Archiv der Kategorie: Randbemerkungen

Sprachbrocken 17/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Über die religiösen Mythen exo­tis­ch­er Kul­turen kur­sieren ja die wildesten Gerüchte, was häu­fig daran liegt, dass sie in eben­so exo­tis­chen Sprachen abge­fasst sind und dass es keine Über­set­zun­gen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilen­stein des interkul­turellen Ver­ständ­niss­es zu feiern, der diese Woche bekan­nt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoff­nung“ (bei Fun­da­men­tal­is­ten aus nicht nachvol­lziehbaren Grün­den als „Episode I“ bekan­nt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Nava­jo über­set­zt. Damit wird dieses urtüm­liche und schw­er ver­ständliche Epos erst­mals Mit­gliedern ein­er fort­geschrit­te­nen Zivil­i­sa­tion zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Ein­blicke in das spir­ituelle Leben der soge­nan­nten „Amerikan­er“ (die sich selb­st nur Peo­ple, also grob über­set­zt „Men­schen“ nen­nen) erhal­ten. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 16/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Während die römisch-ortho­doxe Kirche sich mit Jorge Mario Mer­goglio aka Franziskus I schon des zweit­en twit­tern­den Pap­stes in Folge rüh­men kann, muss ihr rus­sis­ches Gegen­stück wohl auf abse­hbare Zeit ohne Kurz­nachricht­en ihres Ober­haupts auskom­men. Wie die Nachricht­e­na­gen­tur RIA NOVOSTI berichtet, hält Wladimir Michailow­itsch Gund­ja­jew aka Kyril I nichts von der „Twit­ter-Sprache“, dem „Twit­ter-Stil“ und vor allem wohl dem „Twit­ter-Tem­po“, das die Welt heutzu­tage erwarte. Seel­sorge sei wichtiger als prompte Reak­tio­nen auf aktuelle Ereignisse. Der Pon­tif­ex sieht das ja offen­sichtlich anders: Statt, wie sein Vorgänger, nur Kalen­der­sprüche zu twit­tern, bat er vorgestern seine Schäfchen darum, mit ihm gemein­sam für die Opfer der Explo­sion in ein­er tex­anis­chen Düngemit­telfab­rik zu beten. Nett gemeint, zweifel­sohne, aber schw­er nachvol­lziehbar, warum aus­gerech­net dieses Ereig­nis – und auss­chließlich dieses – sein­er Aufmerk­samkeit würdig ist. Weit­er­lesen

Anaphern und Bedienungsanleitungen: Unsinn in der Zeit

Von Kristin Kopf

In der Hochschul­spi­elecke von Zeit online find­et sich viel Belan­glos­es — aber der aktuelle Test, mit dem man her­aus­find­en kön­nen soll, ob man eine Ger­man­is­tik-Ein­führungsvor­lesung über­ste­hen würde, zeugt darüber hin­aus von sprach­wis­senschaftlich­er Unken­nt­nis, die sich mit sim­plem Googeln hätte beseit­i­gen lassen.

In drei Fra­gen geht es um lin­guis­tis­che Inhalte, zwei davon sind mit den gegebe­nen Optio­nen nicht beant­wort­bar. Bei der einen kann ich den Fehler noch einiger­maßen zugeste­hen, woher soll man auch wis­sen, dass Lit­er­atur­wis­senschaft­lerIn­nen und Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen ein und densel­ben Begriff in zwei ver­schiede­nen Bedeu­tun­gen verwenden?

Unter ein­er Ana­pher ver­ste­hen Sprachwissenschaftler…

o ein Wort, das sich am Anfang mehrerer aufeinan­der­fol­gen­der Sätze wiederholt.

o die Wieder­hol­ung des­sel­ben Kon­so­nan­ten am Anfang mehrerer Wörter in einem Satz.

o die Wieder­hol­ung des­sel­ben Lautes in aufeinan­der fol­gen­den Wörtern.

Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen wie ich sie kenne, ver­ste­hen unter ein­er Ana­pher nichts von all­dem, son­dern einen Aus­druck, der auf das­selbe referiert wie ein zuvor schon ver­wen­de­ter Aus­druck, so wie es im fol­gen­den Beispiel:

Bei Zeit online gibt es ein Rät­sel. Es ist nicht lösbar.

Näheres find­et sich z.B. hier. Natür­lich gibt es auch die Ana­pher aus der klas­sis­chen Rhetorik, so wie sie in der ersten Antwort­möglichkeit beschrieben wird — die ist aber eher für Lit­er­atur­wis­senschaft­lerIn­nen interessant.

Bei der anderen Frage habe ich allerd­ings über­haupt kein Verständnis:

Ger­man­is­ten analysieren fast jeden Text – Haupt­sache, er ist in deutsch­er Sprache ver­fasst. Für welche der fol­gen­den Textfor­men inter­essieren sie sich nicht?

o Bedi­enungsan­leitun­gen

o Min­nesang

o SMS

Na? Weit­er­lesen

Sprachbrocken 15/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Viele Uni­ver­sitäten, Behör­den und andere staatliche Ein­rich­tun­gen haben Leit­fä­den zur geschlechterg­erecht­en Sprache. Nicht, weil sie von link­sex­tremen, sex­uell aus­ge­hungerten Gut­men­schen (wie mir) geleit­et wer­den, son­dern, weil es Gle­ich­stel­lungs­ge­set­ze gibt, die das fordern (und die wiederum, liebe Fre­unde ((Kein gener­isches Maskulinum)) der max­i­malen Man­nig­faltigkeit männlich­er Mei­n­ungsäußerun­gen, set­zen nur Artikel 3, Abs. 2 eures gren­zen­los geliebten Grundge­set­zes um). Auch die Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragte der UNIVERSITÄT ZU KÖLN hat ger­ade einen solchen Leit­faden her­aus­gegeben und damit die Köl­ner Redak­tion der BILD auf den Plan gerufen. „Müssen wir jet­zt alle „Bürger*innensteig“ sagen?“ fragt die, und fährt besorgt fort: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Nun, „man“ darf natür­lich sagen, was „man“ will, solange „man“ nicht Mitarbeiter/in der Uni­ver­sität zu Köln (oder ein­er anderen Behörde mit einem entsprechen­den Leit­faden) ist. Insofern ist das ganze eigentlich keine Nachricht, aber vielle­icht ist es ein ermuti­gen­des Zeichen, dass die BILD es für eine hält und nach den besorgten Ein­stiegs­fra­gen erstaunlich neu­tral über Gen­der­gap, männliche Dom­i­nanz und gesellschaftliche Akzep­tanzprob­leme berichtet. Was die Kom­men­ta­toren ((Kein gener­isches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, der Köl­ner Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragten zu bescheini­gen, nicht alle „Tassen/Tassinen im Schrank“ bzw. „ein paar Schrauben/Schrauber lock­er“ zu haben. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 14/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Sich über die Jugend und ihren Sprachge­brauch zu echauffieren, sei den Sprach­nör­glern, Kul­tur­fix­ier­ern und anderen Verän­derungs-verängstigten von Herzen gegön­nt – schließlich haben es schon ihre Großel­tern so gehal­ten, und deren Großel­tern und die Großel­tern der Großel­tern von deren Großel­tern. Aber spätestens wenn er sich unverse­hens dabei ertappt, mit Wladimir Putin ein­er Mei­n­ung zu sein, sollte auch der fanatis­chste Ver­gan­gen­heits­fun­da­men­tal­ist einen Augen­blick innehal­ten und über die gedanklichen Schritte nach­denken, die ihn in diese unan­genehme Sit­u­a­tion gebracht haben. Das ist Edwin Baum­gart­ner von der WIENER ZEITUNG nicht gelun­gen. Putins Gesetz gegen Kraftaus­drücke im Fernse­hen ziele zwar wegen sein­er willkür­lichen Ausleg­barkeit ein­deutig auf eine Zen­sur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die syn­chro­nisierten Fas­sun­gen amerikanis­ch­er Filme inspiri­erten zotig-vul­gären Sprachge­brauchs der heuti­gen Jugend (wirk­lich, das habe ich mir nicht aus­gedacht) sei es ja Zen­sur zu einem guten Zwecke.
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Sprachbrocken 13/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­desverkehrsmin­is­ter Peter Ram­sauer gerierte sich stets als Beschützer der deutschen Sprache vor dem verderblichen Ein­fluss des Englis­chen und ern­tete dafür aus sprach­nörgeli­gen Kreisen viel Lob. In Erin­nerung bleiben wird der denen jet­zt aber wohl (ver­mut­lich gän­zlich unver­di­en­ter Weise) als ihr Zer­stör­er, als jemand, der sich vom Tugend­furor der poli­tisch Kor­rek­ten dazu treiben lassen hat, die Straßen­verkehrsor­d­nung nicht nur um einige saftige (aber abso­lut angemessene) Erhöhun­gen von Bußgeldern, son­dern auch ein Bemühen um geschlechterg­erechte Sprache ergänzt zu haben. Zu Fuß gehende statt Fußgänger und Fahrzeugführende statt Fahrzeugführer heißt es dort nun. Das dürfte vie­len nur ein Schul­terzuck­en wert sein, eini­gen von uns vielle­icht ein anerken­nen­des Nick­en angesichts der sprach­lich gut gemacht­en Über­ar­beitung. Aber für den Verkehrsrecht­sex­perten des AUTO CLUB EUROPA, einen Volk­er Lempp, ist es ein Quell „unfrei­williger Komik“, der nur einem „Stu­di­en­ab­brech­er im Fach Ger­man­is­tik“ zu ver­danken sein kann. Was genau er an der gerecht­en Sprache so komisch find­et, und warum er sein feines Sprachge­fühl nicht lieber dem Dep­pen­leerze­ichen im Namen des Vere­ins wid­met, für den er arbeit­et, ver­schweigt er uns dabei. Nur, dass die Polizeibeamten in der StVO immer noch ganz maskulin Polizeibeamte heißen, lässt ihn — inner­lich männlich gluck­send — nach Alice Schwarz­er schreien. Und wem bei Geschlechterg­erechtigkeit nur Alice Schwarz­er ein­fällt, der ist als Verkehrsrecht­sex­perte bei einem Verkehrsvere­in ja auch ganz gut aufge­hoben. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 12/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Von ein­er Zeitschrift, die nach einem mächti­gen weißen Mann benan­nt ist, erwarten wir, dass sie die Befind­lichkeit­en mächtiger weißer Män­ner ver­tritt, und der CICERO erfüllt diese Erwartun­gen immer wieder in vor­bildlich­ster Weise. Im April hat man(n) sog­ar das Titelthe­ma ganz der Unter­drück­ung mächtiger weißer Män­ner gewid­met. Und der grausamen Mech­a­nis­men, mit­tels der­er sie unter­drückt wer­den – dem „Veg­gie Day“, zum Beispiel, der den Fleis­chess­er im Manne unter­drückt, in dem ihm vorgeschla­gen wird, an einem Tag in der Woche auf Fleisch zu verzicht­en. Oder Uni­sex-Toi­let­ten, die den het­ero­sex­uellen, cis-gegen­derten Mann im Manne unter­drück­en, indem sie ein­fach nur da sind. Aber das grausam­ste Unter­drück­ungswerkzeug von allen ist natür­lich die Sprache, die den Ver­bal­lib­ertären im Manne zu „schrill­sten PC-Blüten“ – wo habe ich nur kür­zlich schon ein­mal das Wort „schrill“ gele­sen? – zwingt. Bei den Bele­gen für diese schrillen PC-Blüten ver­mis­cht man(n) munter wün­schenswerte, aber nicht-exis­tente Beispiele gerechter Sprache wie Bürg­er­meis­terIn­nenkan­di­datIn (350 Google-Tre­f­fer, alle­samt auf Seit­en, die sich über „Polit­i­cal Cor­rect­ness“ beöm­meln) mit mächtigeweißemän­ner­hu­mori­gen Pseudobeispie­len gerechter Sprache wie Max­i­malpig­men­tierte. Außer­dem wird viel gejam­mert. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 6–10/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Der Latei­n­un­ter­richt verkommt an deutschen Schulen zwar langsam aber sich­er zu dem Anachro­nis­mus, der er im Herzen schon lange ist, aber er hat eine erstaunlich bis­sige Lob­by. Kaum eine Woche, in der ich bei der Suche nach Sprach­brock­barem nicht auf einen Artikel stoße, der die die Vorzüge der Sprache Cäsars predigt. Ein gutes Argu­ment habe ich dabei nie gese­hen — bis Joseph Ratzinger seine Rück­zugspläne ankündigte, und die fast unbe­merkt geblieben wären. Denn, wie unter anderem die TAZ berichtete, gab Ratzinger seine bevorste­hende Pen­sion­ierung in ein­er Rede bekan­nt, die er auf Latein hielt, und bescherte der einzi­gen Lateinkundi­gen unter den anwe­senden Journalist/innen, der ANSA-Kor­re­spon­dentin Gio­van­na Chirri, den Scoop ihres Lebens. Wenn das kein Grund für einen flächen­deck­enden Latei­n­un­ter­richt ist, dann fällt mir auch kein­er mehr ein.
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Sprachbrocken 5/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Dass die tra­di­tionellen Medi­en ins­ge­samt mit dem The­ma All­t­ags­sex­is­mus hoff­nungs­los über­fordert sind, haben sie ja zur Genüge bewiesen, aber der HESSISCHE RUNDFUNK hat sich offen­bar vorgenom­men, in merk­be­fre­ite Zonen vorzu­drin­gen, die nie ein Men­sch zuvor betreten hat. Clau­dia Saut­ter erk­lärt uns dort, dass das Ganze qua­si nur ein sprach­lich­es Prob­lem sei: Früher (ach, früher!) da habe es „eine Sprache der Erotik [gegeben] die alle ver­standen.“ Aber irgend­wie ist uns diese „öffentlich anerkan­nte Sprache der Erotik“ ver­loren gegan­gen. „Män­ner und Frauen in Deutsch­land“ wüssten schlicht nicht mehr, „wie man sich geistre­ich Anzüglichkeit­en“ sage, ohne gle­ich die „medi­ale Sit­ten­polizei“ auf dem Hals zu haben. All­ge­meine Rat­losigkeit herrscht dies­bezüglich auch bei der Bil­dredak­tion des HR: „Wie sollte ‘Mann’ das Dekol­leté ein­er Frau würdi­gen?“ fragt die Bil­dun­ter­schrift des Fotos eines (kopflosen) Dekol­letés, mit dem der Beitrag vorher­sag­bar, ja unver­mei­dlich illus­tri­ert wird. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 4/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Frankre­ich ist ja, wenn man deutschen Sprach­nör­glern glauben schenkt, ein sprach­pflegerisches Paradies. Reine Sprach­flüsse plätsch­ern dort gal­lisch glitzernd durch roman­isch rol­lende Wörter­wiesen, auf denen präz­iöse Paris­er Phrasen­struk­tur­bäume Schat­ten spenden. Aus der Fremde ein­drin­gen­des Spra­chunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fes­ter Hand aus­ge­merzt, die an sein­er stelle liebevoll latin­isierende lan­dessprach­liche Lecker­bis­sen zücht­en. Die Französin­nen und Fran­zosen wür­den es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges franko­phones Frohlock­en, als die Acad­e­mie Française verkün­dete, dass das Wort Hash­tag schon an der Gren­ze gestoppt wor­den und durch das mot-dièse („Raut­en­wort“) erset­zt wor­den sei. Nur die franzö­sis­che Sprachge­mein­schaft kon­nte dem neuen Wort natür­lich wieder mal nichts abgewin­nen. Aber die beste­ht eben, wie über­all, aus degoutan­ten Degener­ierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen soll­ten. Weit­er­lesen