Meute heute

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ hat sich diesen Monat ihren Namen aus­nahm­sweise ver­di­ent, wenig­stens zur Hälfte. Eine Alter­na­tive für das Wort Mob­bing war gesucht, und dies­mal haben die vier son­st oft so kun­st­losen Brüder bei der Auswahl aus den Vorschlä­gen der Teil­nehmer ein gutes Händ­chen bewiesen. Statt sich in alber­nen Wort­spie­len zu ver­lieren oder gegen jede sprach­liche Ver­nun­ft einen existieren­den und seman­tisch unpassenden Begriff in die Pflicht zu nehmen, haben die Teil­nehmer der Aktion dies­mal einen pro­duk­tiv­en Wort­bil­dungsmech­a­nis­mus ver­wen­det um das „englis­che“ Orig­i­nal mit sprach­in­ter­nen Mit­teln nachzu­bilden. Weit­er­lesen

Pirahã vs. Chomsky

Von Kristin Kopf

Im New York­er gab es im April eine lange Reportage von John Colap­in­to: The Inter­preter.
Darin geht es um Dan Everett — einen Mis­sion­ar der zum Lin­guis­ten wurde, die Pirahã — ein Ama­zonasvolk, das nichts von der Außen­welt hält — und ihre Sprache — mit der sich Chom­sky nicht vere­in­baren lässt.
Eine angenehm les­bare Zusammenfassung!

Und noch ein Zitat von Michael Tomasel­lo:

Uni­ver­sal gram­mar was a good try, and it real­ly was not so implau­si­ble at the time it was pro­posed, but since then we have learned a lot about many dif­fer­ent lan­guages, and they sim­ply do not fit one uni­ver­sal cook­ie cut­ter.

Sinnesfreuden (II)

Von Anatol Stefanowitsch

Am let­zten Mon­tag haben wir Bas­t­ian Sicks Behaup­tung wider­legt, dass die Redewen­dung Sinn machen ein neues Phänomen sei, geschaf­fen eventuell vom Erfind­er der Früh­stück­sz­e­re­alien. Heute wollen wir begin­nen, uns mit der Frage zu beschäfti­gen, was gegen die Redewen­dung denn eigentlich einzuwen­den sein könnte.

In sein­er berüchtigten Glosse macht sich Sick zwei Seit­en lang über Men­schen lustig, die diese Redewen­dung ver­wen­den, bevor er über­haupt zu ein­er ersten Begrün­dung für seine Behaup­tung kommt, dass Sinn machen kein gutes Deutsch sei. Und die lautet so:

Sinn“ und „machen“ passen ein­fach nicht zusam­men. Das Verb „machen“ hat die Bedeu­tung von fer­ti­gen, her­stellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indoger­man­is­che Wurzel mag-, die für „kneten“ ste­ht. Das erste, was „gemacht“ wurde, war dem­nach Teig. Etwas Abstrak­tes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen.

Die Gram­matik, genauer: die Syn­tax­the­o­rie, beschäftigt sich mit den Prinzip­i­en, nach denen Wörter zu Sätzen zusam­menge­set­zt wer­den. Weit­er­lesen

Breakdance im Arbeiter- und Bauernstaat

Von Anatol Stefanowitsch

Über Sprache darf man ja sowieso behaupten, was man will. Für die Sprache der ehe­ma­li­gen DDR gilt das erst Recht. Jahre­send­fig­ur m. F. (mit Flügeln) habe man dort Wei­h­nacht­sen­gel genan­nt und Jahre­send­fig­ur o. F. (ohne Flügel) den Wei­h­nachts­mann, anstelle von Reis und Kartof­feln, die es natür­lich ohne­hin nicht zu kaufen gab, kan­nte der Ossi nur das Wort Sät­ti­gungs­beilage, Kühe hießen rauh­fut­ter­verzehrende Großviehein­heit und die Antibabyp­ille Wun­schkind­pille.

Nun sind das alles Wörter, die es tat­säch­lich gab. Aber dass sie außer den Bürokrat­en, die sie sich aus­gedacht haben, tat­säch­lich jemand ver­wen­det hat, darf wohl bezweifelt wer­den. Weit­er­lesen

Sinnesfreuden (I)

Von Anatol Stefanowitsch

Als ich im Jan­u­ar das Bre­mer Sprach­blog auf den Weg brachte, habe ich mir geschworen, über drei Dinge nie zu schreiben: erstens über die Frage, ob die Eski­mos 400 Wörter für Schnee haben, zweit­ens über die Frage, ob Fire­fox ein besser­er Brows­er ist als der MS Inter­net Explor­er und drit­tens über die Frage, ob die Redewen­dung Sinn machen, die Bas­t­ian Sick so berühmt gemacht hat, ein Vor­bote der sprach­lichen Apoka­lypse ist. Auf alle drei Fra­gen schien mir die kor­rek­te Antwort zu offen­sichtlich (Nein, Ja und Nein).

Bei den Schneewörtern haben meine guten Vorsätze ger­ade mal fünf Tage gehal­ten. Gle­ich mein drit­ter Beitrag hat das The­ma aus­führlich aufge­grif­f­en. Beim Browserkrieg bin ich immer­hin sechs Monate stark geblieben. Aber im Juli brauchte ich Hil­fe mit dem Lay­out, das ein­er der bei­den Brows­er nicht richtig darstellte, und da ging es nicht anders. Und heute fällt mein let­zter Vor­satz. Weit­er­lesen

Birma/Myanmar

Von Anatol Stefanowitsch

Nur kurz ein Nach­trag zum The­ma Namen­sän­derun­gen, der in der Press­eschau wegen deren fehlen­der Ern­sthaftigkeit keinen Platz gehabt hätte.

Es ist wohl kaum jeman­dem ent­gan­gen, dass die Bevölkerung des südostasi­atis­chen Lan­des Birma/Myanmar, ange­führt von bud­dhis­tis­chen Mönchen, derzeit ver­sucht, die Mil­itärdik­tatur abzuschüt­teln, die das Land seit 1965 beherrscht. Dabei fällt in der Berichter­stat­tung auf, dass die deutsche Presse sich ins­ge­samt nicht sich­er zu sein scheint, wie das Land zu beze­ich­nen ist. Weit­er­lesen

Namensänderungen

Von Anatol Stefanowitsch

Namen sind aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht eine wenig emo­tionale Sache. Wie die Wikipedia so tre­f­fend zusam­men­fasst (mit schönem Gruß an Renate C.):

Namen sind, nach der aktuellen wis­senschaftlichen Forschung, ein Zugriff­sin­dex auf eine Infor­ma­tion­s­menge über ein Indi­vidu­um. Sie sind somit ein­er Per­son, einem Gegen­stand, ein­er organ­isatorischen Ein­heit (z.B. einem Betrieb) oder einem Begriff zuge­ord­nete Infor­ma­tio­nen, die der Iden­ti­fizierung und Indi­vid­u­al­isierung dienen sollen. 

Ein Index hat neben sein­er Ver­we­is­funk­tion keine weit­ere Bedeu­tung. Hat man ein­mal einen Index gefun­den, gibt es also keinen ratio­nalen Grund, diesen zu ändern. Weit­er­lesen

Till death do us part

Von Anatol Stefanowitsch

As reg­u­lar read­ers of the Bre­mer Sprach­blog know, the lan­guages of the world are dis­ap­pear­ing at an alarm­ing rate (see for exam­ple here, here, here, here, here, and here). Accord­ing to the most con­ser­v­a­tive esti­mates, at least half of the 6,500 lan­guages cur­rent­ly spo­ken will become extinct by the end of the cen­tu­ry (by the way, if you’re won­der­ing why I am address­ing you in Eng­lish today, please bear with me — I have a point to make).

When lin­guists draw atten­tion to this mass extinc­tion, they nat­u­ral­ly por­tray it as some­thing bad. This neg­a­tive eval­u­a­tion seems so nat­ur­al to us, that we are often sur­prised when oth­ers disagree.

Last week, a sto­ry from the forth­com­ing issue of Nation­al Geo­graph­ic on the top­ic of lan­guage death was tak­en up in the Amer­i­can press, for exam­ple in the New York Times, the Los Ange­les Times and the Wash­ing­ton Post. While the specifics of that sto­ry have not met with the whole­heart­ed approval of all lin­guists, in the end we prob­a­bly all agree that there is no such thing as bad pub­lic­i­ty when it comes to rais­ing pub­lic aware­ness of lan­guage death. Weit­er­lesen

Rahmen sprengen

Von Anatol Stefanowitsch

Die kurze Erwäh­nung des Wortes „Fram­ing“ in diesem Beitrag war vielle­icht etwas kryp­tisch. Das liegt daran, dass ich den Beitrag vor der Veröf­fentlichung stark gekürzt habe und dabei die gesamte Fram­ing-The­o­rie her­ausgenom­men habe. Also lief­ere ich die hier nach, denn sie wird uns im Sprach­blog sich­er noch häu­figer beschäftigen.

Die Begriffe Frame und Fram­ing wer­den in den ver­schieden­sten Sozial­wis­senschaften, in der Psy­cholo­gie und in der Infor­matik ver­wen­det, und viele dieser Ver­wen­dungsweisen über­schnei­den sich oder sind miteinan­der ver­wandt. George Lakoff, den ich im Beitrag von let­zter Woche erwäh­nt habe, bezieht sich mit sein­er Ver­wen­dung aber speziell auf die Frame-Seman­tik von Charles Fill­more die in der Wikipedia tre­f­fend zusam­menge­fasst wird: Weit­er­lesen

Sonntagabendliche Betrachtungen

Von Anatol Stefanowitsch

Beim Zap­pen habe ich ger­ade im „Quiz-Taxi“ auf Sat.1Kabel Eins fol­gende Frage mitbekommen:

Wie lautet das Palin­drom von Lager?

Da den Quizteil­nehmer der Begriff Palin­drom nicht bekan­nt war, kon­nten sie die Frage nicht beant­worten. Eigentlich kön­nte man sich darüber stre­it­en, ob die Frage richtig gestellt war. Weit­er­lesen