Archiv der Kategorie: Decaf

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Susanne Flachs Beiträge aus dem *decaf-Blog (2010–2012)

Wer A sagt, muss auch Ø sagen

Von Susanne Flach

Eine weit­ere Schwächung der Sub­stratthe­o­rie sollte eigentlich sein, dass für das irische Englisch keine Unter­ver­wen­dung des unbes­timmten Artikels a/an belegt ist. Nach mein­er Logik muss eine Nicht-Doku­men­tiertheit nicht automa­tisch bedeuten, dass es kein Vorkom­men gibt — aber sie sind eben, naja, nicht belegt. Wir erin­nern uns: Irisch hat keinen unbes­timmten Artikel. Unbes­timmtheit wird durch das nack­te Sub­stan­tiv markiert: fear ‘ein Mann’ aber an fear ‘der Mann’. Nicht ver­wirren lassen, ir. an entspricht nicht dem englis­chen ‘an’, son­dern ‘the’.

Davon aus­ge­hend, dass Artikel a) zu den gram­ma­tis­chen Kat­e­gorien gehören, die von Kindern am spätesten erlernt und dementsprechen spät kor­rekt im Sinne der mut­ter­sprach­lichen Kom­pe­tenz beherrscht wer­den und b) viele ver­schiedene seman­tis­che und prag­ma­tis­che Funk­tio­nen haben, ist der Artikel­ge­brauch im All­ge­meinen stark­er Vari­a­tion und Kom­plex­ität unter­wor­fen, auch im Mut­ter­sprach­enenglisch. Fremd- und Zweit­sprachen­lern­er haben deshalb größte Prob­leme  “with mas­ter­ing (the) Eng­lish arti­cles” (IrE: “the mas­ter­ing of Eng­lish arti­cles” [!!]). Dazu gibt es viele Stu­di­en — beson­ders große Prob­leme haben dabei Sprech­er von Sprachen ohne Artikel, z.B. Rus­sisch oder Chi­ne­sisch. Daraus lässt sich auch die große Vari­a­tion des Artikel­ge­brauchs in asi­atis­chen Englischs ableit­en, beson­ders dort, wo Englisch die Fremd- oder Zweit­sprache ist.

Die Abwe­sen­heit von unbes­timmten Artikeln im Irischen führt aber nicht zu ein­er “Prob­lematik” der Iren in der Ver­wen­dung des unbes­timmten englis­chen Artikel. In der Sub­strat­logik müsste dies zumin­d­est teil­weise so sein. Was belegt ist, ist die gele­gentliche Ver­wen­dung von the für a/an:

they think he is the most refined young man. [geog­ra­phy unknown, 1910]
Mark is the Bach­e­lor as yet. [Fer­managh, Ulster, 1848]

Eine Unterver­wen­dung des Artikels wäre jedoch lediglich Mark is bach­e­lor as yet — und eine solche ist mir für irisches Englisch wed­er in unserem Kor­pus, noch in der rel­e­van­ten Lit­er­atur begeg­net. Mehr noch: die Nähe von irisch an (bes­timmt) zu engl. an (unbes­timmt) hat erst recht nicht dazu geführt, dass im irischen Englisch häu­figer unbes­timmte statt bes­timmte Artikel ver­wen­det wer­den (Trans­fer­logik).

Das Muster wird klarer.

The Article War III

Von Susanne Flach

Jahrzehn­te­lang wurde in der Lit­er­atur zu Englisch in Irland darüber gestrit­ten, ob die Vari­etät irische oder alte und/oder archais­che englis­che Wurzeln hat. Das eine sind die Anhänger der Sub­stratthe­o­rie (sub­stra­tum), let­ztere sind die Ver­fechter der Super­stratthe­o­rie bzw. der reten­tion (super­stra­tum). In den wenig­sten Fällen einzel­ner Phänomene ist aber über­haupt die eine Quelle auszu­machen, weshalb es in den let­zten zehn Jahren spür­bar eine Ver­schiebung hin zum “drit­ten Weg” gegeben hat: Rolle des Sprachkon­tak­ts an sich, des lan­guage shift (Sprach­wech­sel), Zweis­prachigkeit, Grad des lin­guis­tis­chen Trans­fers und die Rolle sozialer Fak­toren. Ein Großteil der neueren Lit­er­atur ist damit auch in ein­er glob­aleren Vari­etäten- und Uni­ver­salien­forschung englis­ch­er (Umgangs-)Sprache anzusiedeln.

Mit dem Artikel­ge­brauch in Irland haben sich nur zwei Autoren bish­er näher befasst (und weil ich schon im Schreib­modus denke, füge ich noch hinzu to the best of my knowl­edge). Zwar hat irgend­wie jed­er, der über Syn­tax des irischen Englischs pub­liziert hat, etwas dazu geschrieben, en pas­sant. Okay, vielle­icht sind’s auch drei (Ray­mond Hick­ey). Weit­er­lesen

Von Standards und Abweichungen

Von Susanne Flach

Bevor ich den Krieg weit­er­führen kann, ein klein­er Exkurs.

Die Fest­stel­lung abwe­ichen­den Sprachge­brauchs hat fast auss­chließlich eine — aus lin­guis­tis­ch­er Sicht — selt­same, zumin­d­est aber prob­lema­tis­che Bezugs­größe: die Stan­dard­sprache. Mit dem Stan­dar­d­englisch ist es irgend­wie wie mit “vernün­ftigem Deutsch” — kein­er weiß, wo genau es ange­blich gesprochen wird.* Weit­er­lesen

The Article War II

Von Susanne Flach

Was die Sache zusät­zlich verkom­pliziert, ist die Tat­sache, dass der soge­nan­nte abwe­ichende Artikel­ge­brauch natür­lich nicht ein­fach so vom Him­mel gefall­en ist. Denn zu Kel­tizis­mus­the­o­rie und Kon­tak­t­the­o­rie kommt noch die Möglichkeit eines kon­servierten Überbleib­sels aus Mit­tel- und/oder Früh­neuenglisch. Weit­er­lesen

The Article War I

Von Susanne Flach

Jet­zt auch mal hier ans Eingemachte.

Mein Unter­suchungs­ge­gen­stand, der bes­timmte Artikel the, wird im irischen Englisch in bes­timmten Kon­tex­ten häu­figer benutzt, als im Stan­dar­d­englisch. Also beson­ders in Verbindung mit nicht­spez­i­fis­ch­er Ref­erenz wie in He’s at the school, wenn nicht das Gebäude, son­dern die Insti­tu­tion an sich gemeint ist; in Kon­struk­tio­nen mit Jahreszeit­en (in the spring), Krankheit­en (He died of the can­cer), Fest­ta­gen (the Christ­mas, the East­er); in Phrasen, in denen the die Prä­po­si­tio­nen per oder at oder Per­son­al­pronomen erset­zt (three pounds in the week ‘three pounds per week’, in the night, he left the wife behind); vor den Quan­tifika­toren both, half und most in of-Phrasen (and the both of them hun­gry, the one half of what you hear). Dazu kom­men erhöhte Gebrauchs­fre­quen­zen des bes­timmten Artikels in Phrasen mit unzählbaren Sub­stan­tiv­en (non-coun­t/­mass nouns), die im Stan­dar­d­englisch keinen Artikel haben (the gold is plen­ty, the bacon is high ‘bacon is expen­sive’). Weit­er­lesen

Fremdwort des Jahres 2009

Von Susanne Flach

Das Bre­mer Sprach­blog sucht das Fremd­wort des Jahres 2009. Weil momen­tan ja jed­er nach Wie-auch-immer-geart­eten-Worten des Jahres sucht.

Egal, ob es sich um ein ästhetisch bemerkenswert befriedi­gen­des, ein kom­mu­nika­tiv einzi­gar­tig effek­tives oder zwis­chen­men­schlich außergewöh­lich ansprechen­des Wort han­delt — jede Begrün­dung zählt.

Ich habe Moin ins Ren­nen gewor­fen. Begrün­dung: weil’s kom­mu­nika­tiv einzi­gar­tig effek­tiv ist. Das wurde mir beson­ders beim Türken meines Ver­trauens bewußt, als ich in seinen Laden trat und ihn mit “Moin” begrüßte.

Er: Hey, das heißt “Guten Tag oder Hal­lo, wie geht’s Dir?”!

Ich: Hä, wieso? Hab ich doch gesagt! “Guten Tach, Hal­lo, wie geht’s?”… Moin halt!

Und ein Fremd­wort ist Moin deshalb, weil alles südlich der nativ­en Sprachräume von Moin (Friesisch, Platt, Süd­dänisch, Nieder­ländisch (Fries­land) etc.) Prob­leme mit sein­er kor­rek­ten Ver­wen­dung haben, den Nord­deutschen aber glauben machen wollen, dass man nach der früh­mor­gendlichen Kaf­feep­ause doch nicht mehr “Guten Mor­gen” wün­schen kann.

Tz.

Sprachverfall

Von Susanne Flach

Die typ­is­che Form, den Wan­del der Sprache wahrzunehmen, scheint darin zu beste­hen, ihn als Ver­fall zu erleben. Ist es nicht merk­würdig, daß unter­schei­dliche Ver­fall­s­the­o­retik­er seit mehr als 2000 Jahren immer wieder den zunehmenden Ver­fall ihrer jew­eili­gen Mut­ter­sprache bekla­gen, ohne je ein Beispiel für eine tat­säch­liche ver­fal­l­lene Sprache vor­weisen kön­nen? Es scheint auch nie­man­den zu geben, der bere­it wäre, den Ver­fall sein­er e i g e n e n indi­vidu­ellen Sprache zu bedauern: “Ach, was schreibe ich für ein verkommenes Deutsch im Ver­gle­ich zu meinen Großel­tern!” Sprachver­fall ist immer Ver­fall der Sprache der anderen. Das sollte stutzig machen.

Rudi Keller. 2003. Sprach­wan­del. Tübin­gen: UTB. S. 23

Sprache dient men­schlich­er Kom­mu­nika­tion. Das scheint auf den ersten Blick triv­ial, ist aber ungle­ich wichtiger, wenn es um die Sprachver­falls­de­bat­ten geht. Jed­er Sprach­pfleger, der ja den Ver­fall unser­er Sprache her­auf­beschwören will, brächte sich in höch­ste Erk­lärungsnot, wenn er mit der Sprache Walther von der Vogel­wei­des, um’s mal auf die Spitze zu treiben, in die näch­ste Kneipe zöge.

Gut, mögen jet­zt einige sagen, was ist dann mit Irish, ein­er gestor­be­nen Sprache? Weit­er­lesen

Kritik der Kritik

Von Susanne Flach

Ich empfehle — mal für Zwis­chen­durch — das Forum des “Vere­in Deutsche Sprache e.V.” (Quizfrage: Was am Namen des Vere­ins wider­spricht der nor­ma­tiv­en Gram­matik, vor dessen Altar diese fak­ten­re­sisten­ten Sprach­nör­gler rumrutschen?)

Oh weh; ich fürchte, ich mache hier für mich ein Fass auf, von dem ich gar nicht so viel fressen kön­nte, wie ich kotzen wollte. Wid­men wir uns also ein­er Ein­stel­lung, die lei­der so ziem­lich allem zu Grunde liegt, was die “vier alten Her­ren” (Zitat Bre­mer Sprach­blog) des VDS so von sich geben.

Gewisse Sprach­wis­senschaftler hier und ander­swo soll­ten sich über das The­ma gutes und schlecht­es, richtiges und falsches Deutsch bess­er enthal­ten, da es für sie erk­lärter Maßen diese Kat­e­gorien gar nicht gibt. (Nutzer “Wolf­gang” im VDS-Forum zur Diskus­sion: “Bas­t­ian Sick Kom­pe­ten­zen in Fra­gen der Sprache”)

[Haut mich, aber entwed­er wurde im Titel des Threads auf Flek­tierung verzichtet oder gängige Inter­punk­tion­skon­ven­tio­nen mis­sachtet. Hm, und ob man sich “über ein The­ma enthal­ten” kann?]

Okay, ver­mut­lich muss ich ein wenig aus­holen. Weit­er­lesen