In meinem Kommentar zu round about letzte Woche erwähnte ich als Umschreibung von round about als ‚ungefähr‘ beiläufig um und bei. Das führte im Kommentarzimmer zu Verwunderung: gibt’s das überhaupt? Wenn ja, wo? Nie gehört! Nun ist mir die Wendung intuitiv so geläufig und ich glaub(t)e auch nicht, dass sie als dialektal markiert ist (sonst hätte ich sie so oder so nicht verwendet). Aber ich habe eine linguistisch bewegte erste Lebenshälfte in zwei sehr unterschiedlichen Dialektregionen hinter mir, dass es mir offenbar besonders leicht fällt, angenommene Regionalismen wie Standardsprache zu behandeln. Weiterlesen
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Passive Prinzessinnen, oder: Die Grammatik der Geburt
Als königliche Familie hast du es ja nicht leicht: du hast nichts Vernünftiges gelernt und bist auf den Job deshalb dringend angewiesen, und den Job hast du halt nur, solange du den Leuten einreden kannst, dass du etwas besonderes bist. Deshalb hängst du in Palästen ab, läufst mit Krone und Zepter durch die Gegend und sprichst und schreibst, als ob du sprachlich aus der Zeit gefallen bist und dir dabei ordentlich den Kopf gestoßen hast.
Wenn zum Beispiel eine deiner Prinzessinnen ihr zweites Kind bekommt, dann schreibst du in der Pressemeldung nicht einfach so einen schönen aktiven Satz wie The Duchess of Cambridge has given birth to her second child, in dem du klar zum Ausdruck bringst, wer hier etwas geleistet hat (die Duchess), und was es war (ein Kind gebären). So etwas schreibt vielleicht eine gewöhnliche Zeitung, und so etwas würde jeder normale Mensch (sprich: Untertan) sagen. Aber als Königshaus fabrizierst du stattdessen folgenden Satz:
Her Royal Highness The Duchess of Cambridge was safely delivered of a daughter at 8.34am. [Pressemeldung des Britischen Königshauses, auch per Twitter.
Die Passivkonstruktion was delivered of a daughter klingt gediegen altmodisch und damit very royal – und sie hat den Vorteil, dass ihre ex-bürgerliche königliche Hoheit, die Gräfin von Cambridge, als eher unbeteiligt an der ganzen Sache dargestellt wird. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, sondern sie ist (wörtlich übersetzt) „von einem Kind befreit worden“. Das passt erstens gut dazu, dass die eingeheiratete (und im Fall der Fälle jederzeit entsorgbare) Gräfin ja eigentlich nur als vorübergehendes Gefäß für das waschechte, in der Thronfolge immerhin an vierter Stelle stehende Königskind gedient hat, und zweitens dazu, dass Frauen sich bei Geburten sowieso nicht immer so in den Vordergrund drängen sollen. Weiterlesen
Photobombing: Kandidat für den Anglizismus 2014
Wie jedes Jahr im Januar beteiligen wir uns an der Wahl zum Anglizismus des Jahres, indem wir die Kandidaten der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bereits abgehandelt haben wir Social Freezing, Phablet, Big Data, Internet of Things und Smartwatch, heute ist Photobombing an der Reihe.
Normalmenschen und Stars tun es, Tiere tun es, die Queen hat es getan ((Dank an @pia_pe)) und, breaking news, Miss Israel ((Dank an @erbloggtes)) … ja, was eigentlich genau? Das Photobombing, im Deutschen auch Photobomben, bezeichnet, wie Menschen (oder Tiere) ein Fotomotiv durch ihre Anwesenheit »sprengen«. Dabei können sie sich unbemerkt im Hintergrund verstecken oder sich vor das Motiv drängen, und die Motivationen könnten unterschiedlicher nicht sein: Aus Spaß, aus Bosheit, zu Werbezwecken, aus Versehen. Eine kunst- oder kulturgeschichtliche Betrachtung der ganzen Angelegenheit würde mich sehr interessieren — während bei Privatfotos bestimmte Situationen (z.B. Hochzeit und Strandurlaub) sowie bestimmte Störelemente (z.B. nackte Hintern und Erektionen) sehr häufig wiederkehren, bleiben Stars eher auf dem roten Teppich oder einer Party und schneiden ein wenig Grimassen. Das genügt schon, allein ihre Berühmtheit sorgt für die Explosion des Bildes.
Das Phänomen des Photobombings gibt es in verschiedenen Spielarten schon lange — z.B. in Form der beliebten »Hasenohren« ((Die Unterschrift zu diesem Foto suggeriert, dass Hasenohren und Photobombing etwas Verschiedenes sind, ebenso gibt es aber anderswo auch ganz viele Fälle von Hasenohren, die als Photobombing klassifiziert werden.)) –, benannt wird es dagegen erst in neuerer Zeit. ((Hier ein Text, in dem die Autorin sich Gedanken dazu macht, wie ältere Fotos nach Aufkommen der Bezeichnung neu interpretiert und rezipiert werden.))
Wann wurde die erste Photobomb gezündet?
Die Suche im englischen Sprachraum legt nahe, dass das Wort dort noch nicht alt ist Weiterlesen
Kandidaten für den Anglizismus 2014: Internet of Things
Wie jedes Jahr im Januar beteiligen wir uns an der Wahl zum Anglizismus des Jahres, indem wir die Kandidaten der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bereits abgehandelt haben wir Social Freezing, Phablet und Big Data, heute ist Internet of Things an der Reihe.
In meinem Freundeskreis kursiert seit Jahren ein irres Konzept: Mehmet, Maike und Amaru haben sich irgendwann überlegt, dass man zusammengehörige Socken per RFID wiedervereinigen könnte und dann gleich weiter, dass auch die Auswahl passender Kleidungsstücke darüber erfolgen könnte. Das ging so weit, dass ein Ampelsystem bei Wetter- oder Modeuntauglichkeit das Verlassen der Wohnung verhinderte (rot) oder hinterfragte (gelb, “Wollen Sie das wirklich tun?”).
Irgendwann fanden die drei heraus, dass das alles gar nicht so weit ab der Wirklichkeit war — und ich fand heraus, dass es zum Internet of Things gehört, unseren heutigen Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2014: Weiterlesen
Sprachdatenrätsel: ’s Gribbili un’s Gripfli
Nun hatten wir es erst vorgestern von der Krippen, da geht es schon heute mit dem selben Wort in eine ganz andere Richtung:
Zum Fest hat mein Vater die Weihnachtskrippe vom Speicher geholt und entstaubt — wir hatten die seit sicher 15 Jahren nicht mehr aufgestellt. Da mein Vater gelernter Elektromeister ist, besitzt unsere Krippe natürlich auch Strom in Form zweier kleiner Glühbirnen, die tatsächlich die ganze Zeit unbeschadet überstanden haben. Und da mein Bruder seine Katzen mitgebracht hat, war das Gras um die Krippe herum in kurzer Zeit ziemlich zerfressen. All das bot ausreichend Gelegenheit, über diese Weihnachtskrippe zu sprechen, und als dann am 24. beim Abendessen zum ungefähr fünfzigsten Mal das Wort dafür fiel, wurde ich stutzig: Meine Eltern sprachen die ganze Zeit vom Gribbili, also wörtlich ‘Krippelein’.
Zunächst mal war interessant, dass diese Verkleinerungsform im alemannischen Dialekt meiner Eltern den Normalfall darstellt. Eine Weihnachtskrippe, darauf beharrten sie eisern, kann man gar nicht ohne li-Endung (der dialektalen Entsprechung von -lein) bezeichnen, es gibt keine Gribb. Also so wie Mädchen oder Eichhörnchen im Standarddeutschen, für die nutzt man auch keine unverkleinerte Form.
Dann war interessant, dass eine unchristliche Futterkrippe mit einem anderen Wort bezeichnet wird: Gripf.
Und dann wurde es richtig spannend: Weiterlesen
Helikopterschwärme
In der WELT schreibt Matthias Heine davon, dass ein gutes deutsches Wort die Fliege mache: der Hubschrauber (und vom Helikopter ersetzt wird). Daran hegte Leserin Viola Zweifel und fragte Anatol, ob er sich der Frage in einer ruhigen Minute annehmen könnte. Ruhige Minuten sind momentan leider rar gesät, aber da ich heute keine Vorlesung habe (wie Anatol) und auch keine Buchreise (wie Kristin), hier die Ergebnisse meiner kleinen Fingerübung. Weiterlesen
Israel und die Hamas im Spiegel deutscher Schlagzeilen
Hinweis: Eine neuere Version des unten stehenden Textes mit einer umfassenderen Analyse auf einer breiteren Datengrundlage ist hier erschienen.
Die Presseberichte der letzten Tage aus Israel und dem Gazastreifen haben viele Menschen in meinen sozialen Netzwerken als unausgewogen empfunden: viele waren der Ansicht, die deutsche Presse berichte nicht angemessen über den sogenannten „Nahost-Konflikt“ sondern bewerte die israelische Seite übermäßig negativ und interessiere sich hauptsächlich für Angriffe Israels auf Ziele im Gazastreifen, aber nicht für Angriffe der Hamas auf Israel. Da mir dieser Vorwurf im Zusammenhang mit der Israel-Berichterstattung nicht zum ersten Mal begegnet, habe mich gefragt, ob dieser Eindruck stimmt, oder ob er das Ergebnis selektiver Wahrnehmung ist – die wenigsten von uns analysieren ja systematisch die Berichterstattung tagesaktueller Ereignisse, und die eigene Perspektive kann sich deshalb ja leicht zu einem falschen Gesamteindruck verfestigen.
Um das zu überprüfen, habe ich heute morgen auf Google News die Suchbegriffe Israel und Hamas eingegeben, und die Überschriften der jeweils 25 ersten Treffer analysiert (da einige Meldungen natürlich bei beiden Suchbegriffen auftauchten, waren das 37 Überschriften; sie sind alle am Ende des Beitrags aufgelistet). Ich konzentriere mich auf die Überschriften, weil sie erstens der Teil der Presseberichte sind, der am stärksten Wahrgenommen wird (vor allem in sozialen Netzwerken, wo außer Überschriften häufig nicht viel gelesen wird), und weil sie zweitens die Perspektive oder den Frame verdeutlichen, die ein bestimmtes Medium uns auf die Ereignisse vermitteln will. Weiterlesen
Von männlichen Körperteilen
Andere schwenken Fahnen, ich korrigiere Fahnen – und bin dabei auf ein Wort gestoßen, das auch in der Fußballwelt auftaucht: Das Körperteil. So lesen wir in der taz über den Freistoß:
Wenn dann noch Cristiano Ronaldo den Ball tritt, ist es egal, welches Körperteil getroffen wird, es ist ab.
Und die Schweizer Tageswoche meldet:
Und so ist den Ronaldo-Beobachtern und ‑Bewunderern auch nicht entgangen, dass sich der Mann von Champions-League-Sieger Real Madrid immer wieder mal an das linke Knie fasst. Es ist – zumindest bei den Anhängern der portugiesischen Nationalmannschaft – das meistbeachtete Körperteil des Ausnahmefussballers.
Die Augsburger Allgemeine hingegen hat einen Mannschaftsarzt gefragt
Was sind die häufigsten Verletzungen in einem Fußballerleben, welcher Körperteil ist am anfälligsten?
und stürzt uns damit in eine grammatische Krise: Während Körperteile in fast allen Medienberichten ein neutrales Genus (das) tragen, erkundigt man sich hier nach einem maskulinen Körperteil (der). So war’s auch in meinem Manuskript, wo ich das geschrieben und jetzt in den Fahnen der gefunden habe.
Was würden Sie spontan sagen? Neutrum? Maskulinum? Oder klingt beides gut? Weiterlesen
Kaiser, König, Edelmann …
Hier im Sprachlog gab es ja mal so eine sprachgeschichtliche Komponente, nicht? Die kommt jetzt mit voller Kraft zurück! In den letzten Monaten war ich hier sehr zurückhaltend, weil all meine Lust daran (und vor allem Zeit dafür), Sprachwissenschaftliches allgemeinverständlich zu erklären, in ein Buchprojekt geflossen ist. Mittlerweile ist das beinahe abgeschlossen und im September kommt es raus – hier die Verlagsankündigung. Der Beschreibungstext ist etwas kryptisch, aber letztlich mache ich darin Sprachgeschichte an der Geschichte ausgewählter Wörter sichtbar. Die Etymologien sind also der Aufhänger, dahinter verbirgt sich ein zwar assoziativer, aber systematischerer Blick auf (vor allem) Laut- und Bedeutungswandel und den Wortschatz.
Auf dem (sehr steinigen!) Weg zum fertigen Produkt mussten immer wieder einzelne Kapitel dran glauben, und da ich so schnell sicher kein zweites Etymologiebuch schreiben werde, werde ich die in den nächsten Monaten nach und nach verbloggen – natürlich neu angepasst ans Medium. Los geht es mit der Geschichte von Kaiser und Zar, die nicht nur ähnlich mächtig sind, sondern auch noch beide einer gemeinsamen sprachlichen Quelle entspringen, und mit dem König, hinter dem Zeugung, Geburt und Geschlecht stehen.
Ein Name wird Programm
Den Kaiser als Herrscher haben wir uns in Rom abgeschaut. Dort gab es einst einen gewissen Gaius Julius Caesar, seines Zeichens enorm einflussreicher Chef des römischen Reichs – so einflussreich, dass sein Name Programm wurde. Bei der römischen Bevölkerung setzte sich Caesar als generelle Bezeichnung für ihren Herrscher durch − selbst als der schon wieder ganz andere Namen trug. Das verlief also ähnlich wie bei den Produktnamen Tempo oder Tesa, die heute an jeder Art von Papiertaschentuch oder Klebestreifen haften können: Ein herausragender Vertreter wird zur Bezeichnung einer ganzen Gruppe gleichartiger Menschen oder Gegenstände.
Dann kamen die germanischen Völker an und Weiterlesen
Bibelstunde
Als wir in meinem Seminar letztens Methoden der empirischen Sprachwissenschaft besprochen haben, stellte ich ein paar simple Werkzeuge der Korpuslinguistik vor. Zur Illustration habe ich die Bibel in ein sogenanntes Konkordanzprogramm geladen und als Suchwort lord
(‚Herr‘) eingegeben. Weiterlesen