Sprachlich drehte sich die öffentliche Diskussion in dieser Woche vorrangig um das Unwort des Jahres, Opfer-Abo, das Susanne am Dienstag bereits besprochen hat. Ich kann mich ihrer Bewertung anschließen und will hier nur einen Nebenaspekt nachreichen. Die TAZ erwähnt in ihrer Meldung zum Unwort, dass das Wort Opfer „in der Jugendsprache eine schwache, dumme oder unterlegene Person“ bezeichne, die „an ihrer schlechten Behandlung selber Schuld“ sei. Ich bin mehrfach darauf angesprochen worden, a) ob das stimme und b) wie es dazu kommen konnte. Die erste Antwort ist einfach: Ja, es stimmt, sogar der DUDEN führt die Bedeutung „Schwächling, Verlierer (besonders als Schimpfwort)“ als „abwertenden“ Begriff der Jugendsprache auf. Die zunächst ungewöhnlich erscheinende Verschiebung im Wortgebrauch ergibt sich dabei nicht vorrangig aus einer Veränderung der früheren Wortbedeutung „jemand, der durch jemanden, etwas umkommt, Schaden erleidet“ — diese Bedeutung bleibt ja auch in der jugendsprachlichen Verwendung erhalten. Was sich verändert hat, ist das hinter dem Sprachgebrauch stehende Wertesystem: in einer Gesellschaft, in der Menschen füreinander einstehen, sind Opfer Menschen, denen etwas Schreckliches zugestoßen ist, weil wir nicht ausreichend auf sie aufgepasst haben, und denen deshalb unsere Fürsorge und unser Mitgefühl gilt. In einer Gesellschaft, in der jeder für sich versucht, auf der gesellschaftlichen Leiter möglichst weit nach oben zu klettern, sind Opfer Menschen, die zu schwach für diesen brutalen Kletterwettbewerb waren, und die wir dafür verhöhnen, um ja nicht mit ihnen gleichgesetzt zu werden. Und unsere Jugendlichen haben offensichtlich sehr genau erkannt, welches dieser beiden Gesellschaftsmodelle wir ihnen vorleben. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Randbemerkungen
Sprachbrocken 1/2013
Ich bin ein wenig enttäuscht: Da beugt sich ein Verlag dem Meinungsterror der Gutmenschen und zerstört unwiderbringich einen bis dato sakrosankten Text, ein unverzichtbares Zeitzeugnis der deutschen Mythologie, und das deutsche Feuilleton schweigt. Kein weißer Ritter, der zum Endkampf um die Meinungshoheit — entschuldigung, Meinungsfreiheit (Freudsche Fehlleistung, ist mir so durchgerutscht) bläst, niemand, der, wenn er das Abendland schon nicht vor dem Untergang bewahren kann, wenigstens mit fliegenden Druckfahnen mit ihm untergeht.
[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele rassistischer Sprache.] Weiterlesen
Sprachbrocken 52/2012
Die CDU ist ohne Frage die deutschtümelndste Partei im deutschen Bundestag, wie sich unter anderem am Wunsch erkennen lässt, Deutsch notfalls auch gegen die eigene Kanzlerin im Grundgesetz zu verankern (das Sprachlog berichtete). Aber ab und zu wagt sich jemand aus ihren Reihen hervor, um eine Lanze für die englische Sprache zu brechen, und dann kann man absolut sicher sein, dass das aus den falschen Gründen geschieht. Vor einigen Jahren wollte Günther Oettinger Englisch zur Sprache des Berufslebens machen und das Deutsche in die Sphäre des trauten Heims verbannen, und jetzt hat Wolfgang Schäuble ein Plädoyer für das Englische gehalten: Die „Sprache der europäischen Einigung“ sei es. Und warum? Wie vor ihm Oettinger beruft er sich auf die Bedarfe der Wirtschaft — „in global agierenden Unternehmen“ werde eben „nur noch Englisch gesprochen“. Sein eigenes Englisch schätzt er übrigens realistisch ein: Er bedauert diejenigen, die es ertragen müssen (und zwar zu recht). Weiterlesen
Sprachbrocken 51/2012
Alle Jahre wieder wendet sich Hans Zehetmair, Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, an die Presse um den Verfall der deutschen Sprache zu beklagen. Dieses Jahr beschwert er sich über „Recycling-Sprache“, den SMS-bedingten Mangel an „Gefühl und Herzlichkeit“ und über englische Wörter, „die man ebenso auch auf Deutsch formulieren könnte“. Und natürlich benennt er schonungslos die Verantwortlichen für den Sprachverfall: die Jugend von heute und ihre iPads, auf denen sie die Sprache Schillers und Goethes regelrecht kaputt twittern. Weiterlesen
Sprachbrocken 49/2012
Die Nachricht der Woche war zweifellos, dass sich zur Liste der twitternden Staatsoberhäupter auch der Monarch des kleinsten Staates des Welt hinzugesellt: Josef Ratzinger, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Benedikt XVI — oder eben @pontifex, wie der twitternde Teil der Bevölkerung ihn vermutlich bald auch im Real Life nennen wird. Der hat zwar seit Eröffnung seines Twitterkontos noch keinen einzigen Tweet geschrieben, das aber dafür in gleich sieben Sprachen: Englisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Italienisch, Französisch und Arabisch. Weiterlesen
Sprachbrocken 48/2012
Wo Deutsche, Schweizerinnen und Östereicherinnen ((Der Einfachheit halber werden in diesem Text die femininen Formen verwendet; Männer sind selbstverständlich mitgemeint.)) Fäkalausdrücke verwenden, um ihren Unmut zu Äußern, verwenden unsere Nachbarinnen in Europa bevorzugt Wörter aus dem Bedeutungsfeld „Geschlechtsverkehr“. Zumindest behauptet das der Freiburger Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger, dessen Buch „Das Feuchte & Das Schmutzige“ der Schweizer TAGESANZEIGER bespricht. Weiterlesen
Sprachbrocken 15/2012
Auf dem Bundeskongress der Altphilologen in Erfurt hat der Österreichische Bildungsminister Karlheinz Töchterle eine überraschende aber höchst plausible Lösung für die „derzeitige Krise“ im Bildungssystem präsentiert: Mehr Lateinunterricht! Denn gerade in Krisenzeiten, so zitiert die Thüriger Allgemeine den promovierten Altphilologen, seien häufig sprachliche und literarische Rückbesinnungen zu beobachten. Außerdem vermutet er positive Auswirkungen auf die Muttersprache der Schüler/innen: „Mit Latein können Schüler modellhaft lernen, wie Sprache funktioniert und damit die eigene Sprache mit ihrer Grammatik besser verstehen.“ Nennt mich verrückt, aber könnten sie nicht auch anhand ihrer eigenen Sprache(n) modellhaft lernen, wie Sprache funktioniert? Und hätte das nicht den Vorteil, dass die Unterrichtszeit, die sonst auf das Erlernen einer toten Sprache verschwendet würde, für Nebensächlichkeiten wie moderne Fremdsprachen zur Verfügung stünde, an denen man modellhaft lernen könnte, wie man sich mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen unterhält?
Andererseits könnte ein wenig klassische Bildung den einen oder anderen Shitstorm verhindern. Wir erinnern uns, wie es dem Firmensprecher von Schlecker (kennen Sie Schlecker noch?) seinerzeit beinahe gelungen wäre, durch ein klares Bekenntnis zu einem an der Sprachkunst der Antike orientieren Sprachstil die Empörung über die Tatsache, dass er die Kunden seiner Firma für dumm und ungebildet hielt, schon im Keim zu ersticken. Wie ungeschickt erscheint im Vergleich zu dieser altphilologischen Eleganz die Antwort „roflcopter gtfo“, mit der die Piratenpartei dieser Tage auf das absolut nachvollziehbare Ansinnen eines selbsternannten Parteinamenwarts reagierte, sie mögen doch bitte ihren Namen in etwas weniger piratiges ändern. Dass hier kein Shitstorm losbrach, lag sicher nur daran, dass niemand wusste, was dieses kryptische Akronym bedeuten könnte. Der Westen schuf flugs Abhilfe, in dem er einen „Grundwortschatz zum Chatten“ veröffentlichte. Darin wird ausfühlich diskutiert, was roflcopter bedeutet, und auch geheimnisvolle Neuwörter wie lol, nope und sry werden erläutert. Was gtfo heißt, mochte man den Leser/innen wohl nicht zumuten. Wir sind weniger zimperlich: Es bedeutet in etwa „Extra omnes, vel pedicabo ego vos et irrumabo“.
Aber es gibt Hoffnung: Zwar verfällt der Sprachgebrauch der Jungend mit zunehmender Geschwindigkeit, aber dafür, berichtet die AFP, haben französische Forscher gezeigt, dass Paviane lesen können. Na gut, nicht „lesen“, eher „Kombinationen von Buchstaben von anderen Kombinationen von Buchstaben unterscheiden“, was aber natürlich weniger catchy klingt. Aber immerhin bedeutet das, dass man in der Pressestelle der Piratenpartei einen Pavian beschäftigen könnte, um den ausgehenden E‑Mail-Verkehr auf potenziell injuriöse Akronyme zu kontrollieren. Er könnte sogar das beleidigende GTFO vom frölich-harmlosen TGIF und das anstößige WTF vom lobenden FTW unterscheiden. Fäkalausdrücke im mündlichen Sprachgebrauch könnte so ein Pavian leider nicht verhindern, dafür bräuchte man mindestens einen Ältestenrat.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gastbeitrag hier, wo auch Kommentare dazu zu finden sind.]