Archiv der Kategorie: Recherchen

Blackfacing [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Black­fac­ing ist abgeleit­et vom Englis­chen black­face, der Beze­ich­nung für eine ursprünglich aus den USA stam­mende The­ater- und Vari­eté-Tra­di­tion, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf meis­tens über­trieben stereo­typ­isierte Weise als Schwarze geschminkt auftreten.

Einen soli­den Ein­stieg in die Geschichte des Black­face bietet die englis­che Wikipedia. Für die Geschichte des Lehn­worts Black­fac­ing ist zunächst entschei­dend, dass diese Prax­is in dop­pel­ter Weise ras­sis­tisch belegt ist: Erstens, weil die Tra­di­tion aus einem zutief­st ras­sis­tis­chen his­torischen Zusam­men­hang stammt, in dem ein Auftreten schwarz­er Schauspieler/innen als inakzept­abel gegolten hätte, und zweit­ens, weil beim Black­face nicht nur das Make-Up selb­st und die dazuge­hörige Mimik über­trieben stereo­typ­isiert ist (dicke rote Lip­pen, strup­pige Haare, weit aufgeris­sene Augen, wie auf dem weit­er unten abge­bilde­ten zeit­genös­sis­che Plakat), son­dern auch die Zusam­men­hänge, in denen es ver­wen­det wurde (Schwarze als naive, immer fröh­liche Unterhalter).

[Hin­weis: Der fol­gende Beitrag enthält eine ras­sis­tis­che Abbil­dung.] Weit­er­lesen

Hipster [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Unser Cheflexikologe Michael vom lexiko­gra­phieblog lehnte in diesem Jahr den Ruf in die Jury aus zeitlichen Grün­den ab und wusste bere­its bei der Nominierung von Hip­ster offen­bar, warum: Wie will man das denn bitte definieren? Hip­ster fällt — begrif­flich! — in die gle­iche Kat­e­gorie wie Spießer und Yup­pie: irgend­wie hat man eine klare Vorstel­lung davon, was das sein soll, man will’s erkan­nt haben, wenn man’s sieht — aber natür­lich will’s mal wieder kein­er gewe­sen sein. Kurz: jen­seits humoriger Selb­st­geißelung ist Hip­ster als Eigen­beze­ich­nung sel­ten. Der Hip­ster ist ein kul­turell nahezu undefinier­bar amor­phes urbanes Phänomen in klas­sis­chen Hip­ster­biotopen (hier kartografiert).

Das wort

Hip­ster, eine Ableitung vom Adjek­tiv hip ‚hip‘, gebildet mit dem Agen­tiv­suf­fix -ster, ver­gle­ich­bar in Wort­bil­dun­gen des Englis­chen wie trick­ster, drug­ster, joke­ster oder young­ster. ((Beson­ders gut gefällt mir noch die Schöf­pung Wimp­ster im DWDS aus der ZEIT 37/2006: „Bevorzugtes Objekt der Begierde: der ‚Wimp­ster‘, eine Mis­chung aus Trend­set­ter (Hip­ster) und Weichei (Wimp).“)) Der Oxford Eng­lish Dic­tio­nary (OED) kon­sta­tiert für die frühere Phase des Früh­neuenglis­chen (ab etwa 1500) eine erhöhte Pro­duk­tiv­ität. Das Suf­fix -ster ist aber älter und geht min­destens auf das Altenglis­che -estre oder -istræ zurück, wo es Berufs­beze­ich­nun­gen für weib­liche Per­so­n­en ableit­ete, ana­log zum -er für Män­ner. Im Mit­te­lenglis­chen wurde -estre durch das franzö­sis­che -eresse abgelöst — -ster wurde also zunehmend maskulin inter­pretiert und durch -eresse/-ess kom­ple­men­tiert. Mit der gestiege­nen Pro­duk­tiv­ität von -ster ließ das Wort­bil­dungsmuster im 16. Jahrhun­dert auch vere­inzelt Bil­dun­gen mit Adjek­tiv­en oder Ver­ben zu (z.B. young­ster, 1589, oder rub­ster, 1537). ((„-ster, suf­fix“. OED Online. Decem­ber 2012. Oxford Uni­ver­si­ty Press. 28 Jan­u­ary 2013 <http://www.oed.com/view/Entry/189877?rskey=dbgDgC&result=1&isAdvanced=false>.))

Hip­ster liegt fürs Deutsche — ver­mut­lich — aus­nahm­s­los als Maskulinum vor. Ver­suche, nach fem­i­ni­nen For­men zu suchen, sind zum Scheit­ern verurteilt, weil für Hip­ster die meis­ten Genus‑, Kasus- und Numeruskom­bi­na­tio­nen zusam­men­fall­en und Suchergeb­nisse deshalb nicht auseinan­derzuhal­ten, geschweige­denn ver­gle­ich­bar sind (die Hip­ster für FEM.SG,  MASK.PL und MASK.PL„gener­isch“, etc.). Der Hip­ster hat mit gerun­det 39,000 Tre­f­fern gegenüber die Hip­sterin mit 224 Tre­f­fern leicht die Nase vorn. Es ist unwahrschein­lich, dass hier 38,776 Fälle von Synkretismus vor­liegen. Wahrschein­lich­er ist, dass Hip­ster, obwohl gen­der­bar, nicht gegen­dert wird. Abgeleit­et von Hip­ster gibt es erste Ver­suche, hip­stern als Verb zu etablieren.

Entlehnung & Aktualität

Hip­ster gibt es schon länger, auch in der deutschen Sprache. Die Exis­tenz zweier voneinan­der rel­a­tiv unab­hängiger Wikipedia-Ein­träge zu Hip­ster (20. Jahrhun­dert) und Hip­ster (21. Jahrhun­dert) sug­geriert, dass zeit- und kul­turhis­torisch Hip­ster1 und Hip­ster2 zu tren­nen sind. Ein­er der früheren ver­i­fizier­baren Belege stammt aus der ZEIT von 1962, der hip­ster als „unüber­set­zbar“ bezeichnet.

Während bei Hip­ster1 üblicher­weise das Avant­gardis­tis­che, Poli­tis­che und Rebel­lis­che im Vorder­grund ste­ht und — gle­icher­maßen durch die ret­ro­spek­tive Brille — diesem deshalb eine gewisse Cool­ness zuge­s­tanden wird, wird Hip­ster2 Cool­ness als inhärentes Charak­ter­is­tikum eines hip­pen Selb­st­bilds unter­stellt (und damit abge­sprochen). Zusät­zliche zen­trale Def­i­n­i­tion­s­merk­male sind neben ein­er Woh­nung in Szenevierteln offen­bar gän­zlich unpoli­tis­che Chi­no­ho­sen, Kaf­feeschaum­vari­a­tio­nen, Tele­fone mit Bin­nen­ma­juskeln, Nerd­brillen, Club Mate und Jutebeutel.

Hal­ten wir fest: eine Neu- bzw. Wieder­entlehnung. Denn obwohl Hip­ster so neu nicht ist, erfüllt es ein zen­trales Kri­teri­um: eine deut­liche Zunahme 2012. (Man beachte die Karte der geografis­chen Verteilung der Suchan­fra­gen. Etwas über­raschen mag das hohe Inter­esse an Hip­ster für die der uncoolen Cool­ness unverdächti­gen Städte Duis­burg, Darm­stadt, Mainz und Mün­ster. Rel­a­tiviert wird das, weil Han­nover in der Liste nicht auftaucht.) 

Aber Michael fragte ja auch danach, ob es heute noch neu­tral oder pos­i­tiv ver­wen­det wird. Das ist eher unwahrschein­lich, vor allem, weil der Begriff zu häu­fig in Tex­ten über den Umbruch urbaner Gesellschaftsstruk­turen (→Gen­tri­fizierung) mit vie­len neg­a­tiv­en Begleit­e­mo­tio­nen auftaucht:

Hass auf die Hip­ster in Kreuzberg und New York. [Tagesspiegel, 22. März 2012]

Der Hip­ster mit dem Jute­beu­tel — das neue Has­sob­jekt. [Die Welt, 10. März 2012]

Der Hip­ster — bär­tig, cool, ver­achtet. [Tagesspiegel, 18. April 2012]

(Ein Gegen­beispiel zum „wir sind so nicht“ ist die taz, die den Hip­ster auf­fäl­lig neu­tral als „Men­schen wie du und ich“ beschreibt (taz, 18. Novem­ber 2012).)

Das war nicht immer so: die spöt­tis­chen oder aufge­lade­nen Beschrei­bun­gen sind eine neuere Entwick­lung. Im ZEIT-Archiv des DWDS find­en sich ab den 1990er bis 2009 viele Belege mit neutraler(er) Szenezustandsbeschreibung:

Er war irgen­det­was zwis­chen Häftling und Hartz IV, und nun stand er hier, mit­ten in Mitte, wo die Heimat der Hip­ster ist, vor einem Laden, der bräun­liche Sweat­shirt­jack­en und Jeans mit niedrigem Bund verkauft, stand dort wie ein Türste­her und ver­bre­it­ete Angst. (ZEIT 7/2008)

Char­lotte ist eine unter­drück­te Haus­frau, die in dem schwärmerischen Hip­ster das Gegen­pro­jekt ihres Estab­lish­ments erken­nt. Char­lotte Hellekant singt sie mit ein­er drama­tis­chen Durch­lagskraft, in der stets die bürg­er­liche Angst vor dem Kon­trol­lver­lust mit­flack­ert. (ZEIT 41/2002)

Und jen­seits von Zeitungs­bele­gen, in denen die Gen­tri­fizierungs­de­bat­te meist auf ein unbekan­ntes Wesen pro­jiziert wird? Eine kurze Analyse von etwa sechs Tagen Hip­stertweets: ein­er von einem Men­schen mit hip­ster im Alias, ein neu­traler Meta-Tweet (mein eigen­er) und der Rest von der fol­gen­den Sorte:

Twit­ter braucht drin­gend Warn­hin­weise: Ver­wahrloste Hip­ster sitzen auf der Park­bank mit nix außer ihrem Smart­phone, das sie fest umk­lam­mern. @SoucieSpogk

hip­ster hip­ster gib mir mein berlin zurück @Mel61718

Vor einiger Zeit waren es ja sie Alt-68er, die hier die Poli­tik prägten. Hab schon ein wenig Angst vor der Zeit, wenn die Hip­ster dran sind. @Zellmi

Fazit: wir sind alle ein bisschen Hipster

Bei vie­len, vie­len Tweets und Blog­posts über den Hip­ster genügt ein Blick ins Pro­fil der­jeni­gen, um zu wis­sen, dass es mit Hip­ster eigentlich ganz ähn­lich ist, wie mit Spießer: es sind immer die anderen und die haben auch noch an allem Schuld. Sie gehen nie bei Rot über eine unbekan­nte Kreuzung und spülen But­ter­dosen vor Wiederver­wen­dung ein­mal heiß durch? Sehense.

Hip­ster, ein Wort, das tat­säch­lich unüber­set­zbar ist. Zur rekur­siv­en Absur­dität von Ein­deutschungsver­suchen: eine mögliche Alter­na­tive wäre Trend­set­ter (Antwort auf die unschuldige Frage: „Wie würdest du Hip­ster über­set­zen?“), welch­es aber eben­falls auf dem Index ste­ht und wofür schon Schrittmach­er, Vor­re­it­er oder Weg­bere­it­er vorgeschla­gen wurden.

Eine Lücke gefüllt? Natür­lich, auch wenn’s schon recht lange im Deutschen heimisch ist (lange vor der Hip­s­ter­de­bat­te aktueller Couleur). Aber man darf ein­wer­fen, dass der Attrib­ut­epool der Klasse „Hip­sterIn­nen“ so der­maßen tief und bre­it ist, dass die Def­i­n­i­tion schw­er ist und der Begriff — in Abwe­sen­heit iden­ti­fizier­baren Ref­eren­z­gruppe — irgend­wie schwammig bleibt.

P.S.: Damit ich das Bild nicht umson­st gemacht habe: unlängst forderte die FU-Hochschul­gruppe von DIE PARTEI die Zulas­sungs­beschränkung für Jute­beutel­träger. ((Was machen wir jet­zt mit Good­ies auf Tagun­gen? Ein­lasskon­trollen für Wis­senschaftsver­lage?)) Aber die wollen ja auch den Pren­zlauer Berg end­lagern.

Wahlwer­bung, DIE PARTEI-Hochschul­gruppe, Freie Uni­ver­sität Berlin, Jan­u­ar 2013

[Anglizismus 2012] Mit gendern ändern?

Von Kristin Kopf

Heute geht’s um den AdJ-Kan­di­dat­en gen­dern und ich will gle­ich vorauss­chick­en, dass ich dem Mon­sterthe­ma zwar einige Köpfe abschla­gen kon­nte, aber immer neue nachgewach­sen sind. Also: Anspruch auf Unvollständigkeit.

Nominiert wurde gen­dern von David, mit fol­gen­der Begründung:

Das Wort wird vor allem in der Bedeu­tung »in geschlechterg­erechter Sprache schreiben« ver­wen­det. In Englisch gibt es das Verb »to gen­der« nicht, und das Nomen »gen­der« in der Bedeu­tung »soziales Geschlecht« ist eben­falls ver­gle­ich­sweise jung. Das Wort zeugt also von einem kreativ­en Umgang mit Sprache, außer­dem scheint es momen­tan Hochkon­junk­tur zu haben.

Für mich ist es aus min­destens zwei Grün­den ein sehr span­nen­des Wort:

Zum einen kam es mir zunächst sehr etabliert vor, für den Anglizis­mus des Jahres schon viel zu lange viel zu ver­bre­it­et. Aber vielle­icht ist das nur in mein­er sehr geis­teswis­senschaftlich-uni­ver­sitär geprägten Welt so, wo geschlechterg­erechte Sprache weit­ge­hend Kon­sens ist?

Zum anderen trage ich, trotz der hohen Ver­wen­dung­shäu­figkeit in meinem Umfeld, noch immer leise Zweifel mit mir herum, was das Wort denn nun heißen kann. Die sind darin begrün­det, dass ich in einem Sem­i­nar ein­mal gel­ernt habe, gen­dern würde zunehmend falsch ver­wen­det – es hieße näm­lich nicht ‘etwas in geschlechterg­erechte Sprache brin­gen’ son­dern ‘geschlechter­basierte Unter­schiede erzeu­gen’. Nach dieser Bedeu­tung wäre z.B. Baby­mode gegen­dert (rosa, Schmetter­linge und Blüm­chen für Mäd­chen – blau, Bag­ger und Flugzeuge für Jungs).

Diesen bei­den Punk­ten werde ich in diesem Beitrag auch haupt­säch­lich nachgehen.

Was war das Vorbild?

Der Anglizis­mus des Jahres muss, logisch, aus dem Englis­chen stam­men – was für unser deutsches Verb gen­dern mehr oder weniger direkt zutrifft. Es gibt zwei poten­zielle Wortliefer­an­ten: Zum einen das Sub­stan­tiv gen­der, das David im Ver­dacht hat, und zum anderen das Verb to gen­der, das es näm­lich sehr wohl gibt, wenn es auch im Gebrauch recht sel­ten ist.

Das Sub­stan­tiv haben wir auch als solch­es schon vor Län­gerem ins Deutsche entlehnt (Gen­der), wo es sich beson­ders in der Sozi­olo­gie (und den rel­a­tiv neuen Gen­der Stud­ies) als aus­ge­sprochen nüt­zlich erwiesen hat. Bis dahin gab es näm­lich nur Geschlecht, wo man auf Englisch zwei wichtige Aspek­te unter­schei­den kon­nte: Weit­er­lesen

Le mot-dièse: ein ♯hashtag

Von Kristin Kopf

Anlässlich der franzö­sis­chen Wort­neuschöp­fung mot-dièse, dem staatlichen Ver­such, den overten Anglizis­mus hash­tag durch einen verdeck­ten zu erset­zen, habe ich mich gefragt, warum das #-Zeichen eigentlich dièse heißt, wie in zahlre­ichen Pressemel­dun­gen zu lesen:

»Dièse« heißt im franzö­sis­chen [sic!] das Raute-Zeichen »#«, mit dem »Hash­tags« vor dem Schlüs­sel­wort [sic!] in Tex­ten etwa im Kurzmit­teilungs­di­enst Twit­ter markiert wer­den. (Focus)

Kurioser­weise musste ich dabei fest­stellen, dass (nicht nur) ich von ein­er falschen Prämisse aus­ge­gan­gen war: Das franzö­sis­che Wort für unser Dop­pelkreuz (a.k.a. Raut­en­ze­ichen) ist näm­lich nicht dièse, son­dern Weit­er­lesen

Hashtag #adj2012

Von Susanne Flach

#Heute küm­mern wir uns nach Frack­en bzw. frack­ing gestern um den näch­sten Kan­di­dat­en: Hash­tag. Nominiert wurde es von Leser Ana­lytik­er. Eine Begrün­dung dazu gab’s nicht (ab dem näch­sten Jahr über­prüfe ich die Hausauf­gaben!). Erk­lärung offen­bar überflüssig.

Deshalb erläutern wir Hash­tag zunächst kurz für diejeni­gen, die Twit­ter bish­er nur aus dem Fernse­hen ken­nen ((Die Menge [Programmiersprachensprecher/innen]&!=[Twitter/innen] dürfte leer sein.)) und beson­ders für diejeni­gen, die sich kurz dacht­en, ich hätte vielle­icht ein <c> in der Über­schrift vergessen. Sodenn, Def­i­n­i­tion: Ein Hash­tag ist so eine Art Schlag­wort für den Zettelkat­a­log im Netz. Weit­er­lesen

Fracking/fracken [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

In den näch­sten Wochen disku­tiert die Anglizis­mus-des-Jahres-Jury die Wortkan­di­dat­en, die es in die Endrunde geschafft haben. Heute das Sub­stan­tiv Frack­ing und das dazuge­hörige Verb frack­en.

Das Wort Frack­ing (mach­mal auch: Frac­ing) ist eine Kurz­form des englis­chen Hydraulic Frac­tur­ing, der Beze­ich­nung für eine Tech­nik zur Förderung von Rohstof­fen wie Erdöl und Erdgas. Dabei wird in die Gesteinss­chicht­en, die die Rohstoffe umschließen, unter hohem Druck ein Gemisch aus Wass­er und ver­schiede­nen Chemikalien hineingepumpt, um auf diese Weise Risse zu erzeu­gen, durch die die Rohstoffe zur Bohrungsstelle fließen können.

Wer mehr über die Tech­nik selb­st erfahren will, dem sei dieser aktuelle Beitrag im Fis­chblog emp­fohlen; aus lexiko­grafis­ch­er Per­spek­tive sind zwei Dinge wichtig: In Deutsch­land lagert sehr viel Erdgas in Gesteinss­chicht­en, an die ohne diese Tech­nik derzeit kein Her­ankom­men ist (weshalb die Energiekonz­erne die Tech­nik gerne in großem Maßstab anwen­den möcht­en), und die Tech­nik hat schw­er­wiegende Kon­se­quen­zen für die Umwelt (weshalb vor allem die Men­schen in den poten­ziellen Frack­ing-Gebi­eten das unbe­d­ingt ver­hin­dern wollen). Das führt zu ein­er anhal­tenden Debat­te, die das Wort im let­zten Jahr in den all­ge­meineren Sprachge­brauch gespült hat: Im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus taucht es 2010 in nur zwei Tex­ten auf, 2011 find­et es sich bere­its 70 Mal in 25 ver­schiede­nen Tex­ten, und bis Juli 2012 (weit­er geht das Kor­pus derzeit noch nicht) waren es dann schon über 400 Tre­f­fer in mehr als 160 Tex­ten. Weit­er­lesen

Jetzt vermehrt und verbessert: Der Ngram-Viewer

Von Kristin Kopf

Das zugrun­deliegende Kor­pus des Ngram-View­ers von Google ist vor kurzem verbessert wor­den. Damit eröff­nen sich faszinierende neue Such­möglichkeit­en, von denen ich drei ganz kurz vorstellen möchte – in der Hoff­nung, dass sich meine Studieren­den nicht herverir­ren, die sollen das näm­lich alles in ein­er Wei­h­nachts­fe­rien­hausauf­gabe selb­st rausfinden:

Der Aufstieg des Computers: Sprachübergreifende Vergleiche

Nen­n­form für ‘Com­put­er’ im Englis­chen, Deutschen und Franzö­sis­chen. Such­abfrage: computer:eng_2012,Computer:ger_2012,ordinateur:fre_2012

Während man in der 2009er-Ver­sion nur inner­halb ein­er Sprache suchen kon­nte, lassen sich jet­zt auch sprachüber­greifende Ver­gle­iche anstellen. Hier musste ich also noch drei Grafiken hin­tere­inan­der erstellen, jet­zt kann die Fre­quenz des Wortes für ‘Com­put­er’ im Englis­chen, Deutschen und Franzö­sis­chen (und eini­gen weit­eren Sprachen) auf ein­mal angezeigt wer­den. Weit­er­lesen

Gähnende Leere

Von Kristin Kopf

Echolot­ta hat kür­zlich bei Twit­ter gefragt:

Und weil mir keine philosophisch-amüsante Randbe­merkung von max­i­mal 130 Zeichen einge­fall­en ist ((Ja, ich weiß, 140, aber @Echolotta kostet auch schon 10 …)), habe ich beschlossen, die Frage hier in epis­ch­er Länge und wörtlich anzugehen.

Gäh­nende Leere auf ein­er anony­men Baustelle irgend­wo in Deutschland.

Bei der gäh­nen­den Leere liegt eine feste Verbindung zweier Wörter vor. Sie tritt in Sätzen wie es herrschte gäh­nende Leere auf und drückt dann aus, dass nichts oder nie­mand anwe­send oder vorhan­den ist (s. rechts).

Wie fest diese Verbindung eigentlich ist, lässt sich nicht nur intu­itiv fest­stellen, son­dern auch empirisch über­prüfen. Dazu macht man eine soge­nan­nte »Kol­loka­tion­s­analyse«, man schaut nach, welche Wörter in ein­er großen Textsamm­lung beson­ders häu­fig miteinan­der auftreten. Das geht zum Beispiel recht kom­fort­a­bel über das DWDS.

Da erfährt man dann, dass gäh­nend das Adjek­tiv ist, das Leere in den aller­meis­ten Fällen mod­i­fiziert (danach fol­gt erst mit großem Abstand die innere Leere) – und dass auch umgekehrt Leere das Sub­stan­tiv ist, das am öftesten von gäh­nend begleit­et wird (danach fol­gt mit noch größerem Abstand die Langeweile): ((Hier Leere eingeben und im Kas­ten »Wort­pro­fil 2012« nach­schauen, da als Wor­tart »Sub­stan­tiv« wählen (linkes Dia­gramm) bzw. gäh­nend eingeben und »ist Adjek­ti­vat­trib­ut von« wählen (recht­es Dia­gramm). Eine Erk­lärung des Wort­pro­fils gibt es hier. Was meine Suche natür­lich nicht abdeckt, sind ver­bale For­mulierun­gen wie die Leere gäh­nt bedrohlich, denn dort gäh­nt bere­its der Schlund o.ä.))

Kol­loka­tio­nen von Leere (links) und gäh­nend (rechts) ab ein­er Min­dest­fre­quenz von 5. Dat­en: DWDS Wort­pro­fil 2012, Zeitraum 1900–1999.

Aber warum?

Dass diese bei­den Wörter etwas miteinan­der haben, lässt sich also nicht nur fühlen, son­dern auch zeigen. Nun stellt sich aber die Frage, warum es hier eine der­art enge Verbindung gibt. Weit­er­lesen

Der Nikolaus in Namen

Von Kristin Kopf

Hat­te keinen Fam­i­li­en­na­men: Heiliger Niko­laus. (Rechte: Zen­odot, The Yor­ck Project, GNU FDL)

Hon­ick­el, Nigg, Nitz, Clah­sen, Nück­el, Niggel­er, Köl­la, Glauss, Klaus­mann, Lauser, Mitschke, Läuseli, Gleissle, Kle­sen, Less­ing, Klose, Globus, Klaue, Klages, Klein­lagel, Gläwe, Nitschke, Gleuel, Kleps, Klo­mann, Loes,

All diese Nach­na­men haben eine gemein­same Quelle: Den Ruf­na­men Niko­laus. Er find­et sich, mehr oder weniger ver­steckt, in zahlre­ichen deutschen Fam­i­li­en­na­men wieder – aktuell doku­men­tiert sind rund 4.000 ver­schiedene For­men. ((Dräger (2011:270) ))

Leute, die mit Fam­i­li­en­na­men nach dem Niko­laus heißen, sind natür­lich nicht nach dem Niko­laus benan­nt, son­dern nach irgen­deinem. Nikoläuse gab es näm­lich zur Entste­hungszeit der Fam­i­li­en­na­men (ab dem 12. Jh.) Unmen­gen: Es war der zwei­thäu­fig­ste Män­ner­name im deutschen Sprachraum, in den extrem­sten Gegen­den hieß ein Vier­tel der Män­ner so. ((Dräger (2011:270) )) Das hat­te natür­lich mit dem Chris­ten­tum zu tun, das en vogue war: Man benan­nte Kinder enorm gerne nach Heili­gen, und dieser hier war zu allem Über­fluss auch noch ihr Schutz­pa­tron! ((Der belieb­steste Heili­gen­name war übri­gens Johannes.))

Gerufen wur­den diese ganzen Nikoläuse allerd­ings ganz unter­schiedlich. Heute noch existierende deutsche Ruf­na­men­vari­anten von Niko­laus sind z.B. Claus, Klaas, Niklas, Niko, Nico­las und Nick. Darüber hin­aus gab es noch zahlre­iche weit­ere For­men, die dialek­tal stark vari­ierten. ((Für Bay­ern gibt es den fan­tastis­chen Sprechen­den Sprachat­las, der auf der Karte für Niko­laus und ver­gle­ich­bare Win­tergestal­ten zahlre­iche Hör­beispiele vereint.))

Von diesen allen kon­nte man nun also Fam­i­li­en­na­men ableit­en – logisch, dass sich let­ztlich eine große Menge Niko­laus­na­men ergab. Dass ein Ruf­name die Basis für einen Fam­i­li­en­na­men bildete, war keine Sel­tenheit. Der Grund dafür liegt darin, dass Leute zu der Zeit, zu der es noch keine fes­ten Fam­i­li­en­na­men gab, oft einen Beina­men beka­men, um sie klar iden­ti­fizier­bar zu machen. Das war in vie­len Fällen der Ruf­name des Vaters. Später wur­den diese Beina­men dann  unverän­dert weit­ergegeben, ab diesem Zeit­punkt spricht man von Fam­i­li­en­na­men. Fam­i­li­en­na­men, die Ruf­na­men als Quelle haben, nen­nt man in der Ono­mas­tik »Patronyme« (wörtl. ‘Vater­sna­men’). Sie kön­nen ein­fach iden­tisch mit dem Ruf­na­men sein, aber auch anders auf ihn Bezug nehmen, zum Beispiel durch den Bestandteil -sen ‘Sohn’ oder eine (dialek­tale) Verkleinerungs­form. Ein paar aus­gewählte Nikolausnamen:

  • Nico­lassen ‘Sohn von Nico­las’, Clasen ‘Sohn von Claas’
  • Kleisle ‘klein­er Klaus, wörtl. Kläuslein’, Nitschke ‘klein­er Nitz (< Nicolaus)’
  • Klausmann – hier wurde das mann zur Beze­ich­nung des Sohnes benutzt (vgl. auch Heine­mann, Till­mann, Ber­tels­mann (von Bartholomäus), Christ­mann (von Chris­t­ian), …)

Klaus­mann

Die ver­schiede­nen Vari­anten sind region­al sehr unter­schiedlich verteilt. Ganz typ­isch für Süd­west­deutsch­land ist zum Beispiel Klaus­mann, der, gemessen an der Bevölkerungs­dichte, im Land­kreis Emmendin­gen am häu­fig­sten auftritt. ((Karten via Geogen, Dat­en nach Tele­fo­nan­schlüssen. Mehr Geogenkarten im Sprachlog gibt es hier, hier und hier.))

Nitschke

Viel weit­er ver­bre­it­et sind hinge­gen die Nitschkes (und die fast iden­tis­chen Nitsches), die beson­ders in den neuen Bun­deslän­dern wohnen.

Wenn sich Namen so an der Gren­ze ballen, lohnt sich oft ein Blick über ebendiese. In diesem Fall gibt das Reich­stele­fon­buch von 1942 Auf­schluss. ((Via gen-evolu.de.)) Tat­säch­lich ging es ein­mal östlich des heuti­gen Nitschke-Kernge­bi­ets weit­er, wie auf der Karte klar zu erken­nen ist.

Schaut man in ein Namen­buch, z.B. Bahlow,  dann wird dort auch bestätigt, dass es sich bei Nitschke um eine schle­sisch-ost­mit­teldeutsche Kurz­form von Niko­laus handelt.

Eine andere schle­sisch-ost­mit­teldeutsche Vari­ante ist Mitschke. Hier sieht man fremd­sprachi­gen Ein­fluss: In eini­gen slaw­is­chen Sprachen hat der Name näm­lich einen m-Anlaut, so z.B. im Pol­nis­chen. ((Nicht aber im Rus­sis­chen, man ken­nt ja genü­gend Zaren namens Niko­lai.)) Entsprechend heißt Niko­laus Kopernikus in Polen auch Mikołaj Kopernik.

Die von Niko­laus abstam­menden Fam­i­li­en­na­men sind übri­gens so vielfältig und vari­anten­re­ich, dass man darüber eine ganze Dok­torar­beit schreiben kann. Das hat eine Freiburg­er Kol­le­gin, Kathrin Dräger, auch getan. Wenn ich recht informiert bin, ist sie mit der Pro­mo­tion let­ztes Jahr am 6.12. fertiggeworden.

Quellen:

  • Bahlow, Hans (1953): Schle­sis­ches Namen­buch. Kitzingen/Main.
  • Dräger, Kathrin (2011): Fam­i­li­en­na­men aus dem Ruf­na­men Niko­laus in Deutsch­land. In: Rita Heuser, Damaris Nübling und Mir­jam Schmuck (Hgg.): Fam­i­li­en­na­men­geo­gra­phie. Ergeb­nisse und Per­spek­tiv­en europäis­ch­er Forschung. Berlin, New York. 269–281.
  • Kun­ze, Kon­rad (2004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Fam­i­li­en­na­men im deutschen Sprachge­bi­et. 5. Aufl. München.

Milliarden vs. Billionen: Große Zahlen

Von Kristin Kopf
Unzäh­lige Male schon habe ich im BILD­blog Beiträge gele­sen, in denen ein deutsch­er Bericht kri­tisiert wurde, der von Bil­lio­nen sprach, wo auch im amerikanis­chen Orig­i­nal von bil­lions die Rede war ((Zum Beispiel hier, hier, hier, hier, … und der umgekehrte Fehler hier.)). Eine amerikanis­che bil­lion ist näm­lich, ins Deutsche über­set­zt, nur eine ‘Mil­liarde’.
Die Ver­wirrung entste­ht, natür­lich, durch die extreme laut­liche Ähn­lichkeit. Die wahren Ver­hält­nisse zeigt die fol­gende Tabelle:
Zahl Deutsch US-Englisch
100 Hun­dert one hun­dred
1.000 Tausend thou­sand
1.000.000 Mil­lion mil­lion
1.000.000.000 Mil­liarde bil­lion
1.000.000.000.000 Bil­lion tril­lion
1.000.000.000.000.000 Bil­liarde quadrillion

So weit, so rel­a­tiv bekan­nt. Nun habe ich kür­zlich dieses fan­tastis­che Youtube­v­ideo angeschaut (und danach noch 10 weit­ere von min­utephysics – ich war krankgeschrieben …), in dem unter anderem the­ma­tisiert wurde, wann der Urk­nall stattge­fun­den hat – näm­lich »13.7 bil­lion years ago«. Da ich dieses Wis­sen als gemein­wis­senswert erachtete, musste es also ein wenig gerun­det, über­set­zt und abge­spe­ichert wer­den. (Selt­sam übri­gens, dass das über fünf Staffeln Big-Bang-The­o­ry-Theme hin­weg noch nicht passiert war.)

Dabei habe ich mich dann zum ersten Mal gefragt, wie es eigentlich passieren kon­nte, dass diese bei­den, offen­sichtlich ety­mol­o­gisch miteinan­der ver­wandten Wörter so ver­rutscht sind. Nach einiger Wörter­buch­blät­terei und zunehmend kom­plex­en Noti­zen mit über­mäßig vie­len Nullen bin ich nun klüger gewor­den: Weit­er­lesen