Die „Aktion Lebendiges Deutsch“ hat sich diesen Monat ihren Namen ausnahmsweise verdient, wenigstens zur Hälfte. Eine Alternative für das Wort Mobbing war gesucht, und diesmal haben die vier sonst oft so kunstlosen Brüder bei der Auswahl aus den Vorschlägen der Teilnehmer ein gutes Händchen bewiesen. Statt sich in albernen Wortspielen zu verlieren oder gegen jede sprachliche Vernunft einen existierenden und semantisch unpassenden Begriff in die Pflicht zu nehmen, haben die Teilnehmer der Aktion diesmal einen produktiven Wortbildungsmechanismus verwendet um das „englische“ Original mit sprachinternen Mitteln nachzubilden. Weiterlesen
Pirahã vs. Chomsky
Im New Yorker gab es im April eine lange Reportage von John Colapinto: The Interpreter.
Darin geht es um Dan Everett — einen Missionar der zum Linguisten wurde, die Pirahã — ein Amazonasvolk, das nichts von der Außenwelt hält — und ihre Sprache — mit der sich Chomsky nicht vereinbaren lässt.
Eine angenehm lesbare Zusammenfassung!
Und noch ein Zitat von Michael Tomasello:
“Universal grammar was a good try, and it really was not so implausible at the time it was proposed, but since then we have learned a lot about many different languages, and they simply do not fit one universal cookie cutter.”
Sinnesfreuden (II)
Am letzten Montag haben wir Bastian Sicks Behauptung widerlegt, dass die Redewendung Sinn machen ein neues Phänomen sei, geschaffen eventuell vom Erfinder der Frühstückszerealien. Heute wollen wir beginnen, uns mit der Frage zu beschäftigen, was gegen die Redewendung denn eigentlich einzuwenden sein könnte.
In seiner berüchtigten Glosse macht sich Sick zwei Seiten lang über Menschen lustig, die diese Redewendung verwenden, bevor er überhaupt zu einer ersten Begründung für seine Behauptung kommt, dass Sinn machen kein gutes Deutsch sei. Und die lautet so:
„Sinn“ und „machen“ passen einfach nicht zusammen. Das Verb „machen“ hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag-, die für „kneten“ steht. Das erste, was „gemacht“ wurde, war demnach Teig. Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen.
Die Grammatik, genauer: die Syntaxtheorie, beschäftigt sich mit den Prinzipien, nach denen Wörter zu Sätzen zusammengesetzt werden. Weiterlesen
Breakdance im Arbeiter- und Bauernstaat
Über Sprache darf man ja sowieso behaupten, was man will. Für die Sprache der ehemaligen DDR gilt das erst Recht. Jahresendfigur m. F. (mit Flügeln) habe man dort Weihnachtsengel genannt und Jahresendfigur o. F. (ohne Flügel) den Weihnachtsmann, anstelle von Reis und Kartoffeln, die es natürlich ohnehin nicht zu kaufen gab, kannte der Ossi nur das Wort Sättigungsbeilage, Kühe hießen rauhfutterverzehrende Großvieheinheit und die Antibabypille Wunschkindpille.
Nun sind das alles Wörter, die es tatsächlich gab. Aber dass sie außer den Bürokraten, die sie sich ausgedacht haben, tatsächlich jemand verwendet hat, darf wohl bezweifelt werden. Weiterlesen
Sinnesfreuden (I)
Als ich im Januar das Bremer Sprachblog auf den Weg brachte, habe ich mir geschworen, über drei Dinge nie zu schreiben: erstens über die Frage, ob die Eskimos 400 Wörter für Schnee haben, zweitens über die Frage, ob Firefox ein besserer Browser ist als der MS Internet Explorer und drittens über die Frage, ob die Redewendung Sinn machen, die Bastian Sick so berühmt gemacht hat, ein Vorbote der sprachlichen Apokalypse ist. Auf alle drei Fragen schien mir die korrekte Antwort zu offensichtlich (Nein, Ja und Nein).
Bei den Schneewörtern haben meine guten Vorsätze gerade mal fünf Tage gehalten. Gleich mein dritter Beitrag hat das Thema ausführlich aufgegriffen. Beim Browserkrieg bin ich immerhin sechs Monate stark geblieben. Aber im Juli brauchte ich Hilfe mit dem Layout, das einer der beiden Browser nicht richtig darstellte, und da ging es nicht anders. Und heute fällt mein letzter Vorsatz. Weiterlesen
Birma/Myanmar
Nur kurz ein Nachtrag zum Thema Namensänderungen, der in der Presseschau wegen deren fehlender Ernsthaftigkeit keinen Platz gehabt hätte.
Es ist wohl kaum jemandem entgangen, dass die Bevölkerung des südostasiatischen Landes Birma/Myanmar, angeführt von buddhistischen Mönchen, derzeit versucht, die Militärdiktatur abzuschütteln, die das Land seit 1965 beherrscht. Dabei fällt in der Berichterstattung auf, dass die deutsche Presse sich insgesamt nicht sicher zu sein scheint, wie das Land zu bezeichnen ist. Weiterlesen
Namensänderungen
Namen sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht eine wenig emotionale Sache. Wie die Wikipedia so treffend zusammenfasst (mit schönem Gruß an Renate C.):
Namen sind, nach der aktuellen wissenschaftlichen Forschung, ein Zugriffsindex auf eine Informationsmenge über ein Individuum. Sie sind somit einer Person, einem Gegenstand, einer organisatorischen Einheit (z.B. einem Betrieb) oder einem Begriff zugeordnete Informationen, die der Identifizierung und Individualisierung dienen sollen.
Ein Index hat neben seiner Verweisfunktion keine weitere Bedeutung. Hat man einmal einen Index gefunden, gibt es also keinen rationalen Grund, diesen zu ändern. Weiterlesen
Till death do us part
As regular readers of the Bremer Sprachblog know, the languages of the world are disappearing at an alarming rate (see for example here, here, here, here, here, and here). According to the most conservative estimates, at least half of the 6,500 languages currently spoken will become extinct by the end of the century (by the way, if you’re wondering why I am addressing you in English today, please bear with me — I have a point to make).
When linguists draw attention to this mass extinction, they naturally portray it as something bad. This negative evaluation seems so natural to us, that we are often surprised when others disagree.
Last week, a story from the forthcoming issue of National Geographic on the topic of language death was taken up in the American press, for example in the New York Times, the Los Angeles Times and the Washington Post. While the specifics of that story have not met with the wholehearted approval of all linguists, in the end we probably all agree that there is no such thing as bad publicity when it comes to raising public awareness of language death. Weiterlesen
Rahmen sprengen
Die kurze Erwähnung des Wortes „Framing“ in diesem Beitrag war vielleicht etwas kryptisch. Das liegt daran, dass ich den Beitrag vor der Veröffentlichung stark gekürzt habe und dabei die gesamte Framing-Theorie herausgenommen habe. Also liefere ich die hier nach, denn sie wird uns im Sprachblog sicher noch häufiger beschäftigen.
Die Begriffe Frame und Framing werden in den verschiedensten Sozialwissenschaften, in der Psychologie und in der Informatik verwendet, und viele dieser Verwendungsweisen überschneiden sich oder sind miteinander verwandt. George Lakoff, den ich im Beitrag von letzter Woche erwähnt habe, bezieht sich mit seiner Verwendung aber speziell auf die Frame-Semantik von Charles Fillmore die in der Wikipedia treffend zusammengefasst wird: Weiterlesen
Sonntagabendliche Betrachtungen
Beim Zappen habe ich gerade im „Quiz-Taxi“ auf Sat.1Kabel Eins folgende Frage mitbekommen:
Wie lautet das Palindrom von Lager?
Da den Quizteilnehmer der Begriff Palindrom nicht bekannt war, konnten sie die Frage nicht beantworten. Eigentlich könnte man sich darüber streiten, ob die Frage richtig gestellt war. Weiterlesen