Über die religiösen Mythen exotischer Kulturen kursieren ja die wildesten Gerüchte, was häufig daran liegt, dass sie in ebenso exotischen Sprachen abgefasst sind und dass es keine Übersetzungen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilenstein des interkulturellen Verständnisses zu feiern, der diese Woche bekannt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung“ (bei Fundamentalisten aus nicht nachvollziehbaren Gründen als „Episode I“ bekannt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Navajo übersetzt. Damit wird dieses urtümliche und schwer verständliche Epos erstmals Mitgliedern einer fortgeschrittenen Zivilisation zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Einblicke in das spirituelle Leben der sogenannten „Amerikaner“ (die sich selbst nur People, also grob übersetzt „Menschen“ nennen) erhalten. Weiterlesen
Archiv der Kategorie: Randbemerkungen
Sprachbrocken 16/2013
Während die römisch-orthodoxe Kirche sich mit Jorge Mario Mergoglio aka Franziskus I schon des zweiten twitternden Papstes in Folge rühmen kann, muss ihr russisches Gegenstück wohl auf absehbare Zeit ohne Kurznachrichten ihres Oberhaupts auskommen. Wie die Nachrichtenagentur RIA NOVOSTI berichtet, hält Wladimir Michailowitsch Gundjajew aka Kyril I nichts von der „Twitter-Sprache“, dem „Twitter-Stil“ und vor allem wohl dem „Twitter-Tempo“, das die Welt heutzutage erwarte. Seelsorge sei wichtiger als prompte Reaktionen auf aktuelle Ereignisse. Der Pontifex sieht das ja offensichtlich anders: Statt, wie sein Vorgänger, nur Kalendersprüche zu twittern, bat er vorgestern seine Schäfchen darum, mit ihm gemeinsam für die Opfer der Explosion in einer texanischen Düngemittelfabrik zu beten. Nett gemeint, zweifelsohne, aber schwer nachvollziehbar, warum ausgerechnet dieses Ereignis – und ausschließlich dieses – seiner Aufmerksamkeit würdig ist. Weiterlesen
Anaphern und Bedienungsanleitungen: Unsinn in der Zeit
In der Hochschulspielecke von Zeit online findet sich viel Belangloses — aber der aktuelle Test, mit dem man herausfinden können soll, ob man eine Germanistik-Einführungsvorlesung überstehen würde, zeugt darüber hinaus von sprachwissenschaftlicher Unkenntnis, die sich mit simplem Googeln hätte beseitigen lassen.
In drei Fragen geht es um linguistische Inhalte, zwei davon sind mit den gegebenen Optionen nicht beantwortbar. Bei der einen kann ich den Fehler noch einigermaßen zugestehen, woher soll man auch wissen, dass LiteraturwissenschaftlerInnen und SprachwissenschaftlerInnen ein und denselben Begriff in zwei verschiedenen Bedeutungen verwenden?
Unter einer Anapher verstehen Sprachwissenschaftler…
o ein Wort, das sich am Anfang mehrerer aufeinanderfolgender Sätze wiederholt.
o die Wiederholung desselben Konsonanten am Anfang mehrerer Wörter in einem Satz.
o die Wiederholung desselben Lautes in aufeinander folgenden Wörtern.
SprachwissenschaftlerInnen wie ich sie kenne, verstehen unter einer Anapher nichts von alldem, sondern einen Ausdruck, der auf dasselbe referiert wie ein zuvor schon verwendeter Ausdruck, so wie es im folgenden Beispiel:
Bei Zeit online gibt es ein Rätsel. Es ist nicht lösbar.
Näheres findet sich z.B. hier. Natürlich gibt es auch die Anapher aus der klassischen Rhetorik, so wie sie in der ersten Antwortmöglichkeit beschrieben wird — die ist aber eher für LiteraturwissenschaftlerInnen interessant.
Bei der anderen Frage habe ich allerdings überhaupt kein Verständnis:
Germanisten analysieren fast jeden Text – Hauptsache, er ist in deutscher Sprache verfasst. Für welche der folgenden Textformen interessieren sie sich nicht?
o Bedienungsanleitungen
o Minnesang
o SMS
Na? Weiterlesen
Sprachbrocken 15/2013
Viele Universitäten, Behörden und andere staatliche Einrichtungen haben Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache. Nicht, weil sie von linksextremen, sexuell ausgehungerten Gutmenschen (wie mir) geleitet werden, sondern, weil es Gleichstellungsgesetze gibt, die das fordern (und die wiederum, liebe Freunde ((Kein generisches Maskulinum)) der maximalen Mannigfaltigkeit männlicher Meinungsäußerungen, setzen nur Artikel 3, Abs. 2 eures grenzenlos geliebten Grundgesetzes um). Auch die Gleichstellungsbeauftragte der UNIVERSITÄT ZU KÖLN hat gerade einen solchen Leitfaden herausgegeben und damit die Kölner Redaktion der BILD auf den Plan gerufen. „Müssen wir jetzt alle „Bürger*innensteig“ sagen?“ fragt die, und fährt besorgt fort: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Nun, „man“ darf natürlich sagen, was „man“ will, solange „man“ nicht Mitarbeiter/in der Universität zu Köln (oder einer anderen Behörde mit einem entsprechenden Leitfaden) ist. Insofern ist das ganze eigentlich keine Nachricht, aber vielleicht ist es ein ermutigendes Zeichen, dass die BILD es für eine hält und nach den besorgten Einstiegsfragen erstaunlich neutral über Gendergap, männliche Dominanz und gesellschaftliche Akzeptanzprobleme berichtet. Was die Kommentatoren ((Kein generisches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, der Kölner Gleichstellungsbeauftragten zu bescheinigen, nicht alle „Tassen/Tassinen im Schrank“ bzw. „ein paar Schrauben/Schrauber locker“ zu haben. Weiterlesen
Sprachbrocken 14/2013
Sich über die Jugend und ihren Sprachgebrauch zu echauffieren, sei den Sprachnörglern, Kulturfixierern und anderen Veränderungs-verängstigten von Herzen gegönnt – schließlich haben es schon ihre Großeltern so gehalten, und deren Großeltern und die Großeltern der Großeltern von deren Großeltern. Aber spätestens wenn er sich unversehens dabei ertappt, mit Wladimir Putin einer Meinung zu sein, sollte auch der fanatischste Vergangenheitsfundamentalist einen Augenblick innehalten und über die gedanklichen Schritte nachdenken, die ihn in diese unangenehme Situation gebracht haben. Das ist Edwin Baumgartner von der WIENER ZEITUNG nicht gelungen. Putins Gesetz gegen Kraftausdrücke im Fernsehen ziele zwar wegen seiner willkürlichen Auslegbarkeit eindeutig auf eine Zensur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die synchronisierten Fassungen amerikanischer Filme inspirierten zotig-vulgären Sprachgebrauchs der heutigen Jugend (wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht) sei es ja Zensur zu einem guten Zwecke.
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Sprachbrocken 13/2013
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer gerierte sich stets als Beschützer der deutschen Sprache vor dem verderblichen Einfluss des Englischen und erntete dafür aus sprachnörgeligen Kreisen viel Lob. In Erinnerung bleiben wird der denen jetzt aber wohl (vermutlich gänzlich unverdienter Weise) als ihr Zerstörer, als jemand, der sich vom Tugendfuror der politisch Korrekten dazu treiben lassen hat, die Straßenverkehrsordnung nicht nur um einige saftige (aber absolut angemessene) Erhöhungen von Bußgeldern, sondern auch ein Bemühen um geschlechtergerechte Sprache ergänzt zu haben. Zu Fuß gehende statt Fußgänger und Fahrzeugführende statt Fahrzeugführer heißt es dort nun. Das dürfte vielen nur ein Schulterzucken wert sein, einigen von uns vielleicht ein anerkennendes Nicken angesichts der sprachlich gut gemachten Überarbeitung. Aber für den Verkehrsrechtsexperten des AUTO CLUB EUROPA, einen Volker Lempp, ist es ein Quell „unfreiwilliger Komik“, der nur einem „Studienabbrecher im Fach Germanistik“ zu verdanken sein kann. Was genau er an der gerechten Sprache so komisch findet, und warum er sein feines Sprachgefühl nicht lieber dem Deppenleerzeichen im Namen des Vereins widmet, für den er arbeitet, verschweigt er uns dabei. Nur, dass die Polizeibeamten in der StVO immer noch ganz maskulin Polizeibeamte heißen, lässt ihn — innerlich männlich glucksend — nach Alice Schwarzer schreien. Und wem bei Geschlechtergerechtigkeit nur Alice Schwarzer einfällt, der ist als Verkehrsrechtsexperte bei einem Verkehrsverein ja auch ganz gut aufgehoben. Weiterlesen
Sprachbrocken 12/2013
Von einer Zeitschrift, die nach einem mächtigen weißen Mann benannt ist, erwarten wir, dass sie die Befindlichkeiten mächtiger weißer Männer vertritt, und der CICERO erfüllt diese Erwartungen immer wieder in vorbildlichster Weise. Im April hat man(n) sogar das Titelthema ganz der Unterdrückung mächtiger weißer Männer gewidmet. Und der grausamen Mechanismen, mittels derer sie unterdrückt werden – dem „Veggie Day“, zum Beispiel, der den Fleischesser im Manne unterdrückt, in dem ihm vorgeschlagen wird, an einem Tag in der Woche auf Fleisch zu verzichten. Oder Unisex-Toiletten, die den heterosexuellen, cis-gegenderten Mann im Manne unterdrücken, indem sie einfach nur da sind. Aber das grausamste Unterdrückungswerkzeug von allen ist natürlich die Sprache, die den Verballibertären im Manne zu „schrillsten PC-Blüten“ – wo habe ich nur kürzlich schon einmal das Wort „schrill“ gelesen? – zwingt. Bei den Belegen für diese schrillen PC-Blüten vermischt man(n) munter wünschenswerte, aber nicht-existente Beispiele gerechter Sprache wie BürgermeisterInnenkandidatIn (350 Google-Treffer, allesamt auf Seiten, die sich über „Political Correctness“ beömmeln) mit mächtigeweißemännerhumorigen Pseudobeispielen gerechter Sprache wie Maximalpigmentierte. Außerdem wird viel gejammert. Weiterlesen
Sprachbrocken 6–10/2013
Der Lateinunterricht verkommt an deutschen Schulen zwar langsam aber sicher zu dem Anachronismus, der er im Herzen schon lange ist, aber er hat eine erstaunlich bissige Lobby. Kaum eine Woche, in der ich bei der Suche nach Sprachbrockbarem nicht auf einen Artikel stoße, der die die Vorzüge der Sprache Cäsars predigt. Ein gutes Argument habe ich dabei nie gesehen — bis Joseph Ratzinger seine Rückzugspläne ankündigte, und die fast unbemerkt geblieben wären. Denn, wie unter anderem die TAZ berichtete, gab Ratzinger seine bevorstehende Pensionierung in einer Rede bekannt, die er auf Latein hielt, und bescherte der einzigen Lateinkundigen unter den anwesenden Journalist/innen, der ANSA-Korrespondentin Giovanna Chirri, den Scoop ihres Lebens. Wenn das kein Grund für einen flächendeckenden Lateinunterricht ist, dann fällt mir auch keiner mehr ein.
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Sprachbrocken 5/2013
Dass die traditionellen Medien insgesamt mit dem Thema Alltagssexismus hoffnungslos überfordert sind, haben sie ja zur Genüge bewiesen, aber der HESSISCHE RUNDFUNK hat sich offenbar vorgenommen, in merkbefreite Zonen vorzudringen, die nie ein Mensch zuvor betreten hat. Claudia Sautter erklärt uns dort, dass das Ganze quasi nur ein sprachliches Problem sei: Früher (ach, früher!) da habe es „eine Sprache der Erotik [gegeben] die alle verstanden.“ Aber irgendwie ist uns diese „öffentlich anerkannte Sprache der Erotik“ verloren gegangen. „Männer und Frauen in Deutschland“ wüssten schlicht nicht mehr, „wie man sich geistreich Anzüglichkeiten“ sage, ohne gleich die „mediale Sittenpolizei“ auf dem Hals zu haben. Allgemeine Ratlosigkeit herrscht diesbezüglich auch bei der Bildredaktion des HR: „Wie sollte ‘Mann’ das Dekolleté einer Frau würdigen?“ fragt die Bildunterschrift des Fotos eines (kopflosen) Dekolletés, mit dem der Beitrag vorhersagbar, ja unvermeidlich illustriert wird. Weiterlesen
Sprachbrocken 4/2013
Frankreich ist ja, wenn man deutschen Sprachnörglern glauben schenkt, ein sprachpflegerisches Paradies. Reine Sprachflüsse plätschern dort gallisch glitzernd durch romanisch rollende Wörterwiesen, auf denen präziöse Pariser Phrasenstrukturbäume Schatten spenden. Aus der Fremde eindringendes Sprachunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fester Hand ausgemerzt, die an seiner stelle liebevoll latinisierende landessprachliche Leckerbissen züchten. Die Französinnen und Franzosen würden es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges frankophones Frohlocken, als die Academie Française verkündete, dass das Wort Hashtag schon an der Grenze gestoppt worden und durch das mot-dièse („Rautenwort“) ersetzt worden sei. Nur die französische Sprachgemeinschaft konnte dem neuen Wort natürlich wieder mal nichts abgewinnen. Aber die besteht eben, wie überall, aus degoutanten Degenerierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen sollten. Weiterlesen