Blogspektrogramm 29/2014

Von Anatol Stefanowitsch

Und hier, ohne große Ein­leitung, unsere dieswöchi­gen Linkempfehlun­gen für alle Sprach­begeis­terten und solche, die es wer­den wollen.

Ein größer­er The­men­block ist geschlechterg­erechte Sprache in den ver­schieden­sten Erschei­n­ungs­for­men und vor allem die Kri­tik daran, die durch einen öffentlichen Brief öster­re­ichis­ch­er Sprach– äh, ‑kon­ser­v­a­tiv­er aus­gelöst wurde (wir berichteten):

Das Binnen‑I ist der Demokratie ihr Tod

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn ich mit Büch­ern, Spie­len und Fernsehsendun­gen zur deutschen Sprache berühmt gewor­den wäre, ohne beson­ders viel von der deutschen Sprache zu ver­ste­hen; wenn ich dann einen offe­nen Brief von ein paar öster­re­ichis­chen Reak­tionären mitun­terze­ich­net hätte, in dem die fordern, sprach­lichen Sex­is­mus zur Norm zu machen; wenn mich dann die Wiener Zeitung fra­gen würde, warum ich das getan habe, dann würde ich antworten, dass ein „ange­se­hen­er Wiener Autor“ mich in einem „höflichen, for­mvol­len­de­ten Stil“ darum gebeten habe (man würde ver­ste­hen, dass ich ange­se­henen Autoren nichts abschla­gen kann, und dass etwas, das höflich und for­mvol­len­det for­muliert ist, nicht falsch sein kann). Weit­er­lesen

Die fünf Freunde und die Rückkehr zur sprachlichen Normalität

Von Anatol Stefanowitsch

Öster­re­ich ist ja, nach eigen­er Aus­sage, die Heimat großer Söhne – so groß, dass für große Töchter neben ihnen kaum noch Platz ist. Aber nicht nur das – es ist auch das Land der Berge, das Land am Strome, das Land der Äck­er, das Land der Dome – und das Land der Häm­mer. Und einen beson­ders großen Ham­mer haben 650 Expert/innen für die psy­cholin­guis­tis­che Ver­ar­beitung männlich­er Pronomen und Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, äh, nein, für die, äh, nein, für die Struk­tur und Bedeu­tung der deutschen Gegen­wartssprache – nein, ich fange noch mal an. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 28/2014

Von Kristin Kopf

Heute gibt’s im Spek­tro­gramm kluge Worte zu Mehrsprachigkeit, eine Studie zu Vorurteilen, einen lan­gen Text über ein kurzes Wort und zum Abschluss automa­tis­che Sprach­spiel­ereien. Einen schö­nen Son­ntag allerseits!

  • Die Wiener Sprach­wis­senschaft­lerin Bir­git­ta Busch spricht mit dem STANDARD über Mehrsprachigkeit in Öster­re­ich, beson­ders in Bezug auf die Schule: »[…] Deutsch ler­nen und eine Fam­i­lien­sprache aus­bauen ste­hen in keinem Konkur­ren­zver­hält­nis zueinan­der, ganz im Gegen­teil. Manch­mal geben Eltern nicht an, dass ihre Kinder noch eine andere Sprache als Deutsch beherrschen, weil sie sich vor möglich­er Diskri­m­inierung fürcht­en.« (Via @Vilinthril)
  • Wie nehmen eth­nozen­trische Men­schen fremde Akzente wahr? Auf LINGUISTICS RESEARCH DIGEST stellt Dan­niel­la Samos eine nicht über­raschende, aber schön gemachte Studie dazu vor. »While we, as lis­ten­ers, nat­u­ral­ly pick up these cues about people’s eth­nic, socioe­co­nom­ic and geo­graph­i­cal back­ground, exper­i­men­tal research has shown that lis­ten­ers can also make judge­ments on oth­ers’ intel­li­gence, warmth and even height just by lis­ten­ing to record­ed accent­ed speech.«
  • Erin­nert sich jemand an die Mel­dung, huh? sei eine uni­versell ver­wen­dete Äußerung? (Hier Hin­ter­gründe.) Auf DIVERSITY LINGUISTICS COMMENT nimmt Mark Dinge­manse vom MPI für Psy­cholin­guis­tik, einige inter­es­sante Aspek­te auf: »Prag­mat­ic typol­o­gy is a rel­a­tive­ly young field of inquiry. Its youth­ful­ness comes with cer­tain ben­e­fits —chief among them the excite­ment of new dis­cov­er­ies— but also with grow­ing pains. Here I have out­lined three of them: the mat­ter of sam­pling, the nature of data, and the chal­lenge of achiev­ing comparability.«
  • Auf MENTAL FLOSS hat Ari­ka Okrent 14 Text- und Tweet­gen­er­a­toren zusam­mengestellt, die automa­tisch  (englis­che) Gedichte oder ver­meintliche Redewen­dun­gen erzeu­gen. Mit dabei: Das Pen­tametron, das Online Dat­ing Ipsum und das Times Haiku.

Israel und die Hamas im Spiegel deutscher Schlagzeilen

Von Anatol Stefanowitsch

Hin­weis: Eine neuere Ver­sion des unten ste­hen­den Textes mit ein­er umfassenderen Analyse auf ein­er bre­it­eren Daten­grund­lage ist hier erschienen.

Die Presse­berichte der let­zten Tage aus Israel und dem Gaza­s­treifen haben viele Men­schen in meinen sozialen Net­zw­erken als unaus­ge­wogen emp­fun­den: viele waren der Ansicht, die deutsche Presse berichte nicht angemessen über den soge­nan­nten „Nahost-Kon­flikt“ son­dern bew­erte die israelis­che Seite über­mäßig neg­a­tiv und inter­essiere sich haupt­säch­lich für Angriffe Israels auf Ziele im Gaza­s­treifen, aber nicht für Angriffe der Hamas auf Israel. Da mir dieser Vor­wurf im Zusam­men­hang mit der Israel-Berichter­stat­tung nicht zum ersten Mal begeg­net, habe mich gefragt, ob dieser Ein­druck stimmt, oder ob er das Ergeb­nis selek­tiv­er Wahrnehmung ist – die wenig­sten von uns analysieren ja sys­tem­a­tisch die Berichter­stat­tung tage­sak­tueller Ereignisse, und die eigene Per­spek­tive kann sich deshalb ja leicht zu einem falschen Gesamtein­druck verfestigen.

Um das zu über­prüfen, habe ich heute mor­gen auf Google News die Such­be­griffe Israel und Hamas eingegeben, und die Über­schriften der jew­eils 25 ersten Tre­f­fer analysiert (da einige Mel­dun­gen natür­lich bei bei­den Such­be­grif­f­en auf­taucht­en, waren das 37 Über­schriften; sie sind alle am Ende des Beitrags aufge­lis­tet). Ich konzen­triere mich auf die Über­schriften, weil sie erstens der Teil der Presse­berichte sind, der am stärk­sten Wahrgenom­men wird (vor allem in sozialen Net­zw­erken, wo außer Über­schriften häu­fig nicht viel gele­sen wird), und weil sie zweit­ens die Per­spek­tive oder den Frame verdeut­lichen, die ein bes­timmtes Medi­um uns auf die Ereignisse ver­mit­teln will. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 27/2014

Von Susanne Flach

Ganz ohne Fußball wird das Spek­tro­gramm am fußball­freien Son­ntag nicht auskom­men, aber Sie bekom­men auch einen Auf­trag für die Zeit, in der Sie nichts mit sich anz­u­fan­gen wissen.

  • Der DEUTSCHLANDFUNK beschäftigt sich mit der Frage „Worte—die Gren­zen mein­er Welt?“, also zwis­chen Sprache und Denken und inwiefern sich Sprache auf das Denken auswirkt. Dra­matur­gisch hat man das aufge­zo­gen als „Ringkampf“ (naja) zwis­chen Lera Borodit­sky und Daniel Casasan­to (ja) und John McWorther und Steven Pinker (nein). Angenehm ist die dif­feren­zierte Betra­ch­tung bei­der Seit­en und ein­er ganzen Menge an Aspek­ten jen­seits des Lexikons — und dass eigentlich mehr Fra­gen gestellt, als beant­wortet wer­den. Ergeb­nis: Effekt nicht über­schätzen, Jury tagt noch.
  • Der let­zte Link wurde uns übri­gens von Yvonne Treis geschickt, die in BASKET TO ETHIOPIA unter anderem von ihrer Arbeit in der Feldlin­guis­tik berichtet.
  • In Öster­re­ich kann das Abitur (Matu­ra) bere­its seit drei Jahren in Bosnisch, Kroat­isch oder Ser­bisch abgelegt wer­den. DER STANDARD berichtet.
  • Der BUSINESS INSIDER beschäftigt sich mit englis­chen Nach­na­men, in diesem Fall mit denen, die aus Spitz­na­men ent­standen.
  • Zwis­chen Achtel- und Viertel­fi­nale hat sich der SPIEGEL auf die Suche nach dem Ursprung des Wortes „Sch­land“ gemacht. (Kön­ntet ihr die Zeit zwis­chen Vier­tel- und Halb­fi­nale dazu nutzen, rauszufind­en, wie man Wort und Konzept wieder los wird, hm?)
  • Pimp my Kor­pus: Über ein Hip-Hop-Wörterbuch.

Von männlichen Körperteilen

Von Kristin Kopf

Andere schwenken Fah­nen, ich kor­rigiere Fah­nen – und bin dabei auf ein Wort gestoßen, das auch in der Fußball­welt auf­taucht: Das Kör­perteil. So lesen wir in der taz über den Freistoß:

Wenn dann noch Cris­tiano Ronal­do den Ball tritt, ist es egal, welch­es Kör­perteil getrof­fen wird, es ist ab.

Und die Schweiz­er Tageswoche meldet:

Und so ist den Ronal­do-Beobachtern und ‑Bewun­der­ern auch nicht ent­gan­gen, dass sich der Mann von Cham­pi­ons-League-Sieger Real Madrid immer wieder mal an das linke Knie fasst. Es ist – zumin­d­est bei den Anhängern der por­tugiesis­chen National­mannschaft – das meist­beachtete Kör­perteil des Ausnahmefussballers.

Die Augs­burg­er All­ge­meine hinge­gen hat einen Mannschaft­sarzt gefragt

Was sind die häu­fig­sten Ver­let­zun­gen in einem Fußballer­leben, welch­er Kör­perteil ist am anfälligsten?

und stürzt uns damit in eine gram­ma­tis­che Krise: Während Kör­perteile in fast allen Medi­en­bericht­en ein neu­trales Genus (das) tra­gen, erkundigt man sich hier nach einem masku­li­nen Kör­perteil (der). So war’s auch in meinem Manuskript, wo ich das geschrieben und jet­zt in den Fah­nen der gefun­den habe.

Was wür­den Sie spon­tan sagen? Neu­trum? Maskulinum? Oder klingt bei­des gut? Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 26/2014

Von Kristin Kopf

Jede Menge Leses­toff: Was ruft man bei einem Tor? Welchen Sta­tus hat die Wis­senschaftssprache Deutsch und wo ist dabei das Prob­lem? Was passiert, wenn man Geset­ze mit dem Wörter­buch auslegt? Wie kam es dazu, dass man das Wort soc­cer auf den britis­chen Inseln naserümpfend betra­chtet? Und was kön­nte ein Fußfetisch noch sein? Hier sind die Antworten:

  • Wie verkün­den Fußbal­lkom­men­ta­torIn­nen aus ver­schiede­nen Län­dern Tore? Ari­ka Okrent hat es sich für MENTAL FLOSS angeschaut und Hör­beispiele zusam­menge­tra­gen: »The British style is wordy and poet­ic, a per­formed the­saurus of flab­ber­gast­ed­ness. Not sat­is­fied to sim­ply invest vow­els and syl­la­bles with emo­tion­al weight, as the Latin Amer­i­cans and Ital­ians do, the British announc­er must explain all the feels he is feel­ing with words, metaphors, and similes.«
  • Zum Rück­gang von Deutsch als Wis­senschaftssprache macht sich Ste­fan Hart­mann auf PFRIEMELPFUHL inter­es­sante Gedanken: »Dass die Wis­senschaft in der Öffentlichkeit oft genug als Elfen­bein­turm wahrgenom­men wird, liegt auch an Sprach­bar­ri­eren, die aber nicht nur zwis­chen unter­schiedlichen Sprachen, son­dern auch inner­halb ein­er Sprache beste­hen. Meine Oma kann mit einem deutschsprachi­gen Text von oder über Kant genau­so viel oder wenig anfan­gen wie mit einem englis­chsprachi­gen, und das gilt auch für viele Men­schen mein­er Generation.«
  • Ein Mann legt jedes Wort auf die Gold­waage: Für den NEW YORKER zeich­net Jeff Shesol ein Porträt von Antonin Scalia, beige­ord­netem Richter am US-amerikanis­chen Ober­sten Gericht­shof: »In oth­er instances, Scalia’s word games have had pro­found, soci­etal impli­ca­tions, lead­ing to—in at least one case—a dra­mat­ic shift in con­sti­tu­tion­al law. In Dis­trict of Colum­bia v. Heller, which Scalia con­sid­ers his great­est achieve­ment, he relied not on one but on three eigh­teenth-cen­tu­ry dic­tio­nar­ies to “clar­i­fy” the Sec­ond Amend­ment, which reads, “A well reg­u­lat­ed mili­tia being nec­es­sary to the secu­ri­ty of a free state, the right of the peo­ple to keep and bear arms shall not be infringed.”« (Via @Evo2Me)
  • soc­cer oder foot­ball? Sarah Lyall geht den Begrif­f­en für die NEW YORK TIMES auf den Grund und hat dafür unter anderem den fol­gen­den Leser­brief von 1905 aus­ge­graben: »It seems a thou­sand pities that in report­ing Asso­ci­a­tion foot­ball match­es The New York Times, in com­pa­ny with all the oth­er news­pa­pers, should per­sis­tent­ly call the game ‘sock­er,’ ” the writer, one Fran­cis H. Tabor, said in The Times. “In the first place, there is no such word, and in the sec­ond place, it is an exceed­ing­ly ugly and undig­ni­fied one.« (Via Sprachlogleser/in Speravir)
  • Und zulet­zt noch ein XKCD (Englisch), der das Wort Fußfetisch ganz neu definiert.

Hochmut großer Söhne

Von Anatol Stefanowitsch

Am Text der öster­re­ichis­chen Nation­al­hymne find­et sich, wie es bei Tex­ten von Nation­al­hym­nen nun ein­mal so ist, wenig Erhal­tenswertes. Sie feiert die Land­schaft (gut, das ist ger­ade noch erträglich), das „für das Schöne beg­nadete“ und mit „hoher Sendung“ aus­ges­tat­tete Volk (das ist dann eben, nation­al­hym­nen­typ­isch, nicht mehr erträglich), die kriegerische Ver­gan­gen­heit, und eine „arbeits­fro­he“ Zukun­ft. Und natür­lich wird dem „Vater­land“ auch ordentlich Treue geschworen.

Kann von mir aus alles weg, zusam­men mit dem „God save the Queen“, dem „land of the free and … home of the brave“, dem „Россия — священная наша держава“, dem „Einigkeit und Recht und Frei­heit“ und all den anderen Din­gen, die sich Natio­nen in ihren Hym­nen so zusam­men­phan­tasieren. Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 25/2014

Von Susanne Flach

Gut Ding will Weile haben… Nein. Die Euphorie im Land erre­icht einen neuen Höhep­unkt. Auch nicht. Nach gestern muss die Geschichte neu geschr… Och nö. Sind Sie schon wach? Hm, ja, offen­bar. Also gut: volles Programm!