Unser Cheflexikologe Michael vom lexikographieblog lehnte in diesem Jahr den Ruf in die Jury aus zeitlichen Gründen ab und wusste bereits bei der Nominierung von Hipster offenbar, warum: Wie will man das denn bitte definieren? Hipster fällt — begrifflich! — in die gleiche Kategorie wie Spießer und Yuppie: irgendwie hat man eine klare Vorstellung davon, was das sein soll, man will’s erkannt haben, wenn man’s sieht — aber natürlich will’s mal wieder keiner gewesen sein. Kurz: jenseits humoriger Selbstgeißelung ist Hipster als Eigenbezeichnung selten. Der Hipster ist ein kulturell nahezu undefinierbar amorphes urbanes Phänomen in klassischen Hipsterbiotopen (hier kartografiert).
Das wort
Hipster, eine Ableitung vom Adjektiv hip ‚hip‘, gebildet mit dem Agentivsuffix -ster, vergleichbar in Wortbildungen des Englischen wie trickster, drugster, jokester oder youngster. ((Besonders gut gefällt mir noch die Schöfpung Wimpster im DWDS aus der ZEIT 37/2006: „Bevorzugtes Objekt der Begierde: der ‚Wimpster‘, eine Mischung aus Trendsetter (Hipster) und Weichei (Wimp).“)) Der Oxford English Dictionary (OED) konstatiert für die frühere Phase des Frühneuenglischen (ab etwa 1500) eine erhöhte Produktivität. Das Suffix -ster ist aber älter und geht mindestens auf das Altenglische -estre oder -istræ zurück, wo es Berufsbezeichnungen für weibliche Personen ableitete, analog zum -er für Männer. Im Mittelenglischen wurde -estre durch das französische -eresse abgelöst — -ster wurde also zunehmend maskulin interpretiert und durch -eresse/-ess komplementiert. Mit der gestiegenen Produktivität von -ster ließ das Wortbildungsmuster im 16. Jahrhundert auch vereinzelt Bildungen mit Adjektiven oder Verben zu (z.B. youngster, 1589, oder rubster, 1537). ((„-ster, suffix“. OED Online. December 2012. Oxford University Press. 28 January 2013 <http://www.oed.com/view/Entry/189877?rskey=dbgDgC&result=1&isAdvanced=false>.))
Hipster liegt fürs Deutsche — vermutlich — ausnahmslos als Maskulinum vor. Versuche, nach femininen Formen zu suchen, sind zum Scheitern verurteilt, weil für Hipster die meisten Genus‑, Kasus- und Numeruskombinationen zusammenfallen und Suchergebnisse deshalb nicht auseinanderzuhalten, geschweigedenn vergleichbar sind (die Hipster für FEM.SG, MASK.PL und MASK.PL„generisch“, etc.). Der Hipster hat mit gerundet 39,000 Treffern gegenüber die Hipsterin mit 224 Treffern leicht die Nase vorn. Es ist unwahrscheinlich, dass hier 38,776 Fälle von Synkretismus vorliegen. Wahrscheinlicher ist, dass Hipster, obwohl genderbar, nicht gegendert wird. Abgeleitet von Hipster gibt es erste Versuche, hipstern als Verb zu etablieren.
Entlehnung & Aktualität
Hipster gibt es schon länger, auch in der deutschen Sprache. Die Existenz zweier voneinander relativ unabhängiger Wikipedia-Einträge zu Hipster (20. Jahrhundert) und Hipster (21. Jahrhundert) suggeriert, dass zeit- und kulturhistorisch Hipster1 und Hipster2 zu trennen sind. Einer der früheren verifizierbaren Belege stammt aus der ZEIT von 1962, der hipster als „unübersetzbar“ bezeichnet.
Während bei Hipster1 üblicherweise das Avantgardistische, Politische und Rebellische im Vordergrund steht und — gleichermaßen durch die retrospektive Brille — diesem deshalb eine gewisse Coolness zugestanden wird, wird Hipster2 Coolness als inhärentes Charakteristikum eines hippen Selbstbilds unterstellt (und damit abgesprochen). Zusätzliche zentrale Definitionsmerkmale sind neben einer Wohnung in Szenevierteln offenbar gänzlich unpolitische Chinohosen, Kaffeeschaumvariationen, Telefone mit Binnenmajuskeln, Nerdbrillen, Club Mate und Jutebeutel.
Halten wir fest: eine Neu- bzw. Wiederentlehnung. Denn obwohl Hipster so neu nicht ist, erfüllt es ein zentrales Kriterium: eine deutliche Zunahme 2012. (Man beachte die Karte der geografischen Verteilung der Suchanfragen. Etwas überraschen mag das hohe Interesse an Hipster für die der uncoolen Coolness unverdächtigen Städte Duisburg, Darmstadt, Mainz und Münster. Relativiert wird das, weil Hannover in der Liste nicht auftaucht.)
Aber Michael fragte ja auch danach, ob es heute noch neutral oder positiv verwendet wird. Das ist eher unwahrscheinlich, vor allem, weil der Begriff zu häufig in Texten über den Umbruch urbaner Gesellschaftsstrukturen (→Gentrifizierung) mit vielen negativen Begleitemotionen auftaucht:
Hass auf die Hipster in Kreuzberg und New York. [Tagesspiegel, 22. März 2012]
Der Hipster mit dem Jutebeutel — das neue Hassobjekt. [Die Welt, 10. März 2012]
Der Hipster — bärtig, cool, verachtet. [Tagesspiegel, 18. April 2012]
(Ein Gegenbeispiel zum „wir sind so nicht“ ist die taz, die den Hipster auffällig neutral als „Menschen wie du und ich“ beschreibt (taz, 18. November 2012).)
Das war nicht immer so: die spöttischen oder aufgeladenen Beschreibungen sind eine neuere Entwicklung. Im ZEIT-Archiv des DWDS finden sich ab den 1990er bis 2009 viele Belege mit neutraler(er) Szenezustandsbeschreibung:
Er war irgendetwas zwischen Häftling und Hartz IV, und nun stand er hier, mitten in Mitte, wo die Heimat der Hipster ist, vor einem Laden, der bräunliche Sweatshirtjacken und Jeans mit niedrigem Bund verkauft, stand dort wie ein Türsteher und verbreitete Angst. (ZEIT 7/2008)
Charlotte ist eine unterdrückte Hausfrau, die in dem schwärmerischen Hipster das Gegenprojekt ihres Establishments erkennt. Charlotte Hellekant singt sie mit einer dramatischen Durchlagskraft, in der stets die bürgerliche Angst vor dem Kontrollverlust mitflackert. (ZEIT 41/2002)
Und jenseits von Zeitungsbelegen, in denen die Gentrifizierungsdebatte meist auf ein unbekanntes Wesen projiziert wird? Eine kurze Analyse von etwa sechs Tagen Hipstertweets: einer von einem Menschen mit hipster im Alias, ein neutraler Meta-Tweet (mein eigener) und der Rest von der folgenden Sorte:
Twitter braucht dringend Warnhinweise: Verwahrloste Hipster sitzen auf der Parkbank mit nix außer ihrem Smartphone, das sie fest umklammern. @SoucieSpogk
hipster hipster gib mir mein berlin zurück @Mel61718
Vor einiger Zeit waren es ja sie Alt-68er, die hier die Politik prägten. Hab schon ein wenig Angst vor der Zeit, wenn die Hipster dran sind. @Zellmi
Fazit: wir sind alle ein bisschen Hipster
Bei vielen, vielen Tweets und Blogposts über den Hipster genügt ein Blick ins Profil derjenigen, um zu wissen, dass es mit Hipster eigentlich ganz ähnlich ist, wie mit Spießer: es sind immer die anderen und die haben auch noch an allem Schuld. Sie gehen nie bei Rot über eine unbekannte Kreuzung und spülen Butterdosen vor Wiederverwendung einmal heiß durch? Sehense.
Hipster, ein Wort, das tatsächlich unübersetzbar ist. Zur rekursiven Absurdität von Eindeutschungsversuchen: eine mögliche Alternative wäre Trendsetter (Antwort auf die unschuldige Frage: „Wie würdest du Hipster übersetzen?“), welches aber ebenfalls auf dem Index steht und wofür schon Schrittmacher, Vorreiter oder Wegbereiter vorgeschlagen wurden.
Eine Lücke gefüllt? Natürlich, auch wenn’s schon recht lange im Deutschen heimisch ist (lange vor der Hipsterdebatte aktueller Couleur). Aber man darf einwerfen, dass der Attributepool der Klasse „HipsterInnen“ so dermaßen tief und breit ist, dass die Definition schwer ist und der Begriff — in Abwesenheit identifizierbaren Referenzgruppe — irgendwie schwammig bleibt.
P.S.: Damit ich das Bild nicht umsonst gemacht habe: unlängst forderte die FU-Hochschulgruppe von DIE PARTEI die Zulassungsbeschränkung für Jutebeutelträger. ((Was machen wir jetzt mit Goodies auf Tagungen? Einlasskontrollen für Wissenschaftsverlage?)) Aber die wollen ja auch den Prenzlauer Berg endlagern.
Wahlwerbung, DIE PARTEI-Hochschulgruppe, Freie Universität Berlin, Januar 2013