Archiv der Kategorie: Schplock

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich die Beiträge aus Kristin Kopfs Blog Sch­plock (2007–2012)

[Surftipp] Duden-Newsletter

Von Kristin Kopf

Die Duden-Sprach­ber­atung schreibt alle zwei Wochen einen Newslet­ter zu ver­schiede­nen sprach­be­zo­ge­nen The­men – seien es Gram­matik, Ety­molo­gie, Zweifels­fälle, Sprach­wan­del, Redewen­dun­gen, … eine unter­halt­same Mis­chung, die zudem den Vorteil hat, nicht täglich die Mail­box zu ver­stopfen (deshalb habe ich z.B. das “Word of the day” des OED wieder abbestellt). 2009-04-07-dudennewsletter1

O Herz Jesu, meine Kasus!

Von Kristin Kopf

Lateinis­che Wörter im Deutschen wer­den oft gnaden­los assim­i­liert. Zwar beste­hen Sprach­fa­natik­er häu­fig auf den “kor­rek­ten” Plur­al (Prak­ti­ka, Visa, oder aus meinem All­t­ag – und ich muss zugeben, dass ich da auch ein bißchen präskrip­tiv ver­an­lagt bin – Tem­po­ra, Kasus, Gen­era, Sim­plizia, …), aber was bet­rifft die anderen Kasus? (Ja, Kasus. Mit langem uuu­u­uu. Eigentlich vol­lkom­men abar­tig, so etwas im Deutschen beizubehalten.)

Wie gut, dass ich das “Studi­um Lat­inum” im Som­mer 2005 in mein­er ersten Euphorie nicht direkt verkauft habe. Ein bißchen was zu lateinis­chen Sub­stan­tivk­lassen. Ich mach’s kurz, versprochen!

Stimuli für Tempora

Also … jedes lateinis­che Sub­stan­tiv gehört in eine “(Deklinatinons-)Klasse”, auch oft verkürzt “Dek­li­na­tion” genan­nt. Diese Klasse bes­timmt über die Flex­ion­sendun­gen in den Kasus, also Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv und­soweit­er. Alle Sub­stan­tive ein­er Klasse ver­hal­ten sich gle­ich. Es gibt die a‑, i‑, u‑, e- und o‑Deklination (let­ztere gle­ich dop­pelt, ein­mal für Maskuli­na, ein­mal für Neu­tra), die kon­so­nan­tis­che, die gemis­chte und die aus aus Par­tizip­i­en beste­hende (wie amâns ‘Lieben­der’).

Und es gibt ein Prob­lem: Viele der Flex­ions­for­men ähneln sich sehr. Die beliebte lat. Endung -us, eine Endung für masku­line Wörter, find­et sich z.B. im Nom­i­na­tiv dreier Klassen.

Betra­chtet man daher Wörter wie Tem­pus, Genus, Kasus, Jesus, Exo­dus, Exi­tus, Koi­tus, … sehen sie ober­fläch­lich betra­chtet alle gle­ich aus – aber dahin­ter lauert das Grauen: Sie gehören alle zu unter­schiedlichen Klassen. Seht und staunt (vor allem, dass ich HTML-Tabellen machen kann!):

kons. Dekl. o‑Dekl. (m) u‑Dekl.
Sg. Nom. genus genius casus
Gen. generis geniî casûs
Dat. generî geniô cas
Akk. genus genium casum
Abl. genere geniô casû
Pl. Nom. genera geniî casûs
Gen. generum geniôrum casuum
Dat. generibus geniîs casibus
Akk. genera geniôs casûs
Abl. generibus geniîs casibus

-us und -i forever

Beson­ders beliebt scheint die o‑Klasse zu sein: Dass man aus lateinis­chen Wörtern, die auf -us enden, Plu­rale machen kann, die auf -i enden, weiß jedes Kind. (Modus Modi, Alum­nusAlum­ni, Stim­u­lusStim­uli, …) Vielle­icht wird dieser i‑Plural auch zusät­zlich noch durch ital­ienis­che Wörter gestärkt, die eine ziem­lich feste Kor­re­spon­denz oi aufweisen (Cel­loCel­li, Espres­soEspres­si, …) – aber das ist jet­zt freie Spekulation.

Auf jeden Fall wird das Wis­sen um den i-Plur­al häu­fig über­gen­er­al­isiert und es entste­hen Geni, Kasi oder Tem­pi – let­zteres gibt es sog­ar, aber als Plur­al zu Tem­po (aus dem Ital­ienis­chen). Um solche Bil­dun­gen zu umge­hen, muss man für jedes lateinis­che Wort extra den Plur­al ler­nen. Das gelingt uns zwar bei deutschen Wörtern ziem­lich prob­lem­los, aber die Wörter lateinis­ch­er Herkun­ft sind so infre­quent, dass ihre Plu­rale ein­fach zu sel­ten vorkom­men um sie sich wirk­lich zu merken. Wir müssten ja nicht nur die drei erwäh­n­ten Klassen ler­nen, son­dern auch noch alle anderen oben erwäh­n­ten. Und dann muss man natür­lich auch noch wis­sen, für welche Wörter lateinis­chen Ursprungs das nicht mehr gilt, denn viele haben ja mit­tler­weile einen “deutschen” Plur­al erhal­ten, wie Globus Globen.

Men­schen, die bei lateinis­chen Wörtern falsche Plu­rale bilden, wer­den oft verspot­tet und für min­der intel­li­gent gehal­ten. Das ist natür­lich Quatsch. Eigentlich ist das, was sie machen, viel span­nen­der als das, was wir braven Pro­duk­te bil­dungs­bürg­er­lich-human­is­tis­ch­er Erziehung nach­plap­pern: Sie suchen Muster und wen­den sie an. Das nen­nt man “Analo­gie”, und sie war und ist ein treiben­der Fak­tor in vie­len, vie­len Sprachwandelprozessen.

Warum nur ein lateinischer Plural?

Außer­dem, und jet­zt komme ich zum eigentlichen The­ma, ist die Gren­ze, die wir da ziehen, ziem­lich willkür­lich. Wie viel Latein braucht ein Wort lateinis­chen Ursprungs? Wir benutzen den Nom­i­na­tiv Sin­gu­lar für alle Sin­gu­lar­for­men und den Nom­i­na­tiv Plur­al für alle Pluralformen:

(1) Das Genus des Genus ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Genus. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­era, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­era tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Gin­ge es nicht noch orig­i­naler? Warum sollte man sich darauf beschränken, den lateinis­chen Plur­al zu benutzen, kann man nicht auch die anderen Kasus verwenden?

(1) Das Genus des Generis ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Generi. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­erum, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­eribus tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Dass das nicht passiert, ist irgend­wo erk­lär­lich: Es würde zu unseren nor­malen Sub­stan­tivk­lassen noch viele weit­ere hinzufü­gen, die wir extra für Fremd­wörter ler­nen müsste. So ein Stress! Das Sprach­sys­tem würde unglaublich aufge­bläht, der prak­tis­che Nutzen wäre aber gering.

Es gibt im Deutschen viele ver­schiedene Möglichkeit­en der Plu­ral­bil­dung (Hüte, Tage, Hämmer, Lämmer, Autos, Wagen, Pfannen, …), da fällt es nicht so auf, wenn noch ein paar lateinis­che Endun­gen dazus­toßen, das Sys­tem ist eh schon zer­split­tert. Zur Dek­li­na­tion von Sub­stan­tiv­en hinge­gen gibt es nur sehr begren­zte Mit­tel: Entwed­er sie ist stark (der Hut, des Huts, dem Hut, den Hut) oder schwach (der Löwe, des Löwen, dem Löwen, den Löwen). Es gibt ein paar Unregelmäßigkeit­en, aber die sind kaum der Rede wert. Ein Sys­tem also, in dem sich irgendwelche anderen Flex­ion­sendun­gen viel schlechter ver­steck­en können.

Christi Ausnahmeregelung

Aber … es gibt ein Gegen­beispiel. In einem Bere­ich hängt man ganz enorm an den lateinis­chen Flex­ion­sendun­gen. Na wo schon? Klar, in der Kirche! Ganz beson­ders in fes­ten Aus­drück­en sind sie beina­he Pflicht:

(8) Christi Him­melfahrt, Pas­sion Christi, Herz Jesu, Mariä Verkündi­gung, Mariä Him­melfahrt1, Lob sei dir, o Christe!

Aber auch in der son­sti­gen Ver­wen­dung tauchen sie immer wieder auf. Jesus ist u‑Deklination, Chris­tus o‑Deklination:

(9) Gen­i­tiv

a) Leben, Tod und Aufer­weck­ung Jesu (Quelle)

b) Christi Him­melfahrt […] beze­ich­net im Chris­ten­tum den Glauben an die Rück­kehr Jesu Christi als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Him­mel. (Quelle)

(10) Dativ2

a) Erlö­sung von Jesu Chris­to (ein Buchti­tel von 1957 – Quelle)

b) die Wiederkehr und per­sön­liche Erschei­n­ung Jesu Chris­to mit seinen Heili­gen und den Engeln sein­er Macht auf die Erde. (in einem Lehrbuch von 1924 Quelle)

(11) Akkusativ

a) in Jesum Chris­tum wurde uns die Möglichkeit gegeben die [Ur]Sünde zu über­winden um dem Kreis­lauf von Tat und Tat­nach­folge zu entkom­men (Quelle) (wahrsch. ist in hier die lat. Präposition)

b) nicht das Seinige getan hat zur Erhal­tung des Glaubens an Jesum Chris­tum als Sohn Gottes. (1938, Quelle)

Während die Dek­li­na­tion in den anderen Kasus eher sel­ten genutzt wird und es ziem­lich schwierig war, einiger­maßen aktuelle Beispiel­sätze zu find­en, ist sie für den Gen­i­tiv extrem üblich. Mein Duden (1996) gibt Jesu Christi sog­ar als einzig möglichen Gen­i­tiv an, für Dativ und Akkusativ lässt er Alter­na­tiv­en offen.

Alte Kirchen­lieder und Gebete sind eine wahre Fund­grube, dort gibt es sog­ar den Voka­tiv wie bei Lob sei dir, o Christe!3 Das ist ein Extraka­sus zur Anrede, so etwas gibt es im Deutschen eigentlich über­haupt nicht.

Dass sich das Kirchen­deutsch so ver­hält, ist aber nicht ver­wun­der­lich: Viele der Lied­texte, Gebete und auch die Bibelüber­set­zung selb­st sind viele hun­dert Jahre alt und wur­den meist kaum verän­dert weit­ergegeben. Da sie Vor­bilder für weit­ere Textpro­duk­tion und auch die gesproch­ene Sprache waren, wurde die lateinis­che Flex­ion lange Zeit beibehal­ten. Bes­timmt mit­ge­holfen hat auch die hohe Fre­quenz von Jesus Chris­tus, denn bei Wörtern, die sehr oft benutzt wer­den, behält man Unregelmäßigkeit­en eher bei als bei sel­te­nen Wörtern. Und ist ja auch irgend­wo cool, die zen­trale Per­son ganz anders zu behan­deln, auch sprachlich.

Weit­er­lesen

Oma, Großvater, Näni, Groma (Verwandtschaftstrilogie Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Die Ver­wandtschaft­strilo­gie endet mit etwas, das mich weniger plagt als vielmehr neugierig macht: In manchen Fam­i­lien gibt es unter­schiedliche Beze­ich­nun­gen für die Großel­tern, je nach­dem, ob es die Eltern der Mut­ter oder des Vaters sind. Und auch son­st ist es span­nend, zu welchen Strate­gien man greift, um die Großel­tern auseinanderzuhalten.

Dazu kann man wenig The­o­retis­ches sagen, weil es um Haus­ge­brauch geht – vom Grimm­schen Wörter­buch und meinen üblichen Bibeln ist da nichts zu erwarten. Daher also gle­ich zu den Ergeb­nis­sen mein­er Umfrage:

Unter­schei­det Ihr in der Fam­i­lie die Großel­tern müt­ter­lich­er- und väter­lich­er­seits? Falls ja, wie? 

groseltern1

Wenn die einen Großel­tern mit dem Nach­na­men, die anderen mit dem Vor­na­men beze­ich­net wur­den (o.ä.), so wurde bei­des berück­sichtigt. Es fehlt ein bißchen was an 51, weil manche nur “Name” schrieben, das habe ich mal wegge­lassen, weil etwas unspezifisch.

Son­stiges” war übri­gens ein schön­er Fall, in dem die Großel­tern nach der Kör­per­größe in große(r) und kleine(r) Oma/Opa unter­schieden wurden.

Diejeni­gen, die wirk­lich durch ver­schiedene Beze­ich­nun­gen unter­schei­den, find­en sich hier noch ein­mal genauer:
groseltern2

Die “Son­sti­gen” :

  • Oma/Opa vs. Gro­ma/Gropa
  • Oma/Opa vs. Groß­ma­ma/Groß­pa­pa
  • Omi/Opi vs. Ömi/Öpi
  • Oma/Opa vs. Nana/Näni (Schweiz­er Einfluß)

Eni für ‘Groß­vater’ (und par­al­lel gilt das auch alles für ‘Groß­mut­ter’) ist nach Müller (1979) bis ins 14. Jh. im kom­plet­ten süd­deutschen Raum belegt, ganz beson­ders in der Schweiz und auch in Öster­re­ich. Um 1900 lebte das Wort als Neni/Näni/Endi(fat­ter) noch am Südos­trand der deutschsprachi­gen Schweiz (Appen­zell – Chur – Davos – Bosco Gurin), über die heutige Ver­bre­itung habe ich zwar nichts gefun­den, aber gestor­ben ist nicht. Die Form ist ver­wandt mit dem hochdeutschen Ahn, das ein­mal ‘Groß­vater’ hieß (vgl. hier).

Fun Fact: Mein Brud­er und ich unter­schei­den unsere Großmüt­ter nach dem Vor­na­men (also Oma + Name) – als unsere Großväter noch lebten, wur­den sie natür­lich auch entsprechend unter­schieden, allerd­ings nur wenn ganz expliz­it von ihnen die Rede war. Wenn es um das Großel­tern­paar ging, wurde immer die Beze­ich­nung für die Groß­mut­ter benutzt. Also “Wir fahren zur Oma X!” oder “Ich habe Geld von der Oma X bekommen!”.

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So, das war’s mit der Verwandt­schafts­umfrage. Ich bedanke mich noch ein­mal ganz her­zlich bei allen, die mir geant­wortet haben!

Und hier zum Mitmachen:

Aktu­al­isierung:

Wenn man selb­st etwas in der Umfrage ein­trägt, erscheint nur eine Stimme für “oth­er”. Die Antworten will ich Euch aber nicht vorenthalten:

  • Oma Spitz­name, Omi (2x)
  • Omama/Opapa vs. Ama/Apa

Ein Kuddelmuddel: Die Großverwandten (Verwandtschaftstrilogie Teil 2)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Mein Brud­er und ich haben einige Groß­cousins und -kusi­nen. Wir meinen damit die Enkel der Geschwis­ter unser­er Großel­tern – ganz beson­ders aus ein­er bes­timmten Fam­i­lie, weil wir mit den Kindern teil­weise in die Schule gin­gen. Wir haben auch ein paar Groß­tan­ten und Großonkel, aber das sind nicht die Eltern der Großkusi­nen/-cousins, son­dern deren Großel­tern. Hm, selt­sam. Wer sind denn dann die Kusi­nen oder Cousins unser­er Eltern? Dafür haben wir keine Beze­ich­nun­gen, wahrschein­lich auch, weil sie in unserem Leben nie wirk­lich eine Rolle gespielt haben.

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Großver­wandte in Kristins Familie

Was sagen nun meine Versuchspersonen?

Großkusinen und ‑cousins

Was ver­ste­ht Ihr unter “Großku­sine”?

Es gab 13 Per­so­n­en, die die Beze­ich­nung Großku­sine nicht kan­nten und zusät­zlich 3, die die Beze­ich­nung nie ver­wen­den. Diese Antworten blieben unberück­sichtigt. Manch­mal wur­den mehrere Möglichkeit­en angegeben, die habe ich alle berück­sichtigt. Ein schönes Syn­onym für Großku­sine habe ich bei all­dem auch noch gel­ernt: Cous-Cou­sine. Ken­nt das noch wer?

stustiantworten-gk

Eine Großku­sine ist …

Ihr seht, der Kampf tobt in erster Lin­ie zwis­chen den Kusi­nen der Eltern und deren Töchtern. Die VertreterIn­nen der Kusine-der-Eltern-Frank­tion argu­men­tierten häu­fig damit, dass die Tochter der Groß­tante natür­lich die Großku­sine sein müsse.

Die VertreterIn­nen der Enke­lin-der-Groß­tante-Frank­tion (wie ich) argu­men­tierten hinge­gen damit, dass jemand, der mit -kusine beze­ich­net wird, der­sel­ben Gen­er­a­tion ange­hören müsse wie man selbst.

Beson­ders inter­es­sant fand ich zwei Antworten:

  • alle (weib­lichen) Ver­wandten die ich zur mein­er eige­nen Gen­er­a­tion zäh­le, und bei denen die Ver­wandtschafts­beziehung weit­er ist als Schwester/Kusine
  • Ich wuerde mal sagen, dass Großkusi­nen bei mir all jene Ver­wandte sind, die irgend­wie ver­wandt mit mir sind und noch dazu weib­lich in mein­er (groben) Alter­sklasse. Falls zu alt wer­den sie dann Grosstan­ten. Maennlich entsprechend.

Diese bei­den unter­stützen die Enke­lin-der-Groß­tante-Frak­tion, sind aber noch radikaler: Die Großku­sine ist ein­fach eine ent­fer­nte weib­liche Ver­wandte gle­ichen Alters.

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Viele Leute schrieben über ihren Gebrauch und set­zten dazu, dass sie sich nicht sich­er seien, ob sie das Wort richtig gebraucht­en oder gar, dass sie sich sich­er seien, dass sie es falsch gebraucht­en. Ich glaube allerd­ings, dass es gar keinen ein­deuti­gen Gebrauch gibt, und die Antworten bestärken mich darin. Ich kann Euch auch nur allen rat­en, Groß­cousin zu googlen und die diversen Forums­beiträge dazu nachzule­sen: Man fühlt sich wie bei Lori­ot! Auch alle angegebe­nen “Quellen” scheinen nur jew­eils den per­sön­liche Gebrauch der AutorIn­nen widerzuspiegeln.

Und für alle, die auch noch abstim­men wollen:

Großtanten und ‑onkel

Vor­weg ein schneller Blick ins Deutsche Wörter­buch der Grimms, das einen älteren Sprach­stand widergibt:

  • grosz­tante, f., schwest­er des grosz­vaters oder der groszmutter
  • groszbase, f., avi­ta magna, soror avi [= Schwest­er des Großvaters]
  • grosz­muhme, f.: die gros­muhm matert­era magna, avi­ae soror […] so viel als der grosze-mut­ter schwester
  • gros­zonkel, m., was groszoheim
  • gros­zo­heim, m., avun­cu­lus mag­nus, avi­ae frater [= Brud­er der Großmutter]
  • groszvet­ter, m., patru­us mag­nus, avi pater­ni vel mater­ni frater [= Brud­er des Großvaters]

Oh, diese Unsitte der lateinis­chen Umschrei­bun­gen in der Lexiko­gra­phie! Ich habe sin­ngemäß über­set­zt, nach diesem Wörter­buch.

Das ergibt fol­gen­des Bild:

grostantegrimm

Dass danach unter­schieden wird, ob es Geschwis­ter der Groß­mut­ter oder des Groß­vaters sind, ähnelt dem Prinzip bei den Geschwis­tern der Eltern, das ich für das Alt- und Mit­tel­hochdeutsche schon erläutert habe. Die Beze­ich­nun­gen wan­dern qua­si eine Gen­er­a­tion “nach oben” und wer­den mit Groß- verse­hen, also alles schön par­al­lel. (Groß­cousin(e) find­et sich bei den Grimms über­haupt nicht, nicht ein­mal für Cousin(e) gibt es einen Ein­trag – let­ztere tauchen aber wenig­stens gele­gentlich in Beispiel­sätzen auf.)

Das damals geze­ich­nete Bild gilt, mit den Beze­ich­nun­gen Groß­tante und -onkel, heute noch immer. Meine Ver­suchsper­so­n­en waren sich hier viel, viel einiger:

Was [ver­ste­ht Ihr] unter “Groß­tante”?

grostantetorte

[poll­dad­dy poll=1505771]

Vielle­icht nicht so selt­sam, dass hier alles viel klar­er scheint – die Beze­ich­nung scheint es ja auch schon viel länger zu geben, wenn man sich danach richtet, dass das Grimm­sche Wörter­buch sie, im Gegen­satz zu Großkusi­nen und ‑cousins, kennt.

Wie bei Tante und Onkel auch, erwäh­nen hier manche, dass auch die Ehep­art­ner­in­nen der entsprechen­den männlichen Per­son Groß­tan­ten sein kön­nen, das habe ich aber nicht sys­tem­a­tisch verfolgt.

Und für weit­ere Abstimmungen:

… der weiß nicht, was er will

Von Kristin Kopf

Willkom­men im April! Ich hoffe, Euch macht heute kein­er zum Aprill­snar­ren:

APRILLSNARR, m. pois­son d’avril, engl. april’s fool, april­fool: selb­st die übri­gen, die man hier als lächer­lich hin­ter­gangne april­snar­ren (dupes) beze­ich­net. GÖTHE 46, 161. im nördlichen Eng­land sagt man april­gouk, aprils­gauch, kukuk. BRAND pop­u­lar antiq­ui­ties ed. Hal­li­well. Lond. 1848. 1, 139.

Inter­es­sant, dass es das Wort heute gar nicht mehr gibt, dafür aber den Aprilscherz. Eine kurze Recherche im DWDS fördert let­zteren in den let­zten hun­dert Jahren 49-mal zutage, ersteren hinge­gen über­haupt nicht. Im W‑Archiv der geschriebe­nen Sprache von Cos­mas-II gibt grade mal es einen April­snar­ren, allerd­ings in einem Liedti­tel (und den Aprilscherz 1039-mal).

Mey­ers Großes Kon­ver­sa­tions-Lexikon von 1905 ken­nt den April­snar­ren noch (dafür den -scherz nicht), so lange kann sein Tod also nicht her sein:

April­snarr, Spot­tname eines »in den April Geschickten«.

Wann ist der Narr also ver­schwun­den und der Scherz aufge­taucht? Haben die bei­den sich gegen­seit­ig abgelöst? Oder ist der Narr gar nicht tot, son­dern nur extrem sel­ten? So viele Fragen …

Egal wie – auf einen guten April! Ohne sein Wetter:

  • APRILLENWETTER, m. her­ren­gun­st und april­len­wet­ter sind verän­der­lich; april­len­wet­ter, män­ner­schwüre. FR. MÜLLER 1, 292.
  • APRILLENZEIT, f.

dein lieb­ster war ein junges blut,
und junges blut hegt wankelmut
wie die aprillenzeit.
BÜRGER 47a.

Von meiner Tante der Mann (Verwandtschaftstrilogie Teil 1)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Wegen mein­er Ver­wandtschaft­shausar­beit habe ich mich in der let­zten Zeit viel, viel, viel mit Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen beschäftigt. Dabei gibt es ein paar Dinge, die mich schon immer plagen:

  1. Ehep­art­ner von Tan­ten und Onkel
  2. Großkusi­nen und Groß­cousins / Groß­tan­ten und Großonkel
  3. Großel­tern müt­ter- und väterlicherseits

Zu jedem der Punk­te will ich in einem eige­nen Beitrag ein bißchen was erk­lären, und dann wer­den ich pseu­do-empirisch: Ich habe eine Umfrage gemacht! Die Ergeb­nisse baue ich ein, wo sie passen, aber sie sind natür­lich nicht sta­tis­tisch sig­nifikant oder sonst­wie ern­stzunehmen. Meine Ver­suchsper­so­n­en waren 51 deutsche Studierende/AkademikerInnen (27w/24m), alle mit deutsch­er Mut­ter­sprache1, einige wenige zweis­prachig, Alters­durch­schnitt 28,4 Jahre.

Mit den Ehep­art­nern der Tan­ten und Onkel geht es los:

Die meis­ten Men­schen, die ich kenne, beze­ich­nen die Ehep­art­ner ihrer Tanten/Onkel eben­falls als Tante/Onkel. Als Kind fand ich das unmöglich, Heiratsver­wandtschaft hat­te unter dieser Beze­ich­nung nichts für mich zu suchen. Aber was ist die Alter­na­tive? Jedes Mal zu sagen “Ach übri­gens, mein ange­heirateter Onkel hat sich gestern zusam­men mit dem Mann mein­er Tante betrunk­en” ist ziem­lich umständlich, und umständliche For­mulierun­gen umge­ht man ja gerne, vor allem bei so hochfre­quenten Ver­wen­dun­gen wie meinem Beispielsatz.

Die Wahl, vor der man ste­ht, ist also sich a) präzise oder b) kurz auszu­drück­en. Kurz ist die natür­lichere Wahl. Das zeigt auch das Umfrageergebnis:

Im Gespräch mit Drit­ten, wie beze­ich­net Ihr die Ehe­frau Eueres Onkels und wie den Ehe­mann Euer­er Tante? 

tantetorte

33 Per­so­n­en wählten die kürzeste Möglichkeit und beze­ich­nen die Ehep­art­ner eben­falls als Tante und Onkel. Zwei beson­ders span­nende Details:

  • Eine Per­son beze­ich­net dann nur ange­heiratete Tanten/Onkels als Tante/Onkel, wenn die Eheschließung vor ihrer Geburt stattge­fun­den hat.
  • Jemand beze­ich­net die ihm sym­pa­this­cheren und näher­ste­hen­den Ehep­art­ner als Tante/Onkel, die weniger sympathischen/entfernteren als Frau von Onkel, Mann von Tante.

Die 11 Per­so­n­en, die manch­mal Tante/Onkel und manch­mal Umschrei­bun­gen gebrauchen, ver­weisen meist auf das Kom­mu­nika­tion­sziel. Nur wenn ein Mißver­ständ­nis dro­ht, greifen sie zur Erläuterung. (Nur drei Per­so­n­en gaben an, bei­des aus­tauschbar zu gebrauchen.)

Die 3 Per­so­n­en, die Erläuterun­gen bevorzu­gen, wählen For­mulierun­gen wie “der Mann mein­er Tante”, mein ange­heirateter Onkel oder mein Onkel, der Mann mein­er Tante.

Es gibt übri­gens ein schönes Buch, Comut­ter, Papi und Lebens­ab­schnitts­ge­fährte von Helen Chris­ten, in dem die neueren Entwick­lun­gen in der Benen­nung und der Anrede von Ver­wandten und Ich-weiß-nicht-so-recht-ob-Ver­wandten unter­sucht wer­den. Ich habe es vor Ewigkeit­en mal ange­le­sen und komme grade nicht dran, aber wenn ich es das näch­ste Mal in den Hän­den halte, schaue ich, ob sich davon nicht etwas für das Sch­plock eignet.

[poll­dad­dy poll=1505575]

Für alle, die nicht Teil mein­er exk­lu­siv­en Umfrage sein kon­nten, gibt’s jet­zt noch die Möglichkeit, was zu sagen. Bitte nur ein­mal abstimmen:

Weit­er­lesen

Japaner kein Ch-Champion?

Von Kristin Kopf

Das BILD­blog hat heute einen Beitrag veröf­fentlicht, in dem es um fehler­hafte Worter­set­zun­gen in der Bild geht. Ein­er der Artikel han­delt von einem Japan­er namens Hasebe, der bei Wolfs­burg Fußball spielt. Bild schreibt zu sein­er deutschen Aussprache:

Mit­telfeld­mann Mako­to Hasebe (25) kann das “ch” nicht aussprechen, z.B. also Cham­pi­ons League. Sein Dol­metsch­er Yun­pei Yamamori: “Diesen Laut gibt es im Japanis­chen nicht.” Stattdessen kommt bei ihm immer ein “F”.

Selt­sam, denkt man sich – das <ch> in Champi­ons League wird doch als tsch (IPA: [tʃ]) aus­ge­sprochen, und mit diesem Laut soll­ten Japaner­In­nen eigentlich kein großes Prob­lem haben, besitzen sie doch einen, der aus­re­ichend ähn­lich klingt, das [ʨ]. Urteilt selb­st – wer keine Sprache mit diesem Laut spricht, wird ihn ziem­lich sich­er für ein [tʃ] hal­ten: お茶 ocha ‘Tee’ (auf das dritte Wort von oben klicken).

Lesen wir mal weiter …

Das Sprach­prob­lem amüsierte die Mannschaft beim Früh­stück. Hasebe bestellt “Grape-FruFFt statt “Grape-FruCHt.

Der Ver­dacht bestätigt sich: Es ist gar nicht der [tʃ]-Laut gemeint, son­dern der [χ]-Laut. Also das, was in deutschen Wörtern als <ch> geschrieben wird, nicht das, was in englis­chen Wörtern als <ch> geschrieben wird. Oder sprechen die Bil­dredak­teure etwa Cham­pi­on wie Chemie aus?

Den [χ]-Laut, wie er in Grape­frucht (was ich eh nur als Grape­fruit oder Pam­pel­muse kenne) vorkommt, existiert im Japanis­chen tat­säch­lich nicht.1

Wie kommt es jet­zt aber zum [f]?

Im Japanis­chen gibt es fünf Vokale, die (fast) immer auf einen Kon­so­nan­ten fol­gen. So entste­hen z.B. die Sil­ben ha, hi, ho, he, hu. Das u ist aber kein [u] wie im Deutschen, der Laut klingt etwas anders. Man notiert ihn in IPA als [ɯ] und er klingt wie ein [u] wenn man dabei die Lip­pen nicht run­det. Wenn [h] vor diesem Laut ste­ht, wird es zu ein­er Art [f] – ganz genau zu einem [ɸ]. Nah genug an [f] dran, um ihn dafür zu ver­wen­den (wie auch schon mit [ʨ] und [tʃ]).

2009-03-30-ipazeichen2[ɸ] kommt also eigentlich nur vor [ɯ] vor. Trotz­dem kann Herr Hasebe es auch ander­swo im Wort aussprechen, z.B. bei Grape­fruɸt, wo er das [χ], das seine Sprache nicht hat, durch das [ɸ] erset­zt, weil es einiger­maßen ähn­lich klingt.

Wie kam es also zur Cham­pi­ons League? Ich ver­mute2, dass Bild das Wort nur deshalb gewählt hat, weil es aus dem Bere­ich Fußball kommt und es vielle­icht lustig klingt, dass ein Fußballer ein so wichtiges Wort nicht aussprechen kann. Man ging also ein­fach nach dem ver­meintlichen Prinzip “Was gle­ich geschrieben wird, wird auch gle­ich aus­ge­sprochen” und erset­zte den wirk­lichen Aussprachefehler bei Grape­frucht durch den einge­bilde­ten bei Cham­pi­ons League.

Dass Hasebe wed­er das [tʃ] noch das [χ] aussprechen kön­nen soll, erscheint mir extrem unwahrschein­lich. Oder sagt er nicht nur Grape­fruft, son­dern auch Fambions League?

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[Buchtipp] Vernäht und zugeflixt!

Von Kristin Kopf

Ich hat­te gehofft, diese Woche noch etwas Span­nen­des schreiben zu kön­nen – geplant sind z.B. noch ein, zwei Beiträge zu Ver­wandtschaftssys­te­men. Da jet­zt aber meine Hausar­beit über sel­bige in den let­zten Zügen liegt und mor­gen fer­tig wer­den soll, gibt’s nur einen schnellen Buchtipp.

2009-03-27-vernahtBere­its let­ztes Jahr erschienen, ist “Ver­flixt und … Vernäht und zuge­flixt! Von Ver­sprech­ern, Flüchen, Dialek­ten & Co.” von Ilse Achilles und Ger­da Pigh­in zwar kein Geheimtipp mehr, aber emp­fohlen wer­den muss es den­noch noch – vor allem den­jeni­gen unter Euch, die nicht aus der Lin­guis­tikecke kommen.

Ziel des Pro­jek­tes war es, Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen und inter­essierte Laien zusam­men­zubrin­gen, ein pop­ulär­wis­senschaftlich­es Buch mit Anspruch über Sprache zu schreiben. In elf Kapiteln stellen die Autorin­nen ver­schiedene The­men vor, die die Sprach­wis­senschaft beschäfti­gen. Jedes Kapi­tel hat eine Art “Pat­en” aus der akademis­chen Welt – Sprach­wis­senschaft­lerin­nen und Sprach­wis­senschaftler liefer­ten die Infor­ma­tio­nen, die Autorin­nen machen sie angenehm les­bar. Es geht z.B. um Sprach­wan­del, Jugend­sprache, Dialek­te, Rechtschrei­bung, Sprachen­ler­nen, Bilin­gual­is­mus, Fremd­wörter, Flüche, Ver­sprech­er, Gebär­den­sprache und Computerlinguistik.

Sprache ist ja so ein The­ma, bei dem es unglaublich viele selb­ster­nan­nte Experten gibt – dass man aber auch pop­ulär­wis­senschaftlich schreiben kann, ohne in die üblichen Schimpfti­raden über die Ver­lot­terung der Sprache, Denglisch und die Rechtschreibre­form zu ver­fall­en, wird hier unter Beweis gestellt. Wer sich bish­er noch nicht mit Sprach­wis­senschaft beschäftigt hat, wird in diesem Büch­lein einen wun­der­baren Ein­stieg find­en und ent­deck­en, dass man über Sprache auch ganz, ganz anders denken und urteilen kann, als das nor­maler­weise geschieht.

Hät­tet Ihr übri­gens errat­en, dass die Autorin­nen für Frauen­zeitschriften schreiben oder geschrieben haben?

Wir haben umler­nen müssen,” sagt Stein­bach, ein hochgewach­sen­er Mann, mit kräftigem Haar und angenehmem Lachen.

Nie im Leben, ne?

Fragen an das Internet beantwortet

Von Kristin Kopf

Word­Press ver­fügt über eine elende Sta­tis­tik­funk­tion, die man stun­den­lang sinn­los anstar­ren kann. Um die vergeudete Zeit etwas zu recht­fer­ti­gen, will ich ein paar “Fra­gen” beant­worten, die über Suchan­fra­gen zum Sch­plock geleit­et wur­den, wo dann zwar die Such­wörter, nicht aber die Antworten vorhan­den waren.

schmettern ethymologisch (12.3.2009)

Wahrschein­lich ist es ein laut­ma­lerisches Wort, das irgend­wie mit mit­tel­hochdeutschem smîzen ‘stre­ichen, schmieren’ (das ist die Vor­form von schmeißen) und niederdeutschem schmad­dern ‘schmieren’ ver­wandt ist.

Im Mit­tel­hochdeutschen hieß es sme­tern und hat­te die Bedeu­tung ‘klap­pern, schwatzen’. Das Wort hat ab dem 16. Jahrhun­dert die Bedeu­tung ‘mit Geräusch hin­schleud­ern’, man musste also immer etwas schmettern. Später dann brauchte das Verb kein Objekt mehr, es beze­ich­net sei­ther eher die Tat­sache, dass etwas einen ‘krachen­den Schall’ verur­sacht. Wenn man ein Objekt ver­wen­den will, benutzt man hin­schmettern.

Danke übri­gens für die Inspi­ra­tion mit ethymol­o­gisch!

eichhörnchen etymologisch (22.3.2009)

Voll­tr­e­f­fer – eine Volk­se­t­y­molo­gie! Klas­sis­ch­er Fall für Olschan­sky: Schon im Althochdeutschen hat man das Wort als Zusam­menset­zung aus Eiche und Horn analysiert (eih­horno), dabei geht es eigentlich auf das ger­man­is­che Wort *aikur­na- zurück, was die indoger­man­is­che Wurzel *aig- bein­hal­tet, ‘sich heftig bewe­gen, schwingen’.

Obwohl also ety­mol­o­gisch von einem Horn nicht die Rede sein kann, wurde das Wort Mitte des 19. Jahrhun­derts zu ein­er generellen Beze­ich­nung für alle ver­wandten Nagetiere der Famile Sci­uri­dae wie z.B. Baumhörnchen, Erd­hörnchen, Flughörnchen.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia (Ray eye), CC-by-sa‑2.0‑de

paumen hochdeutsch (19.3.2009)

Wahrschein­lich geht es hier um eine alte dialek­tale Form des Wortes Bäume. Zu Beginn der althochdeutschen Zeit gab es die soge­nan­nte “Zweite Lautver­schiebung”, und ein Teil davon, die “Medi­en­ver­schiebung”, verän­derte die west­ger­man­is­chen Laute b, d und g.

  • [d] wurde zu [t], das sieht man z.B. an Wörtern wie Tag, auf Englisch day, weil das Englis­che keine Zweite Lautver­schiebung hat­te. Es gibt noch massen­haft weit­ere Beispiele (Tochterdaugh­ter, Tordoor, Tierdeer, …).
  • [b] und [g] blieben im Hochdeutschen weit­er­hin [b] und [g] – ver­glichen mit dem Englis­chen ist also kein Unter­schied festzustellen: Buch book, Bierbeer, gutgood, graugrey, …

Im Alto­berdeutschen aber, vor allem im Alt­bairischen, wurde teil­weise [b] > [p] und [g] > [k]. (Es ist aber zumin­d­est in der Schrei­bung nicht kon­se­quent durchge­führt, oft ste­hen auch <b> und <g>.) Wir find­en in alt­bairischen Tex­ten also Wörter wie perg ‘Berg’, kot ‘Gott’ und paum, ‘Baum’. Hier ist z.B. ein Auss­chnitt aus dem Wes­so­brun­ner Gebet, dessen Entste­hung auf ca. 790 geschätzt wird:

Dat gafre­gin ih mit firahim fir­i­u­uiz­zo meista,
dat ero ni uuas noh ûfhimil,
noh paum nih­heinîg noh pereg ni uuas,
ni suigli ster­ro nohheinîg noh sun­na ni scein,
noh mâno ni liuh­ta noh der mâręo sêo.
Dô dâr niu­ui­ht ni uuas enteo ni uuenteo
enti dô uuas der eino almahtî­co cot, …

(Text nach TITUS)

Das habe ich bei den Men­schen als größtes Wun­der erfahren: dass es die Erde nicht gab und nicht den Him­mel, es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg, es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne, es leuchtete wed­er der Mond noch die glänzende See. Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder Ende hätte ver­ste­hen kön­nen, gab es schon lange den einen, allmächti­gen Gott, …” (Über­set­zung aus Nübling 2006:23)

Und im Grimm­schen Wörter­buch gibt es einige Beispiele für paumen:

  • FRUCHTTRÄGERLEIN, n. frucht­knospe, bei MEGENBERG 93, 15: (vor dem blitz) ver­hül­let diu nâtûr diu fruht­trager­lein, daჳ sint die frühti­gen knödel (knötchen) auf den paumen, mit pletern, sam dâ ain amme ir kint ver­hül­let mit windeln.
  • FÜRBASZ , adv. weit­er, weit­er fort. […] STEINHÖWEL (1487) 64; doch nach langem seinen bedunken in gůt dauchte, seyt­mal er der fin­ster nacht hal­ben nitt fürpasz mochte, auf einen paumen ze steigen.
  • NACHSPÜREN, verb.1) intran­si­tiv, spürend fol­gen, aufzus­püren (zu erforschen, zu ergrün­den) suchen […] die aich­hörn­lein lof­fen / auf den paumen, der ich keim kund / nach-spüren, weil ich het kein hund. H. SACHS 4, 286, 8 K.

So. Auf die näch­sten Suchan­fra­gen ist das Sch­plock vorbereitet!

… wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Von Kristin Kopf

Von mein­er Ger­man­is­tik-Ver­wandtschaft­shausar­beit sind ein paar Bröckchen fürs Sch­plock abge­fall­en. Es geht um den Wan­del der Typolo­gie von Ver­wandtschaftssys­te­men – also nicht darum, wie sich einzelne Wörter verän­dern (wobei ich darauf auch ein wenig einge­hen will), son­dern darum, wie sich kom­plette Sys­teme verän­dern. Und da kann sich erstaunlich viel tun. Ich will heute nur auf einen kleinen Teilaspekt einge­hen, der die Eltern­gener­a­tion (auch G+1 genan­nt) betrifft.

Dort wer­den im heuti­gen Deutsch zwis­chen Blutsver­wandten zwei Unter­schei­dun­gen getroffen:

  • Frau oder Mann? Mut­ter, Tante vs. Vater, Onkel
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? Vater, Mut­ter vs. Tante, Onkel

Da drang ein Dutzend Anverwandten / Herein, ein wahrer Menschenstrom!

Im Althochdeutschen gab es noch eine weit­ere Unterscheidung:

  • Frau oder Mann? muot­er, muo­ma, basa vs. fater, fetiro, oheim
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? muot­er, fater vs. muo­ma, basa, fetiro, oheim
  • Müt­ter­lich­er­seits oder väter­lich­er­seits? muo­ma, oheim vs. basa, fetiro

Die vier Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern lauteten also:

(1) muo­ma ‘Schwest­er der Mutter’
(2) basa ‘Schwest­er des Vaters’
(3) fetiro ‘Brud­er des Vaters’
(4) oheim ‘Brud­er der Mutter’

Und hier für Leute, die es lieber visuell haben:

verwahd

Ahd. Ver­wandtschaftssys­tem nach Nübling et al. (2006)

Ein solch­es Sys­tem nen­nt man auch bifur­cate col­lat­er­al type.

Da kamen Brüder, guckten Tanten, …”

Die Unter­schei­dung mütterlicherseits/väterlicherseits ist heute also ver­schwun­den. Wenn man sich die Wörter anschaut, dann kom­men sie einem aber alle noch bekan­nt vor. Wie kommt’s?

In mein­er Abbil­dung habe ich die Cousins und Kusi­nen unter­schla­gen. Die gab es in althochdeutsch­er Zeit natür­lich auch schon, unter anderem Namen. Wahrschein­lich hießen sie muomen­sun etc., waren also zusam­menge­set­zte Beze­ich­nun­gen – beson­ders viele Quellen gibt es aber nicht ger­ade, ich habe nur einen Auf­satz von 1900 gefun­den, der die For­men erwäh­nt, die meis­ten Darstel­lun­gen lassen sie ein­fach weg.

Schließlich kam es zu einem Bedeu­tungswan­del. In einem ersten Schritt begann man, die Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern auch für deren Kinder zu ver­wen­den – die Tochter von Base oder Vet­ter (wir sind jet­zt schon im Früh­neuhochdeutschen!) wurde auch zur Base, der Sohn von Oheim und Muhme auch zum Oheim, etc. Die Beze­ich­nun­gen hat­ten jet­zt also zwei Bedeu­tun­gen. Nach einem wilden Kud­del­mud­del einigten sich die Begriffe dann endlich: Oheim und Muhme durften Brud­er oder Schwest­er der Eltern beze­ich­nen, egal auf welch­er Seite, und Base und Vet­ter beka­men den Job, deren Kinder zu übernehmen. Damit sind wir typol­o­gisch bei unserem heuti­gen Sys­tem ange­langt: Es wird zwar unter­schieden, ob Schwest­er oder Brud­er der Eltern, aber nicht von welch­er Seite. Das nen­nt man auch lin­eal type. Von da an gab es nur noch auf der Wor­tebene Veränderungen:

… Da stand ein Vetter und ein Ohm!

Der Fam­i­liensegen stand bald schon wieder schief: Muhme und Oheim beka­men harte Konkur­renz, die neu­modis­chen Beze­ich­nun­gen Tante und Onkel, aus dem Franzö­sis­chen entlehnt, macht­en sich ab Mitte des 17./Anfang des 18. Jahrhun­derts bre­it. Unge­fähr Mitte des 20. Jahrhun­derts war die Schlacht dann geschla­gen, Tante und Onkel gin­gen siegre­ich hervor.

Auch Base und Vet­ter hat­ten zwis­chen­zeitlich keine Ruhe gefun­den, Anfang bis Mitte des 17. Jahrhun­derts kamen Cou­sine und Cousin zu Besuch, und es gefiel ihnen so gut, dass sie blieben. Die Base warf Mitte des 20. Jahrhun­derts das Hand­tuch, der Vet­ter führt noch Rückzugsgefechte.

2009-03-20-verwfnhd

(Früh-)Neuhochdeutsches Ver­wandtschaftssys­tem

Im Dig­i­tal­en Wörter­buch der deutschen Sprache habe ich mal ein bißchen herumpro­biert, in der Hoff­nung, den Nieder­gang von Muhme, Oheim, Base und Vet­ter sicht­bar machen zu kön­nen. Base musste ich gle­ich rauswer­fen, da waren zu viele Tre­f­fer mit der chemis­chen Bedeu­tung drunter. Muhme hat­te kaum Tre­f­fer, Oheim und Vet­ter gin­gen so. Hier mal exem­plar­isch der Oheim – auf­grund der gerin­gen Tre­f­fer­zahl ist das Dia­gramm aber nur dazu geeignet, einen groben Ein­druck zu bekommen:

oheimgrafik

Den Auf­stieg von Onkel, Tante, Cousin und Kusine kann man lei­der nicht nachver­fol­gen, zumin­d­est sehen die Unter­schiede für mich völ­lig insignifikant aus. An den Zahlen kann man im Ver­gle­ich aber ganz gut sehen, welche Form sich durchge­set­zt hat, nur eine Zunahme ist eben nicht erkennbar. Hier der Onkel1:

onkelgrafik

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