Archiv der Kategorie: Altes Sprachlog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem alten Sprachlog auf der SciLogs-Plat­tform (2010–2012)

Am Ende des Tages [Neufassung]

Von Anatol Stefanowitsch
Bremer Sprachblog - Neufassung

Bre­mer Sprach­blog — Neufassung

Sprach­nör­gler zeich­nen sich häu­fig dadurch aus, dass sie immer wieder dieselbe Hand­voll sprach­lich­er Phänomene kri­tisieren: die ange­blich unl­o­gis­che Redewen­dung Sinn machen, den Ser­vice Point, die Bahn­hof­s­toi­lette Mc Clean und den Radlei­h­di­enst Call-a-Bike der Deutschen Bahn, das Schein­lehn­wort Handy. Man hat manch­mal den Ein­druck, mit fünf kleinen Änderun­gen am Sprachge­brauch könne man sämtliche Sprachkri­tik zum Ver­s­tum­men brin­gen. Ab und zu find­en die Anglizis­men­jäger aber doch ein neues Fein­dob­jekt. So haben sie vor kurzem die Phrase am Ende des Tages ent­deckt und auf die Liste der zum Abschuss freigegebe­nen  Redewen­dun­gen gesetzt.

Hier zunächst ein paar Beispiele für diese Redewendung:

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Von Tablet PCs und Damenbinden

Von Anatol Stefanowitsch

Das iPad sym­bol­isiert alles, was an Apple has­senswert ist, seit man in Cuper­ti­no das Wort „Com­put­er“ aus dem Fir­men­na­men gestrichen hat: es fes­selt die Nutzer an Apples pro­pri­etäre Dateifor­mate, an Apples dig­i­tales „Rechte“-Management, an Apples iTunes-Soft­ware, an Apples App­Store, an Apples Update-Zyk­lus — es entzieht den Nutzern also kom­plett die Kon­trolle über ihre Geräte.

Das Tech­nikfeuil­leton stört sich an all dem nicht. Es wird höch­stens moniert, dass das Gerät in Flash pro­gram­mierte Inhalte nicht wiedergeben kann. Stattdessen macht man sich gerne über den Namen lustig. Das fing schon kurz nach der Präsen­ta­tion des Geräts im Jan­u­ar an. Ich nenne nur drei Beispiele.

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Deutsch im Außendienst

Von Anatol Stefanowitsch

Beson­ders span­nend ist es nicht, aber irgend­wie habe ich das Gefühl, ich müsste ein paar Worte dazu sagen: Seit ein paar Tagen wird in der deutschen und europäis­chen Presse ein Brief des deutschen Außen­min­is­ters Gui­do West­er­welle an die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicher­heit­spoli­tik Cather­ine Ash­ton disku­tiert, in dem es um die Rolle der deutschen Sprache im derzeit in der Pla­nung befind­lichen Europäis­chen Auswär­ti­gen Dienst (EAD) gehen soll. Viel genauer kann ich es nicht sagen, denn der Text des Schreibens ist nicht öffentlich. Ich habe ver­sucht, ihn direkt vom Auswär­ti­gen Amt zu erhal­ten, aber man möchte den Inhalt des Briefes dort nicht öffentlich machen, ange­blich, um die Ver­hand­lun­gen um den EAD nicht zu gefährden. Warum es keine Gefahr ist, dass der Brief in der Presse bre­it­ge­treten wird, erschließt sich mir nicht, aber sei’s drum. Grob gesagt scheint es in dem Schreiben darum zu gehen, dass bei der Ein­stel­lung für den EAD deutsche Sprachken­nt­nisse vorgeschrieben bzw. Bewerber/innen mit solchen Ken­nt­nis­sen bevorzugt behan­delt wer­den sollen:

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Zuerst“ bedeutet nicht „wenige Tage danach“

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem ich Vorgestern auf die im Net­za­uftritt des VDS nachzule­sende, frei erfun­dene Behaup­tung hingewiesen habe, die amerikanis­che Unab­hängigkeit­serk­lärung sei zuerst auf Deutsch veröf­fentlicht wor­den, ist diese Behaup­tung gestern still und leise kor­rigiert worden.

Gut zu wis­sen, dass man beim VDS das Sprachlog liest und manch­mal sogar
ver­ste­ht, was ich hier schreibe. Vielle­icht dringt auf diese Weise etwas Ver­nun­ft in die irra­tionale Phan­tasiewelt der Anglizis­men­jäger ein.

Etwas ver­störend, allerd­ings, dass man Fehler kor­rigiert ohne sie einzugestehen.

So sah die Seite Vorgestern aus, als ich meinen Beitrag schrieb:

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Erfolgte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung auf Deutsch?

Von Anatol Stefanowitsch

Ist ger­ade Voll­mond, oder was lockt die VDS’ler in Scharen unter den Steinen her­vor, unter denen sie nor­maler­weise leben? Nach dem reizen­den Kom­men­tar, den Region­alleit­er Lietz mir am Woch­enende hier hin­ter­lassen hat, finde ich heute mor­gen diese deut­lich höflich­er und orthografisch kor­rek­tere E‑Mail in meinem Postfach:

Sehr ungeehrter Junior­pro­fes­sor! Als Englis­ch­pro­fes­sor ist Ihnen die deutsche Sprache natür­lich nichts wert, mit ihr kön­nen Sie sich nicht brüsten. Wer befan­gen ist, sollte ein­fach schweigen! Für einen Pro­fes­sor sind Sie außer­dem ziem­lich unge­bildet. Sie müssten wis­sen, daß Deutsch fast Amtssprache der USA gewor­den wäre und daß sog­ar die amerikanis­che Unab­hängigkeit­serk­lärung zuerst auf Deutsch veröf­fentlicht wurde. http://vds-ev.de/verein/aha/aha.php Mit unfre­undlichen Grüßen, Hol­ger (Mit­glied beim VDS)

Ehrlicher­weise muss ich dazu sagen, dass ich nicht beurteilen kann, ob es sich beim Autor wirk­lich um ein VDS-Mit­glied han­delt. Die E‑Mail ist über einen anony­men E‑Mail-Dienst ver­schickt wor­den und „Hol­gers“ ange­bliche E‑Mail-Adresse scheint nicht zu existieren. Die Anrede „Junior­pro­fes­sor“ deutet allerd­ings auf ein VDS-Mit­glied hin, da man im Forum des VDS der irri­gen Mei­n­ung ist, ich sei Junior­pro­fes­sor und da mich schon des öfteren nachvol­lziehbar authen­tis­che VDS-Mit­glieder so angeschrieben haben.

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Die Deutsche Bahn, Bewahrerin der englischen Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin ja zurzeit viel mit der Deutschen Bahn unter­wegs und nutze, um die Reisezeit opti­mal zu ver­w­erten, die Durch­sagen als Forschung­sob­jekt. Deshalb habe ich mich natür­lich beson­ders über den aktuellen Beitrag in Kristin Kopfs „Sch­plock“ gefreut, in dem sie sich mit ein­er Beson­der­heit des Bah­nenglisch befasst, die deut­lich inter­es­san­ter ist als die Frage, ob „Call-a-Bike“ bess­er „Ruf-ein-Rad“ heißen sollte:

Fast jedes Mal, wenn ich mit dem Zug unter­wegs bin, fällt mir eine kleine Eigen­heit im Bah­nenglisch auf:
“Ladies and Gen­tle­men, we arrive Berlin-Spandau …“
Die Wen­dung scheint fest zu sein, äußerst sel­ten höre ich Vara­tio­nen mit ein­er Prä­po­si­tion, die to arrive ja eigentlich fordert: Man kann nur at (oder in) arriv­en, nackt ist das Verb nicht brauch­bar. Ganz abge­se­hen davon, dass die Verb­form eine andere sein müsste (we will be arriv­ing …).

Die Frage der Verb­form würde ich etwas dif­feren­ziert­er sehen. Der gram­ma­tis­che Kon­text ist ja nor­maler­weise In a few min­utes, we arrive… oder We arrive … at 19:47, und da wäre es vorstell­bar, dass die intendierte Aus­sage eine habituelle sein soll, also etwa „Zum Zeit­punkt X erre­ichen wir immer/jeden Tag …“. In diesem Fall wäre die Form we arrive annehm­bar. Wenn das spez­i­fis­che Ereig­nis des Ankom­mens an diesem einen Tag um diese eine Zeit gemeint ist, dann wäre ein Futur nötig, entwed­er in der Ver­laufs­form, wie Kristin vorschlägt, oder in der ein­fachen Form, also we will arrive…. Tat­säch­lich kön­nte das we arrive ein­fach ein undeut­lich aus­ge­sproch­enes ein­fach­es Futur sein: we’ll arrive.

Aber um die Zeit­form geht es ja auch gar nicht, es geht um die Frage, ob arrive ein direk­tes Objekt erlaubt (We arrive [Objekt Berlin-Span­dau]), oder ob das Ziel als adver­biale Ergänzung in Form ein­er Prä­po­si­tion­alphrase benan­nt wer­den muss (We arrive [Adver­bial at/in Berlin-Span­dau]). Kristin geht davon aus, dass ein direk­tes Objekt nicht möglich ist, und erk­lärt den Fehler als Inter­ferenz aus dem Deutschen:

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Weltliterarische Illusionen

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“, bei der vier Ober­sprach­nör­gler jeden Monat nach Alter­na­tiv­en für englis­che Lehn­wörter suchen, scheint zu schwächeln. Seit Ende Novem­ber ste­ht auf der Web­seite der Aktion unverän­dert fol­gen­der Aufruf:

Von „State­ments“ wer­den wir umzin­gelt, Fest­stel­lun­gen also, mehr oder weniger wichti­gen Ver­laut­barun­gen, zumal von Poli­tik­ern. Sollte sich dafür nicht ein schlichteres, ein saftiges deutsches Wort find­en lassen? Ange­bote bitte bis 18.12.2009.

Die deutsche Sprache würde es verkraften, wenn die Aktion ein­schliefe, aber für mich wäre es eine mit­tlere Katas­tro­phe: Ich kon­nte die ganzen let­zten Jahre immer darauf bauen, dass die Aktion mir ein­mal im Monat Stoff für mein Blog liefern würde.

Da mir diese Inspi­ra­tion nun fehlt, musste ich die Web­seite der Aktion nach anderen The­me­nan­re­gun­gen durch­forsten. Und natür­lich wurde ich schnell fündig: Hin­ter der Verknüp­fung Weltlit­er­atur ver­birgt sich das passende Gegen­stück zu den sprach­lichen Unter­gangsphan­tasien der Sprach­nör­gler: kul­tureller Größen­wahn. Unter dem Titel „Das Sam­mel­beck­en der Weltlit­er­atur?“ wollen uns die Aktioneure weis­machen, dass man als kul­turell und lit­er­arisch inter­essiert­er Men­sch eigentlich nur eine einzige Sprache ken­nen muss: Deutsch.

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Verzählt

Von Anatol Stefanowitsch

Da wende ich dem Wis­senschafts­feuil­leton nur kurz den Rück­en zu, um mich ein paar Tage lang auf ein­er der wichtig­sten Kon­feren­zen der deutschen Sprach­wis­senschaft herumzutreiben, und ver­passe dabei glatt die sprach­wis­senschaftliche Sen­sa­tion des Jahrhun­derts. Hol­ger Dambeck weiß auf Spiegel Online näm­lich Fol­gen­des zu berichten:

So sehr sich amerikanis­che und europäis­che Kinder in Mathe-Tests anstren­gen – ihre Altersgenossen aus Chi­na sind bess­er. Dank eines ein­facheren Zahlen­sys­tems kön­nen sie schon früh bess­er zählen und rech­nen. Sprach­forsch­er glauben, dass die Methodik auch deutschen Kindern helfen würde. [SPIEGEL.de/Dambeck 2010]

Bevor ich erk­lären kann, was daran eine Sen­sa­tion wäre, muss ich erk­lären (wie es auch der Artikel tut), was mit einem „ein­facheren“ Zahlen­sys­tem gemeint sein soll: näm­lich ein Sys­tem sprach­lich­er Aus­drücke, das sich möglichst streng an der Dez­i­malschreib­weise ori­en­tiert. In dieser Schreib­weise gibt es, wie wir alle wis­sen, eigene Sym­bole für die Zahlen von Null bis Neun, ab der Zehn wer­den alle Zahlen als Kom­bi­na­tion dieser Sym­bole geschrieben, in der Ein­er, Zehn­er, Hun­dert­er, usw. in absteigen­der Rei­hen­folge genan­nt wer­den. Die Zahl „Ein­hun­dert­fün­fzehn“ etwa wird 115 geschrieben, was ja soviel heißt wie „Ein Mal Hun­dert, und ein Mal Zehn, und fünf Mal eins“.

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