Nie­mand brauche diesen Buch­staben unbe­d­ingt zur Beschrei­bung eines Sport­wa­gens. Weit­er­lesen