Archiv der Kategorie: Recherchen

Das neue längste Wort des Deutschen

Von Anatol Stefanowitsch

Da die „Abschaf­fung“ des läng­sten deutschen Wortes sehr viel mehr Auf­se­hen erregt hat, als ich es mir hätte vorstellen kön­nen – Glück­wun­sch an die dpa, übri­gens, die als einzige das Poten­zial dieser Mel­dung erkan­nt hat – hat­te ich gestern viele Anfra­gen, was denn nun das neue läng­ste Wort des Deutschen sei. Ich ignoriere ein­mal, dass Grund­stücks­ver­kehrs­ge­neh­mi­gungs­zu­stän­dig­keits­über­tra­gungs­ver­ord­nung und Rind­fleisch­eti­ket­tie­rungs­über­wa­chungs­auf­ga­ben­über­tra­gungs­ge­setz ja nach wie vor Wörter des Deutschen sind, auch wenn die Geset­ze, auf die sie sich beziehen, nicht mehr existieren (eine für mich recht ein­leuch­t­ende Tat­sache, die aber kaum eine/r der Anfra­gen­den teilen mochte (David Char­ter von der Times erwäh­nt es in seinem Artikel immer­hin). Aber lassen wir die bei­den Wörter außen vor, so haben meine (auf­grund der uner­warteten Anfra­gen eher hastig durchge­führten) Recherchen Fol­gen­des ergeben. Weit­er­lesen

Wider die Winzpartikel!

Von Anatol Stefanowitsch

In der Über­schrift eines Beitrags zur Nan­otech­nolo­gie auf Spektrum.de habe ich heute mor­gen das Wort Winz­par­tikel (für Nanopar­tikel) gele­sen. Das Wort hat mich, vor allem auf ein­er Wis­senschafts­seite, etwas befremdet, weil es den verulk­enden und gle­ichzeit­ig deutschtümel­nden Klang typ­is­ch­er Wortschöp­fun­gen der Sprach­nör­gler hat. Ich bat also die Spek­trum-Redak­tion per Twit­ter, das Wort nie wieder zu ver­wen­den, da ich ihr andern­falls „eine wütende E‑Post von meinem Klap­prech­n­er“ schreiben würde.

Auf dem Weg zur Arbeit habe ich dann darüber nachgedacht, woher das Wort Winz­par­tikel wohl stam­men mag. Eine Google-Suche ergab eine sehr über­schaubare Anzahl von Tre­f­fern, sodass sich seine (bis­lang kurze, hof­fentlich bald been­dete) Geschichte weit­ge­hend voll­ständig nachvol­lziehen lässt. Weit­er­lesen

Von Tribunen und Tribünen

Von Susanne Flach

Am Mon­tag scheit­erte bei Wer wird Mil­lionär? ein Kan­di­dat an der „Wortherkun­ft“ von Tribüne, deren Her­leitung RTL immer­hin 125.000€ wert gewe­sen wäre. Was zunächst von RTL als ein­fach sug­geriert und in der Folge von vie­len Boule­vard­jour­nal­is­ten und Kom­men­ta­toren als „offen­sichtlich“ dargestellt wurde, ist aber etwas kom­plex­er (das Sprachlog twit­terte).

Die Frage lautete: Weit­er­lesen

Von Beamten und Beamtinnen

Von Anatol Stefanowitsch

Die neue Straßen­verkehrsor­d­nung ist ja in den let­zten Tagen wegen ihrer geschlechterg­erecht­en Sprache von den üblichen Verdächti­gen inten­siv kri­tisiert wor­den. Eine Ver­linkung auf die Kri­tiken ers­pare ich Ihnen und ver­linke stattdessen auf die aus­führliche sach­liche Diskus­sion des Lexiko­grafieblogs. Wie dort, und auch in der hier am Fre­itag disku­tierten Pressemel­dung des Auto Club Europa ange­merkt wird, sind bei der Anpas­sung vere­inzelt Wörter im Maskulinum ste­henge­blieben. In eini­gen Fällen, die das Lexiko­grafieblog auflis­tet, scheint das reine Nach­läs­sigkeit zu sein, da die betr­e­f­fend­en Wörter an anderen Stellen durch geschlecht­sneu­trale For­mulierun­gen erset­zt wur­den, doch bei einem Wort liegt das Prob­lem möglicher­weise tiefer. In Para­graf 36, Abs. 1 der StVO heißt es nach wie vor: Weit­er­lesen

Steile Kurven

Von Susanne Flach

Bei Streifzü­gen durch die MOOC-Welt, Sta­tis­tik­tu­to­ri­als auf YouTube oder kleinen Pro­gram­mierselb­sthil­fe­foren stoße ich in let­zter Zeit wieder­holt auf eine Wortwen­dung, die mich aber schon immer ver­wirrt hat: die steile Lernkurve oder vielmehr — da die meis­ten Onlin­eange­bote auf Englisch vorhan­den sind — die der steep learn­ing curve.

Denn ganz offen­sichtlich war­nen alle Dozieren­den davor, Kurse und Pro­gramme zu unter­schätzen: „It will be hard work, as R ini­tial­ly has a steep learn­ing curve“ (‚Es ist harte Arbeit, weil R am Anfang eine steile Lernkurve hat‘). Zu den emo­tionalen Hür­den beim Erler­nen ein­er Pro­gram­mier­sprache mach(t)e ich mir ja keine Illu­sio­nen. Was mich aber immer ver­wirrt hat, war der unklare Bezug des Adjek­tivs steil. Denn die vie­len, vie­len Ver­wen­dung von steep learn­ing curve sug­gerieren sofort, dass der Zeitaufwand (t) hoch, der Wis­sens­gewinn (w) aber anfangs frus­tri­erend ger­ing ist. Würde man das auf­malen wollen, wäre die War­nung in diesem Dia­gramm durch die grüne Lin­ie repräsentiert:

Abbil­dung 1: Steile (grün) und noch steilere (rot) Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung).

Aber was soll an der grü­nen Lin­ie beson­ders steil sein, so zum Anfang? Zum Zeit­punkt (t) habe ich mir nur Wis­sen (w1) angeeignet. Steil ist dabei doch höch­stens die rote Lin­ie, die aber genau das Gegen­teil zeigt, näm­lich, dass man sich in kürz­er­er Zeit (t) rel­a­tiv viel Wis­sen (w2) aneignen kann. Wollen die mir mit dun­kler Wel­tun­ter­gangsstimme sagen, dass man mit wenig Zeit viel erre­icht? Dass man also vor ein­er Lernkurve warnt, weil sie schnellen Lern­er­folg verspricht?

Da stimmt doch was nicht.

Die erste logis­che Anlauf­stelle Wikipedia weiß Bescheid: dort spricht man von ein­er „akademis­chen“ Ver­wen­dung der Redewen­dung (Stoff­menge in Abhängigkeit von Zeit, rote Lin­ie) und einem umgangssprach­lichen Ver­ständ­nis, das der „akademisch als kor­rekt zu betra­ch­t­en­den Def­i­n­i­tion“ „diame­tral“ gegenüber ste­ht. Let­zteres entspricht zwar nicht ganz mein­er grünkurvig dargestell­ten Ver­wirrung, diese ist aber immer­hin diame­tral. ((Auf Wikipedia kor­re­liert man das Laien­ver­ständ­nis mit der soge­nan­nten Blender-Kurve, welche mit anderen Vari­ablen hantiert, die aber, drehte man die Achsen sin­nvoll um, in groben Kur­ven der grü­nen Lin­ie in Abbil­dung 1 entspräche.)) Ist das wirk­lich nur ein weit­eres Beispiel dafür, dass Fach- und all­ge­mein­er Sprachge­brauch nicht übere­in­stim­men, wenn auch ein beson­ders extremes?

Nein. Das Durch­forsten von Kor­po­ra und der Ver­such, learn­ing curve ein quan­ti­ta­tives Muster abzurin­gen, bringen’s ans Licht: hier wer­den Äpfel und Bir­nen als Orangen bezeichnet.

Zunächst: Die akademis­che Inter­pre­ta­tion ist zweifel­los die math­e­ma­tis­che Funk­tion w(t). Dass man von ein­er steilen Lernkurve spricht, liegt daran, dass wir das Mehr an Quan­tität (hier: Lern­er­folg) über die Zeit mit ein­er nach oben gerichteten Lin­ie mit großer ‚Stei­gung‘ illus­tri­eren. Man ken­nt diese Darstel­lung beispiel­sweise von Börsenkursen: Kurs­gewinne zeigen nach oben, Ver­luste nach unten. Solche Dia­gramm­for­men sind dabei let­z­tendlich reine Kon­ven­tion, weil man ja lediglich die math­e­ma­tis­che Abhängigkeit ein­er Vari­ablen von ein­er anderen abbildet — man kön­nte das Dia­gramm um 180° oder auch nur um 90° drehen, ohne Infor­ma­tion­s­ge­halt einzubüßen. Aber dass diese anschauliche Darstel­lung die intu­iti­vere Kon­ven­tion ist, liegt daran, dass unsere Wahrnehmung all­ge­mein von der konzeptuellen Meta­pher MEHR IST OBEN (MORE IS UP) geprägt ist, die auf Erfahrung mit unser­er Umwelt basiert: je höher der Stapel Klausuren auf meinem Schreibtisch, desto mehr habe ich zu tun. Deshalb nehmen wir diese Kur­ven als steil wahr, obwohl steil ja nur ihre Darstel­lung ist.

Der umgangssprach­lichen Ver­wen­dung für steile Lernkurve liegt eine ganz ähn­liche Moti­va­tion zugrunde, die gegenüber der hil­f­sweisen Darstel­lung der math­e­ma­tis­chen Funk­tion aber grundle­gend metapho­risch ist. Was meinen wir damit? Schauen wir zur Erk­lärung mal ein paar Beispiele aus dem Cor­pus of Con­tem­po­rary Amer­i­can Eng­lish (COCA) an:

Over­all, you’ll face a fair­ly steep learn­ing curve to mas­ter OpenOffice’s eccen­tric­i­ties, but you can’t beat the price.

[Ins­ge­samt haben Sie eine recht steile Lernkurve vor sich, um die Ver­schroben­heit­en von OpenOf­fice zu meis­tern, aber der Preis ist unschlagbar.]

Any­body who rides a moun­tain bike wants to do what we do, but there’s a real­ly steep learn­ing curve so they usu­al­ly end up just watch­ing,“ he says.

[„Jede/r, der/die ein Moun­tain­bike fährt, möchte machen, was wir machen, aber das hat eine wirk­lich steile Lernkurve, weshalb sie meis­tens nur zusehen.“]

sec­ond Life pro­vides an addi­tion­al way for stu­dents to explore class mate­r­i­al, but it doesn’t appeal to every­one.“ A steep learn­ing curve can also dis­cour­age stu­dents who are not high­ly moti­vat­ed to use SL, he says.

[„sec­ond Life stellt zusät­zliche Möglichkeit­en für Studierende bere­it, um das Kurs­ma­te­r­i­al zu erkun­den, aber das ist nicht für jede/n attrak­tiv.“ Eine steile Lernkurve kann Studierende zusät­zlich ent­muti­gen, die wenig motiviert sind, SL zu nutzen, sagt er.]

Nahezu alle Belege für learn­ing curve hauen in die gle­iche Kerbe:  Ler­nen ist müh­sam, aufwändig, anstren­gend, mitunter ent­muti­gend. Es über­rascht nicht, dass das Nomen learn­ing curve nur ein einziges sig­nifikantes Adjek­tivkol­lokat hat: steep. ((Für diese Erken­nt­nis haben Dat­en aus der Kol­loka­tions­daten­bank des British Nation­al Cor­pus (via BNCweb) herge­hal­ten. Span­nweit­en von 1;0 bis 5;5. Der Serv­er für COCA ist ger­ade unten, aber am Woch­enende hab ich mir von dort noch schwache Assozi­a­tio­nen zu effi­cient, upward, shal­low und sharp notiert.)) Umgekehrt mod­i­fiziert steep — das wird nie­man­den vom Hock­er hauen — über­wiegend  Nom­i­na der Erhöhung oder des Auf­stiegs wie hillclimbridgery, rise oder ascent. ((In der Kol­loka­tion­sliste ste­hen auch Begriffe der absteigen­den Rich­tung wie cliff, slope, decline oder descent.)) Wir assozi­ieren Ler­nen also mit einem Weg (nach oben) zur Erken­nt­nis. Eine andere Per­spek­tive auf die Beschw­er­lichkeit­skon­no­ta­tion für steep learn­ing curve ist, dass es häu­fig in Struk­turen auf­taucht, die mit dem Verb to face ‚gegenüber­ste­hen‘ ein­geleit­et wer­den. In solchen face-Kon­struk­tio­nen ste­hen in der Objek­t­po­si­tion wiederum sig­nifikant häu­fig chal­lenges, risks, prob­lems, obsta­cles, hard­ships, dilem­mas und prob­lems, also eher weniger spaßige Dinge.

Die neg­a­tive Per­spek­tive aufs Ler­nen ist auch in der Wikipedia-Def­i­n­i­tion erwäh­nt. Dort hat man ver­sucht, die math­e­ma­tis­che Def­i­n­i­tion als pos­i­tive, die Laien­ver­wen­dung als neg­a­tive Ein­stel­lung zu deuten. Das ist nicht ganz falsch (abge­se­hen davon, dass eine math­e­ma­tisch-quan­ti­ta­tive rel­a­tiv wenig mit ‚pos­i­tiv‘ oder ‚Ein­stel­lung‘ zu tun hat), aber eben eine ungün­stige Ver­mis­chung von Ebe­nen. Aber jet­zt — um auf die Äpfel und Orangen zurück zu kom­men — kön­nen wir die Laien­ver­wen­dung auf konzeptuellen Meta­phern zurück­führen, also auf die grundle­gende kog­ni­tiv­en Strate­gie, abstrak­te Dinge durch greif­bare, konkrete Din­gen zu konzep­tu­al­isieren. Eine bekan­nte und hier nahe­liegende, über­ge­ord­nete Meta­pher wäre DAS LEBEN IST EINE REISE (LIFE IS A JOURNEY). Und auf dieser Rei­he geht es auf dem WEG zur Erken­nt­nis eben auch mal müh­sam nach oben. Wen diese Idee inter­essiert, find­et in Lakoff & John­son (1980a, 1980b) eine äußert dankbare Lek­türe. Wer mehr so auf bunte Bild­chen steht:

Abbil­dung 2: Steile und flache Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung, CC BY-NC-SA 3.0 DE)

Bei der steilen Lernkurve ste­ht nicht der Lern­er­folg an sich im Vorder­grund (oder dessen Quan­tifizierung), son­dern die Anstren­gung a: wenn ich auf dem grü­nen Pfad mit der flacheren Lernkurve unter­wegs bin, hab ich zum Zeit­punkt t (oder wahlweise zum Wis­sen­stand w) mit a1 weniger Anstren­gung hin­ter mir, als wenn ich die rote Route (steile Lernkurve) nehmen muss. Konkrete, physis­che Empfind­un­gen während ein­er anstren­gen­den Bergbestei­gung oder eines flauschi­gen Hügelspazier­gangs dienen uns dabei als Quelle zur Ver­bal­isierung abstrak­ter Emo­tio­nen während ein­er Lern­er­fahrung. Die Y‑Achse ist zur Verdeut­lichung einge­zo­gen: bei der WEG/REISE-Meta­pher spielt die Quan­tifizierung — und stre­it­bar­erweise sog­ar der Betrag des Wis­sen­stands — nur eine unter­ge­ord­nete Rolle. Was bei Lernkur­ven inter­essiert ist der Grin­seg­rad auf dem Weg zur Erken­nt­nis zum Zeit­punkt t.

Denn wenn ich heute sage, dass R für eine funk­tionale Tech­nikanal­pha­betin ne steile Lernkurve hat, sage ich doch über­haupt nichts darüber aus, ob die R‑o­nautin­nen-Aus­bil­dung quan­ti­ta­tiv bei mir gefruchtet hat oder nicht.

P.S.: Fürs Deutsche ist die Meta­phern­strate­gie der steilen Lernkurve ähn­lich, wenn auch quan­ti­ta­tiv offen­bar nicht so stark mess­bar. Als einzige sin­nvolle Kol­lokate spuckt COSMASII aus dem Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (DeReKo) steil, flach und — öbach­tle! — PHP aus. Auch im DWDS sind sig­nifikante Verbindun­gen für Lernkurve mit lediglich schwachen Assozi­a­tio­nen zu steil eher mager (aber DWDS & DeReKo mit BNC & COCA ver­gle­ichen zu wollen, ist für diese Unter­suchung ohne­hin prob­lema­tisch). Das Wortschatz­por­tal der Uni­ver­sität Leipzig liefert als auf­fäl­lige Verbindung rechts von Lernkurve außer­dem vor sich, was auf die WEG-Meta­pher hin­weist (sie haben einen weit­en Weg vor sich). Der Ein­druck ist aber ein wenig, dass die Berg­steigemeta­pher im Deutschen schwäch­er aus­geprägt ist und bei Lernkurve häu­figer vom math­e­ma­tis­chen Konzept die Rede ist.

Lakoff, George & Mark John­son. 1980a [2003]. Metaphors we live by. Uni­ver­si­ty of Chica­go Press. [Auf Deutsch: Leben in Meta­phern: Kon­struk­tion und Gebrauch von Sprach­bildern. Carl Auer Verlag.]

Lakoff, George & Mark John­son. 1980b. Con­cep­tu­al metaphor in every­day lan­guage. Jour­nal of Phi­los­o­phy 77(8). 453–486. [Link]

Sprachschmuggler in der Wikipedia?

Von Anatol Stefanowitsch

In mein­er gestri­gen Lau­da­tio zum Anglizis­mus des Jahres 2012, Crowd­fund­ing, sprach ich meine Ver­mu­tung an, dass die vere­inzelt zu find­ende Ein­deutschung „Schwarm­fi­nanzierung“ eine Wortschöp­fung von Anglizis­muskri­tik­ern sei, die diese über den Wikipedia-Ein­trag zum Crowd­fund­ing zunächst in den jour­nal­is­tis­chen Sprachge­brauch eingeschleust hät­ten. Diese Ver­mu­tung stützt sich auf die Tat­sache, das die früh­este Ver­wen­dung, des Wortes, die ich find­en kann, eben aus diesem Wikipedia-Ein­trag, genauer, in der Artikelver­sion vom 23. März 2011 stammt. Einge­tra­gen wurde es von einem anony­men Nutzer, weshalb die Wikipedia-Soft­ware nur die IP-Adresse des Bear­beit­ers doku­men­tiert. Eine Über­prü­fung der Bear­beitun­gen, die unter dieser IP-Adresse im sel­ben Zeitraum vorgenom­men wur­den, zeigt, dass außer­dem das Schlag­wort „Schwarm­fi­nanzierung“ mit ein­er Weit­er­leitung auf den Artikel zu Crowd­fund­ing angelegt und das Wort Schwarm­fi­nanzierung in den Ein­trag zu ein­er bes­timmten Crowd­fund­ing­plat­tform hinein redigiert wur­den. Dass es sich bei dem anony­men Nutzer um einen Sprachkri­tik­er auf Sprach­säu­berungsmis­sion han­delte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarm­fi­nanzierung“ im Anglizis­menin­dex des Vere­ins Deutsche Sprache ste­ht (dazu gle­ich mehr). Weit­er­lesen

Klein, aber oh yeah! [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Die Wahl geht in die End­phase — die großen Favoriten wur­den und wer­den in detail­lierten Einzel­beiträ­gen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel set­zen, allen Kan­di­dat­en, die die erste Runde über­standen haben, ein wenig Raum, ein biss­chen Zeit und viel medi­ale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbe­sprechung von Wörtern, denen wir zumin­d­est bei dieser Wahl keine größeren Chan­cen aus­gerech­net haben — eini­gen sog­ar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.

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Tablet [Anglizismus 2012]

Von Kristin Kopf

Das Tablet ist ein Wiedergänger: Bere­its let­ztes Jahr hat es Anspruch auf den Anglizis­mus­des­jahresti­tel erhoben. Wer sich für die aus­führliche Besprechung inter­essiert, sollte sich daher den dama­li­gen Blog­beitrag dazu anschauen – heute unter­suche ich, wie sich das Wort sei­ther gemacht hat und ob es 2012 eine Gewin­n­chance hat.

Rein sub­jek­tiv rechne ich mit ein­er enor­men Fre­quenz­zu­nahme, basierend auf der Beobach­tung, dass die Geräte immer häu­figer zu sehen und für viele Men­schen zu einem All­t­ags­ge­gen­stand gewor­den sind.

Ein Blick in die Zeitung bestätigt das:

Vorkom­men pro Mio Tex­twörter. Quelle: Nürn­berg­er Nachricht­en, Mannheimer Mor­gen, Ham­burg­er Mor­gen­post, Braun­schweiger Zeitung via Cos­mas II. (n=1.632)

Erst­mals über­traf 2012 das blanke Wort Tablet (grüne Lin­ie) verdeut­lichende Zusam­menset­zun­gen wie Tablet-PC oder Tablet-Com­put­er (blaue Lin­ie). Das Konzept ist jet­zt also fest genug bei der Zeitungsle­ser­schaft ver­ankert, es bedarf sprach­lich­er Hil­festel­lung nicht mehr unbe­d­ingt. Damit ist einge­treten, was ich let­ztes Jahr ger­adezu prophetisch prog­nos­tiziert habe – und zwar schneller als gedacht:

Ich wage zu behaupten, dass sich die Form Tablet, falls das Gerät über­lebt, auf lange Sicht gegenüber Tablet-Com­put­er durch­set­zen wird. Ist kürz­er, und wenn man weiß, was gemeint ist, braucht kein Men­sch mehr eine deskrip­tive Benennung.

Diese Zusam­menset­zun­gen wer­den in den kom­menden Jahren sich­er noch weit­er zurück­ge­hen. ((Sag ich jet­zt, damit ich bei der AdJ-2013-Nominierung erneut auf meine prophetis­chen Fähigkeit­en ver­weisen kann.))

Im Gegen­zug braucht man mit­tler­weile mehr Dif­feren­zierungsmöglichkeit­en, um all die Tablets voneinan­der unter­schei­den zu kön­nen: Kom­posi­ta mit einem Erst­glied, das das Tablet näher bes­timmt (lila Lin­ie) nehmen weit­er zu. In fast allen Fällen wird hier Bezug auf den Her­steller oder Verkäufer (Apple, Aldi, Sony-Tablet, …) oder auf Leis­tungs­fähigkeit und Größe genom­men (High­end-, Full-HD-, Sieben-Zoll-, Riesen-Tablet, …).

Zwar war der Anstieg des Wortes Tablet von 2010 nach 2011 viel deut­lich­er (um 3,8 Prozent­punk­te) als der von 2011 nach 2012 (um 2,2 Prozent­punk­te) ((Eine Suche über Begriffe im Wan­del der ZEIT liefert zwar für Die Zeit einen sprung­haften Anstieg 2012, hier in ich aber skep­tisch, was die Daten­ba­sis bet­rifft. Über den Bug­fix­ing-Modus gelangt man an absolute Zahlen, das sind für 2012 genau 116 Tre­f­fer, die sich recht gle­ich­mäßig über das Jahr verteilen (z.B. je 10 im Novem­ber und Dezem­ber). Hier muss also bei der Nor­mal­isierung etwas schiefge­gan­gen sein.)), allerd­ings würde ich das nicht sofort als AdJ-Aus sehen. Das Tablet hat 2012 an Land gewon­nen, beson­ders gegenüber bemut­tern­den Bil­dun­gen, in denen es nur Erst­glied ist. Es ist zwar sprach­lich nicht beson­ders aufre­gend, aber man kann von so einem Anglizis­mus jet­zt auch nicht alles erwarten.

Crowdfunding [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Crowd­fund­ing ist eine direk­te Entlehnung des englis­chen crowd­fund­ing. Wie im Englis­chen beze­ich­net es auch im Deutschen eine Art der Kap­i­talbeschaf­fung, bei der sehr viele Einzelper­so­n­en jew­eils eine kleine Summe beis­teuern und dafür je nach Höhe der Summe eine Gegen­leis­tung erwer­ben — diese kann von ein­er Danksa­gung auf der Fir­men­web­seite oder ein T‑Shirt über ein oder mehrere Exemplar/e des finanzierten Pro­duk­ts bis hin zu einem per­sön­lichen Tre­f­fen mit den Schöpfer/innen des Pro­duk­ts (z.B. Musiker/innen o.ä.) reichen. Typ­is­cher­weise find­et das Crowd­fund­ing über spezielle Web­seit­en, soge­nan­nte Crowd­fund­ing-Plat­tfor­men statt. Weit­er­lesen

posten [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Nachtwerk­er hat uns posten beschert, was zu sein­er „eige­nen Über­raschung“ Runde 1 über­standen hat. Die Skep­sis war nicht unbe­grün­det: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kon­tinuier­liche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kri­teri­um FREQUENZZUWACHS zu inter­pretieren: Und: posten ist wirk­lich nicht unspannend.

Ursprung & Integration

posten hat einen Ein­trag im Duden (und ste­ht natür­lich auf sonem Anglizis­menin­dex, aber der wächst erfahrungs­gemäß schneller, als Sie fail! sagen kön­nen). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post ver­schick­en, zu: post < franzö­sisch poste“. Die konzeptuelle und orthografis­che Par­al­lele zur deutschen Post ist nahe­liegend, ety­mol­o­gisch nicht falsch und kön­nte dazu geführt haben, es beson­ders mit schreiben, aber auch den Alter­na­tiv­en senden oder schick­en ein­deutschen zu wollen (die ganz uner­schüt­ter­lichen schla­gen auch schon mal veröf­fentlichen, kom­men­tieren oder ein­stellen vor).

Des Dudens Aussprachehil­fe ist [poʊstn] (mit [oʊ] an nor­damerikanis­che Vari­etäten angelehnt; im britis­chen Englisch ist es [əʊ]). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bib­lio­thek kurz­er­hand zwei hip­pen jun­gen Men­schen [po:stn] aus dem akustis­chen Jute­beu­tel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegen­satz zur deutschen Post (kurz­er hal­bof­fen­er Vokal) liegt bei posten ein langer hal­bgeschlossen­er Vokal vor. Das ist wenig ver­wun­der­lich: /oʊ/ ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bor­d­mit­tel erset­zen. Das ist ein nor­maler Vor­gang und ist bei Alt-Anglizis­men wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks] statt [kəʊks]). ((Sie sehen, wir näh­ern uns der Fort­set­zung der Keks-Trilo­gie.))

Auch mor­phol­o­gisch fügt sich posten naht­los ins heimis­che Flex­ion­spar­a­dig­ma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostetAnders als bei manchen Entlehnun­gen gibt’s bei posten kaum orthografis­che Ver­wirrung: gepostet ist mit über 5 Mil­lio­nen Google-Tre­f­fern deut­lich vor gepost­ed mit etwa ein­er hal­ben Mil­lion. Das kön­nte an der laut­lich bere­its erfol­gten Inte­gra­tion liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begün­stigt (bei adden beispiel­sweise ist das Ver­hält­nis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilko­r­pus „Wikipedia-Diskus­sio­nen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Tre­f­fern klar vor gepost­ed mit 29.

Schreiben? veröffentlichen? Posten!

Wir posten Fotos, Sta­tus­meldun­gen, Videos oder Links auf Face­book, Beiträge auf Blogs oder Kom­mentare und Tipps in Foren und Mail­inglis­ten. Nun kön­nte man auch sagen, dass man einen Blog­beitrag schreibt, Fotos veröf­fentlichtNachricht­en inner­halb ein­er Mail­inglist sendet/verschickt oder in Foren kom­men­tiert. Zu argu­men­tieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Ren­nen werfen.

Denn wir kön­nen keine Büch­er posten (sehr wohl aber schreibenveröf­fentlichen oder schick­en), Lady Gaga postet keine neue Sin­gle (höch­stens das dazuge­hörige Video), und ob ich einen Kom­men­tar poste oder einen Kom­men­tar kom­men­tiere sind zwei ver­schiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskus­sion eher langweilig.

Neben dem seman­tis­chen Unter­schied, welche nicht-/realen Objek­te ich posten kann oder nicht, liegt eine syn­tak­tis­che Erk­lärung darin, mit welch­er Argu­mentstruk­tur posten über­wiegend assozi­iert ist. Anders als viele poten­tielle Konkur­renten wie schicken/schreiben wird posten meist tran­si­tiv ver­wen­det (das hat es mit veröf­fentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Mei­n­ung (im Forum); sel­tener intran­si­tiv (sie postet oft nachts) und noch sel­tener ditran­si­tiv. Eine ditran­si­tive Ver­wen­dung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Trans­fer implizieren und braucht deshalb einen beson­deren Inter­pre­ta­tion­skon­text: ?ich poste dir mor­gen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Pro­fil ein Video.

Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumin­d­est liegt der Fokus über­haupt nicht darauf, den Trans­fer­vor­gang zu jeman­dem abzuschließen oder zu beto­nen: ich kön­nte mir nen Wolf posten mit Bildern, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos — unab­hängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).

Damit unter­schei­det sich posten grundle­gend von schreiben oder schick­en (wer hat sich eigentlich und übri­gens diese Alter­na­tiv­en aus welchem Ärmel gezo­gen?), die in ihrer pro­to­typ­is­chen Ver­wen­dung ditran­si­tiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assozi­iert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in tran­si­tiv­en Ver­wen­dun­gen wie bei posten das indi­rek­te Objekt fehlt, fehlt natür­lich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.

Und bei schreiben und schick­en (trans.) son­st so? Die Behaup­tung, diese bei­den Alter­na­tiv­en wer­den über­wiegend ditran­si­tiv ver­wen­det, fehlt ein Plau­si­bil­itätskern. Klar, denn sie kön­nen einen Kom­men­tar schreiben, dessen Sig­nale nie­mand wirk­lich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tat­säch­lich URLs und RAW-Dat­en in Ihre Sta­tuszeile bei Face­book? Eben. Die These wäre dann ja noch zusät­zlich, dass man mit posten üblicher­weise das Ver­bre­it­en von Din­gen und Gedanken beze­ich­net, die gar keinen schreiberischen Charak­ter haben, oder, wenn das bei Sta­tus­meldun­gen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunst­werk liegt. Aber selb­st wenn Sie URLs abtip­pen wür­den (nein, nein, es heißt nicht copy & post), beze­ich­nen wir den abgeschlosse­nen oder geplanten Vor­gang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.

Gepostete Daten

Eine lose Belegsamm­lung aus den Wikipedia-Diskus­sio­nen (DeReKo):

Den Link zum Raub­druck-Ver­lag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nach­le­sen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]

Sor­ry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]

darf ich jet­zt trotz­dem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argu­mente einge­he? [WDD11/A00.10032]

Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Males­ta entsprechende Links posten würdest. Vielle­icht wirds dann ja klar­er. [WDD11/A00.16711]

Im übri­gen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wün­scht. [WDD11/A02.06862]

Er hat ihn ein­fach nur aus Prinzip gepostet … typ­isch. [WDD11/A02.82922]

Der Fokus liegt hier natür­lich auf der inter­ak­tiv­en Kom­mu­nika­tion zwis­chen Wikipedia-Autor/in­nen mit erhofften Empfänger/innen, aber die tran­si­tive Ver­wen­dung über­wiegt (Links, Quellen, Beiträge, Mei­n­un­gen). Weil nach gut 100 Bele­gen keine ditran­si­tive Ver­wen­dung zu find­en war, habe ich auf Google expliz­it danach gesucht:

Like & ich poste dir was auf die pin­nwand [Quelle]

ich poste dir meinen skype­na­men pri­vat. [aus einem Coach­ing-Forum]

Ich poste dir mal einen trig­ger mit dem man per aufer­ste­hung Helden wieder­bel­ben kann, den musst du prinzip­iell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gam­ing-Forum, mit Code]

Im Unter­schied zu kom­men­tieren oder veröf­fentlichen ist die ditran­si­tive Ver­wen­dung aber dur­chaus möglich (bei ?Ich veröf­fentliche ihr was auf die Pin­nwand wär ich skep­tisch). In diesen Beispie­len tritt die Trans­ferbe­deu­tung in den Vorder­grund: Inten­tion und ein Fokus auf Emp­fang und Empfänger/in. Denn entwed­er ist posten in der Bedeu­tung von schicken/emailen zu ver­ste­hen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untyp­is­che Ver­wen­dung vor­liegt) oder, wie im let­zten Beispiel, erfüllt das dir eine Funk­tion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.

Vielle­icht ist es ein quan­ti­ta­tiv wack­liger Ver­such. Aber die Ten­denz ist ein­deutig: posten hat sich seman­tisch und konzeptuell und syn­tak­tisch in genau die Lücke geset­zt, die das Web im deutschen Inven­tar geris­sen hat. Von der Beschränkung auf einen irgend­wie konkreten, aber irgend­wie nicht-physikalis­chen Kon­texts natür­lich ganz zu schweigen. 

Fazit (postende)

Bei son­er Wahl sollte man sich immer über­raschen lassen.