Von alten Säcken und alten Damen

Von Anatol Stefanowitsch

Es fällt der taz in let­zter Zeit sichtlich immer schw­er­er, das eigene Niveau noch zu unter­bi­eten, aber Matthias Lohre ist es diese Woche wieder ein­mal gelun­gen: Er hat einen Text ver­fasst, der so unterirdisch verblödet und so unglaublich schlecht recher­chiert ist, dass man ern­sthafte Zweifel hegen muss, ob Texte bei der taz einen redak­tionellen Prozess durch­laufen, bevor sie freigeschal­tet werden.

Eine „neue Form der Diskri­m­inierung“ will der Kolum­nist gefun­den haben, eine, die er – offenkundig ganz ohne sich müh­sam mit der Forschungslit­er­atur zu Diskri­m­inierung zu befassen, mit inspiri­ert-beschwingtem Fed­er­strich „Alters­geschlechts­diskri­m­inierung“ nen­nt. Und die tre­ffe — wait for it — „auss­chließlich Män­ner, alte Männer“.

Für eine der­ar­tig absurde Behaup­tung dürften die für gesellschaftliche Diskri­m­inierung ver­mut­lich über­durch­schnit­tlich sen­si­bil­isierten LeserIn­nen der taz über­wälti­gend überzeu­gende Belege erwarten. Und diese Erwartung wird umge­hend mit ein­er Kon­se­quenz ent­täuscht, wie sie derzeit nur die taz an den Tag leg­en kann. Und da die Belege rein sprach­lich­er Natur sind, greife ich sie im Sprachlog kurz auf, obwohl Felis die wesentliche Antwort bere­its geliefert hat.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele sex­is­tis­ch­er und alters­diskri­m­inieren­der Sprache.] Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 16/2013

Von Sprachlog

Diese Woche geht es im Spek­tro­gramm um absichtliche und unab­sichtliche Missver­ständ­nisse, um bedro­hte und tote Sprachen und um imag­inäre Fre­undIn­nen. Viel Spaß damit!

  • Muriel Sil­ber­streif von ÜBERSCHAUBARE RELEVANZ zer­legt für uns einen Beitrag von Dieter Nuhr über das, was er für poli­tisch kor­rek­te Sprache hält. Das Schöne: so bleibt Ihnen Dieter Nuhr erspart.
  • Eine Forscher­gruppe um Steven Bird von der Uni­ver­si­ty of Mel­bourne hat eine App entwick­elt, die die Doku­men­ta­tion von bedro­ht­en Sprachen sehr vere­in­facht — wie das funk­tion­iert, zeigen Bericht und Videos auf dem Blog des ROSETTA PROJECT (Englisch). (Via @linguistlist)
  • In North Car­oli­na nimmt ein Latein­lehrer das spielerische Ler­nen ganz genau und macht aus seinem Unikurs ein Rol­len­spiel (Englisch).
  • Auf SUPERLINGUO (Englisch) berichtet Lau­ren Gawne von ihren Erfahrun­gen mit Visa Pay­wave — einem Pro­duk­t­na­men, der zu uner­wün­schtem Kun­den­ver­hal­ten führt.
  • Und zum Schluss noch was zum Guck­en: Evan Kidd spricht bei Tedx Syd­ney über Forschung zu imag­inären Fre­undIn­nen bei Kindern — sie haben unter anderen Auswirkun­gen auf die Sprachen­twick­lung! (Via Super­lin­guo)

Sprachbrocken 16/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Während die römisch-ortho­doxe Kirche sich mit Jorge Mario Mer­goglio aka Franziskus I schon des zweit­en twit­tern­den Pap­stes in Folge rüh­men kann, muss ihr rus­sis­ches Gegen­stück wohl auf abse­hbare Zeit ohne Kurz­nachricht­en ihres Ober­haupts auskom­men. Wie die Nachricht­e­na­gen­tur RIA NOVOSTI berichtet, hält Wladimir Michailow­itsch Gund­ja­jew aka Kyril I nichts von der „Twit­ter-Sprache“, dem „Twit­ter-Stil“ und vor allem wohl dem „Twit­ter-Tem­po“, das die Welt heutzu­tage erwarte. Seel­sorge sei wichtiger als prompte Reak­tio­nen auf aktuelle Ereignisse. Der Pon­tif­ex sieht das ja offen­sichtlich anders: Statt, wie sein Vorgänger, nur Kalen­der­sprüche zu twit­tern, bat er vorgestern seine Schäfchen darum, mit ihm gemein­sam für die Opfer der Explo­sion in ein­er tex­anis­chen Düngemit­telfab­rik zu beten. Nett gemeint, zweifel­sohne, aber schw­er nachvol­lziehbar, warum aus­gerech­net dieses Ereig­nis – und auss­chließlich dieses – sein­er Aufmerk­samkeit würdig ist. Weit­er­lesen

Anaphern und Bedienungsanleitungen: Unsinn in der Zeit

Von Kristin Kopf

In der Hochschul­spi­elecke von Zeit online find­et sich viel Belan­glos­es — aber der aktuelle Test, mit dem man her­aus­find­en kön­nen soll, ob man eine Ger­man­is­tik-Ein­führungsvor­lesung über­ste­hen würde, zeugt darüber hin­aus von sprach­wis­senschaftlich­er Unken­nt­nis, die sich mit sim­plem Googeln hätte beseit­i­gen lassen.

In drei Fra­gen geht es um lin­guis­tis­che Inhalte, zwei davon sind mit den gegebe­nen Optio­nen nicht beant­wort­bar. Bei der einen kann ich den Fehler noch einiger­maßen zugeste­hen, woher soll man auch wis­sen, dass Lit­er­atur­wis­senschaft­lerIn­nen und Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen ein und densel­ben Begriff in zwei ver­schiede­nen Bedeu­tun­gen verwenden?

Unter ein­er Ana­pher ver­ste­hen Sprachwissenschaftler…

o ein Wort, das sich am Anfang mehrerer aufeinan­der­fol­gen­der Sätze wiederholt.

o die Wieder­hol­ung des­sel­ben Kon­so­nan­ten am Anfang mehrerer Wörter in einem Satz.

o die Wieder­hol­ung des­sel­ben Lautes in aufeinan­der fol­gen­den Wörtern.

Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen wie ich sie kenne, ver­ste­hen unter ein­er Ana­pher nichts von all­dem, son­dern einen Aus­druck, der auf das­selbe referiert wie ein zuvor schon ver­wen­de­ter Aus­druck, so wie es im fol­gen­den Beispiel:

Bei Zeit online gibt es ein Rät­sel. Es ist nicht lösbar.

Näheres find­et sich z.B. hier. Natür­lich gibt es auch die Ana­pher aus der klas­sis­chen Rhetorik, so wie sie in der ersten Antwort­möglichkeit beschrieben wird — die ist aber eher für Lit­er­atur­wis­senschaft­lerIn­nen interessant.

Bei der anderen Frage habe ich allerd­ings über­haupt kein Verständnis:

Ger­man­is­ten analysieren fast jeden Text – Haupt­sache, er ist in deutsch­er Sprache ver­fasst. Für welche der fol­gen­den Textfor­men inter­essieren sie sich nicht?

o Bedi­enungsan­leitun­gen

o Min­nesang

o SMS

Na? Weit­er­lesen

Wer ist maskulin, wer ist feminin?

Von Anatol Stefanowitsch

Wegen eines nicht beson­ders guten Blog­beitrags wurde heute in mein­er Twit­ter-Time­line disku­tiert, welch­es gram­ma­tis­che Geschlecht das Frage­pronomen wer hat – genauer, ob es sich wie in dem ver­link­ten Beitrag behauptet, um ein Maskulinum handelt.

Sprach­wis­senschaftlich ist das keine ein­fache Frage. In eini­gen Zusam­men­hän­gen ver­hält es sich wie ein soge­nan­ntes Utrum, eine Form die sich auf Men­schen (und manch­mal uns nah­este­hende Tiere), aber nicht auf unbelebte Gegen­stände bezieht. So kann mit wer nach Maskuli­na, Fem­i­ni­na und Neu­tra gefragt wer­den,  solange es Men­schen sind. Bei Gegen­stän­den muss dage­gen mit was oder welch­es gefragt wer­den: Weit­er­lesen

Dr. Murke, der Herr der Ringe und Rita: Das aufgelöste Donnerstagsrätsel (3)

Von Kristin Kopf

Die immer wieder vehe­ment geforderte Lösung zum drit­ten Don­ner­stagsrät­sel hat endlich ihren Weg ans Tages­licht gefun­den. Am näch­sten dran war San­dra mit 3 von 4 richti­gen Antworten — Gratulation!

1

Wom­it quält sich ein gewiss­er Dok­tor Murke in ein­er nach ihm benan­nten Erzäh­lung herum?

Die Erzäh­lung ist Dok­tor Murkes gesam­meltes Schweigen, eine Kurzgeschichte von Hein­rich Böll, und während Dr. Murke Schweigen sehr zu schätzen weiß, quält er sich ganz schön mit b) Kasus­mor­pholo­gie herum — das Wort selb­st fällt aber in der Geschichte nicht.

2

Für welche/n der fol­gen­den Filme/Serien wurde nicht eigens eine Sprache entwickelt?

Hier wird es trick­re­ich: Für Game of Thrones (2011–) wurde Dothrakisch entwick­elt. In den Büch­ern, die der Serie als Vor­lage dienen, gab es zwar schon einzelne Wörter und Phrasen, aber eine richtige Sprache wurde erst in der Ver­fil­mung daraus. Für Avatar (2009) erfand man Na’vi und für Star Trek das ver­gle­ich­sweise berühmte Klin­go­nisch (hier erzählt sein Erfind­er). Bleibt noch der c) Herr der Ringe (2001–2003) — natür­lich gibt es da erfun­dene Sprachen, näm­lich Quenya und Sin­darin, die Sprachen der Elben, und sehr mar­gin­al die von Sauron und seinen Ver­bün­de­ten genutzte Schwarze Sprache. Das ist die Sprache, in der die Inschrift des Rings ver­fasst wurde. Diese Sprachen wur­den allerd­ings nicht für die Filme entwick­elt, son­dern bere­its für die Büch­er, von J.R.R. Tolkien selbst.

So weit, so gut. Wer aber haarspal­ter­isch ver­an­lagt ist und/oder ein ganzes Regal voller Tolkien­büch­er hat, so wie mein guter Fre­und Julian Jarosch, der find­et natür­lich trotz­dem noch eine für den Film entwick­elte Sprache: Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 15/2013

Von Sprachlog

Pünk­tlich zur Pol­len­ex­plo­sion hof­fen wir, dass Sie sich für heute nicht allzu viel vorgenom­men haben. Immer­hin darf sich der Son­ntag nicht zum Rum­lungern auf der faulen Sofa­haut auswach­sen, ja?

  • Auf ANGRY BLACK LADY CHRONICLES stellt Emi­ly L. Hauser fest, dass…, also, nun­ja, äh, in etwa so: Wenn Ihr Mag­gie Thatch­er belei­di­gen wollt, dann tut das bitte nicht auf Kosten unser­er Gen­i­tal­ien! Bas­ta!
  • In Schot­t­land hat man möglicher­weise ein Schrift­sys­tem der Pik­ten gefun­den, berichtet TERMCOORD. Der Bericht bezieht sich ver­mut­lich auf diese Studie (OA), die allerd­ings schon 2010 erschien.
  • Das BRITISH COUNCIL hat eine Kon­ferenz gestreamt und stellt u.a. den Ple­nar­vor­trag von David Crys­tal über „Bea­t­les, Blends and Blogs“ online — sehr unter­halt­sam und lehrre­ich (Beginn bei ca. 15:40min).
  • Ein klein­er britis­ch­er Ver­lag hat mit Unter­stützung aus sozialen Net­zw­erken Ama­zon dazu bewegt, seine Kinder­büch­er in kor­nisch­er Sprache im Kin­dle-Shop bere­itzustellen — berichtet der GUARDIAN.
  • Der BR spricht in „Sozusagen“ mit Mar­tin Haase von NEUSPRECH.org über Sprach­lü­gen (ca. 6min), danach bemerkenswert drastisch über echte Sprachpoli­tikpolizei (!) in Québec (ca. 3min).
  • Eben­falls im BR berichtet man von der sisyphos­alen Kleinar­beit an der Uni­ver­sität Nürn­berg-Erlan­gen, wo Mil­lio­nen von Dialek­t­bele­gen zum Fränkischen Wörter­buch dig­i­tal­isiert wer­den (ver­linkt im LEXIKOGRAPHIEBLOG).
  • Michael Mann vom LEXIKOGRAPHIEBLOG hat eine Über­sicht zu Inter­netwörter­büch­ern des Deutschen zusam­mengestellt (und ist jet­zt bei Twit­ter und Face­book zu find­en). #sun­day­fol­low!
  • Ver­wirrung der Woche: der mak­aber ambige Hash­tag #nowthatch­ers­dead führte zu Trauer­bekun­dun­gen unter Musik­fans, berichtet z.B. THE AGE.

Sprachbrocken 15/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Viele Uni­ver­sitäten, Behör­den und andere staatliche Ein­rich­tun­gen haben Leit­fä­den zur geschlechterg­erecht­en Sprache. Nicht, weil sie von link­sex­tremen, sex­uell aus­ge­hungerten Gut­men­schen (wie mir) geleit­et wer­den, son­dern, weil es Gle­ich­stel­lungs­ge­set­ze gibt, die das fordern (und die wiederum, liebe Fre­unde ((Kein gener­isches Maskulinum)) der max­i­malen Man­nig­faltigkeit männlich­er Mei­n­ungsäußerun­gen, set­zen nur Artikel 3, Abs. 2 eures gren­zen­los geliebten Grundge­set­zes um). Auch die Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragte der UNIVERSITÄT ZU KÖLN hat ger­ade einen solchen Leit­faden her­aus­gegeben und damit die Köl­ner Redak­tion der BILD auf den Plan gerufen. „Müssen wir jet­zt alle „Bürger*innensteig“ sagen?“ fragt die, und fährt besorgt fort: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Nun, „man“ darf natür­lich sagen, was „man“ will, solange „man“ nicht Mitarbeiter/in der Uni­ver­sität zu Köln (oder ein­er anderen Behörde mit einem entsprechen­den Leit­faden) ist. Insofern ist das ganze eigentlich keine Nachricht, aber vielle­icht ist es ein ermuti­gen­des Zeichen, dass die BILD es für eine hält und nach den besorgten Ein­stiegs­fra­gen erstaunlich neu­tral über Gen­der­gap, männliche Dom­i­nanz und gesellschaftliche Akzep­tanzprob­leme berichtet. Was die Kom­men­ta­toren ((Kein gener­isches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, der Köl­ner Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragten zu bescheini­gen, nicht alle „Tassen/Tassinen im Schrank“ bzw. „ein paar Schrauben/Schrauber lock­er“ zu haben. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 14/2013

Von Sprachlog

Diese Woche erscheint ein ganz beson­deres Spek­tro­gramm: die Redak­tion hat sich per­sön­lich getrof­fen, viele Links durch­forstet, harte Auswahlkri­te­rien angelegt und das geplante Abend­pro­gramm um eine Stunde ver­schoben. Voilà:

  • Die Presseagen­tur Asso­ci­at­ed Press (AP) hat sich entsch­ieden, auf den Begriff ille­gal immi­grant zu verzicht­en — und zwar nicht zu Gun­sten eines anderen, nicht-diskri­m­inieren­den Begriffs. Wie? TIME NEWSFEED berichtet (Englisch).
  • Bis der Früh­ling auch wirk­lich da ist, kann man bei DR. BOPP nach­le­sen, warum es viel schön­er wäre, wenn es cald statt kalt wäre.
  • Der Sozial­wis­senschaftler Calvin N. Ho nimmt Jobanzeigen eines kali­for­nischen Restau­rants — in Englisch für Ser­vice- und in Spanisch für Küchen­per­son­al — zum Anlass, über die Aus­prä­gun­gen sozialer Strat­i­fizierung im amerikanis­chen Arbeits­markt zu reflek­tieren.
  • Info­grafik der Woche: Klein, über­sichtlich und sehr hüb­sch anzuse­hen ist die Grafik zu sprach­lich­er Vielfalt weltweit, erschienen in der ZEIT.

Sprachbrocken 14/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Sich über die Jugend und ihren Sprachge­brauch zu echauffieren, sei den Sprach­nör­glern, Kul­tur­fix­ier­ern und anderen Verän­derungs-verängstigten von Herzen gegön­nt – schließlich haben es schon ihre Großel­tern so gehal­ten, und deren Großel­tern und die Großel­tern der Großel­tern von deren Großel­tern. Aber spätestens wenn er sich unverse­hens dabei ertappt, mit Wladimir Putin ein­er Mei­n­ung zu sein, sollte auch der fanatis­chste Ver­gan­gen­heits­fun­da­men­tal­ist einen Augen­blick innehal­ten und über die gedanklichen Schritte nach­denken, die ihn in diese unan­genehme Sit­u­a­tion gebracht haben. Das ist Edwin Baum­gart­ner von der WIENER ZEITUNG nicht gelun­gen. Putins Gesetz gegen Kraftaus­drücke im Fernse­hen ziele zwar wegen sein­er willkür­lichen Ausleg­barkeit ein­deutig auf eine Zen­sur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die syn­chro­nisierten Fas­sun­gen amerikanis­ch­er Filme inspiri­erten zotig-vul­gären Sprachge­brauchs der heuti­gen Jugend (wirk­lich, das habe ich mir nicht aus­gedacht) sei es ja Zen­sur zu einem guten Zwecke.
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