Archiv der Kategorie: Altes Sprachlog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem alten Sprachlog auf der SciLogs-Plat­tform (2010–2012)

Sprache und Ungleichheit

Von Anatol Stefanowitsch

In der heute erschiene­nen Aus­gabe von Aus Poli­tik und Zeit­geschichte (ein­er Beilage der Wochen­zeitung Das Par­la­ment) schreibe ich über „Sprache und Ungle­ich­heit“.  Eins der schwierig­sten The­men über­haupt, das hier im Sprachlog regelmäßig Protest, Spott und Häme aus­löst und mit dem ich selb­st immer wieder kämpfen muss.

Die Gele­gen­heit, einige mein­er Blog­beiträge zu diesem The­ma in Form eines (populär-)wissenschaftlichen Auf­satzes noch ein­mal sys­tem­a­tisch aufzuar­beit­en, war mir deshalb sehr willkom­men und ich freue mich über Feed­back hier in den Kom­mentaren oder per E‑Mail (dabei gilt, wie immer und vor allem bei diesem The­ma: Kom­mentare, in denen Grup­pen von Men­schen her­abgewürdigt wer­den, sind nicht erwün­scht und wer­den gelöscht).

Wer nicht weiß, woher er/sie Das Par­la­ment bekom­men soll, kann die Beilage (in der ins­ge­samt neun höchst span­nende Beiträge zum The­ma „Ungle­ich­heit“ enthal­ten sind, auf der Web­seite der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung als PDF-Datei (2,5 MB) herun­ter­laden (natür­lich kostenlos).

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Sprachbrocken 14/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Unsere Sprache kön­nte ja so schön sein, wenn sie nur irgend­wie anders wäre. Nicht so englisch, nicht so preußisch, nicht so voller inner­er Prägungen.

In Sen­ften­berg irren Senioren sprach­lich völ­lig ori­en­tierungs­los durch die Straßen, berichtet die Lausitzer Rund­schau. Der Grund: Ein Wer­be­flächenan­bi­eter wirbt für seine Wer­be­flächen mit den deutsch-englis­chen Wort­spiel Miet Me!. Eigentlich sind die Rent­ner der Kreis­stadt ja weltof­fene Men­schen, aber diese „Englisch-Schwemme“ geht dann doch zu weit: „Ist es denn zu viel ver­langt, dass im Stadt­bild deutsche Begriffe ver­wen­det wer­den?“ fragt eine pen­sion­ierte Deutschlehrerin, deren Englis­chunter­richt zu lange her ist, um ihr bei Wörtern wie Sale und Open noch nüt­zlich zu sein. Wir rat­en ihr, das Mot­to ihrer Heimat­stadt zu beherzi­gen: investieren studieren flanieren.

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Aprilscherz aufgelöst

Von Anatol Stefanowitsch

Also, lösen wir den diesjähri­gen Aprilscherz auf — obwohl das gar nicht so ein­fach ist. Eins ist klar: ná’oolk­ilí ist zwar ein waschecht­es Nava­jo-Wort, es bedeutet aber nicht „Massenkaram­bo­lage“, son­dern „Uhr“.

Die Mehrzahl der Kommentator/innen hat also den Aprilscherz kor­rekt erkan­nt — woran, bleibt allerd­ings unklar, denn die Begrün­dun­gen sind alle­samt nicht nachvol­lziehbar. Ob Massenkaram­bo­la­gen im Gebi­et der Nava­jo häu­fig vorkom­men oder nicht, zum Beispiel, ist erstens irrel­e­vant für die Frage, ob die ein Wort dafür haben (wir haben ja auch ein Wort für das in jedem Fall sel­tenere Ereig­nis Venus­tran­sit); zweit­ens sollte man Massenkaram­bo­la­gen im Nava­jo-Reser­vat in Ari­zona nicht vor­eilig auss­chließen — wie ein Kom­men­ta­tor richtig beobachtet hat, führt mit der I‑40 eine wichtige Inter­state genau durch Nava­jo Coun­ty, auf der im Übri­gen des Öfteren Sand­stürme auftreten, die die Sicht sehr plöt­zlich und sehr stark behindern.

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Sprachbrocken 13/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Den Mis­sion­aren und Mis­sion­ar­in­nen der Wycliffe Bible Trans­la­tors kann man vieles vor­w­er­fen (unter anderem eben, dass sie Mis­sion­ar­in­nen und Mis­sion­are sind), aber einen Vor­wurf kann man ihnen nicht machen: Falsche Beschei­den­heit. Bis 2050 wollen sie die Bibel in alle Sprachen der Welt über­set­zt haben. Das ist keine kleine Auf­gabe, denn derzeit wer­den, nach allem, was wir wis­sen, noch etwa 7000 Sprachen gesprochen, von denen laut Wycliff nur für 1211 wenig­stens das Neue Tes­ta­ment vor­liegt. Wenn der Plan aufge­hen soll, müssten die Bibelübersezter ab jet­zt alle zweiein­halb Tage eine neue Über­set­zung vorlegen.

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Schuldengrammatik

Von Anatol Stefanowitsch

Schon seit ein paar Monat­en geht eine Studie des Wirtschaftswis­senschaftlers Kei­th Chen durch die englis­chsprachige Presse, in der behauptet wird, dass die wirtschaftliche Men­tal­ität eines Volkes von sein­er Sprache abhängt. Eigentlich hat­te ich nicht vor, diese Studie zu kom­men­tieren (zu den Grün­den gle­ich mehr), aber vor zwei Wochen hat auch FAZ.net darüber berichtet und seit­dem bin ich mehrfach gebeten wor­den, etwas dazu zu sagen, vor allem von Leser/innen, die im Sprachlog gerne generell mehr über den Zusam­men­hang von Sprache und Denken lesen wür­den. Deshalb hier doch ein paar Gedanken zu der Studie.

Zunächst kurz zum Inhalt (wer es aus­führlich­er wis­sen will, dem sei der oben ver­link­te FAZ-Artikel emp­fohlen, wer es noch aus­führlich­er wis­sen will, kann die Studie selb­st [PDF, 450 KB] lesen). Chen teilt zunächst die Sprachen der Welt in zwei Grup­pen ein: die mit „schwachem Zukun­fts­bezug“ (weak future-time ref­er­ence) und die mit „starkem Zukun­fts­bezug“ (strong future-time ref­er­ence). Grob gesagt (es wird gle­ich noch fein­er) unter­schei­den let­zere in bes­timmten Zusam­men­hän­gen gram­ma­tisch zwis­chen Gegen­wart und Zukun­ft, während erstere das nicht tun. Will ich z.B. auf Deutsch aus­drück­en, dass ich für mor­gen Regen erwarte, kann ich dazu die Präsens­form (1) oder die Futur­form (2) verwenden:

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Sprachbrocken 12/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Ein­wan­der­er die Sprache ihrer neuen Heimat nicht sprechen, bilden sich schnell Par­al­lelge­sellschaften. Das weiß man auch in Öster­re­ich, und bietet deshalb nun auch für Öster­re­ichs größte Ein­wan­der­ergruppe Sprachkurse an: Für die Deutschen. Denn um sich erfol­gre­ich inte­gri­eren zu kön­nen, müssen die ler­nen, dass Lun­gen­brat­en eigentlich Schweine­lende ist und dass Wir hal­ten Sie in Evi­denz eine gängige Absage auf Stel­len­be­wer­bun­gen ist (wörtlich bedeutet es so etwas wie „Wir behal­ten Sie im Auge/Hinterkopf“).

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Unter Schneeblinden

Von Anatol Stefanowitsch

Es ist völ­lig egal, wie oft man den Mythos von den „vie­len Eski­mowörtern für Schnee“ wider­legt — wie aus­führlich man z.B. die Struk­tur der Eki­mo-Aleut-Sprachen erk­lärt, wieviele all­t­agsmythol­o­gis­che Quellen man durch­forstet, wievie­len Auswe­ich­mythen man nachge­ht. Es gibt immer Leute — einen drit­tk­las­si­gen Krim­i­au­tor, zum Beispiel, oder seine folk­lorisierende Bürokraft — die das alles bess­er wis­sen. Denn sie kan­nten mal jeman­den, der einen kan­nte, der vielle­icht ein Eski­mo war oder zumin­d­est einen dick­en Anorak besaß, und der hat es ihnen gesagt. Außer­dem haben sie eine Liste! Mit ganz vie­len Eskimoschneewörtern!

Nun kön­nte so eine Wörterliste ja sog­ar bei der Beant­wor­tung der Frage weit­er helfen, ob die Eski­mos ent­ge­gen der detail­lierten Auskün­fte von Fach­leuten viele­icht doch „viele Wörter für Schnee“ haben — es kön­nte ja sein, dass es sich bei den Auskün­ften der Fach­leute um eine Ver­schwörung han­delt, um sich von staatlichen Forschungs­geldern ein faules Leben zu gön­nen, so eine Art Wörter­gate. Wäre es nicht toll, wenn der kleine Mann auf der Straße diese Ver­schwörung aufdeck­en kön­nte, in dem er die Wörterlis­ten öffentlich macht, die die Lin­guis­tik-Mafia so verzweifelt unter Ver­schluss zu hal­ten versucht?

Einen Ver­such wäre es wert. Nur reicht es dazu lei­der nicht, so eine Liste gedanken­los in einen aufge­blasen blub­bern­den Blogkom­men­tar zu kopieren oder sie auf der eige­nen gerne­großen pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nden Lang­weil­er­web­seite vor der Welt zu ver­steck­en. Man muss dazu auch min­destens drei Fra­gen beant­worten können:

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Sprachbrocken 11/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Über die Jugend­sprache wird viel geschrieben — meis­tens in Form von frei erfun­de­nen Wörtern wie Knutschbunker und Gam­melfleis­ch­par­ty. Aber Der West­en hat jet­zt her­aus­ge­fun­den, warum die „Jugend­szene“ (ern­sthaft, so heißen junge Men­schen in Bergka­men wohl) so komisch spricht: Um sich der Strafver­fol­gung zu entziehen. Denn wenn die Richter nicht ver­ste­hen, was Kläger und Beklagte ihnen da erzählen, ste­ht am Ende nicht ein­mal Aus­sage gegen Aus­sage. Im vor­liegen­den Fall ist der Richter ange­blich an den für mich völ­lig kryp­tis­chen Sätzen „Ouh, nichts damit zu tun“, „Weiß gar nicht, was der will, weiß du“ und „Kopf umge­dreht, boahh ei, dann noch ein Gong, weiß du ne“ gescheit­ert. Wenn Deutsch als Staatssprache im Grundge­setz stünde, wäre das nicht pass– ach, egal.

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Wortgewaltphantasien

Von Anatol Stefanowitsch

Das mit den Eski­mos und ihren Wörter für Schnee ist ja inzwis­chen abge­früh­stückt – kein Men­sch glaubt mehr an ein aus­gedehntes, lexikalisch man­i­festes Inter­esse der Völk­er des nördlichen Polarkreis­es am kristallför­mi­gen Nierder­schlag. Höch­ste Zeit also für neue Vari­anten des zugrun­deliegen­den Mythos, dass Sprachge­mein­schaften beson­ders viele Wörter für das haben, was ihnen beson­ders wichtig ist.

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