Blogspektrogramm 52/2013

Von Kristin Kopf

Zum Jahre­sende gibt es im Blogspek­tro­gramm Werbe­sprache aus dem 19. Jahrhun­dert, ras­sis­tis­che Sprache aus dem 18. Jahrhun­dert und sprach­wis­senschaftliche Forschungsmeth­o­d­en aus dem 20. Jahrhundert.

  • Die Wei­h­nacht­seinkäufe sind zwar vor­bei, aber die entsprechende Wer­bzeitschrift aus dem 19. Jahrhun­dert, die Alexan­der Lasch im SPRACHPUNKT aus­ge­graben hat, ist den­noch abso­lut lesenswert: »Zu Deko­ra­tionszweck­en für Salons, Vestibuls u. dgl. dürften sich die leben­den halt­bar prä­pari­erten Pal­men beson­ders eignen, da sie durch ihre prak­tis­chen Eigen­schaften (abwaschbar, dauer­haft) all­ge­meine Beach­tung ver­di­enen.«
  • Im TAGESSPIEGEL gibt es einen eher ober­fläch­lichen, aber den­noch inter­es­san­ten Bericht über ras­sis­tis­che Sprache am Beispiel der Berlin­er Mohren­straße.
  • In einem DEUTSCH­LAND­FUNK-Inter­view gibt Jost Gip­pert auf sehr ver­ständliche Weise Auskun­ft über die dig­i­tale Erfas­sung von Tex­ten für sprach­wis­senschaftliche Unter­suchun­gen. Die Inter­view­erin ist stel­len­weise nur schw­er zu ertra­gen ((Ich untertreibe!!)) , aber glück­licher­weise spricht Gip­pert bedeu­tend mehr als sie.
  • Zum Schluss seien noch zwei jahreszeitbe­d­ingte Links ins Sprachlog-Archiv geset­zt: Wer sich dafür inter­essiert, woher das Prosit in Prosit Neu­jahr! kommt, kann sich diesen (schon etwas anges­taubten) Artikel anschauen. Gedanken zur Ety­molo­gie von Guten Rutsch! gibt es hier. ((Note to self: Let­ztere mal belast­bar rausfinden.))

Weihnachtsschlagzeile 2013

Von Anatol Stefanowitsch

Während man in Nor­dameri­ka ver­sucht, Wei­h­nacht­en abzuschaf­fen – wir berichteten – tut die deutsche Presse ihr bestes, aus diesem ja alle Jahre wiederkehren­den und deshalb nicht sehr nachrich­t­en­trächti­gen Fest eine Ereig­nis zu machen. Diese Ver­suche möcht­en wir im Sprachlog spon­tan ehren, indem wir eine „Wei­h­nachtss­chlagzeile des Jahres“ küren. Der Span­nung hal­ber präsen­tieren wir sie in auf­steigen­der Rei­hen­folge, begin­nend mit Platz 3. Weit­er­lesen

Zum Feste nichts Neues

Von Anatol Stefanowitsch

Wertkon­ser­v­a­tive deutsche Feuil­leton­is­ten – also deutsche Feuil­leton­is­ten – haben es zunehmend schw­er, die imag­inäre Beschnei­dung ihrer Frei­heit­en zu bekämpfen: Man­gels ern­sthafter Bedro­hun­gen müssen sie sich inzwis­chen damit zufrieden geben, gegen die Ent­fer­nung ras­sis­tis­ch­er Verunglimp­fun­gen aus Kinder­büch­ern oder der Ent­fer­nung männlich­er Pronomen aus Uni­ver­sitätssatzun­gen zu Felde zu zetern. Ihre nor­damerikanis­chen Geis­tesgenossen tun das auch gerne und aus­giebig, aber zusät­zlich kön­nen sie sich ein­mal im Jahr Höherem zuwen­den und zum Kampf gegen die Ent­fer­nung des Chris­ten­tums aus dem Wei­h­nachts­fest blasen. Dabei ste­ht eine per­fide rhetorische Massen­ver­nich­tungswaffe im Zen­trum ihrer Aufmerk­samkeit: die Floskel Hap­py Hol­i­days (zu deutsch etwa: „Schöne Feiertage“), die gerne in Zusam­men­hän­gen ver­wen­det wird, in denen Mer­ry Christ­mas Men­schen auss­chließen würde, die keine Chris­ten sind. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 51/2013

Von Susanne Flach

So, kurz vor Wei­h­nacht­en machen wir das infor­ma­tiv und schmer­z­los, ganz ohne Wei­h­nachts­duse­lei und mit Per­son­al­pronomen, Akzen­ten, Poli­tis­chem und einem self­ie:

  • Auf THE LAST WORD ON NOTHING beschreibt Michelle Nijhuis, wie sie auf Wun­sch ihrer Tochter beim Vor­lesen vom „kleinen Hob­bit“ aus Bil­bo Bag­gins ein Mäd­chen gemacht hat. Dazu passend: Ana­tol hat vor eini­gen Jahren schon über seine vor­leserischen Redak­tion­sentschei­dun­gen geschrieben.
  • Und wer dann immer noch glaubt, geschlechterg­erechte Sprache (hier: Per­son­al­pronomen) sein ein Prob­lem des Deutschen, der wende sich dieser Diskus­sion zu: im Vere­inigten Kön­i­gre­ich ver­han­delte man he vs. they let­ztens im Ober­haus, Geof­frey Pul­lum antwortet in LINGUA FRANCA.
  • In den Nieder­lan­den wurde self­ie zum Wort des Jahres gewählt. Damit erk­lären wir es zum heißesten Anwärter zum „Welt­wort des Jahres 2013“.
  • Zur Rede des Jahres wählte das Sem­i­nar für Rhetorik der Uni­ver­sität Tübin­gen Gre­gor Gysis Bun­destagsrede zum NSA-Skan­dal vom 18. Novem­ber. Die überzeugte die Jury nicht nur inhaltlich, son­dern auch in Struk­tur und Vor­tragsweise. Endlich ein­mal eine „X‑des-Jahres“-Wahl, der wir uns ganz uniro­nisch anschließen können.
  • Wo wir ger­ade vom X‑des-Jahres reden: Auch die Anglizis­mus-des-Jahres-Jury war wieder fleißig und hat die näch­sten vier Wortkan­di­dat­en besprochen: Land Grab­bing, Gam­i­fi­ca­tion, per­for­men und insta­gram­men.
  • Eigentlich eher aus dem Bere­ich Sprach­brock­en Absur­dis­tan kommt die Mel­dung, dass das Ver­wal­tungs­gericht Neustadt (ver­mut­lich meint man Neustadt an der Wein­straße) eine Klage abgewiesen hat, die sich gegen die Ver­wen­dung der Beze­ich­nung „Job­cen­ter“ richtete. Da hat — ohne Witz — jemand geklagt, weil die Amtssprache ja „deutsch“ sei und Job­cen­ter nicht dazu gehöre. Also entwed­er haben wir ger­ade genug zu tun oder wir find­en das beson­ders absurd, aber erin­nert sich noch wer hier­an, Punkt 3?
  • Ist es jet­zt eine große Große Koali­tion oder eine kleine große Koali­tion? Mit dieser Frage beschäftigt sich knapp Dr. Bopp.

Kandidaten für den Anglizismus 2013: instagrammen

Von Kristin Kopf

Im Sep­tem­ber 2012 twit­terte @PSchydlowski das vielfach im Inter­net und in Zeitun­gen weit­er­ver­bre­it­ete Foto eines Schildes mit der Aufschrift:

BITTE HIER IM RESTAURANT DAS ESSEN NICHT INSTAGRAMMEN!

(Diesen Zettel bitte auch nicht!)

2013-12-21-instagrambild1

Sym­bol­fo­to

Unser Kan­di­daten­wort beze­ich­net eine kul­turelle Prax­is, die, jede Wette, in mod­erne Ben­imm­rat­ge­ber einge­hen wird: Das Fotografieren mit einem mobilen Endgerät, ver­bun­den mit dem Teilen des Fotos im Web 2.0. Das scheint beson­ders häu­fig Mahlzeit­en zu betr­e­f­fen, aber auch Son­nenun­tergänge und Selb­st­por­traits (also Self­ies) sind gut mit dabei. Dass das Phänomen ein­er starken gesellschaftlichen Bew­er­tung unter­liegt, zeigen Tum­blrs wie Pic­tures of hip­sters tak­ing pic­tures of food oder die Nick­el­back-Par­o­die Look at this Insta­gram (Col­lege Humor).

Das »Insta­gram­men« ist eine Hand­lung, die sowohl off- als auch online stat­tfind­et und von der immer nur ein Teil für die Umge­bung sicht­bar ist: Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2013: performen

Von Susanne Flach

Unser heutiges Unter­suchung­sob­jekt per­formt außeror­dentlich gut in allen Kri­te­rien. Per­for­men ist sozusagen eine Art Wort­feld­könig unter den Kan­di­dat­en für 2013 — denn ein­er­seits kom­ple­men­tiert es ein bere­its länger im Deutschen existieren­des Muster mit per­form-Stäm­men, ander­er­seits hat es seine seman­tis­chen Lücke in der bun­ten Welt der Kul­tur­rezen­sio­nen gefun­den (und sich längst bre­it gemacht). Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2013: Gamification

Von Anatol Stefanowitsch

Heute eine kurze Diskus­sion eines erst­ma­lig (und ver­mut­lich ein­fach ein paar Jahre zu früh) nominierten Wortkan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres: Gam­i­fi­ca­tion, einem klas­sis­chen Fall eines Lehn­worts, das von ein­er Sprachge­mein­schaft gemein­sam mit der dazuge­höri­gen neuen Idee über­nom­men wurde. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 50/2013

Von Kristin Kopf

Die The­men der Woche: Diverse Anglizis­men, Fakege­bär­den­sprach­dol­metsch­er, geschlechter­stereo­type­n­ge­lenk­te Schreib­stile und komis­che Beispiel­sätze. Einen schö­nen Son­ntag allerseits!

  • Auf SBS (Englisch) erk­lärt Adam Schem­bri, woran man mit etwas Fach­wis­sen erken­nen kon­nte, dass der Fake-Gebär­den­sprach­dol­metsch­er bei Man­de­las Trauer­feier fake war (wir berichteten). Und dieses Gif zum The­ma (via @markusdahlem) sollte man nie­man­dem vorenthalten.
  • Luise Pusch befasst sich auf LAUT UND LUISE mit der merk­würdi­gen Gram­matik des Wortes Pros­ti­tu­ierte sowie mit der Tat­sache, dass es für dieses Wort Dutzende von Syn­onyme gibt, nicht aber für sein Gegen­stück Freier.
  • Für LINGUISTICS RESEARCH DIGEST (Englisch) fasst Jen­ny Amos eine Studie zusam­men, die zeigt, dass sprach­liche Geschlechter­stereo­typen deut­lich auf den Stil geschrieben­er Texte einwirken.
  • Diese Samm­lung von Sprach­beispie­len aus Lin­guis­tik- und Sprach­lehrtex­ten (LINGUISTICS SAMPLE SENTENCES) wirft ein selt­sames, aber wenig über­raschen­des Licht auf die Diszi­plin (z.B. hier, hier, hier, hier).
  • Und zum Schluss, und nur für den Fall, dass jemand unter einem Stein lebt: Die heiße Phase der Anglizis­muswahl 2013 ist ange­laufen. Seit dieser Woche disku­tiert die Jury die Kan­di­dat­en. Los ging’s am Mon­tag im LEXIKOGRAPHIEBLOG, wo sich Michael Mann den Veg­gie Day anschaute: »Die englis­che Entsprechung der deutschen Wikipedia-Seite lautet meat-free day, hierzu find­en sich auch mehr ein­schlägige Belege; sel­tener zu find­en ist auch vege day (veg­e­tar­i­an day). Der Aus­druck veg­gie day scheint also im Englis­chen nicht die erste Wahl zu sein; er kann aber ver­wen­det wer­den und ist nicht als “Pseudoan­glizis­mus” zu werten.«
  • Hier im SPRACHLOG fol­gten Susanne Flach mit ranten (»Die Fasz­i­na­tion für das shit­stormesque an ranten macht aus, dass […] damit auch (oder über­wiegend?) inten­sive und detail­lierte Auseinan­der­set­zun­gen mit einem Prob­lemthe­ma beze­ich­net wer­den — mit dem Schuss Frust im Vorder­grund«), ich mit Pay­wall (»Ich halte Pay­wall für ein sehr inter­es­santes Wort – und zwar ger­ade wegen sein­er Entsprechung Bezahlschranke«) und Ana­tol Ste­fanow­itsch mit Thigh Gap (»Bleibt die Frage, ob das Wort eine Bere­icherung für den deutschen Wortschatz darstellt. Wenn man Bere­icherung als „Ver­schönerung“ ver­ste­ht, dann sich­er nicht. Das Wort dient nur einem Zweck: Weib­liche Kör­p­er zu pathologisieren«).

Kandidaten für den Anglizismus 2013: Thigh Gap

Von Anatol Stefanowitsch

Nor­maler­weise entlehnt eine Sprachge­mein­schaft ein Wort, um eine soge­nan­nte lexikalis­che Lücke zu füllen – also eine Leer­stelle im Wortschatz. Solche Leer­stellen entste­hen typ­is­cher­weise, wenn etwas Neues beze­ich­net wer­den muss (z.B. eine neue Tech­nolo­gie, eine neue sportliche Aktiv­ität, eine neue Idee).

Das Wort, das ich heute disku­tiere, füllt eine lexikalis­che Lücke ander­er Art: Eine Lücke, die entste­ht, weil etwas, das schon immer da war, aber nie beachtet und deshalb auch nie benan­nt wurde, plöt­zlich in das Spot­light der gesellschaftlichen Aufmerk­samkeit gerät und eine Beze­ich­nung braucht. Bzw. eigentlich nicht „etwas, das schon immer da war“, son­dern ein Nichts, das schon immer da hätte sein kön­nen – näm­lich eine Lücke zwis­chen (weib­lichen) Ober­schenkeln, die auch dann noch sicht­bar sein muss, wenn die Beine ger­ade und die Füße aneinan­der gestellt sind (so die geläu­fig­ste Def­i­n­i­tion) oder sog­ar dann, wenn die Knie sich berühren (so die stren­gere Def­i­n­i­tion der englis­chen Wikipedia): die Thigh Gap.

[Inhaltswar­nung: Objek­ti­fizierende Beschrei­bun­gen des weib­lichen Kör­pers, Fat Sham­ing, Mager­sucht.] Weit­er­lesen

Wort des Jahres 2013: GroKo

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn das Wort des Jahres verkün­det wird, sind wir beim Sprachlog immer hin und her geris­sen zwis­chen Wort­wahlkol­le­gial­ität und Kopf­schüt­teln. Das Kopf­schüt­teln gewin­nt meis­tens. Also, jedes Mal.

Nach­dem man im let­zten Jahr das völ­lig unbekan­nte Wort „Ret­tungsrou­tine“ zum Sieger gekürt hat­te, wollte man dieses Jahr etwas nehmen, das alle ken­nen: Weit­er­lesen