Die französische Sprache steht kurz vor dem Aussterben: zu einer „banalen“, ja „toten Sprache“ werde es, befürchtet der Sprachschützer Bernard Pivot, wenn die französische Bildungsministerin sich mit ihrem Plan durchsetze, an französischen Universitäten auch das Englische als Unterrichtssprache zuzulassen. Denn Sprache, so Pivot, sei das, was eine Nation ausmache und schon seit jeher sei es so gewesen, dass Siegermächte den Besiegten ihre Sprache aufgezwungen hätten. Als Franzose kennt er sich da aus, denn die Kolonialmacht Frankreich hat das bestens vorgemacht, was es Pivot ermöglicht, in einem Nebensatz von „unseren“ – also französischen – „großen Schriftstellern aus Afrika und von den Antillen“ zu schwärmen. Aber wenn es das Französische ist, das verdrängt wird, und sei es nur aus ein paar Seminaren, dann steht die französische Nation vor dem Aus. Auch die Ironie, dass mit dem Englischen eine Sprache nach Frankreich zurückkehrt, die sich durch eine jahrhundertelange französische Besatzung bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, entgeht ihm offensichtlich. Weiterlesen
Sprachbrocken 19/2013
Die Geschichte der geschlechtergerechten Sprache, das mussten wir auch dieser Tage wieder feststellen, ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Voller mutwilliger, vermeidbarer Missverständnisse, die eigentlich bereits hundert Mal ausgeräumt worden sind.
Dass die Macher/innen der Heidelberger Studierendenzeitung RUPRECHT nicht die hellsten Sterne am qualitätsjournalistischen Sternenhimmel sind, wird schnell klar, wenn man mit dem konfrontiert wird, was diese für „Satire“ halten: Sexismus mit einer Prise Verharmlosung von rechtsextremem Terrorismus. Auf der Titelseite eines fiktiven „Heidelbergerinnener Studentinnenmagazins“ namens „carola“ finden sich Teaser wie „Ohne Lernen durch die mündliche Prüfung: Unsere besten Styling-Tipps“ aber auch „Frau Zschäpe plaudert aus dem Nähkästchen / Zwischen zwei Männern / Beate über die besten Untergrund-Stellungen für drei“. Anlass dieser „Satire“ ist die Entscheidung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gendern“ und auch den Untertitel der Zeitschrift von Heidelberger Studierendenzeitung in Heidelberger Studentenzeitung zu ändern. Weiterlesen
Blogspektrogramm 20/2013
Statt lorem ipsum: ich bin mal wieder son Einleitungstext und frage mich manchmal, ob mich jemand liest. Wäre das Verfassen dieser Zeilen sonst nicht eine unerhörte Verschwendung frühsonntäglicher Lebensfreude? Ähem, jetzt aber mal zur Sache — unsere auserwählten Worte zum Sonntag:
- Die BBC berichtet über Texas German, das (noch) von Nachfahren deutscher EinwanderInnen gesprochen wird (überwiegend, äh, Englisch, mit Deutsch und englischen Untertiteln).
- Michael Mann fragt sich, welches (Bundes-)Land als Vergleichsgröße in „X‑mal so groß, wie Y“ besonders häufig herhalten muss — und ob das tatsächlich auffällig häufig das Saarland ist.
- Wer nicht auf Twitter wohnt, hier noch mal der Hinweis auf den „Jargon Watch“ in der WIRED, wo unser Autor Anatol Begriffe für den „gepflegten Geek-Small-Talk“ vorschlägt.
- David Crystal befasst sich mit alternierenden sprachlichen Ausdrücken und deren konzeptueller Unterschiede — erklärt am Beispiel von a pair of jeans was/were made (Englisch).
- Samuel McNerney reflektiert in SCIENTIFIC AMERICAN eine alte, aber immer noch aktuelle Debatte in der Linguistik (der Beitrag ist von 2011, aber eben sehr nett).
Blogspektrogramm 19/2013
Liebe Mütter, liebe sonstigen Menschen, herzlich willkommen zum neunzehnten Blogspektrogramm! Heute geht es unter anderem um uralte Wörter, ganz neue Wörter und das Image von Sprachen.
- Im LEXIKOGRAPHIEBLOG untersucht Michael Mann den Einsatz von griechischen Buchstaben zu Verfremdungszwecken und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die Sprache ein »zackiges« Image hat.
- Auf EPHEMERA hat sich Sprachlogautor Anatol Stefanowitsch mit der Bezeichnung Haustürken aus einer taz-Kolumne von Kübra Gümüsay auseinandergesetzt.
- In den letzten Tagen ging eine Studie zur Rekonstruktion von 23 »Urwörtern« einer angeblich 15.000 Jahre alten Ursprache durch die Medien (hier, extrem schlecht hier), die Aysa Pereltsvaig und Martin Lewis auf GEOCURRENTS (Englisch) massiv kritisieren.
- Dass ein Wort nicht zuerst im Duden steht und dann erst verwendet werden kann, sollte SprachlogleserInnen hinreichend bekannt sein. Wenn nicht, leistet dieses Video von DUDENONLINE Aufklärungsarbeit.
- Auf INSPIRATION & MORE (Englisch) teilt Meghann ihre ganz subjektiven Eindrücke zu verschiedenen Sprachen. Haben Sie Ergänzungen? Gerne in den Kommentaren!
Von Tribunen und Tribünen
Am Montag scheiterte bei Wer wird Millionär? ein Kandidat an der „Wortherkunft“ von Tribüne, deren Herleitung RTL immerhin 125.000€ wert gewesen wäre. Was zunächst von RTL als einfach suggeriert und in der Folge von vielen Boulevardjournalisten und Kommentatoren als „offensichtlich“ dargestellt wurde, ist aber etwas komplexer (das Sprachlog twitterte).
Die Frage lautete: Weiterlesen
Blogspektrogramm 18/2013
Und nun, liebe Leserinnen und Leser, kommen – *tusch* – die dieswöchigen Links mit allerhand unterhaltsamen Geschichten, spannenden Phänomenen und Star Wars.
- Der Staat Washington hat seine Gesetze komplett in geschlechtergerechte Sprache überführt. LUISE PUSCH kommentiert die Änderungen und erinnert, auf das Deutsche bezogen, an ihren radikalsten Reformvorschlag.
- Von aktuellen Ereignissen inspiriert hat sich Stefan Hartmann von PRIEMELPFUHL Geschichte, Verwendung und Bedeutung der Begriffe asozial und unsozial angesehen.
- Anne Curzan (hier) und Geoff Pullum (hier) kommentieren im CHRONICLE OF HIGHER EDUCATION im Zusammenhang mit John McWorthers TED-Vortrag (BS 17/2013) den Status von slash als Konjunktion slash Disjunktion (Englisch).
- Michael Mann vom LEXIKOGRAPHIEBLOG erzählt uns in einem zweiteiligen Beitrag etwas zum Heavy-Metal-Umlaut und die Kyrillisierung von Text aus Designgründen.
- Zum gestrigen „Star Wars Day“ noch eine von vielen, vielen Meldungen dazu: Die Kult-Reihe soll in Navajo übersetzt werden, gemessen an den SprecherInnenzahlen größte indigene Sprache Nordamerikas (Englisch).
- Total April, immer aktuell: Geoff Nunberg nimmt die Diskussion um das Wort marriage aus lexikografischer Sicht unter die Lupe (Englisch).
Sprachbrocken 18/2013
Mein wöchentliches Durchkämmen der Presse liefert nicht immer Material für die Sprachbrocken – so auch diese Woche. Ich habe deshalb per Twitter nach Themenwünschen gefragt, die ich im Sprachbrockenformat beantworten könnte. Aus den zahlreichen Wünschen habe ich vier ausgewählt, zu denen mir spontan etwas einfiel (die übrigen Vorschläge habe ich mir notiert und werde vielleicht bei Gelegenheit darauf zurückkommen). Los gehts.
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Shitstormgeburtstag
Seit wir 2011 Shitstorm zum Anglizismus des Jahres gewählt haben, vergeht kaum eine Woche, in der ich meinen Namen nicht irgendwo in Verbindung mit diesem Wort lesen darf. Wann immer ein Shitstorm diskutiert wird, finden sich in einem Nebensatz oder in einem erklärenden Kasten ein Hinweis auf unsere Wahl und ein oder zwei Zitate von mir. Obwohl ich leicht zu erreichen bin, sind diese Zitate normalerweise alt und stammen aus Pressemitteilungen oder Interviews, und nicht aus meiner Laudatio oder Susannes exzellenten Beiträgen zu diesem Wort. ((Wobei hier ein Lob an die Wikipedia angemessen ist, die sich in dem Eintrag zu diesem Wort in wichtigen Punkten auf unsere Recherchen stützt.)) So auch heute, wo eine Pressemeldung der dpa den 50. Geburtstag des Wortes bekannt gibt (abgedruckt z.B. in der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Vermeintlich neues Wort“): Weiterlesen
Blogspektrogramm 17/2013
- Ben Zimmer schreibt im BOSTON GLOBE (Englisch) über surreal, nach den Bombenexplosionen beim Marathon eines der am häufigsten aufgerufenen Worte im Merriam-Webster Dictionary.
- John Simpson, Chefredakteur des Oxford English Dictionary (OED) gibt nach 37 Jahren in diesem Jahr seinen Posten auf — TIME ENTERTAINMENT hat mit ihm über seine Arbeit allgemein und die spannende Zeit der Umstellung von Print auf Online gesprochen (Englisch).
- John McWorther spricht auf TEDtalks über „txtng“ oder „fingered speech“ (etwa: SMS, Chat & sonstige orthografisch verkürzte Sprache) — und warum es die Sprache nicht kaputt macht (Englisch).
- Auch auf TEDtalks, zwar nicht neu, aber immer aktuell: Kate Burridge von der Monash University über Euphemismen (Englisch).
- Die entgegengesetzte Richtung schlagen Ane Kleine-Engel und Jutta Schumacher auf INFOLUX ein: sie gehen der Etymologie der unglücklich zahlreichen Bezeichnungen für Dummkopf auf den Grund.
- Der INDEPENDENT (Englisch) berichtet von Forschungen zur Fähigkeit von Walen bei der Mustererkennung von akustischen Signalen — und dass diese Tiere menschliche Laute imitieren können. (Achtung: der Artikel versäumt eine saubere Trennung von unbedingt auseinander zu haltenden Ebenen — tierische Imitation bzw. Vokalisierung sollte nicht mit (menschlicher) Sprache verglichen werden.)
- Etwas spezieller und detaillierter: wer sich für Namenforschung interessiert, wird im ONOMASTIKBLOG fündig. Dieter Kremer über die italienischen Schmieds — Ferrari und Ferrero.
Sprachbrocken 17/2013
Über die religiösen Mythen exotischer Kulturen kursieren ja die wildesten Gerüchte, was häufig daran liegt, dass sie in ebenso exotischen Sprachen abgefasst sind und dass es keine Übersetzungen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilenstein des interkulturellen Verständnisses zu feiern, der diese Woche bekannt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung“ (bei Fundamentalisten aus nicht nachvollziehbaren Gründen als „Episode I“ bekannt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Navajo übersetzt. Damit wird dieses urtümliche und schwer verständliche Epos erstmals Mitgliedern einer fortgeschrittenen Zivilisation zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Einblicke in das spirituelle Leben der sogenannten „Amerikaner“ (die sich selbst nur People, also grob übersetzt „Menschen“ nennen) erhalten. Weiterlesen