Warum der Plural kein Femininum ist

Von Anatol Stefanowitsch

In unserem Lek­türetipp vom Dien­stag ging es unter anderem um einen Beitrag, in dem der Sprach­wis­senschaftler André Mei­n­unger die eigen­willige These ver­tritt, dass das gener­ische Maskulinum ((Also die Ver­wen­dung masku­lin­er For­men für gemis­chte Grup­pen (In mein­er Vor­lesung sitzen 300 Stu­den­ten) oder abstrak­te Kat­e­gorien (In mein­er Sprech­stunde waren heute keine Stu­den­ten).)) keine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen darstelle, da ihm im Plur­al ein gener­isches Fem­i­ninum gegenüber ste­he. Der Kern sein­er Argu­men­ta­tion geht so:

Das Deutsche ist so gerecht und frauen­fre­undlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht. Die Plu­ral­form ist die weib­liche. Wir sagen so selb­stver­ständlich „sie“, dass es gar nicht auf­fällt. Rein syn­chron, also auf den gegen­wär­ti­gen Sprachzu­s­tand bezo­gen, und for­mal, also auf die äußer­lich sicht­bare Erschei­n­ung bezo­gen, ist das Plu­ral­pronomen iden­tisch mit der weib­lichen Sin­gu­lar­form. Also: Selb­st wenn eine reine Män­ner­gruppe schießt oder alle Män­ner schwitzen, heißt es „sie schießen“ oder „sie schwitzen“. … Und das bedeutet, wir haben im Deutschen sehr wohl schon lange und vol­lkom­men unent­deckt ein gener­isches Fem­i­ninum. Dieses macht sich im Plur­al deut­lich – und ist dabei aber schein­bar so undeut­lich, dass es entwed­er nie­mand bemerkt hat oder wissentlich ver­schwiegen wird. Die deutsche Sprache ist also sehr gerecht. Im Sin­gu­lar scheint es eine Art gener­isches Maskulinum zu geben, im Plur­al ein fem­i­nines. Der Plur­al heißt “sie”. Und auch im Sub­stan­tivbere­ich ist der Artikel für die Mehrzahl for­m­gle­ich mit dem fem­i­ni­nen Artikel: “die”. ((Mei­n­unger, André (2013). Wie sex­is­tisch ist die deutsche Sprache? Die WELT, 7. Juli 2013.))

Die Sprach­wis­senschaft­lerin Luise Pusch antwortet in ihrem Blog aus­führlich auf Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion und zeigt, dass der Plur­al im Deutschen keineswegs ein Fem­i­ninum ist, auch wenn Pronomen und Artikel im Plur­al und im Fem­i­ninum Sin­gu­lar gle­ich ausse­hen. Ihre Argu­men­ta­tion will ich hier nicht wieder­holen, wer ihren Artikel noch nicht gele­sen hat, sollte das jet­zt tun und dann zurückkommen.
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Von der Neutralität der Linguistik

Von Susanne Flach

Auf Ana­tols gestri­gen Lit­er­aturhin­weis zu Luise Puschs Rep­liken auf Maskulin­guis­ten kom­men­tierte Leser Mar­tin, dass er nicht ver­ste­ht, wie man „aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht einen aktiv­en Ein­griff in den Sprachge­brauch befür­worten“ könne. Auf diese Art Argu­men­ta­tion wollte ich schon seit langem mal einge­hen. Die Gele­gen­heit ist günstig.

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Pusch 2, Maskulinguisten 0

Von Anatol Stefanowitsch

Da wir Sprachlog-Autorin­nen so eine Art Mis­chung aus Hitze­frei und Hausar­beit­enko­r­rek­turzwang haben, hier ein Lesetipp für zwischendurch.

Die Uni­ver­sität Leipzig hat mit ihrer Entschei­dung, in ihrer Satzung das gener­ische Fem­i­ninum zu ver­wen­den, eine inter­es­sante öffentliche Debat­te um geschlechterg­erechte Sprache aus­gelöst, bei der – anders als es bei Diskus­sio­nen um Sprache son­st häu­fig der Fall ist – auch Sprachwissenschaftler/innen zu Wort kamen. So hat der Tagesspiegel meinen FU-Kol­le­gen Horst Simon inter­viewt, ich selb­st durfte Spiegel Online Rede und Antwort ste­hen, und Luise Pusch, eine der geisti­gen Müt­ter der Fem­i­nis­tis­chen Sprach­wis­senschaft, hat der Deutschen Welle erk­lärt, worum es geht (eine Langver­sion ihres Inter­views hat sie in ihrem Blog Laut & Luise veröf­fentlicht. Das ist aber noch gar nicht der Lesetipp, denn auf diese Texte haben wir in unserem Blogspek­tro­gramm bere­its ver­linkt. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 30/2013

Von Sprachlog

Für die geistige Entspan­nung gibt’s in der heuti­gen Som­mer­aus­gabe neben Diver­sität, Kom­plex­ität, Gram­matik kom­pliziert­er Sprachen und Per­son­al­pronomen auch ein paar Fußnoten. ((Note to self: Wir müssen die Schlagzahl der Rep­liken unbe­d­ingt erhöhen.))

  • Juliana Goschler alias DR. MUTTI ent­larvt das sprach­liche Lavieren des kon­ser­v­a­tiv­en Lagers vom „Recht auf Unter­schiedlichkeit“ (für Kinder! Ha!) beim Adop­tion­srecht für Per­so­n­en in gle­ichgeschlechtlich­er Ehe.
  • Wolf­gang Krischke schreibt in DIE ZEIT über sprach­liche Kom­plex­ität und geht der Frage nach, ob es stimmt, dass alle Sprachen gle­ich kom­plex sind. ((Die Frage nach der Kom­plex­ität wird auch inner­halb der Lin­guis­tik übri­gens ver­mut­lich so lange von allen Lagern mit den unter­schiedlich­sten Posi­tio­nen und Ergeb­nis­sen disku­tiert wer­den, wie Kom­plex­ität unter­schiedlich inter­pretiert und/oder oper­a­tional­isiert wird.))
  • Eine Mas­ter­ar­beit über die Gram­matik von lol­cat speechVoilà (via @linguisten, Englisch).
  • Erin­nern Sie sich an Shark­na­do? Allan Met­calf disku­tiert im THE CHRONICLE OF HIGHER EDUCATION (Englisch), wie man so was nen­nt, also lin­guis­tisch. Also den Titel. Und ob unser herkömm­lich­es Fach­vok­ab­u­lar aus­re­ichend ist.
  • DIE ZEIT beant­wortet eine Leser/in­nen-Fra­gen bei „Stimmt’s?“ zum The­ma ob die Anzahl von Linkshän­dern in ein­er Sprachge­mein­schaft mit der Schreib­rich­tung ihres Schrift­sys­tems korreliert.
  • Videotipp der Woche: Tom Scott bespricht unter TOM’S LANGUAGE FILES in kurzen Videos Beson­der­heit­en der Sprache (Englisch). Für heute empfehlen wir ((Die Sache mit dem Schlüs­sel ist für meinen Geschmack etwas über­trieben grundle­gend und weitre­ichend dargestellt, aber dazu ein ander mal.)) das mit den geschlechts(neutralen) Pronomen im Englis­chen: „There are folks that don’t fit into or don’t want to declare us either of these cat­e­gories. And if that sur­pris­es you, you need to go out more.“

Blogspektrogramm 29/2013

Von Sprachlog

Som­mer, Sonne, Spek­tro­grand — heute geht’s vor allem um Spi­onage, um die forenis­che Sti­l­analyse eines Krim­is und um Bedeu­tungswan­del in großem Stil.

  • Wer uns auf Face­book mag, hat den Hin­weis auf die online ver­füg­bare BR-alpha-Doku­men­ta­tion zu Kon­rad Dudens Leben und Werk ja schon gese­hen — für alle anderen gibt es den Vierteil­er hier, hier, hier und hier.
  • Ein­satz von Spi­onage­soft­ware unter eng­sten Voraus­set­zun­gen? Beste Voraus­set­zun­gen dafür, ins NEUSPRECHBLOG aufgenom­men zu wer­den. (Schon älter.)
  • J.K. Rowl­ing hat neben Har­ry Pot­ter nicht nur The Casu­al Vacan­cy geschrieben, son­dern auch einen Kri­mi — unter Pseu­do­nym. Wertvolle Hin­wiese darauf lieferte eine com­put­er­lin­guis­tis­che Analyse des Textes, wie Ben Zim­mer auf SPEAKEASY schreibt (Englisch).
  • Ein Inter­view mit den bei­den Wis­senschaftlern, die die eben erwäh­nte foren­sis­che Sti­l­analyse durchge­führt haben, gibt es im LANGUAGE LOG (Englisch).
  • Schon vor ein­er Weile stellte Susie Dent im OXFORDWORDS BLOG 15 engliche Wörter vor, deren Bedeu­tung sich drastisch verän­dert hat. Die dahin­ter­ste­hen­den Prozesse sind übri­gens in den meis­ten Fällen gar nicht so »strange« wie sie schreibt, aber dazu ein ander­mal (Englisch).
  • Und zum Abschluss noch ein XKCD-Com­ic, der sich auf ein typ­is­ches Inter­net­phänomen­bezieht, dass sie sich­er alle ken­nen (Englisch).

Shitstorm wem Shitstorm gebührt

Von Anatol Stefanowitsch

Das Oxford Eng­lish Dic­tio­nary ist ein­er lan­gen Tra­di­tion sorgfältiger lexiko­grafis­ch­er Arbeit auf höch­stem wis­senschaftlichen Niveau verpflichtet – es ist qua­si, wie sein Name schon sagt, das Oxford unter den Eng­lish Dictionaries.

Dabei spielt vor allem die Suche nach Erst­bele­gen – also den ersten schriftlich doku­men­tierten Ver­wen­dun­gen von Wörtern – eine Rolle. Diese wer­den häu­fig von lex­ophilen Laien an die Redak­tion des OED geschickt, wo sie dann sorgfältig nach allen Regeln der Wörter­buch­macherei über­prüft und gefak­tencheckt wer­den, bevor sie den bish­eri­gen Erst­be­leg eines Wortes auf die Müll­halde der Sprachgeschichte befördern dürfen.

Oder sie wer­den ein­fach aus Inter­netquellen mit notorisch unzu­ver­läs­siger Datierung über­nom­men ohne auch nur ober­fläch­lich auf Plau­si­bil­ität über­prüft zu wer­den. So geschehen im Fall eines alten Bekan­nten des Sprachlogs, dem shit­storm. Der find­et sich im OED als Unter­punkt des Ein­trags für shit und wird definiert als „a fre­net­ic or dis­as­trous event; a com­mo­tion, a tumult“ (ein hek­tis­ches oder katas­trophales Ereig­nis, ein Durcheinan­der, ein Tumult). Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 28/2013

Von Sprachlog

Zur gepflegten Son­ntagslek­türe zwis­chen Kaf­fee, Rund­stück und Omas Erd­beerkuchen bieten wir Ihnen heute früh erneut Lesenswertes zur irischen Sprach(selbst)verständlichkeit, zu lin­guis­tis­chen Ein­sicht­en in Wahl­pro­gramme, dem Spra­chur­sprung und einem orthografis­chen Fisch:

  • Bei ÜBERSCHAUBARE RELEVANZ gibt’s unter dem Titel „Facepalmin“ lesenswerte Über­legun­gen zum Auf-gerechter-Spracher-Rumhack­en: „Schließlich ist sie nach den Schilderun­gen der­er, die sie kri­tisieren, ja all­ge­gen­wär­tig und in einem solchen Maße lächer­lich, dabei aber trotz­dem mords­ge­fährlich, dass es an unfass­bar grässlichen Beispie­len nicht hapern sollte.“
  • Etwas, hm, älter — aber im Zeit­geist ((…und gefäl­ligst Pflichtlek­türe für einen mein­er Kurse aus dem eben aus­ge­laufe­nen Som­merse­mes­ter — Sie wis­sen Bescheid!)): im GUARDIAN berichtet Manchán Mag­an von sein­er Reise durch Irland — als Irischsprech­er (Englisch).
  • Auf POLITTREND.DE ver­gle­icht Alexan­der Lasch kor­puslin­guis­tisch die Wahl­pro­gramme der SPD von 2009 und 2013 im Bezug auf die Phrase Men­schen mit Behin­derun­gen: „Auf den zweit­en Blick jedoch fall­en einige sig­nifikante Änderun­gen auf, die u.a. auf eine höhere Sen­si­bil­ität gegenüber den Adressierten des Pro­gramms schließen lassen.“
  • Die Frage nach dem Ursprung der Sprache ist eine faszinierende — und eine faszinierend schwierig zu unter­suchende. Am Max-Planck-Insti­tut in Nijmegen haben Dan Dediu und Stephen C. Levin­son eine neue These — und neue Zahlen — in den Raum gewor­fen. Einen Schritt detail­liert­er ist eine Mel­dung zum The­ma auf SCIENCE DAILY (Englisch).
  • Anglistin­nen, ihr müsst tapfer sein: George Bernard Shaw ist nicht der Erfind­er von <ghoti>, [fɪʃ]. Für alle anderen: eine unter­halt­same Geschichte von Ben Zim­mer zur Orthografie des Englis­chen in der NEW YORK TIMES (Englisch).

Blogspektrogramm 27/2013

Von Sprachlog

Heute geht’s im Blogspek­tro­gramm um komis­che Sprachen (Deutsch), bedro­hte Sprachen (Maori) und Sprachen, die sich bei anderen Sprachen bedi­enen. Und für Gram­matik­f­reaks ist auch was dabei:

  • Bes­timmt sind Sie diese Woche irgend­wo in den sozialen Medi­en über das erfreuliche Abschnei­den des Deutschen im Selt­sam­ste-Sprache-der-Welt-Wet­tbe­werb gestolpert. Der Artikel find­et sich auf IDIBON, hat allerd­ings ein Prob­lem, das Mark Liber­man im LANGUAGE LOG anspricht (bei­des Englisch).
  • Gute Nachricht von ein­er bedro­ht­en Sprache: Es wird in Neusee­land wieder mehr Maori gel­ernt und gesprochen — auch von Men­schen, die der Gruppe nicht ange­hören. Mehr in den TARANAKI DAILY NEWS (Englisch).
  • Wie kommt das es in »Nur wer sich für den Besten hält, wird es auch wer­den«? Michael Mann erk­lärt es im LEXIKOGRAPHIEBLOG, und zwar »… für Leute, die Gram­matik wirk­lich mögen«
  • Auch Mark Liber­man vom LANGUAGE LOG (Englisch) ist auf den Shit­storm in der neuen Dude­nau­flage (wir berichtete) aufmerk­sam gewor­den und schnipselt rel­e­vante Auss­chnitte aus der Medi­en­berichter­stat­tung zusam­men. Inklu­sive indi­rek­tem Zitat aus dem Sprachlog.
  • Eben­falls um entlehnte Wörter geht es auf LEXIOPHILES (Englisch mit slaw­is­chen Trans­feren­zen) — und zwar vom Deutschen und Jid­dis­chen ins Rus­sis­che. Die Beispiele sind zwar nicht, wie in der Über­schrift behauptet, schock­ierend, aber unter­halt­sam. Mit dabei: Das But­ter­brot, die Rei­those und das Loch.

Sprachbrocken: Der Shitstorm ist Establishment

Von Anatol Stefanowitsch

Da aktu­al­isiert die Duden-Redak­tion ihr Wörter­buch mit über 5000 Wörtern, darunter urdeutsche (und her­vor­ra­gend zueinan­der passende) Schön­heit­en wie Schulden­bremse und Vollp­fos­ten, und alles, was die inter­na­tionale Presse inter­essiert, ist – der Shit­storm. Nicht ganz unschuldig an dem inter­na­tionalen Medi­en­in­ter­esse: Die Sprachlogger/innen, unter deren Fed­er­führung Shit­storm zum „Anglizis­mus des Jahres“ 2011 gewählt wurde. Kaum ein Artikel, der diese Wahl nicht als Aufhänger nimmt (unser Jurymit­glied Michael Mann hat es über den dama­li­gen Bericht auf The Local sog­ar in den Bericht der BBC geschafft). Weit­er­lesen

Des Donnerstagsrätsels Lösung

Von Susanne Flach

Mein erstes Ety­molo­gierät­sel und dann soooooo viele richtige Antworten. Gruseliger Ver­dacht: Sie waren alle auf ein­er Kloster­schule! Das war jet­zt eins zum Warm­bleiben, dem­nächst drehen wir an der Fein­justieren und schal­ten dann wieder einen Gang nach oben.

In diesem Sinne:

etymologiequiz_loesung

Das haben jet­zt mal (fast) alle mehr oder weniger kor­rekt aus­ge­kno­belt, die sich daran ver­sucht haben. Deshalb: Her­zlichen Glück­wun­sch! (In den Kom­mentaren des Rät­sels sind auch eigentlich fast alle Erk­lärun­gen schon mitgeliefert.)