Da die „Abschaffung“ des längsten deutschen Wortes sehr viel mehr Aufsehen erregt hat, als ich es mir hätte vorstellen können – Glückwunsch an die dpa, übrigens, die als einzige das Potenzial dieser Meldung erkannt hat – hatte ich gestern viele Anfragen, was denn nun das neue längste Wort des Deutschen sei. Ich ignoriere einmal, dass Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz ja nach wie vor Wörter des Deutschen sind, auch wenn die Gesetze, auf die sie sich beziehen, nicht mehr existieren (eine für mich recht einleuchtende Tatsache, die aber kaum eine/r der Anfragenden teilen mochte (David Charter von der Times erwähnt es in seinem Artikel immerhin). Aber lassen wir die beiden Wörter außen vor, so haben meine (aufgrund der unerwarteten Anfragen eher hastig durchgeführten) Recherchen Folgendes ergeben. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Recherchen
Wider die Winzpartikel!
In der Überschrift eines Beitrags zur Nanotechnologie auf Spektrum.de habe ich heute morgen das Wort Winzpartikel (für Nanopartikel) gelesen. Das Wort hat mich, vor allem auf einer Wissenschaftsseite, etwas befremdet, weil es den verulkenden und gleichzeitig deutschtümelnden Klang typischer Wortschöpfungen der Sprachnörgler hat. Ich bat also die Spektrum-Redaktion per Twitter, das Wort nie wieder zu verwenden, da ich ihr andernfalls „eine wütende E‑Post von meinem Klapprechner“ schreiben würde.
Auf dem Weg zur Arbeit habe ich dann darüber nachgedacht, woher das Wort Winzpartikel wohl stammen mag. Eine Google-Suche ergab eine sehr überschaubare Anzahl von Treffern, sodass sich seine (bislang kurze, hoffentlich bald beendete) Geschichte weitgehend vollständig nachvollziehen lässt. Weiterlesen
Von Tribunen und Tribünen
Am Montag scheiterte bei Wer wird Millionär? ein Kandidat an der „Wortherkunft“ von Tribüne, deren Herleitung RTL immerhin 125.000€ wert gewesen wäre. Was zunächst von RTL als einfach suggeriert und in der Folge von vielen Boulevardjournalisten und Kommentatoren als „offensichtlich“ dargestellt wurde, ist aber etwas komplexer (das Sprachlog twitterte).
Die Frage lautete: Weiterlesen
Von Beamten und Beamtinnen
Die neue Straßenverkehrsordnung ist ja in den letzten Tagen wegen ihrer geschlechtergerechten Sprache von den üblichen Verdächtigen intensiv kritisiert worden. Eine Verlinkung auf die Kritiken erspare ich Ihnen und verlinke stattdessen auf die ausführliche sachliche Diskussion des Lexikografieblogs. Wie dort, und auch in der hier am Freitag diskutierten Pressemeldung des Auto Club Europa angemerkt wird, sind bei der Anpassung vereinzelt Wörter im Maskulinum stehengeblieben. In einigen Fällen, die das Lexikografieblog auflistet, scheint das reine Nachlässigkeit zu sein, da die betreffenden Wörter an anderen Stellen durch geschlechtsneutrale Formulierungen ersetzt wurden, doch bei einem Wort liegt das Problem möglicherweise tiefer. In Paragraf 36, Abs. 1 der StVO heißt es nach wie vor: Weiterlesen
Steile Kurven
Bei Streifzügen durch die MOOC-Welt, Statistiktutorials auf YouTube oder kleinen Programmierselbsthilfeforen stoße ich in letzter Zeit wiederholt auf eine Wortwendung, die mich aber schon immer verwirrt hat: die steile Lernkurve oder vielmehr — da die meisten Onlineangebote auf Englisch vorhanden sind — die der steep learning curve.
Denn ganz offensichtlich warnen alle Dozierenden davor, Kurse und Programme zu unterschätzen: „It will be hard work, as R initially has a steep learning curve“ (‚Es ist harte Arbeit, weil R am Anfang eine steile Lernkurve hat‘). Zu den emotionalen Hürden beim Erlernen einer Programmiersprache mach(t)e ich mir ja keine Illusionen. Was mich aber immer verwirrt hat, war der unklare Bezug des Adjektivs steil. Denn die vielen, vielen Verwendung von steep learning curve suggerieren sofort, dass der Zeitaufwand (t) hoch, der Wissensgewinn (w) aber anfangs frustrierend gering ist. Würde man das aufmalen wollen, wäre die Warnung in diesem Diagramm durch die grüne Linie repräsentiert:
Aber was soll an der grünen Linie besonders steil sein, so zum Anfang? Zum Zeitpunkt (t) habe ich mir nur Wissen (w1) angeeignet. Steil ist dabei doch höchstens die rote Linie, die aber genau das Gegenteil zeigt, nämlich, dass man sich in kürzerer Zeit (t) relativ viel Wissen (w2) aneignen kann. Wollen die mir mit dunkler Weltuntergangsstimme sagen, dass man mit wenig Zeit viel erreicht? Dass man also vor einer Lernkurve warnt, weil sie schnellen Lernerfolg verspricht?
Da stimmt doch was nicht.
Die erste logische Anlaufstelle Wikipedia weiß Bescheid: dort spricht man von einer „akademischen“ Verwendung der Redewendung (Stoffmenge in Abhängigkeit von Zeit, rote Linie) und einem umgangssprachlichen Verständnis, das der „akademisch als korrekt zu betrachtenden Definition“ „diametral“ gegenüber steht. Letzteres entspricht zwar nicht ganz meiner grünkurvig dargestellten Verwirrung, diese ist aber immerhin diametral. ((Auf Wikipedia korreliert man das Laienverständnis mit der sogenannten Blender-Kurve, welche mit anderen Variablen hantiert, die aber, drehte man die Achsen sinnvoll um, in groben Kurven der grünen Linie in Abbildung 1 entspräche.)) Ist das wirklich nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Fach- und allgemeiner Sprachgebrauch nicht übereinstimmen, wenn auch ein besonders extremes?
Nein. Das Durchforsten von Korpora und der Versuch, learning curve ein quantitatives Muster abzuringen, bringen’s ans Licht: hier werden Äpfel und Birnen als Orangen bezeichnet.
Zunächst: Die akademische Interpretation ist zweifellos die mathematische Funktion w(t). Dass man von einer steilen Lernkurve spricht, liegt daran, dass wir das Mehr an Quantität (hier: Lernerfolg) über die Zeit mit einer nach oben gerichteten Linie mit großer ‚Steigung‘ illustrieren. Man kennt diese Darstellung beispielsweise von Börsenkursen: Kursgewinne zeigen nach oben, Verluste nach unten. Solche Diagrammformen sind dabei letztendlich reine Konvention, weil man ja lediglich die mathematische Abhängigkeit einer Variablen von einer anderen abbildet — man könnte das Diagramm um 180° oder auch nur um 90° drehen, ohne Informationsgehalt einzubüßen. Aber dass diese anschauliche Darstellung die intuitivere Konvention ist, liegt daran, dass unsere Wahrnehmung allgemein von der konzeptuellen Metapher MEHR IST OBEN (MORE IS UP) geprägt ist, die auf Erfahrung mit unserer Umwelt basiert: je höher der Stapel Klausuren auf meinem Schreibtisch, desto mehr habe ich zu tun. Deshalb nehmen wir diese Kurven als steil wahr, obwohl steil ja nur ihre Darstellung ist.
Der umgangssprachlichen Verwendung für steile Lernkurve liegt eine ganz ähnliche Motivation zugrunde, die gegenüber der hilfsweisen Darstellung der mathematischen Funktion aber grundlegend metaphorisch ist. Was meinen wir damit? Schauen wir zur Erklärung mal ein paar Beispiele aus dem Corpus of Contemporary American English (COCA) an:
Overall, you’ll face a fairly steep learning curve to master OpenOffice’s eccentricities, but you can’t beat the price.
[Insgesamt haben Sie eine recht steile Lernkurve vor sich, um die Verschrobenheiten von OpenOffice zu meistern, aber der Preis ist unschlagbar.]
„Anybody who rides a mountain bike wants to do what we do, but there’s a really steep learning curve so they usually end up just watching,“ he says.
[„Jede/r, der/die ein Mountainbike fährt, möchte machen, was wir machen, aber das hat eine wirklich steile Lernkurve, weshalb sie meistens nur zusehen.“]
„second Life provides an additional way for students to explore class material, but it doesn’t appeal to everyone.“ A steep learning curve can also discourage students who are not highly motivated to use SL, he says.
[„second Life stellt zusätzliche Möglichkeiten für Studierende bereit, um das Kursmaterial zu erkunden, aber das ist nicht für jede/n attraktiv.“ Eine steile Lernkurve kann Studierende zusätzlich entmutigen, die wenig motiviert sind, SL zu nutzen, sagt er.]
Nahezu alle Belege für learning curve hauen in die gleiche Kerbe: Lernen ist mühsam, aufwändig, anstrengend, mitunter entmutigend. Es überrascht nicht, dass das Nomen learning curve nur ein einziges signifikantes Adjektivkollokat hat: steep. ((Für diese Erkenntnis haben Daten aus der Kollokationsdatenbank des British National Corpus (via BNCweb) hergehalten. Spannweiten von 1;0 bis 5;5. Der Server für COCA ist gerade unten, aber am Wochenende hab ich mir von dort noch schwache Assoziationen zu efficient, upward, shallow und sharp notiert.)) Umgekehrt modifiziert steep — das wird niemanden vom Hocker hauen — überwiegend Nomina der Erhöhung oder des Aufstiegs wie hill, climb, ridgery, rise oder ascent. ((In der Kollokationsliste stehen auch Begriffe der absteigenden Richtung wie cliff, slope, decline oder descent.)) Wir assoziieren Lernen also mit einem Weg (nach oben) zur Erkenntnis. Eine andere Perspektive auf die Beschwerlichkeitskonnotation für steep learning curve ist, dass es häufig in Strukturen auftaucht, die mit dem Verb to face ‚gegenüberstehen‘ eingeleitet werden. In solchen face-Konstruktionen stehen in der Objektposition wiederum signifikant häufig challenges, risks, problems, obstacles, hardships, dilemmas und problems, also eher weniger spaßige Dinge.
Die negative Perspektive aufs Lernen ist auch in der Wikipedia-Definition erwähnt. Dort hat man versucht, die mathematische Definition als positive, die Laienverwendung als negative Einstellung zu deuten. Das ist nicht ganz falsch (abgesehen davon, dass eine mathematisch-quantitative relativ wenig mit ‚positiv‘ oder ‚Einstellung‘ zu tun hat), aber eben eine ungünstige Vermischung von Ebenen. Aber jetzt — um auf die Äpfel und Orangen zurück zu kommen — können wir die Laienverwendung auf konzeptuellen Metaphern zurückführen, also auf die grundlegende kognitiven Strategie, abstrakte Dinge durch greifbare, konkrete Dingen zu konzeptualisieren. Eine bekannte und hier naheliegende, übergeordnete Metapher wäre DAS LEBEN IST EINE REISE (LIFE IS A JOURNEY). Und auf dieser Reihe geht es auf dem WEG zur Erkenntnis eben auch mal mühsam nach oben. Wen diese Idee interessiert, findet in Lakoff & Johnson (1980a, 1980b) eine äußert dankbare Lektüre. Wer mehr so auf bunte Bildchen steht:
Bei der steilen Lernkurve steht nicht der Lernerfolg an sich im Vordergrund (oder dessen Quantifizierung), sondern die Anstrengung a: wenn ich auf dem grünen Pfad mit der flacheren Lernkurve unterwegs bin, hab ich zum Zeitpunkt t (oder wahlweise zum Wissenstand w) mit a1 weniger Anstrengung hinter mir, als wenn ich die rote Route (steile Lernkurve) nehmen muss. Konkrete, physische Empfindungen während einer anstrengenden Bergbesteigung oder eines flauschigen Hügelspaziergangs dienen uns dabei als Quelle zur Verbalisierung abstrakter Emotionen während einer Lernerfahrung. Die Y‑Achse ist zur Verdeutlichung eingezogen: bei der WEG/REISE-Metapher spielt die Quantifizierung — und streitbarerweise sogar der Betrag des Wissenstands — nur eine untergeordnete Rolle. Was bei Lernkurven interessiert ist der Grinsegrad auf dem Weg zur Erkenntnis zum Zeitpunkt t.
Denn wenn ich heute sage, dass R für eine funktionale Technikanalphabetin ne steile Lernkurve hat, sage ich doch überhaupt nichts darüber aus, ob die R‑onautinnen-Ausbildung quantitativ bei mir gefruchtet hat oder nicht.
P.S.: Fürs Deutsche ist die Metaphernstrategie der steilen Lernkurve ähnlich, wenn auch quantitativ offenbar nicht so stark messbar. Als einzige sinnvolle Kollokate spuckt COSMASII aus dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) steil, flach und — öbachtle! — PHP aus. Auch im DWDS sind signifikante Verbindungen für Lernkurve mit lediglich schwachen Assoziationen zu steil eher mager (aber DWDS & DeReKo mit BNC & COCA vergleichen zu wollen, ist für diese Untersuchung ohnehin problematisch). Das Wortschatzportal der Universität Leipzig liefert als auffällige Verbindung rechts von Lernkurve außerdem vor sich, was auf die WEG-Metapher hinweist (sie haben einen weiten Weg vor sich). Der Eindruck ist aber ein wenig, dass die Bergsteigemetapher im Deutschen schwächer ausgeprägt ist und bei Lernkurve häufiger vom mathematischen Konzept die Rede ist.
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Lakoff, George & Mark Johnson. 1980a [2003]. Metaphors we live by. University of Chicago Press. [Auf Deutsch: Leben in Metaphern: Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Carl Auer Verlag.]
Lakoff, George & Mark Johnson. 1980b. Conceptual metaphor in everyday language. Journal of Philosophy 77(8). 453–486. [Link]
Sprachschmuggler in der Wikipedia?
In meiner gestrigen Laudatio zum Anglizismus des Jahres 2012, Crowdfunding, sprach ich meine Vermutung an, dass die vereinzelt zu findende Eindeutschung „Schwarmfinanzierung“ eine Wortschöpfung von Anglizismuskritikern sei, die diese über den Wikipedia-Eintrag zum Crowdfunding zunächst in den journalistischen Sprachgebrauch eingeschleust hätten. Diese Vermutung stützt sich auf die Tatsache, das die früheste Verwendung, des Wortes, die ich finden kann, eben aus diesem Wikipedia-Eintrag, genauer, in der Artikelversion vom 23. März 2011 stammt. Eingetragen wurde es von einem anonymen Nutzer, weshalb die Wikipedia-Software nur die IP-Adresse des Bearbeiters dokumentiert. Eine Überprüfung der Bearbeitungen, die unter dieser IP-Adresse im selben Zeitraum vorgenommen wurden, zeigt, dass außerdem das Schlagwort „Schwarmfinanzierung“ mit einer Weiterleitung auf den Artikel zu Crowdfunding angelegt und das Wort Schwarmfinanzierung in den Eintrag zu einer bestimmten Crowdfundingplattform hinein redigiert wurden. Dass es sich bei dem anonymen Nutzer um einen Sprachkritiker auf Sprachsäuberungsmission handelte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarmfinanzierung“ im Anglizismenindex des Vereins Deutsche Sprache steht (dazu gleich mehr). Weiterlesen
Klein, aber oh yeah! [Anglizismus 2012]
Die Wahl geht in die Endphase — die großen Favoriten wurden und werden in detaillierten Einzelbeiträgen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel setzen, allen Kandidaten, die die erste Runde überstanden haben, ein wenig Raum, ein bisschen Zeit und viel mediale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbesprechung von Wörtern, denen wir zumindest bei dieser Wahl keine größeren Chancen ausgerechnet haben — einigen sogar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.
Tablet [Anglizismus 2012]
Das Tablet ist ein Wiedergänger: Bereits letztes Jahr hat es Anspruch auf den Anglizismusdesjahrestitel erhoben. Wer sich für die ausführliche Besprechung interessiert, sollte sich daher den damaligen Blogbeitrag dazu anschauen – heute untersuche ich, wie sich das Wort seither gemacht hat und ob es 2012 eine Gewinnchance hat.
Rein subjektiv rechne ich mit einer enormen Frequenzzunahme, basierend auf der Beobachtung, dass die Geräte immer häufiger zu sehen und für viele Menschen zu einem Alltagsgegenstand geworden sind.
Ein Blick in die Zeitung bestätigt das:
Erstmals übertraf 2012 das blanke Wort Tablet (grüne Linie) verdeutlichende Zusammensetzungen wie Tablet-PC oder Tablet-Computer (blaue Linie). Das Konzept ist jetzt also fest genug bei der Zeitungsleserschaft verankert, es bedarf sprachlicher Hilfestellung nicht mehr unbedingt. Damit ist eingetreten, was ich letztes Jahr geradezu prophetisch prognostiziert habe – und zwar schneller als gedacht:
Ich wage zu behaupten, dass sich die Form Tablet, falls das Gerät überlebt, auf lange Sicht gegenüber Tablet-Computer durchsetzen wird. Ist kürzer, und wenn man weiß, was gemeint ist, braucht kein Mensch mehr eine deskriptive Benennung.
Diese Zusammensetzungen werden in den kommenden Jahren sicher noch weiter zurückgehen. ((Sag ich jetzt, damit ich bei der AdJ-2013-Nominierung erneut auf meine prophetischen Fähigkeiten verweisen kann.))
Im Gegenzug braucht man mittlerweile mehr Differenzierungsmöglichkeiten, um all die Tablets voneinander unterscheiden zu können: Komposita mit einem Erstglied, das das Tablet näher bestimmt (lila Linie) nehmen weiter zu. In fast allen Fällen wird hier Bezug auf den Hersteller oder Verkäufer (Apple, Aldi, Sony-Tablet, …) oder auf Leistungsfähigkeit und Größe genommen (Highend-, Full-HD-, Sieben-Zoll-, Riesen-Tablet, …).
Zwar war der Anstieg des Wortes Tablet von 2010 nach 2011 viel deutlicher (um 3,8 Prozentpunkte) als der von 2011 nach 2012 (um 2,2 Prozentpunkte) ((Eine Suche über Begriffe im Wandel der ZEIT liefert zwar für Die Zeit einen sprunghaften Anstieg 2012, hier in ich aber skeptisch, was die Datenbasis betrifft. Über den Bugfixing-Modus gelangt man an absolute Zahlen, das sind für 2012 genau 116 Treffer, die sich recht gleichmäßig über das Jahr verteilen (z.B. je 10 im November und Dezember). Hier muss also bei der Normalisierung etwas schiefgegangen sein.)), allerdings würde ich das nicht sofort als AdJ-Aus sehen. Das Tablet hat 2012 an Land gewonnen, besonders gegenüber bemutternden Bildungen, in denen es nur Erstglied ist. Es ist zwar sprachlich nicht besonders aufregend, aber man kann von so einem Anglizismus jetzt auch nicht alles erwarten.
Crowdfunding [Anglizismus 2012]
Das Wort Crowdfunding ist eine direkte Entlehnung des englischen crowdfunding. Wie im Englischen bezeichnet es auch im Deutschen eine Art der Kapitalbeschaffung, bei der sehr viele Einzelpersonen jeweils eine kleine Summe beisteuern und dafür je nach Höhe der Summe eine Gegenleistung erwerben — diese kann von einer Danksagung auf der Firmenwebseite oder ein T‑Shirt über ein oder mehrere Exemplar/e des finanzierten Produkts bis hin zu einem persönlichen Treffen mit den Schöpfer/innen des Produkts (z.B. Musiker/innen o.ä.) reichen. Typischerweise findet das Crowdfunding über spezielle Webseiten, sogenannte Crowdfunding-Plattformen statt. Weiterlesen
posten [Anglizismus 2012]
Nachtwerker hat uns posten beschert, was zu seiner „eigenen Überraschung“ Runde 1 überstanden hat. Die Skepsis war nicht unbegründet: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kontinuierliche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kriterium FREQUENZZUWACHS zu interpretieren: Und: posten ist wirklich nicht unspannend.
Ursprung & Integration
posten hat einen Eintrag im Duden (und steht natürlich auf sonem Anglizismenindex, aber der wächst erfahrungsgemäß schneller, als Sie fail! sagen können). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post verschicken, zu: post < französisch poste“. Die konzeptuelle und orthografische Parallele zur deutschen Post ist naheliegend, etymologisch nicht falsch und könnte dazu geführt haben, es besonders mit schreiben, aber auch den Alternativen senden oder schicken eindeutschen zu wollen (die ganz unerschütterlichen schlagen auch schon mal veröffentlichen, kommentieren oder einstellen vor).
Des Dudens Aussprachehilfe ist [poʊstn]
(mit [oʊ]
an nordamerikanische Varietäten angelehnt; im britischen Englisch ist es [əʊ]
). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bibliothek kurzerhand zwei hippen jungen Menschen [po:stn]
aus dem akustischen Jutebeutel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegensatz zur deutschen Post (kurzer halboffener Vokal) liegt bei posten ein langer halbgeschlossener Vokal vor. Das ist wenig verwunderlich: /oʊ/
ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bordmittel ersetzen. Das ist ein normaler Vorgang und ist bei Alt-Anglizismen wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks]
statt [kəʊks]
). ((Sie sehen, wir nähern uns der Fortsetzung der Keks-Trilogie.))
Auch morphologisch fügt sich posten nahtlos ins heimische Flexionsparadigma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostet. Anders als bei manchen Entlehnungen gibt’s bei posten kaum orthografische Verwirrung: gepostet ist mit über 5 Millionen Google-Treffern deutlich vor geposted mit etwa einer halben Million. Das könnte an der lautlich bereits erfolgten Integration liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begünstigt (bei adden beispielsweise ist das Verhältnis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilkorpus „Wikipedia-Diskussionen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Treffern klar vor geposted mit 29.
Schreiben? veröffentlichen? Posten!
Wir posten Fotos, Statusmeldungen, Videos oder Links auf Facebook, Beiträge auf Blogs oder Kommentare und Tipps in Foren und Mailinglisten. Nun könnte man auch sagen, dass man einen Blogbeitrag schreibt, Fotos veröffentlicht, Nachrichten innerhalb einer Mailinglist sendet/verschickt oder in Foren kommentiert. Zu argumentieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Rennen werfen.
Denn wir können keine Bücher posten (sehr wohl aber schreiben, veröffentlichen oder schicken), Lady Gaga postet keine neue Single (höchstens das dazugehörige Video), und ob ich einen Kommentar poste oder einen Kommentar kommentiere sind zwei verschiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskussion eher langweilig.
Neben dem semantischen Unterschied, welche nicht-/realen Objekte ich posten kann oder nicht, liegt eine syntaktische Erklärung darin, mit welcher Argumentstruktur posten überwiegend assoziiert ist. Anders als viele potentielle Konkurrenten wie schicken/schreiben wird posten meist transitiv verwendet (das hat es mit veröffentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Meinung (im Forum); seltener intransitiv (sie postet oft nachts) und noch seltener ditransitiv. Eine ditransitive Verwendung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Transfer implizieren und braucht deshalb einen besonderen Interpretationskontext: ?ich poste dir morgen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Profil ein Video.
Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumindest liegt der Fokus überhaupt nicht darauf, den Transfervorgang zu jemandem abzuschließen oder zu betonen: ich könnte mir nen Wolf posten mit Bildern, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos — unabhängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).
Damit unterscheidet sich posten grundlegend von schreiben oder schicken (wer hat sich eigentlich und übrigens diese Alternativen aus welchem Ärmel gezogen?), die in ihrer prototypischen Verwendung ditransitiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assoziiert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in transitiven Verwendungen wie bei posten das indirekte Objekt fehlt, fehlt natürlich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.
Und bei schreiben und schicken (trans.) sonst so? Die Behauptung, diese beiden Alternativen werden überwiegend ditransitiv verwendet, fehlt ein Plausibilitätskern. Klar, denn sie können einen Kommentar schreiben, dessen Signale niemand wirklich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tatsächlich URLs und RAW-Daten in Ihre Statuszeile bei Facebook? Eben. Die These wäre dann ja noch zusätzlich, dass man mit posten üblicherweise das Verbreiten von Dingen und Gedanken bezeichnet, die gar keinen schreiberischen Charakter haben, oder, wenn das bei Statusmeldungen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunstwerk liegt. Aber selbst wenn Sie URLs abtippen würden (nein, nein, es heißt nicht copy & post), bezeichnen wir den abgeschlossenen oder geplanten Vorgang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.
Gepostete Daten
Eine lose Belegsammlung aus den Wikipedia-Diskussionen (DeReKo):
Den Link zum Raubdruck-Verlag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nachlesen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]
Sorry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]
darf ich jetzt trotzdem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argumente eingehe? [WDD11/A00.10032]
Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Malesta entsprechende Links posten würdest. Vielleicht wirds dann ja klarer. [WDD11/A00.16711]
Im übrigen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wünscht. [WDD11/A02.06862]
Er hat ihn einfach nur aus Prinzip gepostet … typisch. [WDD11/A02.82922]
Der Fokus liegt hier natürlich auf der interaktiven Kommunikation zwischen Wikipedia-Autor/innen mit erhofften Empfänger/innen, aber die transitive Verwendung überwiegt (Links, Quellen, Beiträge, Meinungen). Weil nach gut 100 Belegen keine ditransitive Verwendung zu finden war, habe ich auf Google explizit danach gesucht:
Like & ich poste dir was auf die pinnwand [Quelle]
ich poste dir meinen skypenamen privat. [aus einem Coaching-Forum]
Ich poste dir mal einen trigger mit dem man per auferstehung Helden wiederbelben kann, den musst du prinzipiell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gaming-Forum, mit Code]
Im Unterschied zu kommentieren oder veröffentlichen ist die ditransitive Verwendung aber durchaus möglich (bei ?Ich veröffentliche ihr was auf die Pinnwand wär ich skeptisch). In diesen Beispielen tritt die Transferbedeutung in den Vordergrund: Intention und ein Fokus auf Empfang und Empfänger/in. Denn entweder ist posten in der Bedeutung von schicken/emailen zu verstehen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untypische Verwendung vorliegt) oder, wie im letzten Beispiel, erfüllt das dir eine Funktion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.
Vielleicht ist es ein quantitativ wackliger Versuch. Aber die Tendenz ist eindeutig: posten hat sich semantisch und konzeptuell und syntaktisch in genau die Lücke gesetzt, die das Web im deutschen Inventar gerissen hat. Von der Beschränkung auf einen irgendwie konkreten, aber irgendwie nicht-physikalischen Kontexts natürlich ganz zu schweigen.
Fazit (postende)
Bei soner Wahl sollte man sich immer überraschen lassen.