Archiv der Kategorie: Bremer Sprachblog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem Bre­mer Sprach­blog (2007–2010)

Suchmaschinenträume

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn ich nach Sprach­blog­barem google — dazu ver­wende ich vordefinierte Kom­bi­na­tio­nen von Such­be­grif­f­en, mit denen ich Google News durch­suche — find­en sich unter den Ergeb­nis­sen immer jede Menge Pressemel­dun­gen zu uni­ver­sitären Forschung­spro­jek­ten. Ich ignoriere diese Pressemel­dun­gen nor­maler­weise und greife sie, wenn über­haupt, erst dann auf, wenn sie es tat­säch­lich in ein Presse­or­gan geschafft haben.

Aber selb­st dann sind sie meis­tens nicht geeignet: die Forschung­spro­jek­te sind aus wis­senschaftlich­er Sicht oft ziem­lich unbe­deu­tend und wenig orig­inell. Ich nehme an, die Kolleg/innen wis­sen das meis­tens — als Hochschullehrer ste­ht man häu­fig durch die Press­es­telle sein­er Uni­ver­sität oder durch die Hochschulleitung unter Druck, sich öffentlichkeitswirk­sam zu verkaufen, und dazu eignen sich rel­a­tiv triv­iale aber eingängige The­men oft bess­er als die anspruchsvolleren, aber auch obskur­eren Forschungs­fra­gen, die einem eigentlich am Herzen liegen. Weit­er­lesen

Ferry Very Good (Reloaded)

Von Anatol Stefanowitsch

Vor einiger Zeit habe ich mir hier im Sprach­blog über den Werbeslo­gan fer­ry-very-good der nieder­ländis­chen Fir­ma Dalessi gewun­dert. Zum einen fand ich ihn seman­tisch schw­er durch­schaubar, zum anderen war ich der Mei­n­ung, dass die for­male Analo­gie zwis­chen fer­ry und very nur dann wirk­lich gut funk­tion­iert, wenn man den Unter­schied in der Stimmhaftigkeit des ersten Lauts ignori­ert — so, wie es die nördlichen Dialek­te des Nieder­ländis­chen tun.

Nun hat ein Kom­men­ta­tor, der nach eigen­er Aus­sage Ger­rit Pots­ma, Chef der Fir­ma Dalessi ist, auf diesen Beitrag geant­wortet und hat ver­sucht, zumin­d­est in das Bedeu­tungs­dunkel etwas Licht zu brin­gen (ob der Kom­men­tar wirk­lich von Pots­ma stammt, kann ich natür­lich nicht beurteilen, aber es scheint zumin­d­est plau­si­bel, da der Kom­men­tar ins­ge­samt nicht nach einem Täuschungs­man­över klingt; seine IP-Adresse gehört immer­hin einem nieder­ländis­chen Inter­ne­tan­bi­eter): Weit­er­lesen

Posieren vor dem Gesicht

Von Anatol Stefanowitsch

Auf Mal­lor­ca wartet auf arglose Pauschal­touris­ten ja derzeit eine nicht zu unter­schätzende Gefahr, eine schreck­liche Seuche, die gnaden­los und ohne Anse­hen der Per­son zuschlägt, vor der es keinen Schutz und für die es keine wirk­same Behand­lung gibt.

Ich rede natür­lich von den Ani­ma­teuren, die uns Urlaubern unsere paar Tage ehrlich ver­di­ente Auszeit ver­miesen, indem sie uns mit Pool- und Strand­spie­len, Gesangswet­tbe­wer­ben und Bin­goaben­den belästi­gen. In meinem Hotel waren die Ani­ma­teure eher halb­herzig bei der Sache, und so kon­nte ich mich ihnen voll­ständig entziehen. Aber gestern abend, längst aus dem Urlaub zurück, bin ich ihnen doch in die Falle getappt. Weit­er­lesen

Kaum zu glauben

Von Anatol Stefanowitsch

Gestern habe ich in meinem Beitrag zum Wort empfind­lich Fol­gen­des geschrieben:

wenn ein bes­timmter Verb­stamm (oder auch Sub­stan­tivs­tamm) nicht bere­its mit dem Suf­fix -lich in der Sprache existiert, kön­nen wir das entsprechende Wort nicht ein­fach erfind­en: vorstell-lich oder glaublich gibt es eben­sowenig wie esslich/verschlinglich oder spür­lich, obwohl wir die bedeu­tungsver­wandten Wörter unglaublich, köstlich und eben empfind­lich haben. Das Suf­fix -lich ist sprachgeschichtlich sehr alt und nicht länger produktiv.

Das war natür­lich eine sehr absolute Aus­sage über einen Phänomen­bere­ich, in dem es nichts Absolutes gibt. Weit­er­lesen

Sprachliche Empfindlichkeiten

Von Anatol Stefanowitsch

Let­zte Woche wies mich Sprach­blogleser „Jim“ per E‑Mail auf einen Beitrag im Blog der Berlin­er Recht­san­walt­skan­zlei Hoenig hin, in dem sich der Autor über die Logik des Wortes empfind­lich Gedanken macht. Ich zitiere den Beitrag hier in ganz­er Länge (da der Autor des Zitats Recht­san­walt ist, weise ich vor­sor­glich darauf hin, dass ich mich zur Recht­fer­ti­gung dieses Vol­lz­i­tates auf §51 des Urhe­berge­set­zes, ins­beson­dere auf Satz 2, Nr. 1 berufe):

Aus einem Haftbefehl:

Der Beschuldigte hat im Falle sein­er Verurteilung mit ein­er empfind­lichen Frei­heitsstrafe zu rech­nen, die nicht mehr zur Bewährung aus­ge­set­zt wer­den kann.

Das ist Quatsch. Sprach­lich jeden­falls. Denn nicht die Frei­heitsstrafe ist empfind­lich, son­dern allen­falls der Beschuldigte.

Jim stellt dazu fol­gende Über­legun­gen an: Weit­er­lesen

Scheißmeister

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe mich bei mein­er Suche nach Beispie­len für das Wort Scheißmeis­ter im vor­ange­hen­den Beitrag in die Irre leit­en lassen. Die Hör­funkko­r­re­spon­dentin der ARD in New York hat­te in einem Beitrag über deutsche Lehn­wörter im amerikanis­chen Englisch über dieses Wort, gestützt auf das Urban Dic­tio­nary, Fol­gen­des geschrieben:

Andere [deutsche Wörter im Englis­chen] sind aber reine Erfind­ung, pseu­do­deutsche Kunst­worte: “Scheißmeis­ter” — zum Beispiel — soll in etwa “fün­ftes Rad am Wagen” heißen.

Ich hat­te solche Ver­wen­dun­gen gesucht und nicht gefun­den und deshalb ver­mutet, dass es sich bei dem Wort um die ins Urban Dic­tio­nary eingeschleuste Erfind­ung eines Spaßvo­gels han­deln kön­nte. Aber bei näherem Hin­se­hen stellt sich her­aus, dass nur die Bedeu­tung erfun­den ist — das Wort an sich gibt es, und ein pseu­do­deutsches Kunst­wort ist es nicht. Weit­er­lesen

Who scheissmeistered the Schmerzlkender?

Von Anatol Stefanowitsch

In den Kom­mentaren zu meinem gestri­gen Beitrag weist Sprachblogleser/in „D“ auf einen Hör­funkbeitrag vom 4. Juni mit einem ähn­lichen The­ma hin. Unter der stilis­tisch gren­zw­er­ti­gen Über­schrift „New York liebt ein biss­chen Deutsch — Can you schlepp a Gesamtkunst­werk?“ liefert Lena Bodewein, Hör­funkko­r­re­spon­dentin der ARD, einen Beitrag über deutsches Lehngut in New York.

Ich muss hier vor­sichtig sein: Bodewein hat ihr lin­guis­tis­ches Handw­erk­szeug vor vie­len Jahren an der Uni­ver­sität Ham­burg erwor­ben, genau zu der Zeit, als ich dort meine akademis­che Lauf­bahn begann. Unter anderem saß sie, wenn ich mich richtig erin­nere, in einem mein­er Sem­i­nare zum The­ma „Englisch als Welt­sprache“ und hat dort ein sehr vergnüglich­es Refer­at über Scheinan­glizis­men gehal­ten. Ich habe sie also mit aus­ge­bildet, und jed­er Fehler, den sie macht, fällt deshalb ein Stück weit auf mich zurück. Weit­er­lesen

Sprachimperialistische Illusionen

Von Anatol Stefanowitsch

Aus den Zeitun­gen erfahren wir dieser Tage Erstaunlich­es: „Deutsch erobert die USA, melden z.B. die Nürn­berg­er Nachricht­en. „In Ameri­ka Ger­man­is­men auf dem Vor­marsch — Deutsch­er als Lehrmeis­ter im Internet“.

Da bin ich mal gespannt.

Gesund­heit“, wün­scht mir mein Bekan­nter Eddie, als sich ein­mal mehr das Kribbeln in mein­er Nase in ein­er mit­tel­starken Explo­sion entlädt. Eddie ist waschechter Amerikan­er: Tagsüber arbeit­et er in ein­er Pfan­dlei­he, wo rezes­sion­s­ge­plagte Bürg­er derzeit ihre Uhren und Eheringe in Bares ein­tauschen. Abends grillt er im Garten, wäscht seinen sprit­saufend­en SUV oder spielt mit sein­er Schusswaffen-Sammlung.

Das ist doch schon mal sehr ermuti­gend: Der Autor, Friede­mann Diederichs, verzichtet auf plat­te Stereo­typ­isierun­gen der amerikanis­chen Kul­tur. Das deutet auf einen feinsin­ni­gen Beobachter der men­schlichen Natur hin. Weit­er­lesen

Mehrheitsmeinungen zu Hohnlöhnen

Von Anatol Stefanowitsch

Jet­zt habe ich schon wieder überse­hen, dass die Aktion Lebendi­ges Deutsch ihre all­monatlichen Wortschöp­fun­gen bekan­nt gegeben hat:

Kampf dem Hohn­lohn! Den „Dump­ing-Preis“ kön­nten wir „Kampf­preis“ nen­nen — den „Dump­ing-Lohn“ aber (frech, doch tre­f­fend) „Hohn­lohn“ : Dies schlägt die Aktion „Lebendi­ges Deutsch“ vor, die seit mehr als drei Jahren Vorschläge für deutsche Wörter sam­melt, mit denen die töricht­en und schw­erver­ständlichen unter den Anglizis­men sich erset­zen ließen.

Ja, was sind sie frech und tre­f­fend, die vier alten Her­ren von der Aktion Lebendi­ges Deutsch. Schade nur, dass sie dabei wieder ein­mal das überse­hen, was ein Wort aus­macht: seine Bedeu­tungss­chat­tierun­gen, seine Ver­wen­dungszusam­men­hänge, seine Beziehun­gen zu anderen Wörtern in der Sprache (und in anderen Sprachen) und seine laut­liche Form. Weit­er­lesen

World of Voynich

Von Anatol Stefanowitsch

Das Voyn­ich-Manuskript ist ein geheimnisvolles Schrift­stück, das möglicher­weise aus dem 15. oder 16. Jahrhun­dert stammt. Es zeigt nicht-iden­ti­fizier­bare Pflanzen, Men­schen, Orte und möglicher­weise astrol­o­gis­che Dia­gramme und es ist in einem unbekan­nten Alpha­bet ver­fasst. Ob sich hin­ter diesem Alpha­bet eine unbekan­nte Sprache, ver­schlüs­sel­ter Text ein­er bekan­nten Sprache oder eine bedeu­tungslose Aneinan­der­rei­hung von Zeichen ver­birgt, darüber stre­it­et sich eine kleine Gruppe von Philolo­gen, Kryp­tolo­gen, Math­e­matik­ern, Infor­matik­ern und Lin­guis­ten seit fast hun­dert Jahren. Die Wikipedia hat einen schö­nen Überblick über die wichtig­sten Forsch­er und ihre The­o­rien, und wer ein biss­chen googelt, find­et noch viele mehr oder weniger vielver­sprechende Ansätze (z.B. Edith Sher­woods The­o­rie, dass der Text aus ital­ienis­chen Ana­gram­men besteht).

Meine per­sön­liche Mei­n­ung ist, dass es sich bei der „Sprache“ des Manuskripts entwed­er um bedeu­tungslose Zeichense­quen­zen han­delt und das ganze Manuskript eine Fälschung ist, oder, dass es eine ganz ein­fache Lösung gibt, die so offen­sichtlich ist, dass man sie als Experte über­sieht (Sher­woods Ansatz wäre ein Beispiel dafür). Aber auf die Lösung, die der unver­gle­ich­liche Ran­dall Munroe, a.k.a. xkcd, vorschlägt, wäre ich nicht gekom­men: Weit­er­lesen