Alles geht, oder?

Von Anatol Stefanowitsch

Für Deskrip­tivis­ten gibt es kein Richtig oder Falsch. Alles geht.“ So hat eine mein­er Stu­dentin­nen kür­zlich in ein­er Sem­i­nardiskus­sion den Begriff Deskrip­tivis­mus definiert.

Nein. Auch Deskrip­tivis­ten unter­schei­den zwis­chen „richti­gen“ und „falschen“ Struk­turen. Der Unter­schied zwis­chen Deskrip­tivis­ten und Präskrip­tivis­ten liegt in der Grund­lage, auf der sie diese Unter­schei­dung tre­f­fen. Für Präskrip­tivis­ten ist ein sprach­lich­er Aus­druck „falsch“, wenn er irgendwelche von Außen aufge­set­zten Nor­men ver­let­zt (sie sehen Sprache als eine Samm­lung von Ben­imm­regeln). Für Deskrip­tivis­ten ist ein sprach­lich­er Aus­druck „falsch“, wenn er den Regeln wider­spricht, denen die Sprech­er der Sprache unbe­wusst fol­gen (sie sehen Sprache als eine kom­plexe kog­ni­tive Fähigkeit). Weit­er­lesen

Telefonischer Sprachverfall

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Wochen ist die Geschichte schon durch die irische Presse gegan­gen, jet­zt hat der Süd­kuri­er sie aufge­grif­f­en: die schulis­chen Leis­tun­gen der irischen Jugend lei­den unter dem Ein­fluss mod­ern­er Kom­mu­nika­tion­stech­niken. Zumin­d­est behauptet das ein Bericht, den das irische Bil­dungsmin­is­teri­um in Auf­trag gegeben hat: Weit­er­lesen

Gemischte Gefühle

Von Anatol Stefanowitsch

Obwohl ich mich vor­rangig als all­ge­meinen Sprach­wis­senschaftler betra­chte, ist meine anglis­tisch-amerikanis­tis­che Iden­tität doch stark genug, dass ich mich hin und wieder an Klas­sik­ern der amerikanis­chen Gegen­wart­slit­er­atur versuche.

Vor einiger Zeit habe ich es ja mit John Irv­ings Until I Find You ver­sucht (der liegt derzeit auf Eis, aber ich ver­suche es näch­stes Jahr nochmal). Dieser Tage habe ich mir Don DeLil­los Roman Under­world vorgenom­men, der seit immer­hin zehn Jahren unberührt in meinem Bücher­re­gal steht.

Ich gebe es lieber gle­ich zu: ich bin schon am Pro­log gescheit­ert. Weit­er­lesen

Nomen est Omen

Von Anatol Stefanowitsch

Dass zumin­d­est Län­der­na­men nicht nur Schall und Rauch sind, haben wir ja Anfang der Woche erlebt. Aber auch Per­so­nen­na­men bergen Zünd­stoff. So will die Süd­deutsche ein sub­tiles Muster ono­mas­tis­ch­er Diskri­m­inierung ent­deckt haben:

Typ­is­cher­weise wer­den Poli­tik­erin­nen von den Medi­en gern beim Vor­na­men genan­nt, während die Män­ner ihren Nach­na­men behal­ten. Die Präsi­dentschaftswahlen in Frankre­ich wer­den also zwis­chen „Ségo“ und „Sarko“ aus­ge­tra­gen. Dies allein besagt eine Menge über die Gle­ich­stel­lung von Poli­tik­erin­nen und Poli­tik­ern in Europa.

Ob das stimmt, weiß ich nicht. Unsere let­zte Bun­destagswahl wurde ja zwis­chen Gerd und Ang­ie aus­ge­tra­gen. Weit­er­lesen

Schneeschuhknüpfer und Alemannen

Von Anatol Stefanowitsch

Bei der Wahl ein­er Beze­ich­nung für ein anderes Land/ein anderes Volk haben die Sprech­er ein­er Sprache zwei Möglichkeit­en. Sie kön­nen das Wort übernehmen, mit dem das betr­e­f­fende Volk sich selb­st beze­ich­net — die soge­nan­nte Eigen­beze­ich­nung (das Endonym, also der „Innen­name“). Sie kön­nen aber auch ein eigenes Wort, also eine Fremd­beze­ich­nung schöpfen (ein soge­nan­ntes Exonym, also den „Außen­na­men“).

Wenn eine Sprachge­mein­schaft eine Fremd­beze­ich­nung für ein anderes Land/Volk erfind­et, geschieht das manch­mal in ein­er Art und Weise, die nicht ger­ade schme­ichel­haft für die so Benan­nten ist. Weit­er­lesen

Schnee, Sprachdiebe, Schreibschwierigkeiten

Von Anatol Stefanowitsch

Ich war diese Woche auf Forschungsreise am Max-Planck-Insti­tut für Psy­cholin­guis­tik in Nijmegen und hat­te deshalb keine Zeit, die Tage­spresse nach sprach­wis­senschaftlichen Mel­dun­gen zu durch­forsten. Stattdessen habe ich auf der Rück­reise drei sprach­wis­senschaftlich inter­es­sante Gespräche geführt oder mitgehört.

Auf der Strecke von Nijmegen nach Deven­ter saßen drei hol­ländis­che Psy­cholo­gi­es­tu­dentin­nen neben mir, die sich über ihr Studi­um unter­hiel­ten. Da ich kein Hol­ländisch spreche, und da man ander­er Leute Gespräche nich belauschen soll, habe ich nicht weit­er hinge­hört. Bis eine von Ihnen fol­gen­den Satz sagte:

Eskimo’s hebben twintig ver­schil­lende woor­den voor sneeuw, ter­wi­jl wij ongeveer drie hebben.

Wie gesagt, ich spreche kein Hol­ländisch, aber den Mythos von den Schneewörtern erkenne ich in jed­er Sprache. Weit­er­lesen

Apostrophenschutz

Von Anatol Stefanowitsch

Hin­ter­strich, Nach­strich, Ober­strich, Ober­häk­lein, Hochkom­ma, Aus­las­sungsze­ichen — das sind nur einige der vie­len Namen, mit denen er in sein­er etwa vier­hun­dertjähri­gen Lebens­geschichte gerufen wurde: der Apos­troph. Und wie kaum ein anderes Inter­punk­tion­sze­ichen erhitzt er die Gemüter, wenn er außer­halb der Duden-Regeln ver­wen­det wird. Dabei lassen sich fünf grobe Kat­e­gorien normab­we­ichen­der Ver­wen­dun­gen unterscheiden:

  • Der Gen­i­tiv-Apos­troph (Uschi’s Hun­de­sa­lon; Künzel’s Brillen und Con­tactlin­sen; wie zu Oma’s Zeit­en; im Süden Namibia’s)
  • Der Plur­al-Apos­troph (Büro’s frei; Hit’s und Trend’s; für unsere Puppenmama’s); dieser Fall find­et sich manch­mal auch bei Plu­ral­bil­dun­gen mit -n (Par­ty Idee’n; Ham­burgs schön­ste Ecke’n; Musik-CD’n)
  • Der „falsche“ Aus­las­sungsapos­troph (Bei’m Wolf­gang; Geschicht­en für’s Herz; Tritt gegen’s Schienen­bein)
  • Der Verb­form-Apos­troph (Du schein’st es ja kapiert zu haben; um ihre Wahl zu speicher’n; schau’t ein­fach mal nach; Pack’ das Auto ins Gepäck; Spiel’ mit mir)
  • Der (schein­bar) beliebige Apos­troph (Alles ist O’K; braungetiger’ter Kater; Hobb’y 24; 4. Abfahrt recht’s; Super eBay’er; Düs­sel­dor­fer Kios’k)

Dutzende von Web­seit­en wid­men sich auss­chließlich solchen Ver­wen­dun­gen, als „Dep­pe­na­pos­troph“, „Kapos­troph“ oder „(ansteck­ende) Apos­trophi­tis“ beze­ich­net. Weit­er­lesen

Was wäre wenn…

Von Anatol Stefanowitsch

Der ehe­ma­lige NASA-Inge­nieur Ran­dall Munroe, seinen Fans bess­er bekan­nt als xkcd, veröf­fentlicht in seinem Blog dreimal pro Woche geniale Car­toons zu den The­men „Roman­tik“, „Sarkas­mus“, „Math­e­matik“ und „Sprache“. Zum Beispiel diesen hier:

Was wäre wenn genau jetzt in deinem Zimmer jemand aus einer hypothetischen Situation ausbräche?

Was wäre wenn genau jet­zt in deinem Zim­mer jemand aus ein­er hypo­thetis­chen Sit­u­a­tion ausbräche?

[Sowohl das Orig­i­nal als auch unsere Über­set­zung des Car­toons ste­hen unter ein­er Creative-Commons-BY-NC‑2.5‑Lizenz]

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Eigentlich wollte ich natür­lich über Microsoft schreiben, die sich durch ihren Rechtsstre­it um die Sprache der Mapuche nicht beir­ren lassen (wir erwäh­n­ten das in unserem Aprilscherz) und nun ihr Office-Paket auch ins Elsäs­sis­che über­set­zen lassen haben. Was ich an dieser Über­set­zung beson­ders bemerkenswert finde, ist, dass der größte Soft­ware­hersteller der Welt dafür ger­ade ein­mal 5.000 Euro übrig hat­te. Unter den Leser/innen des Bre­mer Sprach­blogs sind ja einige Übersetzer/innen und Lektor/innen, die dürften mir bestäti­gen kön­nen, dass man für diese lächer­liche Summe (etwa den Verkauf­spreis von 10 MS-Office-Pro-Paketen) natür­lich nur die gewohnte Microsoft-Qual­ität, keines­falls aber eine anständi­ge Über­set­zung erwarten kann. Weit­er­lesen

Unwiederholbares

Von Anatol Stefanowitsch

Eine Grun­dregel „guten“ Schreibens besagt, dass die Wieder­hol­ung eines Wortes im sel­ben Satz/Absatz zu ver­mei­den ist und stattdessen Syn­onyme gewählt wer­den sollen.

Bei Adobe Sys­tems Inc. hat man von dieser Regel offen­bar noch nie gehört — NvonX, gele­gentlich­er Sprach­blogkom­men­ta­tor, schickt mir fol­gen­den Screenshot:

Adobe Updater Warning

Adobe Updater Warning

Wie er richtig beobachtet: „Noch schön­er wäre es, wenn es statt eines „OK“-Buttons einen „Update“-Button gäbe.“