Anders als beim Wort des Jahres und beim Unwort des Jahres geht es bei unserer Wörterwahl nicht darum, ein Wort zu finden, das das vergangene Jahr im positiven oder negativen Sinne charakterisiert. Stattdessen wählen wir ein englisches Lehnwort, das eine interessante Lücke im Wortschatz des Deutschen füllt und das sich (deshalb) messbar im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitet hat. Solche Lücken tun sich typischerweise auf, weil die Sprachgemeinschaft über neue technische oder gesellschaftliche Entwicklungen sprechen will, für die es bislang keine Wörter gibt. Unsere Anglizismen des Jahres reflektieren diese Entwicklungen und charakterisieren so am Ende doch ein Stück weit das vergangene Jahr. Leaken spiegelte 2010 die gerade erst begonnene Diskussion um ein neues Verhältnis zwischen Staatsgeheimnissen und öffentlichem Informationsinteresse wider, Shitstorm griff 2011 Veränderungen in der öffentlichen Kommunikationskultur auf, Crowdfunding wies 2012 auf ein neu entstehendes Wirtschaftsmodell hin, und –gate verwies 2013 auf einen Trivialisierungseffekt im Umgang mit Skandalen, der unter anderem mit einer Gewöhnung an die von leaken und Shitstorm aufgezeigten Veränderungen zusammenhängt.
Der diesjährige Anglizismus des Jahres setzt diese Tradition fort: Blackfacing, eine eingedeutsche Form des englischen blackface. Diese Bezeichnung für die Darstellung schwarzer Menschen durch dunkel geschminkte weiße Menschen reflektiert einen Konflikt zwischen einer Mehrheit, die für sich eine uneingeschränkte kulturelle Deutungshoheit in Anspruch nimmt, und einer (wachsenden) Minderheit, die das nicht mehr stillschweigend hinnimmt.
Das Wort stammt ursprünglich aus der US-amerikanischen Tradition der minstrel shows des 19. Jahrhunderts, bei dem weiße Varietékünstler mit schwarz geschminkten Gesichter (in blackface) Stereotype von naiven, immer fröhlichen Sklaven zur Schau stellten und die brutale Unterdrückung schwarzer Menschen damit unsichtbar machten. Mit Bezug auf diese Tradition (die sich nach der Erfindung des Films darin fortsetzte, schwarze Figuren durch weiße Schauspieler dargestellt wurden), findet sich das Wort blackface ab dem Jahr 2000 vereinzelt außerhalb der Fachliteratur. Zu diesem Zeitpunkt dürfte es dem größten Teil der Sprachgemeinschaft aber noch nicht aufgefallen sein. Erst ab 2009 nimmt es in seiner Häufigkeit und Verbreitung langsam zu, vor allem, weil es nun auch auf Ereignisse im deutschen Sprachraum angewendet wird. Ein frühes Beispiel ist die Kritik an Günter Wallraffs Film „Schwarz auf Weiß“, für dem er Alltagsrassismus dokumentieren wollte, indem er schwarz geschminkt durch Deutschland reiste – und damit genau wie die Minstreldarsteller des 19. Jahrhunderts seine oberflächlich Darstellung über die Lebenswirklichkeit der schwarzen Menschen stellte, die diesen Rassismus tatsächlich jeden Tag erleben. ((Noah Sow, Ein angemalter Weißer ist kein Schwarzer, tagesschau.de, 20.10.2009; Cristina Nord und Daniel Bax, Ist Günter Wallraff ein Aufklärer?, taz.de, 24.10.2009.))
Einige Jahre lang bezieht das Wort Blackface/Blackfacing (zur Form unten mehr) danach auch in deutschsprachigen Zusammenhängen ausschließlich auf Film und Theater. Bekannte Fälle sind zum Beispiel eine Inszenierung des Stücks „Clybourne Park“ am Deutschen Theater 2011, die dessen Autor Bruce Norris untersagte, weil eine schwarze Figur von einer weißen Schauspielerin gespielt werden sollte, ((Schwarz und weiß, Spiegel 51/2011.)) oder Dieter Hallervordens Inszenierung des Stücks „Ich bin nicht Rapaport“, in dem der weiße Schauspieler Joachim Bliese ebenfalls eine schwarze Figur spielte. ((Hadija Haruna, Schwarz auf Weiß, tagesspiegel.de, 11.1.2012.)) Im Zuge der Diskussion um diese Inszenierungen wurde die Plattform Bühnenwatch gegründet, ((Nadia Schneider, Blackface in Germany — Eine kurze Geschichte der Ignoranz oder der Anfang von Bühnenwatch, buehnenwatch.com. 2.2012.)) die seitdem Fälle von Blackface an deutschen Theatern dokumentiert und die durch Tagungen und Veröffentlichungen wertvolle Arbeit dabei leistet, den Begriff des Blackface/Blackfacing aus dem ursprünglichen amerikanischen Kontext heraus zu verallgemeinern und zu zeigen, wie und warum er auch auf das deutsche Theater des 21. Jahrhunderts Anwendung finden muss. ((z.B. Blackface, Whiteness and the Power of Definition in Contemporary German Theatre, Textures, 2013/2014.)) Es mag in Deutschland keine Minstrel Shows gegeben haben, aber auch auf deutschen Bühnen wird schwarzen Menschen durch Blackface die Möglichkeit genommen, sich selbst zu repräsentieren.
Die Diskussion um Blackface auf deutschsprachigen Theaterbühnen wird bis heute intensiv geführt. Für die Bedeutungsgeschichte des Wortes Blackface/Blackfacing ist aber entscheidend, dass es sich spätestens seit Ende 2013 auch außerhalb von Diskussionen um Film und Theater findet. Entscheidende Momente in dieser Ausweitung waren zum Beispiel: ein Auftritt des weißen Literaturkritikers Denis Scheck, der sich schwarz geschminkt über über die Entfernung rassistischer Sprache aus Kinderbüchern empörte ((Hannah Pilarczyk, Die Maske des Denis Scheck, Spiegel Online, 30.01.2013.)); eine Saalwette bei der Fernsehsendung „Wetten, dass?…“, bei der Zuschauer/innen von Moderator Markus Lanz aufgefordert wurden, sich mittels „Schuhcreme, Kohle, was auch immer“ als Kinderbuch- und Puppenspielfigur Jim Knopf zu verkleiden ((Marie-Sophie Adeoso, „Wetten, dass..?“ in Augsburg; Rassistisch auf mehreren Ebenen. Frankfurter Rundschau, 18.12.2013.)); ein Auftritt des weißen Radiomoderators Chris Stephan, der sich schwarz geschminkt auf den Wiener Opernball begab und sich der amerikanischen Schauspielerin Kim Kardashian als deren damaliger Verlobter (inzwischen Ehemann) Kanye West vorstellte ((Olja Alvir, Opernball: N‑Wort und Blackface, derStandard.at, 28. Februar 2014.)); ein Auftritt weißer deutscher Fußballfans, die sich bei einem WM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft schwarz geschminkt als Fans der gegnerischen ghanaischen Nationalmannschaft verkleideten. ((Vera Kern, Zu viel WM-Patriotismus in Deutschland?, DW, 25.6.2014.)) Neben diesen Einzelereignissen gab es auch Diskussionen um Blackfacing bei Sternsingern und im Karneval. ((Paul Wrusch, Rassistische Klischees im Karneval: Afro-Tucken und Zigeuner-Huren, taz.de, 5. Februar 2014.))
Die Bedeutungsausweitung ist nicht nur inhaltlich und kulturgeschichtlich interessant, sondern eben auch – und darum geht es bei unserem Wettbewerb ja – sprachwissenschaftlich. Sie zeigt, dass Lehnwörter nicht, wie von Kritikern oft angenommen, passiv und ohne Nachzudenken übernommen werden, sondern dass die entlehnende Sprachgemeinschaft sie aktiv in ihre eigenen Diskussionszusammenhänge integriert.
Die zunehmende Integration des Wortes Blackfacing in die deutsche Sprache zeigt sich nicht nur an dieser Bedeutungsentwicklung, sondern auch an der Verschiebung der Form weg vom ursprünglichen englischen blackface und hin zum (scheinbar) englischen Partizip Präsens Blackfacing. Diese Form kommt zwar auch im Englischen vereinzelt vor, wird im Deutschen aber ab 2011 die dominante Form. Damit liefert das Wort Blackfacing ein Beispiel für die Beobachtung, dass die Nachsilbe ‑ing im Deutschen zwar (noch) auf Stämme englischen Ursprungs beschränkt ist, aber durchaus produktiv angewendet wird. ((Peter Eisenberg, Anglizismen im Deutschen, 2013.)) Vor allem wird sie von den Sprecher/innen des Deutschen als Mittel zur Bildung von Substantiven aus Verben erkannt, was umgekehrt die Möglichkeit eröffnet, aus einem Substantiv mit ‑ing ein Verb abzuleiten. Genau dies ist im Falle von Blackfacing geschehen: Ab 2011 findet sich immer öfter auch in standardsprachlichen Texten das Verb blackfacen (z.B. „Deswegen wollen wir weiter blackfacen dürfen…“, taz, Februar 2014). Hierbei handelt es sich um ein genuin deutsches Verb, zu dem es im Englischen keine direkte Entsprechung gibt (hier verwendet man statt eines einfachen Verbs komplexe Prädikate wie to perform in blackface oder to wear blackface oder auch schlicht to black up).
Natürlich zwingt uns die Existenz des Lehnwortes Blackfacing nicht dazu, seine Bedeutsamkeit als gesellschaftliches Phänomen auch in der deutschsprachigen Welt anzuerkennen. Aber es eröffnet uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken und zu diskutieren. Das Wort Blackfacing ist in gewisser Weise eine Hypothese: dass all diese Einzelfälle in all diesen scheinbar so unterschiedlichen Zusammenhängen möglicherweise Ausformungen eines gemeinsamen rassistischen Grundgedankens sind: Weiße Menschen müssen nicht auf schwarze Menschen hören, wenn es um deren Lebenswelten geht.
Das ist keine angenehme Hypothese und das Wort Blackfacing ist kein angenehmes Wort. Aber wie auch immer die Bewertung dieser Hypothese im Einzelfall ausgehen mag, es ist ein Wort, das die deutsche Sprachgemeinschaft schon lange hätte gebrauchen können. Dank der Möglichkeit, Wörter – und damit verbundene Ideen – von anderen Sprachgemeinschaften zu übernehmen, haben wir es jetzt. Was wir daraus machen, liegt ganz bei uns.
[Zur Pressemeldung der Aktion Anglizismus des Jahres]
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