Archiv der Kategorie: Bremer Sprachblog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem Bre­mer Sprach­blog (2007–2010)

Ein Fall für alle Fälle

Von Anatol Stefanowitsch

Manch­mal find­en wohlmeinende Men­schen, als Lin­guist in einem anglis­tisch-amerikanis­tis­chen Stu­di­en­gang sollte ich auch ein wenig über die Klas­sik­er der amerikanis­chen Lit­er­atur wis­sen und schenken mir dann „gute“ Büch­er, die den „Schund“, den ich son­st lese, wenig­stens ergänzen sollen (über den Vor­wurf mit dem „Schund“ schreibe ich ein andermal).

So erhielt ich zu meinem let­zten Geburt­stag den jüng­sten Roman des US-amerikanis­chen Schrift­stellers John Irv­ing, Until I Find You (dt. „Bis ich dich finde“). Nun bin ich nicht der größte Irv­ing-Fan der Welt — die sich ständig wieder­holen­den Motor­räder, Pros­ti­tu­ierten und Zirkus­bären kön­nen einem irgend­wann ziem­lich auf die Ner­ven gehen. Trotz­dem wollte ich es, um der lieben Per­son willen, die mir das Buch geschenkt hat, mal wieder ver­suchen. Ich weiß, ehrlich gesagt, noch nicht, ob ich es durch­halte, denn nach einem inter­es­san­ten Anfang (unter Tätowierungskün­stlern) ist die Hand­lung schnell wieder bei den alt­bekan­nten Huren im Ams­ter­damer Rotlichtvier­tel ange­langt, die schon in Wid­ow for One Year (dt. „Witwe für ein Jahr“) wenig zur Geschichte beige­tra­gen haben.

Aber es geht ja gar nicht darum, John Irv­ings Moti­vauswahl zu kri­tisieren, son­dern um einen sprach­wis­senschaftlich inter­es­san­ten Absatz, über den ich beim Lesen gestolpert bin: Weit­er­lesen

(Statt einer) Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Schon wieder eine „Slow News Week“ aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht. Die einzige Zeitungsmeldung (oder eher Zeitungsente) haben wir schon abge­han­delt. Deshalb nutze ich die Press­eschau dies­mal, um über eine Mel­dung zum The­ma Sprache zu schreiben, bei dem eine sprach­wis­senschaftliche Stel­lung­nahme aus­blieb, obwohl man sie vielle­icht erwartet hätte.

Der Stad­trat von New York hat eine Res­o­lu­tion ver­ab­schiedet, nach der das Wort Nig­ger aus dem öffentlichen Sprachge­brauch ver­schwinden soll. Man sollte eigentlich davon aus­ge­hen, dass Einigkeit darüber beste­ht, dass das kein schönes Wort ist und dass man es deshalb ver­mei­den sollte. Das „N‑Wort“, wie es die Amerikan­er ver­schämt nen­nen, ist ohne­hin eins der am stärk­sten tabuisierten Wörter des amerikanis­chen Englisch, und seine unbe­dachte Ver­wen­dung kann Kar­ri­eren zer­stören, wie beispiel­sweise der Sein­feld-Star Michael Richards jüngst her­aus­find­en musste. Weit­er­lesen

Sprachverwirrungen

Von Anatol Stefanowitsch

Seit Anfang der Woche arbeit­et sich eine Mel­dung der dpa durch die deutsche Medi­en­land­schaft, die dem Hor­rorszenario der ver­meintlichen „Anglizismen“-Schwemme ein weit­eres hinzufügt. „Die deutsche Sprache“, so erfahren wir, „verän­dert sich immer mehr durch den Ein­fluss von Migranten“.

Her­aus­ge­fun­den haben will das laut Pressemel­dung der Berlin­er Sozi­olin­guist Nor­bert Dittmar:

Deutsche Jugendliche übernehmen ver­mehrt die Aussprache und Satz­bil­dung aus­ländis­ch­er Jugendlich­er und benutzen auch häu­fig Worte aus dem Türkischen oder Ara­bis­chen“, sagte der Pro­fes­sor […]. „Dabei han­delt es sich um eine dauer­hafte Verän­derung, weil die Jugendlichen diese Sprache verin­ner­lichen und auch als Erwach­sene sprechen wer­den.“ Der Ein­fluss sei vor allem in Städten mit großen Migranten­grup­pen zu spüren. „Das Phänomen kann man aber in ganz Deutsch­land beobacht­en“, sagte Dittmar.

In diesem Zitat steck­en die drei Ker­naus­sagen des Artikels (aber man sollte sich ruhig auch den Rest zu Gemüte führen): Weit­er­lesen

Zweihundert Wörter für Reis?

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Leser hat vor eini­gen Tagen den Artikel zu den Eski­mowörtern für Schnee mit ein­er inter­es­san­ten Anmerkung kom­men­tiert. Jens bemerkt:

Den Eski­moschnee hat neben­bei an manchen Stellen der ostasi­atis­che Reis (als Pflanze, geschält, gekocht, …) abgelöst — und bei teils isolieren­den Sprachen trifft’s dann ja noch eher zu.

Damit die Diskus­sion nicht unterge­ht, mache ich sie lieber zum The­ma eines eige­nen Post­ings. Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

In der Press­eschau beschäfti­gen wir uns heute kurz mit drei berühmten Sprach­wis­senschaftlern befassen, die neben­bei in der Presse erwäh­nt wurden.

Die ersten bei­den sind die Gebrüder Grimm. Die Älteren unter uns ken­nen sie als Märch­en­erzäh­ler, die jün­geren als Fan­ta­sy-Helden aus dem Film The Broth­ers Grimm. Tat­säch­lich waren sie auch Sprach­wis­senschaftler und zeich­nen in dieser Eigen­schaft ver­ant­wortlich für ein dreiund­dreißig­bändi­ges Wörter­buch der deutschen Sprache, erschienen zwis­chen 1854 und 1960. Wie die Hessische/Niedersächsische All­ge­meine berichtet, wer­den sie in ihrer Funk­tion als Märchen­samm­ler nun geehrt: auf dem Net­za­uftritt der Region Nord­hessen find­en sich Reisetipps für diejeni­gen, die auf Rotkäp­pchens Spuren wan­deln wollen (Zitat: „Rotkäp­pchen, Frau Holle, Schnee­wittchen, Dorn­röschen — Sie alle kön­nten in Nord­hessen gelebt haben.“) oder die tat­säch­liche Lebenssta­tio­nen der Grimms besichti­gen wollen.

Der dritte ist auch ein Märch­en­erzäh­ler, allerd­ings ein etwas mod­erner­er: J.R.R. Tolkien, Autor des Her­rn der Ringe und, wie die Grimms, his­torisch­er Sprach­wis­senschaftler. Wie seine Anhänger wis­sen, hat Tolkien Sprachen nicht nur studiert son­dern auch reich­lich davon erfun­den. Die Aach­en­er Zeitung warnt aber davor, Wörter aus diesen Sprachen als Pass­wörter für Com­put­er und Onlin­eak­tiv­itäten zu ver­wen­den. Das leuchtet ein: jed­er Hack­er und Crack­er, der etwas auf sich hält, ist Tolkien­fan, und so sind Quenya, Sin­darin und Westron natür­lich auf jed­er Wortliste vertreten, die zum knack­en von Pass­wörtern ver­wen­det wird (und bevor ich jet­zt empörte E‑Mails aus Mit­tel­erde bekomme — mir ist bekan­nt, dass das Westron in Tolkiens Werken stets als Englisch repräsen­tiert wird, und es deshalb keine Wortliste dafür geben kann).

Ich kaufe ein E

Von Anatol Stefanowitsch

Liebe: Auch so ein Prob­lem, das Marx nicht gelöst hat“ — so hat es ange­blich der franzö­sis­che Dra­matik­er Jean Anouilh aus­ge­drückt. Und Recht hat er: wer kann von sich behaupten, das Geheim­nis der zwis­chen­men­schlichen Anziehung zu ver­ste­hen? Nun, wie heißt es so schön: „Amerikanis­che Wis­senschaftler haben her­aus­ge­fun­den…“. Die Berlin­er Zeitung berichtete diese Woche von einem entschei­den­den Durch­bruch, den Amy Per­fors, eine junge Sprach­wis­senschaft­lerin vom Mass­a­chus­sets Insti­tute of Tech­nol­o­gy, erzielt haben soll. Auf ein­er amerikanis­chen Dat­ing-Web­seite ließ sie Fotos von Män­nern und Frauen bew­erten, wobei sie das­selbe Foto jew­eils mehrfach mit unter­schiedlichen Vor­na­men verse­hen ver­wen­dete. Und siehe da:

Frauen ste­hen bei Män­ner­na­men auf helle Vorderzun­gen-Vokale wie ei, e und i. Auf dem hin­teren Teil der Zunge gesproch­ene Laute wie u und a empfind­en sie als weniger attrak­tiv. Also ist Bernd ver­führerisch­er als Hugo, Kevin anziehen­der als Ole. … Bei Frauen­na­men läuft es genau umgekehrt. Män­ner find­en Namen mit der Beto­nung auf run­den Vokalen wie o oder u anziehend. Das ist gut für Mona, Lau­ra und Uta — schlecht für alle Bir­gits, Maikes und Katrins.

Ähn­liche Berichte auf T‑Online und 20 Minuten, im Express und in der Kro­nen­zeitung ergänzen die bunte Liste von Namen Weit­er­lesen

Come on, baby, light my fire

Von Anatol Stefanowitsch

Passend zum gestri­gen „Tag der Mut­ter­sprache“ berichtete in den let­zten Tagen eine Rei­he von britis­chen Tageszeitun­gen von Bemühun­gen, einen schot­tis­chen Dialekt zu doku­men­tieren, solange die let­zten bei­den Sprech­er noch am Leben sind. Die Brüder Bob­by und Gor­don Hogg (87 und 82 Jahre alt) sind laut diesen Mel­dun­gen die let­zten Sprech­er des Cro­mar­ty-Dialek­ts, den die britis­che Presse heute als „Cro­mar­ty Fish­er Dialect“ beze­ich­net, ver­mut­lich, weil die Sprech­er tra­di­tionell Fis­ch­er waren.

Ich freue mich natür­lich über die Ret­tungsver­suche und über die Tat­sache, dass die britis­che Presse so aus­führlich berichtet, die zeigt, dass in Großbri­tan­nien ein öffentlich­es Inter­esse an Dialek­ten beste­ht (die bei­den Brüder wirken allerd­ings auch äußerst liebenswert, das hil­ft sich­er). Die Mel­dun­gen enthal­ten aber auch eine Rei­he von Unge­nauigkeit­en und Missver­ständ­nis­sen, die wir hier für unsere inter­ssierten Leser natür­lich aufk­lären müssen. Weit­er­lesen

Sprachsterben

Von Anatol Stefanowitsch

Sprachen kön­nen ster­ben, weil ihre Sprech­er ster­ben. Viele der derzeit fast sieben­tausend Sprachen der Welt haben nur wenige hun­dert Sprech­er, die oft auf engem Raum leben. Deshalb kön­nen Kriege, Mas­sak­er, Hunger­snöte, Epi­demien oder Naturkatas­tro­phen leicht mehrere Sprachen auf ein­mal auslöschen.

Um nur drei Beispiele zu nen­nen: in einem Zeitraum von weniger als hun­dert Jahren ver­schwan­den alle indi­ge­nen Sprachen Tas­man­iens, weil britis­che Siedler im soge­nan­nten Black War in der ersten Hälfte des neun­zehn­ten Jahrhun­derts fast alle tas­man­is­chen Ure­in­wohn­er ermorde­ten. Hunger­snöte in Irland als Folge von Kartof­fel-Mis­sern­ten zwis­chen 1845 und 1849 und die darauf fol­gende ver­stärk­te Land­flucht und Emi­gra­tion tru­gen entschei­dend zum Nieder­gang des irischen Gälisch bei. Ein Tsuna­mi an der Nord­küste von Papua-Neuguinea im Jahr 1998 tötete fast die Hälfte der damals etwa 2000 Sprech­er des Arop-Sis­sano und machte eine Umsied­lung der Über­leben­den in ver­schiedene Auf­fanglager nötig. Weit­er­lesen

Body-Bag Blues

Von Anatol Stefanowitsch

Da wir in den ver­gan­genen Tagen hier im Bre­mer Sprach­blog eine (unge­plante) „Denglisch“-Woche hat­ten, bleiben wir dem The­ma auch zum Woch­enende treu und wen­den uns dann in der näch­sten Woche wieder ern­sthafteren The­men zu.

Die Lokalredak­tion der West­deutschen Zeitung hat am let­zten Woch­enende angekündigt, dass man eine Woche lang ganz auf englis­che Lehn­wörter verzicht­en wolle. Das ist ein inter­es­santes sprach­lich­es Exper­i­ment, das ich prinzip­iell trotz (oder ger­ade wegen) meines anglis­tis­chen Hin­ter­grunds voll und ganz unter­stütze. Lei­der wird diese Aktion (wieder ein­mal) nicht durch eine beja­hende Liebe zur deutschen Sprache und ihrer schöpferischen Kraft motiviert (son­st würde sie wohl auch nicht auf eine Woche und den Lokalteil beschränkt sein), son­dern durch eine dif­fuse Angst vor der „denglis­chen“ Gefahr: Weit­er­lesen