Body-Bag Blues

Von Anatol Stefanowitsch

Da wir in den ver­gan­genen Tagen hier im Bre­mer Sprach­blog eine (unge­plante) „Denglisch“-Woche hat­ten, bleiben wir dem The­ma auch zum Woch­enende treu und wen­den uns dann in der näch­sten Woche wieder ern­sthafteren The­men zu.

Die Lokalredak­tion der West­deutschen Zeitung hat am let­zten Woch­enende angekündigt, dass man eine Woche lang ganz auf englis­che Lehn­wörter verzicht­en wolle. Das ist ein inter­es­santes sprach­lich­es Exper­i­ment, das ich prinzip­iell trotz (oder ger­ade wegen) meines anglis­tis­chen Hin­ter­grunds voll und ganz unter­stütze. Lei­der wird diese Aktion (wieder ein­mal) nicht durch eine beja­hende Liebe zur deutschen Sprache und ihrer schöpferischen Kraft motiviert (son­st würde sie wohl auch nicht auf eine Woche und den Lokalteil beschränkt sein), son­dern durch eine dif­fuse Angst vor der „denglis­chen“ Gefahr: Weit­er­lesen

French Connection

Von Anatol Stefanowitsch

Eine Ini­tia­tive namens „Comité pour la langue du droit européen“ (Kom­mis­sion für die Sprache des europäis­chen Rechts) möchte Franzö­sisch zur einzi­gen verbindlichen Rechtssprache der Europäis­chen Union machen. Nun ist Franzö­sisch ohne­hin die dom­i­nante Sprache am Europäis­chen Gericht­shof, man fragt sich also, welche Moti­va­tion hin­ter dieser Ini­tia­tive steckt. Und da wird es très amu­sant:

Mau­r­cie Druon, Leit­er von CPLDE, promi­nen­ter Autor und Sekretär der Acad­e­mie Française, sagte, alle Sprachen seien gle­ich­berechtigt und alle nationalen Bedenken wür­den berück­sichtigt. Den­noch sei es bezüglich der Ausle­gung der Texte bess­er, sicherzustellen, was geschrieben würde. Ital­ienisch sei die Sprache der Lieder, Deutsch sei geeignet für Philoso­phie und Englisch eigne sich für die Dich­tung. Franzö­sisch sei für präzise For­mulierun­gen am besten geeignet, es habe dafür die richtige Härte. Es sei die sich­er­ste Sprache für rechtliche Fra­gen. Die Sprache von Mon­tesquieu sei unschlagbar.

Damit dürfte klar sein, was von Äußerun­gen von Mit­gliedern der Académie Française zu hal­ten ist. Ander­er­seits soll­ten wir wahrschein­lich dankbar sein, dass die Deutschen hier noch rel­a­tiv glimpflich davonkom­men. Das let­zte Mal, dass ich jeman­den über die Tauglichkeit des Deutschen für bes­timmte Funk­tio­nen sprechen gehört habe, klang das wesentlich weniger schmeichelhaft:

Tre­f­fen sich ein Hol­län­der und ein Deutsch­er. Sagt der Hol­län­der: „In Hol­land ler­nen wir jet­zt alle Latein, weil wir gehört haben, dass im Him­mel nur Latein gesprochen wird.“ Fragt der Deutsche: „Und was macht ihr, wenn ihr in die Hölle kommt?“ „Kein Prob­lem“, antwortet der Hol­län­der. „Deutsch sprechen wir ja sowieso“.

Wichtige Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Kür­zlich habe ich Jack Vances Das Wel­traum­monopol gele­sen (2002, Bastei Lübbe; orig. The Five Gold Bands, 1950). In diesem anson­sten für Vance eher ent­täuschen­den Buch erregte fol­gen­der Satz meine Aufmerk­samkeit. Die Haupt­fig­ur, Pad­dy Black­thorn, spricht über eine außerirdis­che Spezies, die Adler genan­nt wird, und sagt unter anderem:

Die Adler hier — ihre Neugi­er ist unstill­bar, und sie sind von Natur aus so hart­näck­ig, dass es in ihrer Sprache kein Wort für diese Eigen­schaft gibt.

Vor dem Hin­ter­grund unser­er Eski­mowörter-für-Schnee-Debat­te ist das ein inter­es­san­ter Gedanke. Hin­ter dem Schnee­mythos steckt ja die Annahme, dass eine Sprachge­mein­schaft für kul­turell wichtige Dinge beson­ders viele Wörter haben muss. Jack Vance weist hier darauf hin, dass es auch umgekehrt geht: eine Sache kann in ein­er Kul­tur so selb­stver­ständlich sein, dass man über­haupt nicht darüber reden muss.

Spamprobleme

Von Anatol Stefanowitsch

Die meis­ten von uns kämpfen täglich mit Spam (ich habe let­zte Woche darüber geschrieben), die „Aktion lebendi­ges Deutsch“ kämpft diesen Monat mit dem Wort „Spam“. Der Wortis­tik­er find­et, dass kein neues Wort her­muss, da „Spam“ sowohl laut­lich als auch inhaltlich passt. Ich stimme zu, bemerke aber ger­ade, dass ich in meinem Beitrag let­zte Woche eine Rei­he von Syn­ony­men ver­wen­det habe — nicht aus sprach­be­wahrerischem Eifer, son­dern um den Text etwas abwech­slungsre­ich­er zu gestal­ten. Die „Aktion lebendi­ges Deutsch“ kann sich die Syn­onyme gerne hier abholen. Neben Spam­mail (5x) und Spam (4x) habe ich ver­wen­det: Werbe­mail und uner­wün­schte E‑Mail (je 2x), dig­i­taler Werbe­müll, elek­tro­n­is­che Wurf­sendung, Massen­wer­bung, Sülz­mail und Wer­be­botschaft (je 1x). Außer­dem hat­te ich noch E‑Müll und Müll­mail auf mein­er Liste, sie kamen mir dann aber zu neck­isch vor, um sie zu verwenden.

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Der Tagesspiegel hat diese Woche mit Noam Chom­sky — dem Sig­mund Freud der mod­er­nen Sprach­wis­senschaft und einem scharf­sin­ni­gen Kri­tik­er der Reichen und Mächti­gen — gesprochen. Über Sprach­wis­senschaft redet Chom­sky dort nicht viel, sie hat ihn in den let­zten Jahren auch nicht mehr sehr inten­siv beschäftigt. Auf die Frage „Hat Ihre wis­senschaftliche Arbeit unter Ihrem poli­tis­chen Engage­ment gelit­ten?“ antwortet er: „Ja, sehr. Ich habe sehr viel Zeit mit poli­tis­ch­er Arbeit ver­bracht.“ Für mich eine ein­leuch­t­ende Erk­lärung für den etwas lieblosen Ein­druck, den seine sprach­wis­senschaftlichen The­o­rien auf mich machen. Weit­er­lesen

Denglische Patienten und eingebildete Kranke

Von Anatol Stefanowitsch

Über das ib-Klar­text-Sprach­blog habe ich ger­ade noch rechtzeit­ig von ein­er Sendung erfahren, in der die ARD gestern Nacht die Frage stellte „Wer ret­tet die deutsche Sprache?“ (die Sendung lief, wenn ich das richtig sehe, erst­ma­lig im Novem­ber 2005 im SWR und wird seit­dem peri­odisch wiederholt).

Die Sendung an sich war unspek­tak­tulär. Auf bekan­nte Art und Weise wurde von der Exis­tenz einiger englis­ch­er Lehn­wörter im öffentlichen Raum auf den Unter­gang des Abend­lan­des geschlossen. Ich kann nicht genau sagen, wie, denn immer, wenn sich jemand über die üblichen Verdächti­gen — Back­shop, Ser­vice Cen­ter, und City Call — ereifert, überkommt mich eine bleierne Müdigkeit und ich wache erst wieder auf, wenn es Pech und Schwe­fel reg­net und die Reit­er der Apoka­lypse die deutsche Sprache und Kul­tur uner­bit­tlich und unwieder­bringlich hin­wegfe­gen. Außer­dem wur­den ein paar sehn­suchtsvolle Blicke nach Frankre­ich gewor­fen, wo die Académie Française der Bevölkerung die Lehn­wörter mit Geld­strafen aus­treibt. Zu Wort kamen haupt­säch­lich Mit­glieder des Vere­ins Deutsche Sprache (VdS). Alles nichts Neues, und deshalb bin ich froh, dass ich für diese Sendung nicht extra wachge­blieben bin. Weit­er­lesen

Spam Poetry

Von Anatol Stefanowitsch

car­a­van cal­cu­lus
curve priest­hood / with the bur­den of inten­tions / con­trive respectabil­i­ty
lus­cious recruiter / nobly explo­sive / snare human nature
Xerox gen­til­i­ty / hoarse­ly pyra­mid / retir­ing reprisal

Nein, ich bin nicht zu den Lit­er­atur­wis­senschaftlern überge­laufen, und das ist keine zeit­genös­sis­che englis­che Poe­sie. Ich habe diese Verse aus aus­gewählten Betr­e­f­fzeilen der E‑Mails zusam­mengestellt, die tagtäglich in meinem Spamord­ner lan­den. Es ist noch gar nicht lange her, da waren diese Betr­e­f­fzeilen ger­ade­heraus: „Sex all night long?“, „U can save your mon­ey“, „Need S0ftware?“ oder „Con­trat­u­la­tions! You have won the lot­tery!“. Wenn man die elek­tro­n­is­chen Wurf­sendun­gen öffnete, ahnte man, was einen erwartete: zweifel­hafte Offer­ten für Via­gra, Hypotheken und Adobe Pho­to­shop oder die Auf­forderung, doch bitte umge­hend seine Bankverbindung nach Nige­ria zu über­mit­teln um das Preis­geld für eine Lot­terie zu erhal­ten, an der man nie teilgenom­men hat­te. Doch seit einiger Zeit sind die Betr­e­f­fzeilen immer häu­figer kleine sur­re­al­is­tis­che Kunst­werke und wenn man die E‑Mails öffnet, enthal­ten sie Tex­twüsten aus zusam­men­hangslosen Sprach­fet­zen. Was ist da geschehen? Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Im Rah­men eines EU-Forschung­spro­jek­tes wollen Sprach­wis­senschaftler der Uni­ver­sität des Saar­lan­des die maschinelle Über­set­zung verbessern. Das ist auch drin­gend notwendig, wenn man sich zum Beispiel fol­gen­den Babelfish-Unfall ansieht, mit dem ein sprach­lich arglos­er Spam­mer neulich mein Ver­trauen zu gewin­nen versuchte:

Danke für Ver­wen­den der Deutsche Bank on-line Über­tra­gung® Dien­stleis­tun­gen. Zwecks abschließende Zus­tim­mung für deine Ver­hand­lung zur Ver­fü­gung stellen, wir benöti­gen zusät­zliche Infor­ma­tio­nen. Bitte Dein on-line Bankkon­to zugänglich machen und zu über­prüfen das die Infor­ma­tio­nen sind kor­rekt und führen deine Ein­schrei­bung durch. Wenn wir nicht von dir inner­halb der fol­gen­den 24 Stun­den hören, wir annul­lieren deine on-line Über­tra­gung® Dienstleistungen.

Diese Verbesserung soll erre­icht wer­den durch eine Kom­bi­na­tion von sym­bol­is­chen Ver­fahren (bei denen anhand gram­ma­tis­ch­er Regeln über­set­zt wird, die die Sprach­wis­senschaftler dem Com­put­er vorher müh­sam beib­rin­gen) und sta­tis­tis­chen Ver­fahren (bei denen anhand sta­tis­tis­ch­er Regeln über­set­zt wird, die der Com­put­er sich durch den Ver­gle­ich existieren­der Orig­i­nale und Über­set­zun­gen selb­st beib­ringt). Ich wün­sche den Kol­le­gen viel Erfolg und hoffe, dass ich meine Spam in naher Zukun­ft in fehler­freiem Deutsch lesen kann. Aber ich fürchte, das wird noch eine Weile dauern. Weit­er­lesen

Bedrohte Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte eigentlich etwas über Bodo Mrozek schreiben, der auf sein­er Web­seite und neuerd­ings auch in zwei Büch­ern („Lexikon der bedro­ht­en Wörter“ I und II) völ­lig ironiefrei für den Erhalt von Wörtern wie Dut­ten­gre­tel, Hagestolz und Nasen­fahrad agiert.

Doch ger­ade sehe ich, dass die Freie Presse den Düs­sel­dor­fer Sprach­wis­senschaftler Rudi Keller zu diesem The­ma inter­viewt hat. Dem, was Keller sagt, ist wenig hinzuzufü­gen und so empfehle ich Ihnen ein­fach die Lek­türe des Inter­views. Weit­er­lesen