Archiv der Kategorie: Kommentare

Jenseits des Gastrechts: Sprachbilder und ihre Grenzen

Von Anatol Stefanowitsch

Als Sahra Wagenknecht let­zte Woche vom „Gas­trecht“ der Flüchtlinge sprach, und davon das der­jenige, der es miss­brauche, irgend­wann dann auch ver­wirkt habe, war die Empörungswelle vorprogrammiert.

Erstens, weil sie eben Sahra Wagenknecht und Linke nichts lieber tun als andere Linke all­ge­mein, und Wagenknecht im Beson­deren, mit Empörung zu über­schüt­ten. Schließlich hat­ten sowohl die rhein­land-pfälzis­che CDU-Vor­sitzende Julia Klöck­n­er als auch die Bun­deskan­z­lerin Angela „Wir-schaf­fen-das“ Merkel nur ein paar Tage zuvor fast wortwörtlich das­selbe gesagt, ohne dass das das kle­in­ste biss­chen link­er Kri­tik nach sich gezo­gen hätte („Wer das Gas­trecht ver­wirkt, der wird irgend­wann vor die Tür geset­zt“, Julia Klöck­n­er; „Einige Straftäter von Köln haben ihr Gas­trecht ver­wirkt“, Angela Merkel).

Zweit­ens, weil das Wort Gas­trecht einen offen­liegen­den Nerv der deutschen Flüchtlings­de­bat­te trifft, für den Wagenknecht, Klöck­n­er und Merkel eigentlich gar nichts kön­nen, son­dern der etwas mit Sprache, Welt­sicht und Wirk­lichkeit zu tun hat: der Frage, wie wir über Flüchtlinge reden und denken und worauf wir uns damit ein­lassen. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2015: Gutmensch

Von Anatol Stefanowitsch

An der Arbeit der Sprachkri­tis­chen Aktion „Unwort des Jahres“ habe ich ja sel­ten etwas auszuset­zen, und auch dieses Mal hätte sie es schlechter tre­f­fen kön­nen, als sie es mit der Wahl des Wortes Gut­men­sch getan hat. Die Ver­ach­tung und spöt­tis­che Dele­git­i­ma­tion anständi­gen Ver­hal­tens, die in diesem Wort zum Aus­druck kommt, hat nicht erst, aber auch im Jahr 2015 die öffentliche Diskus­sion geprägt und wenn die Wahl zum Unwort dabei hil­ft, eine Grund­satzde­bat­te darüber anzus­toßen, dass die auf Sol­i­dar­ität und Hil­fs­bere­itschaft auf­bauen­den Werte der Gut­men­schen bess­er sind als die auf den eige­nen Vorteil und das eigene Fortkom­men auf­bauen­den Werte der­er, die das Wort ver­wen­den, wäre das ein Gewinn. Weit­er­lesen

Wort des Jahres 2015: Flüchtlinge

Von Anatol Stefanowitsch

Die Gesellschaft für deutsche Sprache ver­sucht mit dem „Wort des Jahres“ jedes Jahr, Wörter zu präsen­tieren, die „das zu Ende gehende Jahr beson­ders gut charak­ter­isieren“. Das gelingt nur sel­ten: Im let­zten Jahr war es das schnell ver­flo­gene Licht­gren­ze, im Jahr davor das bleiern-ans­gestrengte GroKo, und im Jahr davor das völ­lig abstruse Ret­tungsrou­tine. In diesem Jahr ist es aus­nahm­sweise gelun­gen, ver­mut­lich, weil selb­st die all­t­agsabge­wandte GfdS nicht in der Lage war, das beherrschende The­ma des Jahres zu ignori­eren: Weit­er­lesen

Revolutionär*innen, die auf Sternchen starren

Von Anatol Stefanowitsch

Die Grü­nen haben am Woch­enende auf ihrer Bun­des­delegiertenkon­ferenz unter anderem beschlossen, in Parteitags­beschlüssen in Zukun­ft verbindlich den Gen­der-Stern (Student*innen, Kindergärtner*innen, Ter­ror­ist*innen) zu ver­wen­den. Angesichts der Empfind­lichkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit auf geschlechterg­erechte Sprache reagiert, wurde diese Satzungsän­derung natür­lich vor, während und nach dem Parteitag in den Medi­en disku­tiert. Die Fron­ten waren dabei vorherse­hbar verteilt: „Gen­der-Gaga“ war der Beschluss z.B. für die Bild (der es dabei nicht nur um die Sprache ging: sie störte sich auch an der Idee von „Extra-Zel­ten für trans­sex­uelle Flüchtlinge“). Der Cicero sah in dem Beschluss ein Zeichen für die „Rück­ver­wand­lung ein­er Partei in eine Krabbel­gruppe“. Und die Ost­thüringer Zeitung kon­nte es sich nicht verkneifen, in ihrer Schlagzeile von „Grün*innen“ zu sprechen. Die taz dage­gen vertei­digt den Beschluss sehr fachkundig, und die Süd­deutsche Zeitung sagt zum Gen­der-Stern „Schön ist das nicht — aber richtig“.

Wer ab und zu das Sprachlog liest, wird ver­muten, dass ich mich hier dem zweit­en Lager anschließen und die Grü­nen für ihren Beschluss loben werde. Diese Ver­mu­tung muss ich aber ent­täuschen – anders als die Süd­deutsche finde ich den Gen­der-Stern schön, aber falsch. Natür­lich stimme ich auch dem ersten Lager nicht zu. Das Prob­lem ist nicht, dass der Beschluss der Grü­nen „Gen­der-Gaga“ ist, son­dern, dass er nicht gen­der-gaga genug ist. Die Grü­nen entwick­eln sich nicht zu ein­er Krabbel­gruppe, sie ver­ab­schieden sich von der weltverän­dern­den Anar­chie, die jed­er Krabbel­gruppe innewohnt. Weit­er­lesen

Man ist so Wort, wie man sich fühlt

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jugend­wort des Jahres 2015 wurde eben bekan­nt gegeben. Wie auch in den let­zten Jahren (2013, 2014) sind dem Sprachlog die Aufze­ich­nun­gen der Beratun­gen aus den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt zuge­spielt wor­den, die wir im Fol­gen­den ungekürzt veröf­fentlichen. Weit­er­lesen

Kulturkämpfe

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Kampf der Kul­turen tobt in unserem Land. Nicht so sehr zwis­chen Chris­ten und Mus­li­men oder Abend- und Mor­gen­land, son­dern vielmehr unter Politiker/innen, die sich darin über­schla­gen, ständig neue Kom­posi­ta mit dem Zweit­glied -kul­tur zu erfind­en und in Poké­mon-Manier gegeneinan­der in den Kampf zu schicken.

Ange­fan­gen hat der Kul­turkampf ganz unauf­fäl­lig und noch wenig kämpferisch: Seit min­destens zehn Jahren fordern Poli­tik und Wirtschaft eine Willkom­men­skul­tur gegenüber Migrant/innen – ange­feuert weniger von Fre­undlichkeit als von Fachkräfte­man­gel. In diesem Zusam­men­hang wird das Wort auch von deutschen Behör­den wie dem Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge, und – beze­ich­nen­der­weise – dem Bun­desmin­is­teri­um für Wirtschaft und Energie ver­wen­det. In jün­ger­er Zeit hat sich die Willkom­men­skul­tur dann im Rah­men ansteigen­der Flüchtlingszahlen zu einem schlag­wor­tar­ti­gen Gege­nen­twurf zur bis dahin vorherrschen­den, nen­nen wir sie mal bürg­er­lichen Besorg­nis- und Kri­tikkul­tur entwick­elt. Weit­er­lesen

Das Netz kann alles, außer Gender

Von Anatol Stefanowitsch

In den ver­gan­genen Tagen hat das Netz, wie man so schön sagt, viel gelacht, und zwar über einen Text der Fach­schaft Gen­der Stud­ies an der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin. In dem Text, den Sie zum Ver­ständ­nis des Fol­gen­den kurz lesen soll­ten, falls Sie ihn noch nicht ken­nen, geht es um den Auss­chluss eines Mit­glieds der Fach­schaft auf­grund eines Kon­flik­ts, in dem es unter anderem um ras­sis­tis­che Äußerun­gen und Geschlecht­si­den­titäten ging. Der Text ist darüber hin­aus in ein­er (rel­a­tiv abgemilderten) Ver­sion ein­er Sprach­va­ri­etät abge­fasst, wie sie von ein­er bes­timmten Rich­tung der Gen­der Stud­ies und der Crit­i­cal White­ness Stud­ies ver­wen­det wird, und die u.a. durch geschlecht­sneu­trale For­mulierun­gen (z.B. durch die Ver­wen­dung von Unter­strichen) und durch explizite Ver­weise auf Kat­e­gorien gekennze­ich­net ist, die sich grob als „Geschlecht­si­den­tität/-zuschrei­bung“ und „eth­nis­che Identität/Zuschreibung“ charak­ter­isieren lassen.

Der Text ist aus zwei ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en kri­tisiert und/oder belacht wor­den: erstens aus ein­er inhaltlichen, in Bezug auf den berichteten Vor­fall und den Umgang der Fach­schaft mit diesem; zweit­ens aus ein­er for­malen, in Bezug auf die eben erwäh­nte Sprach­va­ri­etät. Weit­er­lesen

Begattungsängste und homophobe Etymologie

Von Anatol Stefanowitsch

Argu­mente gegen die Öff­nung der Ehe für homo­sex­uelle Paare lassen sich am Ende immer auf eine einzige Behaup­tung reduzieren: Die Ehe diene der Zeu­gung von Kindern und da homo­sex­uelle Paare keine Kinder zeu­gen kön­nen, könne man die Ehe für sie keines­falls öffnen.

Dieses Argu­ment hat eine offen­sichtliche Schwäche: Die Zeu­gung von Kindern ist ein­er­seits auch ohne Ehe möglich und ander­er­seits auch in der Ehe nicht zwingend.

Auf diese Schwäche wer­den die Bewahrer der Het­ero-Ehe immer wieder hingewiesen, aber statt auf diese Hin­weise einzuge­hen, denken sie sich immer neue Begrün­dun­gen dafür aus, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern gegen alle Evi­denz doch untrennbar miteinan­der ver­bun­den sind. Da wird dann die Reli­gion bemüht, oder die Evo­lu­tion, oder die Tra­di­tion, oder die Per­ver­sion. Haupt­sache, es endet auf -ion, scheinen die Homo­phoben zu denken.

Nicht so der Jour­nal­ist Gün­ther Lach­mann, der jüngst im Deutsch­land­funk erk­lären durfte, warum Ehe und die Zeu­gung von Kindern ein und das­selbe sind. Er bemühte keine -ion, son­dern eine -ie: die Ety­molo­gie, also die Lehre von der Herkun­ft und Entwick­lung von Wörtern. Weit­er­lesen

Jugendwortschutz

Von Anatol Stefanowitsch

Seit Tagen herrscht helle Aufre­gung im deutschen Qual­itäts­blät­ter­wald, weil das Wort „Alpha-Kevin“ auf der Liste der nominierten Jugend­wörter erst auf- und nach ein­er Panikreak­tion des ver­anstal­tenden Ver­lagshaus­es wieder abtauchte. Wir veröf­fentlichen geheime Aufze­ich­nun­gen, die zeigen, wie es zu dieser Entschei­dung kam.
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Round about daneben

Von Susanne Flach

SPIEGEL ONLINE hat da einen Kolum­nis­ten, Peter Littger, und eigentlich sind seine Kolum­nen unter „Flu­ent Eng­lish“ recht lang­weilig. Sie sind im großen Lauf der Sprachdinge sog­ar ziem­lich uner­he­blich. Littger hat sich auf Pseudoan­glizis­men spezial­isiert und erk­lärt der Welt regelmäßig, dass es blablal­aber­tion im Englis­chen eigentlich nicht gibt und „wir“ uns „damit“ bei „Mut­ter­sprach­lern“ lächer­lich machen. Aber zum Glück gibt es dann diese Kolumne, in der sich Littger über die Englis­chken­nt­nisse ander­er lustig machen kann und wir dann wis­sen, wie wir „Pein­lich­es Pseu­do-Englisch“ ver­mei­den können.

Nun sind sprach­liche Nuan­cen immer poten­tiell prob­lema­tisch, beson­ders bei interkul­turellen Begeg­nun­gen. Nur ist die ange­bliche Lächer­lichkeit, der wir uns im Aus­land damit aus­set­zen, sicher­lich sehr über­trieben. Die ein­sprachig englis­chen Muttersprachler/innen, die ich ken­nen­gel­ernt habe, sind es erstens gewöh­nt, mit vie­len Nicht-Mut­ter­sprach­ler/in­nen zu kom­mu­nizieren, zweit­ens sehr koop­er­a­tiv, was das Ver­ste­hen ihrer Gesprächspartner/innen ange­ht und drit­tens angesichts ihrer eige­nen Ein­sprachigkeit recht zurück­hal­tend, was die Abw­er­tung der Sprach­fer­tigkeit­en ihres Gegenübers bet­rifft. Woher diese Ger­man Angst des Lächer­lich­machens im englis­chsprachi­gen Raum kommt, ist mir unbegreiflich.

(Suz, Lin­guis­tik!)

Achso­jamo­ment. Laut Bio unter seinen Artikeln beschäftigt sich Littger „mit seinen eige­nen sprach­lichen Unzulänglichkeit­en“. Mir ist jet­zt nicht so ganz klar, was das heißen soll. Sei’s drum. Aber weil er (und ich meine: wieder­holt) behauptet, dass round­about wie in round­about drei Mil­lio­nen Euro im Englis­chen nicht „unge­fähr“, son­dern „Kreisverkehr“ heißt, und das schlicht falsch ist, mache ich mich jet­zt ein­fach mal über sein über­steigertes Fremd­sprachenselb­stver­trauen lustig. Kurz: dieses Ger­man Ego nervt näm­lich langsam.

Natür­lich heißt round­about „Kreisverkehr“. Aber eben nicht nur.

Round­about (‚Kreisverkehr‘) ist ein Nomen, round about (dt. ‚unge­fähr‘) ein, nun­ja, nen­nen wir es vorüberge­hend Adjek­tiv. Littger behauptet, let­zteres gäbe es im Englis­chen nicht. Machen wir’s kurz: natür­lich gibt es round about im Englis­chen und auch genau in dieser Bedeutung.

Dazu hil­ft ein Blick ins OED, welch­es zwei große Bedeu­tungs­bere­iche liefert, näm­lich eine konkret-räum­liche und eine abstrakt-metapho­rische. In bei­den Ver­wen­dun­gen kann round about ‚um X herum‘, also kre­is­för­mige Bezüge her­stellen, oder ‚in der Umgebung/Nähe von‘ heißen, wo die Umkreisung des Bezug­sob­jek­ts nicht unbe­d­ingt „vol­l­zo­gen“ sein muss.

  1. RÄUMLICH: (a) All around; in every sur­round­ing direc­tion; on every side. (b) In the vicin­i­ty, near­by; in a place or var­i­ous places nearby.
  2. METAPHORISCH: (a) With ref­er­ence to an amount, quan­ti­ty, etc.: about, approx­i­mate­ly; not much above or below; near­ly. (b) With ref­er­ence to time or a peri­od of time: about; at approx­i­mate­ly; some time near.

Die Tat­sache, dass Kreisverkehr aus diesen möglichen Anwen­dungs­bere­ichen von round about abgeleit­et wurde, heißt im Umkehrschluss natür­lich nicht, dass es die einzige Möglichkeit ist, dies zu tun. Jede erden­kliche Ableitung ist im Prinzip möglich, die sich mit ‚unge­fähr‘, ‚dadrum­rum‘, oder ‚um und bei‘ beschreiben ließe (und das tut round about bere­its seit 1350). So ist es nicht beson­ders erstaunlich, mit round about einen Bezug zwis­chen zwei Größen herzustellen, wenn das Bezug­sob­jekt ORT, OBJEKTUHRZEIT oder GELDBETRAG ist. Deshalb ist die These schon gewagt, dass round about GELDBETRAG eines deutschen Busi­nesskaspers im englis­chsprachi­gen Raum nen­nenswertes Gelächter aus­löste (abge­se­hen vom Geld­be­trag vielle­icht, der dann im Raum steht).

Beispiele gefäl­lig?

  1. I think he said he was tak­ing a trip down to the Orne bridges round about mid-day, and would like you to accom­pa­ny him. [BNC]

  2. It was Elsie all right — the police seemed con­vinced of that — but she had died round about 1970, not 1934. [BNC]

  3. got Nim­bus off the ground with an ini­tial ‘joint devel­op­ment’ invest­ment round about $1.5m. [BNC]

  4. there was a chantry priest worth £40 and two more with £20 each; their incomes were nor­mal — round about £6 a year. [BNC]

Also selb­st wenn die Ver­wen­dung von round about mit Geld­be­trä­gen nicht üblich wäre, die Tat­sache, dass es räum­lich ver­wen­det wird, ermöglicht die metapho­risch-zeitliche Ver­wen­dung. Dann ist es zur metapho­rischen Ver­wen­dung mit (heute meist abstrak­ten) Geld­ber­gen wirk­lich nicht weit. Die kog­ni­tive Dis­tanz hinge­gen, die Muttersprachler/innen zurück­le­gen müssten, um von Deutschen bei round­about einen „Kreisverkehr“ rauszuhören, ist rel­a­tiv groß (abge­se­hen davon, dass es wegen der Wortk­lassen unplau­si­bel ist). Dafür wären selb­st pein­lichkeitssuchende Muttersprachler/innen zu faul.