Mannheim will „Hauptstadt der deutschen Sprache“ werden, berichtet der Focus. Hergeleitet wird dieser Anspruch aus der Tatsache, dass Mannheim Standort des Instituts für deutsche Sprache und der Dudenredaktion ist. Dadurch (so die ursprüngliche Pressemeldung der Stadt) besitze Mannheim „so eine hohe Konzentration von Kompetenzen in Bezug auf die Erforschung, Förderung und Vermittlung der deutschen Sprache“ wie kaum eine andere deutsche Stadt. Bei allem Respekt — seit wann zeichnen sich Hauptstädte durch eine besondere Konzentration von Kompetenz aus? Weiterlesen
Spam-Update
Hier habe ich noch versucht, es zu verhindern — leider vergeblich: die Aktion Lebendiges Deutsch hat sich bei ihrer überflüssigen Suche nach einem Ersatz für das Wort Spam ausgerechnet für ein neckisches Wortspiel entschieden:
Für spam, die computer-verstopfende Massenwerbung, hat sich die Aktion „Lebendiges Deutsch“ aus 4.730 Vorschlägen für den häufigsten entschieden: E‑Müll –- schweren Herzens, denn gut gefallen hat ihr auch Quälmail, Mogelpost, Netzpest und Digimist.
Mein einziger Trost ist, dass die Alternativen noch schlimmer waren („Digimist“ — ich bitte Sie). Weiterlesen
Ein Fall für alle Fälle
Manchmal finden wohlmeinende Menschen, als Linguist in einem anglistisch-amerikanistischen Studiengang sollte ich auch ein wenig über die Klassiker der amerikanischen Literatur wissen und schenken mir dann „gute“ Bücher, die den „Schund“, den ich sonst lese, wenigstens ergänzen sollen (über den Vorwurf mit dem „Schund“ schreibe ich ein andermal).
So erhielt ich zu meinem letzten Geburtstag den jüngsten Roman des US-amerikanischen Schriftstellers John Irving, Until I Find You (dt. „Bis ich dich finde“). Nun bin ich nicht der größte Irving-Fan der Welt — die sich ständig wiederholenden Motorräder, Prostituierten und Zirkusbären können einem irgendwann ziemlich auf die Nerven gehen. Trotzdem wollte ich es, um der lieben Person willen, die mir das Buch geschenkt hat, mal wieder versuchen. Ich weiß, ehrlich gesagt, noch nicht, ob ich es durchhalte, denn nach einem interessanten Anfang (unter Tätowierungskünstlern) ist die Handlung schnell wieder bei den altbekannten Huren im Amsterdamer Rotlichtviertel angelangt, die schon in Widow for One Year (dt. „Witwe für ein Jahr“) wenig zur Geschichte beigetragen haben.
Aber es geht ja gar nicht darum, John Irvings Motivauswahl zu kritisieren, sondern um einen sprachwissenschaftlich interessanten Absatz, über den ich beim Lesen gestolpert bin: Weiterlesen
(Statt einer) Presseschau
Schon wieder eine „Slow News Week“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Die einzige Zeitungsmeldung (oder eher Zeitungsente) haben wir schon abgehandelt. Deshalb nutze ich die Presseschau diesmal, um über eine Meldung zum Thema Sprache zu schreiben, bei dem eine sprachwissenschaftliche Stellungnahme ausblieb, obwohl man sie vielleicht erwartet hätte.
Der Stadtrat von New York hat eine Resolution verabschiedet, nach der das Wort Nigger aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verschwinden soll. Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass Einigkeit darüber besteht, dass das kein schönes Wort ist und dass man es deshalb vermeiden sollte. Das „N‑Wort“, wie es die Amerikaner verschämt nennen, ist ohnehin eins der am stärksten tabuisierten Wörter des amerikanischen Englisch, und seine unbedachte Verwendung kann Karrieren zerstören, wie beispielsweise der Seinfeld-Star Michael Richards jüngst herausfinden musste. Weiterlesen
Sprachverwirrungen
Seit Anfang der Woche arbeitet sich eine Meldung der dpa durch die deutsche Medienlandschaft, die dem Horrorszenario der vermeintlichen „Anglizismen“-Schwemme ein weiteres hinzufügt. „Die deutsche Sprache“, so erfahren wir, „verändert sich immer mehr durch den Einfluss von Migranten“.
Herausgefunden haben will das laut Pressemeldung der Berliner Soziolinguist Norbert Dittmar:
„Deutsche Jugendliche übernehmen vermehrt die Aussprache und Satzbildung ausländischer Jugendlicher und benutzen auch häufig Worte aus dem Türkischen oder Arabischen“, sagte der Professor […]. „Dabei handelt es sich um eine dauerhafte Veränderung, weil die Jugendlichen diese Sprache verinnerlichen und auch als Erwachsene sprechen werden.“ Der Einfluss sei vor allem in Städten mit großen Migrantengruppen zu spüren. „Das Phänomen kann man aber in ganz Deutschland beobachten“, sagte Dittmar.
In diesem Zitat stecken die drei Kernaussagen des Artikels (aber man sollte sich ruhig auch den Rest zu Gemüte führen): Weiterlesen
Zweihundert Wörter für Reis?
Ein Leser hat vor einigen Tagen den Artikel zu den Eskimowörtern für Schnee mit einer interessanten Anmerkung kommentiert. Jens bemerkt:
Den Eskimoschnee hat nebenbei an manchen Stellen der ostasiatische Reis (als Pflanze, geschält, gekocht, …) abgelöst — und bei teils isolierenden Sprachen trifft’s dann ja noch eher zu.
Damit die Diskussion nicht untergeht, mache ich sie lieber zum Thema eines eigenen Postings. Weiterlesen
Presseschau
In der Presseschau beschäftigen wir uns heute kurz mit drei berühmten Sprachwissenschaftlern befassen, die nebenbei in der Presse erwähnt wurden.
Die ersten beiden sind die Gebrüder Grimm. Die Älteren unter uns kennen sie als Märchenerzähler, die jüngeren als Fantasy-Helden aus dem Film The Brothers Grimm. Tatsächlich waren sie auch Sprachwissenschaftler und zeichnen in dieser Eigenschaft verantwortlich für ein dreiunddreißigbändiges Wörterbuch der deutschen Sprache, erschienen zwischen 1854 und 1960. Wie die Hessische/Niedersächsische Allgemeine berichtet, werden sie in ihrer Funktion als Märchensammler nun geehrt: auf dem Netzauftritt der Region Nordhessen finden sich Reisetipps für diejenigen, die auf Rotkäppchens Spuren wandeln wollen (Zitat: „Rotkäppchen, Frau Holle, Schneewittchen, Dornröschen — Sie alle könnten in Nordhessen gelebt haben.“) oder die tatsächliche Lebensstationen der Grimms besichtigen wollen.
Der dritte ist auch ein Märchenerzähler, allerdings ein etwas modernerer: J.R.R. Tolkien, Autor des Herrn der Ringe und, wie die Grimms, historischer Sprachwissenschaftler. Wie seine Anhänger wissen, hat Tolkien Sprachen nicht nur studiert sondern auch reichlich davon erfunden. Die Aachener Zeitung warnt aber davor, Wörter aus diesen Sprachen als Passwörter für Computer und Onlineaktivitäten zu verwenden. Das leuchtet ein: jeder Hacker und Cracker, der etwas auf sich hält, ist Tolkienfan, und so sind Quenya, Sindarin und Westron natürlich auf jeder Wortliste vertreten, die zum knacken von Passwörtern verwendet wird (und bevor ich jetzt empörte E‑Mails aus Mittelerde bekomme — mir ist bekannt, dass das Westron in Tolkiens Werken stets als Englisch repräsentiert wird, und es deshalb keine Wortliste dafür geben kann).
Ich kaufe ein E
„Liebe: Auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat“ — so hat es angeblich der französische Dramatiker Jean Anouilh ausgedrückt. Und Recht hat er: wer kann von sich behaupten, das Geheimnis der zwischenmenschlichen Anziehung zu verstehen? Nun, wie heißt es so schön: „Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden…“. Die Berliner Zeitung berichtete diese Woche von einem entscheidenden Durchbruch, den Amy Perfors, eine junge Sprachwissenschaftlerin vom Massachussets Institute of Technology, erzielt haben soll. Auf einer amerikanischen Dating-Webseite ließ sie Fotos von Männern und Frauen bewerten, wobei sie dasselbe Foto jeweils mehrfach mit unterschiedlichen Vornamen versehen verwendete. Und siehe da:
Frauen stehen bei Männernamen auf helle Vorderzungen-Vokale wie ei, e und i. Auf dem hinteren Teil der Zunge gesprochene Laute wie u und a empfinden sie als weniger attraktiv. Also ist Bernd verführerischer als Hugo, Kevin anziehender als Ole. … Bei Frauennamen läuft es genau umgekehrt. Männer finden Namen mit der Betonung auf runden Vokalen wie o oder u anziehend. Das ist gut für Mona, Laura und Uta — schlecht für alle Birgits, Maikes und Katrins.
Ähnliche Berichte auf T‑Online und 20 Minuten, im Express und in der Kronenzeitung ergänzen die bunte Liste von Namen Weiterlesen
Come on, baby, light my fire
Passend zum gestrigen „Tag der Muttersprache“ berichtete in den letzten Tagen eine Reihe von britischen Tageszeitungen von Bemühungen, einen schottischen Dialekt zu dokumentieren, solange die letzten beiden Sprecher noch am Leben sind. Die Brüder Bobby und Gordon Hogg (87 und 82 Jahre alt) sind laut diesen Meldungen die letzten Sprecher des Cromarty-Dialekts, den die britische Presse heute als „Cromarty Fisher Dialect“ bezeichnet, vermutlich, weil die Sprecher traditionell Fischer waren.
Ich freue mich natürlich über die Rettungsversuche und über die Tatsache, dass die britische Presse so ausführlich berichtet, die zeigt, dass in Großbritannien ein öffentliches Interesse an Dialekten besteht (die beiden Brüder wirken allerdings auch äußerst liebenswert, das hilft sicher). Die Meldungen enthalten aber auch eine Reihe von Ungenauigkeiten und Missverständnissen, die wir hier für unsere interssierten Leser natürlich aufklären müssen. Weiterlesen
Sprachsterben
Sprachen können sterben, weil ihre Sprecher sterben. Viele der derzeit fast siebentausend Sprachen der Welt haben nur wenige hundert Sprecher, die oft auf engem Raum leben. Deshalb können Kriege, Massaker, Hungersnöte, Epidemien oder Naturkatastrophen leicht mehrere Sprachen auf einmal auslöschen.
Um nur drei Beispiele zu nennen: in einem Zeitraum von weniger als hundert Jahren verschwanden alle indigenen Sprachen Tasmaniens, weil britische Siedler im sogenannten Black War in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts fast alle tasmanischen Ureinwohner ermordeten. Hungersnöte in Irland als Folge von Kartoffel-Missernten zwischen 1845 und 1849 und die darauf folgende verstärkte Landflucht und Emigration trugen entscheidend zum Niedergang des irischen Gälisch bei. Ein Tsunami an der Nordküste von Papua-Neuguinea im Jahr 1998 tötete fast die Hälfte der damals etwa 2000 Sprecher des Arop-Sissano und machte eine Umsiedlung der Überlebenden in verschiedene Auffanglager nötig. Weiterlesen