Archiv der Kategorie: Kommentare

Sprachpanscher und Sprachpinscher

Von Anatol Stefanowitsch

Warum Men­schen, die keine Ahnung von Sprache haben, sich aus­gerech­net zu einem Vere­in zusam­men­schließen, dem es um Sprache gehen soll, werde ich wohl nie ver­ste­hen. Aber wenn ich so einen Vere­in hätte, würde ich es genau wie der Vere­in Deutsche Sprache machen, und mich darauf beschränken, ander­er Leute Sprachge­brauch zu kri­tisieren. Denn die sind dann vielle­icht so beschäftigt damit, sich gegen die Kri­tik zu ver­wahren, dass sie gar nicht nach­fra­gen, worauf diese sich eigentlich gründet.

Ob das bei der DUDEN-Redak­tion funk­tion­iert, die vom VDS ger­ade zum Sprach­pan­sch­er des Jahres ernan­nt wurde, bleibt abzuwarten – die Redak­tion des Wörter­buchs ist nicht ger­ade für eine sehr aktive Öffentlichkeit­sar­beit bekan­nt (der let­zte Tweet der Press­es­telle stammt vom 4. April 2013, die let­zte Pressemel­dung von Anfang Juli). Aber wenn sie sich äußert, dann hat der VDS ihr mit der Begrün­dung zur Sprach­pan­sch­er-Wahl eine Steil­vor­lage geliefert, anhand der­er sie die Funk­tion­sweise eines mod­er­nen Wörter­buchs erk­lären kön­nte: Weit­er­lesen

No word for Labersack

Von Susanne Flach

Sprachlogleser Kai hat uns drüben auf Face­book einen Link zuge­spielt, weil ein paar Künstler/innen sich ange­blich ein­er lin­guis­tis­chen Muse bedi­ent und elf „unüber­set­zbare“ Begriffe illus­tri­ert haben. Da ste­hen jet­zt so Dinge drin wie dépayse­ment, franzö­sisch für ‚das Gefühl, nicht im eige­nen Land zu sein‘ (wörtlich: ‚Fremd­heit‘) oder pochemuch­ka, ange­blich rus­sisch für ‚eine Per­son, die viele Fra­gen stellt‘. Immer­hin hat das Beispiel für Deutsch, Waldein­samkeit, einen Wikipedia-Ein­trag und wir wis­sen jet­zt glück­licher­weise um seine gewisse kul­turhis­torische und diachrone Rel­e­vanz.

Diese Art von Lexikon- und Kul­turver­ständ­nis ist natür­lich nicht neu, sprach­lich inter­es­san­ter macht es solche Ein­würfe aber nicht. Lis­ten „unüber­set­zbar­er Wörter aus anderen Kul­turen“ und ver­gle­ich­bare Meme enthal­ten auf­fäl­lig häu­fig quel­len­lose Beispiele aus exo­tis­chen Sprachen, die nie­mand ver­i­fizieren kann. Wahlweise sind die Begriffe so sel­ten, dass sie den Sprecher/innen über­haupt nicht bekan­nt sind. Mir ist das für einen ern­sthaften lin­guis­tis­chen Kom­men­tar mit­tler­weile eher zu lahm. ((Zur Ein­führung: ich hat­te mal was zum alban­is­chen Bartwuchs geschrieben, Ana­tol zu Wortschatzer­weiterun­gen und Katas­tro­phen im Japanis­chen. Ben Zim­mer bietet im Lan­guageL­og eine all­ge­meine Über­sicht  zu dieser Art der Kultur„forschung“.)) Deshalb warte ich bis auf weit­eres erst­mal geduldig auf eine Illus­tra­tion zu Laber­sack, ‚Ger­man for a per­son who labers too much‘.

Etwas neuer — aber irgend­wie beson­ders skur­ril — in diesem Fall ist: die Macher/innen berufen sich auf Through the Lan­guage Glass (dt. Im Spiegel der Sprache), ein exzel­lentes pop­ulär­wis­senschaftlich­es Buch des Lin­guis­ten Guy Deutsch­er. Zwar trägt dieses den Unter­ti­tel „Why the World Looks Dif­fer­ent in Oth­er Lan­guages“, aber wer auch immer den dig­i­tal­en Grif­fel geschwun­gen hat, kann das Buch nicht gele­sen haben. Nicht nur, dass keines der Wörter von Deutsch­er auch nur erwäh­nt wird. ((Zur Über­prü­fung reicht bere­its die Such­funk­tion der Textvorschau bei Ama­zon.)) Es geht bei Im Spiegel der Sprache über­haupt nicht um löchrige Lexiko­nun­ter­schiede, son­dern um völ­lig andere, lin­guis­tisch wirk­lich rel­e­vante Fra­gen.

Nun kön­nte man sagen, dass man sowas nicht ernst nehmen darf (lieber solle man Kun­st dahin­ter ver­muten). Kann man echt nich ernst nehmen, tun wir auch nicht. Aber der antizip­ierte Schmun­zel­ef­fekt ist im Vorurteil­skaraoke auf ein­er nicht-triv­ialen Ebene Aus­druck unser­er Welt­sicht: die Eski­mo hock­en den ganzen Tag mit Robbe am Stiel vor der Eishütte und warten in ihrem ein­töni­gen Leben sehn­süchtig auf Besuch, weil ihnen für die vie­len Wörter langsam die Aggre­gatzustände für gefrorenes Wass­er ausgehen.

Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie diese Umset­zung.

Die Kunst der Nichtschuldigung

Von Anatol Stefanowitsch

Im Englis­chen gibt es das Wort „Not­pol­o­gy“ für die Äußerun­gen von Politiker/innen, Unternehmen und anderen Organ­i­sa­tio­nen, die sich für etwas entschuldigen müssen, das aber nicht ein­se­hen. Sie täti­gen deshalb entschuldigungsähn­liche Äußerun­gen, die aber tat­säch­lich kein­er­lei Entschuldigung enthal­ten, son­dern die Schuld auf diejeni­gen ver­lagern, bei denen sie sich eigentlich entschuldigen sollen.

Ein lehrbuchar­tiges Beispiel bietet ger­ade die Fir­ma Fer­rero, die einen Werbespot für Pra­li­nen aus weißer Schoko­lade geschal­tet hat; in diesem Werbespot wird eine Wahlver­anstal­tung gezeigt, auf der Wahlplakate „Deutsch­land wählt Weiß!“ verkün­den und die für diesen (gedanken­losen oder geziel­ten) Ras­sis­mus berechtigter­weise mas­siv kri­tisiert wer­den (siehe z.B. hier, hier oder hier). Weit­er­lesen

Keine Kreativität bitte, wir sind Muttersprachler

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Wochen habe ich an einem Son­ntag­mor­gen aus ein­er all­ge­meinen Unzufrieden­heit mit dem Zus­tand unser­er Gesellschaft (und aus etwas Langeweile) den fol­gen­den Satz getwittert:

  1. La rev­olu­ción es enfer­ma.

Das ist eine Abwand­lung des vor allem in Lateinameri­ka häu­fig zitierten rev­o­lu­tionären Sinnspruchs La rev­olu­ción es eter­na – etwa „Die Rev­o­lu­tion ist ewig (d.h. geht immer weit­er)“ –, ((Es stammt möglicher­weise ursprünglich vom mexikanis­chen Poli­tik­er Rodol­fo Sánchez Tabo­da [siehe hier], es find­et sich aber häu­fig, z.B. bei Raúl Cas­tro (im Futur) oder bei Hugo Chávez.)) nur, dass ich eben eter­na („ewig“) durch enfer­ma („krank“) erset­zt habe. Zwei mein­er Follower/innen waren nicht nur wach, son­dern auch spanis­che Muttersprachler/innen, und bei­de wiesen darauf hin, dass ich statt es hätte está schreiben müssen:

  1. La rev­olu­ción está enfer­ma. Weit­er­lesen

Auf Kriegsfuß: Die Zeit und die Linguistik

Von Kristin Kopf

Es ist eigentlich müßig, sich über die »Studi­um Generale«-Rätselreihe der ZEIT aufzure­gen, aber ich kann nicht anders. Diese Woche: »Ein­führung in die Sprach­wis­senschaften«. ((Das Fach selb­st heißt an den meis­ten Unis Sprach­wis­senschaft, oder auch Lin­guis­tik, manch­mal noch mit mod­i­fizieren­den Adjek­tiv­en wie all­ge­meine, the­o­retis­che, kog­ni­tive etc. Der Inhalt des Tests deckt aber primär Einzel­philolo­gien (beson­ders die let­ztes Mal ja zu kurz gekommene Ger­man­is­tik) ab, von daher passt der Plur­al vielle­icht wieder.))

Die ZEITlichen Vorstel­lun­gen davon, was man so an sprach­wis­senschaftlichem Grundw­erkzeug braucht, sind äußerst simpel:

  1. Nor­mgemäße deutsche Rechtschrei­bung (Groß- und Klein­schrei­bung, Fremdwortschreibung)
  2. Nor­mgemäße deutsche Gram­matik (Gen­i­tiv­bil­dung)
  3. Wis­sen über Sprach­fam­i­lien und Amtssprachen (natür­lich nur europäische)
  4. Lateinken­nt­nisse (oh my!)

Hinzu kommt das Auflösen ein­er Chat-Abkürzung (waru­u­u­um?) und, bess­er passend, ter­mi­nol­o­gis­ches Wis­sen (Welthil­f­ssprache, Deter­mi­na­tivkom­posi­tum).

Aus 1., 2. und 4. trieft die Ahnungslosigkeit nur so her­aus. Natür­lich muss man, wenn man studiert, Rechtschreib- und Gram­mati­knor­men der Unterrichtssprache(n) beherrschen. Das lernt man aber nicht in ein­er sprach­wis­senschaftlichen Ein­führung, das lernt man in der Schule, und was dann noch nicht sitzt, kann man ler­nen, wenn man in seine kor­rigierten Hausar­beit­en reinschaut.

Den Unter­schied zwis­chen dem, was die ZEIT denkt, und dem, was im Studi­um wirk­lich vorkommt, will ich an Frage 9 etwas verdeut­lichen. Hier wird in typ­is­ch­er Sick­manier gefragt:

The Quest – Der Fluch des Judaskelch” heißt ein US-amerikanis­ch­er Spielfilm. Wie hätte er kor­rek­ter­weise heißen müssen?

Ooooh! Es fehlt ein -s! Oder ein -es? Zu Hülf! Unter­gang des Abend­land ((es))! Nun lernt man in ein­er Ein­führungsvor­lesung in die ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik aber nicht, wie man die Gen­i­tiven­dung mit Rot­s­tift dazuschreibt oder geifer­nde, intel­li­gen­z­ab­sprechende Kom­mentare in Inter­net­foren verfasst.

Was man vielle­icht, vielle­icht ler­nen kön­nte, meist in einem höheren Semes­ter, ist, dass der Filmti­tel ein aktuelles Sprach­wan­delphänomen illus­tri­ert, an dem auch die ZEIT selb­st fleißig mitwirkt.
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Motivierte Präpositionen

Von Susanne Flach

Auch die taz hat so eine Art Sprach­glosse, auch wenn sie nicht so heißt und irgend­wie auch etwas ver­steckt daher kommt. Aber Peter Köh­ler schreibt in DIE WAHRHEIT ab und zu über Sprach­lich­es. Let­zte Woche nahm er sich die Prä­po­si­tio­nen vor und deren sich „bre­it machende“ falsche Ver­wen­dung. Aus meinen Abozeit­en der taz-Print­aus­gabe meine ich mich zu erin­nern, dass DIE WAHRHEIT in Wahrheit so eine Satire- und Kom­men­tar­seite ist, aber das ist lange her. Satire dür­fen wir in diesem Fall ver­mut­lich auss­chließen, nehmen wir die Sache also erst­mal ernst.

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Warum der Plural kein Femininum ist

Von Anatol Stefanowitsch

In unserem Lek­türetipp vom Dien­stag ging es unter anderem um einen Beitrag, in dem der Sprach­wis­senschaftler André Mei­n­unger die eigen­willige These ver­tritt, dass das gener­ische Maskulinum ((Also die Ver­wen­dung masku­lin­er For­men für gemis­chte Grup­pen (In mein­er Vor­lesung sitzen 300 Stu­den­ten) oder abstrak­te Kat­e­gorien (In mein­er Sprech­stunde waren heute keine Stu­den­ten).)) keine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen darstelle, da ihm im Plur­al ein gener­isches Fem­i­ninum gegenüber ste­he. Der Kern sein­er Argu­men­ta­tion geht so:

Das Deutsche ist so gerecht und frauen­fre­undlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht. Die Plu­ral­form ist die weib­liche. Wir sagen so selb­stver­ständlich „sie“, dass es gar nicht auf­fällt. Rein syn­chron, also auf den gegen­wär­ti­gen Sprachzu­s­tand bezo­gen, und for­mal, also auf die äußer­lich sicht­bare Erschei­n­ung bezo­gen, ist das Plu­ral­pronomen iden­tisch mit der weib­lichen Sin­gu­lar­form. Also: Selb­st wenn eine reine Män­ner­gruppe schießt oder alle Män­ner schwitzen, heißt es „sie schießen“ oder „sie schwitzen“. … Und das bedeutet, wir haben im Deutschen sehr wohl schon lange und vol­lkom­men unent­deckt ein gener­isches Fem­i­ninum. Dieses macht sich im Plur­al deut­lich – und ist dabei aber schein­bar so undeut­lich, dass es entwed­er nie­mand bemerkt hat oder wissentlich ver­schwiegen wird. Die deutsche Sprache ist also sehr gerecht. Im Sin­gu­lar scheint es eine Art gener­isches Maskulinum zu geben, im Plur­al ein fem­i­nines. Der Plur­al heißt “sie”. Und auch im Sub­stan­tivbere­ich ist der Artikel für die Mehrzahl for­m­gle­ich mit dem fem­i­ni­nen Artikel: “die”. ((Mei­n­unger, André (2013). Wie sex­is­tisch ist die deutsche Sprache? Die WELT, 7. Juli 2013.))

Die Sprach­wis­senschaft­lerin Luise Pusch antwortet in ihrem Blog aus­führlich auf Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion und zeigt, dass der Plur­al im Deutschen keineswegs ein Fem­i­ninum ist, auch wenn Pronomen und Artikel im Plur­al und im Fem­i­ninum Sin­gu­lar gle­ich ausse­hen. Ihre Argu­men­ta­tion will ich hier nicht wieder­holen, wer ihren Artikel noch nicht gele­sen hat, sollte das jet­zt tun und dann zurückkommen.
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Von der Neutralität der Linguistik

Von Susanne Flach

Auf Ana­tols gestri­gen Lit­er­aturhin­weis zu Luise Puschs Rep­liken auf Maskulin­guis­ten kom­men­tierte Leser Mar­tin, dass er nicht ver­ste­ht, wie man „aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht einen aktiv­en Ein­griff in den Sprachge­brauch befür­worten“ könne. Auf diese Art Argu­men­ta­tion wollte ich schon seit langem mal einge­hen. Die Gele­gen­heit ist günstig.

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Ich bin ein Sprachmythos

Von Anatol Stefanowitsch

Es wäre ja zu schön, wenn John F. Kennedy sich in sein­er viel zitierten und in der Wahrnehmung (west-)deutscher Medi­en his­torisch befremdlich über­höht­en „Ich-bin-ein-Berliner“-Rede tat­säch­lich als mit Marme­lade gefülltes Back­w­erk beze­ich­net hätte. Aber obwohl sich entsprechende Gerüchte vor allem in der englis­chsprachi­gen Welt hart­näck­ig hal­ten, hat er das nicht. Das durfte ich anlässlich des 50. Jahrestages sein­er Rede nicht nur der AFP erk­lären, son­dern das habe ich schon vor genau fünf Jahren – damals noch im Bre­mer Sprach­blog – aus­führlich disku­tiert. Und Susanne hat vor zweiein­halb Jahren beschrieben, wie und wo dieser Mythos ent­standen ist.

Für diejeni­gen, die sich nicht durch diese empfehlenswerten, aber alten, Blog­beiträge wühlen wollen: Der Mythos geht unge­fähr so. Kennedy hätte eigentlich sagen müssen Ich bin Berlin­er, da das soge­nan­nte Prädikat­snomen, also das Sub­stan­tiv, das dem Verb sein fol­gt, in dieser Art von Herkun­ft­szuschrei­bung keinen Artikel haben dürfe. Deshalb sei Kennedys Ich bin ein Berlin­er nicht als Herkun­ft­szuschrei­bung zu inter­pretieren, und Berlin­er könne sich hier nicht auf „Einwohner/in der Stadt Berlin“ beziehen. Die einzige Alter­na­tiv­in­ter­pre­ta­tion für Berlin­er sei „mit Marme­lade gefülltes rundlich-plattge­drück­tes Back­w­erk“. Weit­er­lesen

Sprachliche Mengenlehre für Anfänger

Von Anatol Stefanowitsch

Als erste Uni­ver­sität Deutsch­lands hat die Uni­ver­sität Leipzig das gener­ische Fem­i­ninum einge­führt: Amts- und Funktions­bezeichnungen wer­den in Zukun­ft grund­sät­zlich in der weib­lichen Form genan­nt (Rek­torin, Pro­fes­sorin, Stu­dentin, …), eine Fußnote weist darauf hin, dass Män­ner mit gemeint sind.

Die Entschei­dung stößt offen­bar einige Pro­fes­soren ((kein gener­isches Maskulinum)) so sehr vor den Kopf, dass sie alle Logik aufgeben: Weit­er­lesen