Archiv der Kategorie: Forschungsberichte

Public Viewing Of Public Viewing

Von Susanne Flach

Gestern begann in Frankre­ich die Fußball-Europameis­ter­schaft – mir wäre in den let­zten Wochen vor lauter dis­sertieren gar nicht aufge­fall­en, wie schnell die EM auf uns zukommt, wenn, ja wenn nicht die Alerts von Google zu „Anglizis­mus“ voll mit „Leichen­schauen“ gewe­sen wären. Tra­di­tionell haben wir zu Fußball-Großereignis­sen in den let­zten Jahren eher gelang­weilt ein­fach auf die Artikel im Sprachlog ver­linkt, die sich damit beschäfti­gen, dass pub­lic view­ing im (Amerikanis­chen) Englisch nicht eigentlich „Leichen­schau“ heißt, son­dern dass es das auch heißen kann, weil pub­lic view­ing ein all­ge­mein­er Begriff für das Ein- und Anse­hen von Din­gen durch die Öffentlichkeit ist (z.B. Regierungs­doku­mente, Exponate aus Kun­st, Geschichte oder Botanik, Flughäfen, Paraden ein­er Sport­mannschaft, sich selb­st in Sozialen Net­zw­erken oder eben halt Leichen). Das Argu­ment wird übri­gens nicht valid­er, wenn dann noch jemand sagt, es heiße streng genom­men auch nicht Leichen­schau, son­dern Auf­bahrung.

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Das Weib, das Anna, das Merkel: Wie neutral sind Frauen?

Von Damaris Nübling

Die Frau, die Mut­ter, die Nonne – der Mann, der Vater, der Mönch: dass fast alle Beze­ich­nun­gen für Frauen auch gram­ma­tisch Fem­i­ni­na und die für Män­ner gram­ma­tisch Maskuli­na sind, dürfte kein Zufall sein. Das gram­ma­tis­che Geschlecht (man beze­ich­net es auch als »Genus«) scheint etwas mit dem biol­o­gis­chen oder sozialen Geschlecht (»Sexus« bzw. »Gen­der«) zu tun zu haben. Das hat neg­a­tive Kon­se­quen­zen für das sog. gener­ische Maskulinum: Weil gram­ma­tis­che Maskuli­na im Deutschen kog­ni­tiv so eng mit dem männlichen Geschlecht ver­bun­den sind, sind sie ungeeignet dazu, gle­icher­maßen auf Män­ner und auf Frauen Bezug zu nehmen. ((Das zeigen alle Unter­suchun­gen zum The­ma, eine davon wird hier vorgestellt.))

Herr – Frau – Fräulein …

Sucht man nach Wörtern, die dieses sog. Genus-Sexus-Prinzip »ver­let­zen«, stößt man dahin­ter auf Per­so­n­en, die den üblichen Rol­len­er­wartun­gen nicht nachkom­men, z.B. auf schwule Män­ner (die Memme, die Schwuch­tel, die Tunte) und auf sich »zu« männlich gerierende Frauen (der Vamp, der Drache). Für nicht rol­lenkon­forme Frauen wird jedoch noch öfter etwas anderes gewählt, und zwar das dritte Genus, das Neu­trum. Es enthält (im Ver­gle­ich zu den bei­den anderen Gen­era) mit Abstand die wenig­sten Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, scheint also tat­säch­lich eine Art »säch­lich­es« Genus zu sein.

In diesem Beitrag stelle ich Ihnen zunächst einige inter­es­sante Forschungsergeb­nisse zum Sta­tus der Neu­tra im deutschen Sprach­sys­tem vor — sie sind näm­lich kaum wert­neu­tral auf erwach­sene Men­schen anwend­bar und ballen sich beson­ders dort, wo man schlecht über Frauen spricht. Wenn Sie aber zum Beispiel von der Mosel, aus der Eifel oder dem Hun­srück kom­men, ken­nen Sie vielle­icht ganz alltägliche, neu­tral gemeinte Wörter für Frauen: Die Ruf­na­men. Da schreibt das Sabine dem Franziska eine SMS, weil das Han­na ihm etwas mit­brin­gen soll, und abw­er­tend ist das nicht gemeint. Benutzt man das Neu­trum allerd­ings für Fam­i­li­en­na­men von Frauen, die mächtig sind, poli­tisch eine große Rolle spie­len, bekommt es einen ganz anderen Beik­lang: Über das Merkel lässt sich nicht ohne böse Absicht sprechen. Wie kommt es, dass Neu­tra ein­er­seits so neg­a­tiv, ander­er­seits aber neu­tral oder gar pos­i­tiv auf Frauen bezo­gen wer­den kön­nen? Bei­des lässt sich auf eine gemein­same Erk­lärung zurück­führen, die in unseren Gesellschaftsstruk­turen wurzelt.

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Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen

Von Anatol Stefanowitsch

Das soge­nan­nte „gener­ische“ Maskulinum und die Tat­sache, dass es nicht wirk­lich gener­isch ist, haben wir im Sprachlog ja schon des Öfteren disku­tiert. Eine inter­es­sante neue Studie bietet einen Anlass dazu, das The­ma wieder ein­mal aufzugreifen.

Im Deutschen hat jedes Sub­stan­tiv ein gram­ma­tis­ches Geschlecht: Maskulinum (z.B. der Stuhl, der Dill), Fem­i­ninum (z.B. die Bank, die Peter­silie) und Neu­trum (z.B. das Sofa, das Schnit­t­lauchdas Basi­likum). Das gram­ma­tis­che Geschlecht ist dabei nicht völ­lig beliebig verteilt (ein The­ma für einen anderen Tag), aber es hat nichts mit dem biologischen/sozialen Geschlecht der beze­ich­neten Dinge zu tun (Sitzgele­gen­heit­en und Küchenkräuter sind ja wed­er männlich, noch weib­lich, son­dern besten­falls alle sächlich).

Das ist anders bei Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen: Hier kor­re­liert das gram­ma­tis­che Geschlecht bis auf wenige Aus­nah­men (z.B. Men­sch, Per­son) mit dem biologischen/sozialen Geschlecht des beze­ich­neten Indi­vidu­ums: Mann, Brud­er, Mönch und Knecht sind z.B. gram­ma­tisch maskulin und biologisch/sozial männlich, Frau, Schwest­er, Nonne und Magd sind dage­gen gram­ma­tisch fem­i­nin und biologisch/sozial weib­lich. Bei den meis­ten Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen kommt dazu, dass die weib­liche Form durch die Nach­silbe -in aus der männlichen Form abgeleit­et ist: der Chefdie Chefin, der Polizistdie Polizistin, der Bäck­erdie Bäck­erin. Weit­er­lesen

Sexting [Kandidaten für den Anglizismus 2014]

Von Anatol Stefanowitsch

Der let­ze Wortkan­di­dat auf der Short­list für unseren Anglizis­mus des Jahres 2014 beze­ich­net die schön­ste Neben­sache der Welt 2.0: Sex­ting – das Versenden von Tex­ten und ero­tis­chen Self­ies. Sehen wir uns an, ob dieses Wort den Ansprüchen unseres Wet­tbe­werbs stand­hält und vielle­icht sog­ar in let­zter Minute an Social Freez­ing, Phablet, Big Data, Inter­net of ThingsSmart­watch, Pho­to­bomb­ing, Black­fac­ing, Self­ie und Emo­ji vor­beizieht. Weit­er­lesen

Blackfacing (Kandidaten für den Anglizismus 2014)

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Blackfacing/Blackface war 2012 schon ein­mal für den Anglizis­mus des Jahres nominiert. Die Beleglage war sein­erzeit aber zu dünn, um dieses anson­sten sehr inter­es­sante Wort in die engere Wahl zu ziehen (mein dama­liger Beitrag, aus dem ich im Fol­gen­den einzelne Pas­sagen übernehme, find­et sich hier [Hin­weis: dieser und andere hier ver­link­te Texte enthal­ten z.T. ras­sis­tis­che Sprache und/oder Abbil­dun­gen]). Heute werde ich unter­suchen, ob sich an der Häu­figkeit und vor allem Bre­ite der Ver­wen­dun­gen in der Zwis­chen­zeit geän­dert hat.

Zunächst zur all­ge­meinen Ori­en­tierung: Das Wort black­face (engl. black “schwarz” und face “Gesicht”) beze­ich­net ursprünglich eine im 19. und frühen 20. Jahrhun­dert in den USA prak­tizierte The­ater– und Vari­eté-Tra­di­tion, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf über­trieben stereo­typ­isierte Weise als Schwarze geschminkt auf­trat­en (einen Überblick bietet die englis­chsprachige Wikipedia). Die Bedeu­tung des Wortes hat sich über die Jahre aus­geweit­et und beze­ich­net inzwis­chen all­ge­mein Sit­u­a­tio­nen, in denen sich weiße Men­schen schminken, um schwarze Men­schen darzustellen. Das black­face ist in dop­pel­ter Weise ras­sis­tisch belegt: Erstens, weil die Tra­di­tion aus einem zutief­st ras­sis­tis­chen geschichtlichen Zusam­men­hang stammt, in dem ein Auftreten schwarz­er Schauspieler/innen als inakzept­abel galt, und zweit­ens, weil beim Black­face nicht nur das Make-Up selb­st und die dazuge­hörige Mimik über­trieben stereo­typ­isiert ist (dicke rote Lip­pen, strup­pige Haare, weit aufgeris­sene Augen), son­dern auch die Zusam­men­hänge, in denen es ver­wen­det wurde (Schwarze als naive, fröh­liche Unter­hal­ter). Weit­er­lesen

Das egoistische Phonem

Von Anatol Stefanowitsch

In der aktuellen Aus­gabe von Sci­ence stellt der neuseeländis­che Psy­chologe Quentin Atkin­son eine Studie vor, in der er auf eine höchst inter­es­sante und orig­inelle Weise der Frage nach dem Ursprung­sort men­schlich­er Sprachen nachgeht.

Er stützt seine Studie auf den soge­nan­nten Grün­der­ef­fekt. Mit diesem Begriff beze­ich­net man in der Pop­u­la­tion­s­genetik die Tat­sache, dass eine kleine Pop­u­la­tion, die sich von ein­er größeren abspal­tet, eine gerin­gere genetis­che Vielfalt aufweist. Diese gerin­gere genetis­che Vielfalt ist der Tat­sache geschuldet, dass die Indi­viduen der kleinen Gruppe (der Grün­der­pop­u­la­tion) jew­eils nur einen kleinen Teil der in der Gesamt­pop­u­la­tion vorhan­de­nen Allele in sich tragen.

 Der Gründereffekt (siehe auch Wikipedia (Engl.), s.v. Founder Effect)

Der Grün­der­ef­fekt (siehe auch Wikipedia (Engl.), s.v. Founder Effect)

Atkin­son ver­sucht nun, die Logik des Grün­der­ef­fek­ts auf das Lautin­ven­tar von Sprachen anzuwen­den, genauer gesagt, auf das Phone­m­inven­tar. Phoneme sind diejeni­gen Sprach­laute, die in ein­er bes­timmten Sprache dazu ver­wen­det wer­den kön­nen, Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen zu tre­f­fen. Im Englis­chen beispiel­sweise kann der Unter­schied zwis­chen dem „gelispel­ten“ S [θ] und dem „nor­malen“ S [s] ver­wen­det wer­den, um unter­schiedliche Bedeu­tun­gen zu sig­nal­isieren – thin ist etwas anderes als sin, thong ist etwas anderes als song usw. Im Deutschen dage­gen kann der Kon­trast zwis­chen [θ] und [s] keine Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen anzeigen – das [θ] wird hier nur als falsch aus­ge­sproch­enes [s] wahrgenommen.

Die Sprachen der Welt unter­schei­den sich recht deut­lich in den Kon­trasten, die sie zur Bedeu­tung­sun­ter­schei­dung nutzen, und damit auch in der Größe ihres Phone­m­inven­tars. Diese reicht von nur 11 Phone­men (z.B. im Pirahã, der let­zten über­leben­den Sprache der Mura-Fam­i­lie im Ama­zonas) bis zu 141 Phone­men im Kung-Eko­ka, ein­er Sprache der Khoisan-Fam­i­lie aus Namib­ia (das Deutsche liegt mit rund 44 Phone­men übri­gens irgend­wo in der Mitte, aber deut­lich ober­halb des Durch­schnitts, der bei etwa 30 Phone­men anzuset­zen ist).

Atkin­sons Hypothese ist nun, dass das Phone­m­inven­tar von Sprachen auch einen Grün­der­ef­fekt zeigen kön­nte, sodass es poten­ziell umso klein­er wäre, je weit­er eine Sprachge­mein­schaft von dem Ort ent­fer­nt ist, an dem die men­schliche Sprache ent­standen ist. Wenn man zeigen kön­nte, dass dieser Ort sich, wie der Ursprung­sort der Men­schheit, in Afri­ka befände, wäre dies natür­lich beson­ders inter­es­sant, da es ein klar­er Hin­weis darauf wäre, dass Sprache ent­standen ist, bevor sich unsere Spezies über die ganze Welt ver­bre­it­et hat.

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Verstrahlte SMS-Kürzel

Von Anatol Stefanowitsch

Seit ein paar Tagen geis­tert eine Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien durch die deutschsprachige Pres­se­land­schaft, in der ein­dringlich davor gewarnt wird, Kindern die Nutzung von Mobil­tele­fo­nen zu erlauben.

Zunächst geht es der Kam­mer um Strahlenbelastung:

Rechtzeit­ig zu Schul­be­ginn mah­nt die Wiener Ärztekam­mer einen ver­ant­wor­tungsvollen Gebrauch von Handys ins­beson­dere bei Kindern und Jugendlichen ein. Noch immer werde die Gefahr der Handys­trahlung in Öster­re­ich nicht wirk­lich ernst genom­men. Ger­ade bei Kindern aber müsse man auf eine mögliche gesund­heitliche Gefährdung im Umgang mit Mobil­funk acht­en und dürfe die Risiken der Handy-Nutzung nicht unter­schätzen… [Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien vom vom 6. Sep­tem­ber 2009]

Dass eine Ärztekam­mer vor Strahlen­schä­den warnt, leuchtet ein — zumin­d­est, wenn von Handys tat­säch­lich eine entsprechende Gefahr aus­ge­hen sollte. Aber der näch­ste Absatz ließ mich bei der Lek­türe stutzen: Weit­er­lesen