Archiv der Kategorie: Altes Sprachlog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem alten Sprachlog auf der SciLogs-Plat­tform (2010–2012)

Public Viewing zum Dritten

Von Anatol Stefanowitsch

Wie gesagt, Sprach­nör­gler inter­essieren sich nicht beson­ders für Tat­sachen, und darum war es vorherse­hbar, dass sie sich auch durch ein repräsen­ta­tives Kor­pus nicht von ihrer mor­biden Inter­pre­ta­tion des Begriffs Pub­lic View­ing abbrin­gen lassen würden.

Tom S. Fox, der schon im Bre­mer Sprach­blog aus­giebig getrollt hat und vor eini­gen Wochen unter dem Namen A. Nonym auch im Sprachlog angekom­men ist, nen­nt in seinem Kom­men­tar zu diesem Beitrag zwei Quellen, die er für gewichtiger hält als ein 100-Mil­lio­nen-Wörter-Kor­pus: Den amerikanis­chen Autor John Madi­son, der das Blog „Noth­ing for Ungood“ betreibt, und einen nicht genan­nten Fre­und, dem er eine E‑Mail geschrieben hat.

John Madi­son behauptet das in der Tat. Allerd­ings ver­di­ent er nun ein­mal sein Geld damit, Deutschen einzure­den, er beschreibe „[d]eutsche Selt­samkeit­en aus amerikanis­ch­er Per­spek­tive“ (so der Unter­ti­tel seines Buch­es zum Blog). Dabei liegen die Selt­samkeit­en sehr häu­fig einzig und allein an sein­er Überzeu­gung, dass er ganz per­sön­lich der Maßstab dafür sei, wie die Amerikan­er denken, sprechen und han­deln. Mit anderen Worten, er ist eine Art Bas­t­ian Sick für in Deutsch­land lebende Amerikan­er. Man mag das, was er schreibt, amüsant find­en (über Humor lässt sich ja lei­der nur schw­er stre­it­en), aber man sollte seine Glossen nicht mit Tat­sachenbeschrei­bun­gen verwechseln.

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Public Viewing oder die Rückkehr der Leichenbeschauer

Von Anatol Stefanowitsch

Da selb­ster­nan­nte Sprach­be­wahrer im All­ge­meinen kein großes Inter­esse an sprach­lichen Tat­sachen haben, dafür aber umso lieber auf den immer gle­ichen, meis­tens dutzend­fach wider­legten Irrmei­n­un­gen herum­re­it­en, war es unver­mei­dlich, dass mit der Fußball­welt­meis­ter­schaft auch der Mythos von der öffentlichen Auf­bahrung von Leichen durch die Zeitungs­land­schaft getrieben würde. Das näm­lich, so erfahren wir dieser Tage zum Beispiel aus der Köl­nis­chen Rund­schau und der Frank­furter Rund­schau, sei die eigentliche Bedeu­tung des Wortes Pub­lic View­ing.

Ich habe bere­its vor zwei Jahren — zur Europameis­ter­schaft — im Bre­mer Sprach­blog darauf hingewiesen, dass das nicht stimmt, und dass pub­lic view­ing im Englis­chen im Prinzip genau das bedeutet, was man erwarten würde, wenn man die Wörter pub­lic und view­ing zu einem Kom­posi­tum zusam­menset­zt: das öffentliche Anguck­en von allem Möglichen.

Aber genutzt hat es eben nichts. Der Beitrag ist zwar inzwis­chen gut fün­fzehn­tausend Mal aufgerufen wor­den, aber Sprach­be­wahrer waren unter den Lesern offen­sichtlich schwach vertreten.

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Klassenlose Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ich lese ger­ade Craig Rus­sels The Valkyrie Song (dt. „Walküre“), das seit zwei Jahren unge­le­sen in meinem Bücher­re­gal stand, und obwohl ich das Gefühl habe, dass der Autor ein wenig das Inter­esse an seinem Ham­burg­er Kom­mis­sar Jan Fabel ver­loren hat und der Roman atmo­sphärisch nicht ganz an seine vier Vorgänger Blood Eagle („Blu­tadler“), Broth­er Grimm („Wolfs­fährte“), Eter­nal („Brand­mal“) und The Car­ni­val Mas­ter („Carneval“) her­an­re­icht, macht es mir wieder großen Spaß, meine Heimat­stadt durch die Augen eines britis­chen Krim­i­nalschrift­stellers und für ein inter­na­tionales Pub­likum auf­bere­it­et zu erleben.

Rus­sel ken­nt nicht nur Ham­burg gut, auch bei sein­er Ver­wen­dung deutsch­er Wörter und Sprach­schnipsel unter­laufen ihm sel­ten die Fehler, die man son­st häu­fig sieht, wenn Schriftsteller/innen fremde Sprachen ver­wen­den, um ihrem Text Lokalkolorit zu verleihen.

Das ist auch in The Valkyrie Song nicht anders, wo er dieses Stilmit­tel allerd­ings auch weniger stark ein­set­zt als in den vorherge­hen­den Roma­nen. Dafür unter­läuft ihm auf ein­er abstrak­teren Ebene ein sprach­wis­senschaftlich­er Fehler, der zwar mein Lesev­ergnü­gen nicht geschmälert hat, der aber trotz­dem inter­es­sant ist. Im vierten Kapi­tel schreibt er an ein­er Stelle Fol­gen­des, wobei es mir um den her­vorge­hobe­nen Satz geht:

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Wir sind Englisch

Von Anatol Stefanowitsch

Deutsch­land darf wieder mal harm­los und hys­ter­isch stolz auf sich sein. Wir sind nicht nur Papst, wir sind jet­zt auch Lena — dem Wun­der von Oslo sei Dank.

Eigentlich kön­nte mir das egal sein. Als ich das let­zte Mal den Euro­vi­sion Song Con­test gese­hen habe, hieß er noch Grand Prix d’Eu­ro­vi­sion, und Kat­ri­na and the Waves waren vorherse­hbare Sieger. Ich will gar nicht wis­sen, wann das war, ich merke dann nur wieder, dass ich alt werde. Und Lena Mey­er-Lan­drut geht mir mit ihrer pen­e­tran­ten Ich-bin-nur-ein-neun­zehn­jähriges-Schul­mäd­chen-aus-Han­nover-und-singe-son­st-nur-unter-der-Dusche-Num­mer etwas auf die Nerven.

Ander­er­seits ist sie natür­lich nur ein neun­zehn­jähriges Schul­mäd­chen aus Han­nover und singt son­st nur unter der Dusche, also kann man es ihr irgend­wie nach­se­hen. Und vor allem hat sie es nicht ver­di­ent, wegen ihres englis­chen Akzents so ange­fein­det zu wer­den, wie es der britis­che Jour­nal­ist Mark Espin­er auf Spiegel Online getan hat:

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Sprachstücke

Von Anatol Stefanowitsch

Erstens, Gespräch in der S‑Bahn:

SOHN (ca. 9 Jahre alt). „Papa, ist das hier überall?“

VATER. „Fre­und­chen, ein Satz beste­ht aus Sub­jekt, Prädikat und Objekt, und ‚Ist das hier über­all‘ ist kein voll­ständi­ger Satz.“

(Eigentlich klang es, rustikal nord­deutsch, eher so: „Froinchen, oin Sätz beste­jht aus Sub­jekt, Predikoot und Objekt, und ‚Is däs hiä übäooll‘ is koin voll­stän­niger Sätz“.).

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Le Sprachschützer, c’est moi

Von Anatol Stefanowitsch

In einem Artikel des Wis­senschaft­sjour­nal­is­ten Arndt Zick­graf auf Tele­po­lis spiele ich — teils gewollt, teils unge­wollt — aus­nahm­sweise mal die Rolle des Sprach­schützers. Gewollt, weil Zick­graf in seinem Artikel, in dem es ihm um die Zukun­ft des Deutschen als Wis­senschaftssprache geht, über meinen Ver­such berichtet, die deutsche Web­seite der Vierten Inter­na­tionalen Kon­fer­ez der Deutschen Gesellschaft für Kog­ni­tive Lin­guis­tik weit­ge­hend frei von englis­chem Lehngut zu hal­ten, und von diesem Ver­such habe ich ihm frei­willig erzählt.

Unge­wollt, weil ein paar der Zitate im Zusam­men­hang des Artikels, und ohne den Kon­text, in dem ich sie pro­duziert habe, den Ein­druck erweck­en kön­nten, ich hielte ich das Ver­schwinden des Deutschen als Wis­senschaftssprache für ein Prob­lem und meine Kon­feren­zweb­seite für einen entschei­den­den Beitrag zum Erhalt der bedro­ht­en deutschen Sprache. Das ist nicht Zick­grafs Schuld, wer sorgfältig liest, dürfte meine tat­säch­liche Mei­n­ung zu diesem The­ma erken­nen. Aber die kom­prim­ierte Form des Artikels, in dem lei­der kein Platz für aus­führliche Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen ist, ver­leit­et eventuell manche Leser/innen zu vor­eili­gen Schlüssen, vor allem, weil Sprach­nörgelei und Katas­tro­phen­szenar­ien die Mehrheitsmei­n­ung sind.

Deshalb möchte ich hier sowohl meinen sprach­pflegerischen Ver­such als auch meine Mei­n­ung zum The­ma Wis­senschaftssprache Deutsch noch ein­mal kurz klarstellen.

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Keine Wissenschaft ohne Mathematik

Von Anatol Stefanowitsch
Bloggewitter: Mathematik, Sprache, Wissenschaft

Blogge­wit­ter: Math­e­matik, Sprache, Wissenschaft

In einem mein­er ersten Beiträge hier im Sprachlog ging es um die Frage, ob das Deutsche als Wis­senschaftssprache an Bedeu­tung ver­liert, und wenn ja, ob das schlimm wäre. Meine Antwort auf die erste Frage, das wird nie­man­den über­raschen, war ein klares „Ja“. Meine Antwort auf die zweite Frage ist dif­feren­ziert­er. Für die Wis­senskul­tur in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Deutschschweiz wäre es ein Ver­lust, wenn das Deutsche völ­lig aus der Wis­senschaft ver­schwände. Gesellschaftliche und kul­turelle Prozesse wer­den in diesen Län­dern in deutsch­er Sprache ver­han­delt, und eine Wis­senschaft, die an diesen Prozessen beteiligt sein will, kann auf die deutsche Sprache nicht verzichten.

Zumin­d­est in der Kom­mu­nika­tion nach außen muss Wis­senschaft also in der jew­eili­gen Lan­dessprache ver­mit­tel­bar bleiben, und dafür ist es sich­er von Vorteil, wenn auch ein Teil der Kom­mu­nika­tion unter Wissenschaftler/innen in dieser Lan­dessprache stat­tfind­et. Der große Teil der inter­nen Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion muss aber in ein­er Sprache stat­tfind­en, die von anderen Wis­senschaftlern weltweit ver­standen und ver­wen­det wird. Der einzige Kan­di­dat für eine solche Sprache ist derzeit Englisch, und deshalb find­et die Kom­mu­nika­tion unter Wis­senschaftlern (der Ideenaus­tausch in Fach­pub­lika­tio­nen, auf Kon­gressen und natür­lich auch in den häu­fig inter­na­tion­al zusam­menge­set­zten Arbeits­grup­pen einzel­ner Lehrstüh­le und Insti­tute in englis­ch­er Sprache statt. Das ist gut so, und es ist für die deutschsprachige Wis­senschaft und die deutschsprachi­gen Sprachge­mein­schaften völ­lig unproblematisch.

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Der Adler ist ausgeflogen

Von Anatol Stefanowitsch

Der aktuelle XKCD behan­delt mal wieder ein sprach­lich­es Phänomen:

Außerhalb der Saison beschäftige ich einen Dompteur, der mir dabei hilft, Geheimagenten mit Situationen zu konfrontieren, die sie nicht per Funk weitermelden können.

Außer­halb der Sai­son beschäftige ich einen Domp­teur, der mir dabei hil­ft, Geheim­a­gen­ten mit Sit­u­a­tio­nen zu kon­fron­tieren, die sie nicht per Funk weit­er­melden können.

 

© 2010, xkcd
(Deutsche Bear­beitung © 2010 Ana­tol Stefanowitsch).
Sowohl das Orig­i­nal als auch die deutsche Bear­beitung ste­hen unter der Creative-Commons-BY-NC‑2.5‑Lizenz.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Danebenliegende Sprachnörgelnde

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Nachgedanke, der im Beitrag vom Fre­itag keinen Platz mehr hat­te. Joffe geißelt in sein­er Kolumne die „Sprach-Ver­schlin­gun­gen durch ‚Gen­der-Main­stream­ing‘“ und ver­weist auf Max Goldt, der diese Ver­schlin­gun­gen „anhand der Phrase ‚ster­bende Studierende‘ (nach einem Uni-Mas­sak­er)“ aufzeige: „Wie kann man gle­ichzeit­ig ster­ben und studieren?“

Max Goldt ist ein inter­es­santes Phänomen. Er hat bril­liante Momente (hier dür­fen Ver­weise auf Katz und Goldt und Ich und mein Staub­sauger nicht fehlen), aber wenn er sich dem The­ma Sprache zuwen­det, wie in der von Joffe angeris­se­nen Pas­sage, bleibt von sein­er Bril­lianz nichts übrig:

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Sprachverbote

Von Anatol Stefanowitsch

Ich ver­suche nor­maler­weise, alles zu ignori­eren, was Josef Joffe von sich gibt. Er schafft es immer wieder, unin­formiert kon­tro­verse Mei­n­un­gen zu vertreten (der Irak-Krieg ist gut, Kli­mawan­del existiert nicht, das Inter­net böse und Print­jour­nal­is­mus ist immer Qual­ität­sjour­nal­simus), ohne dabei irgen­det­was Inter­es­santes zu sagen. Aber manch­mal klicke ich aus Verse­hen auf einen Link auf eine sein­er Kolum­nen, und wenn ich erst ein­mal ange­fan­gen hat, zu lesen, überkommt mich eine der­ar­tig bleierne geistige Trägheit, dass ich nicht aufhören kann, bis der Text zu Ende ist.

In ein­er aktuellen Kolummne geht es ums The­ma Sprache, speziell zu „Denk- und Sprechver­boten“. In typ­is­ch­er Joffe-Manier mäan­dert die Kolumne vor sich hin und es bleibt, wie so oft, unklar, worauf er eigentlich hin­auswill, außer, dass irgend­wie die Post­mod­erne, die Polit­i­cal Cor­rect­ness und der Mul­ti­kul­tur­al­is­mus an allem Schuld sind.

Er ver­mis­cht munter völ­lig ver­schiedene Arten von Sprachregelun­gen und Sprachver­boten, vom alttes­ta­men­tarischen Ver­bot, den Namen Gottes auszus­prechen über das Ver­bot der Majestäts­belei­di­gung bis hin zum Ver­bot der Volksver­het­zung und von Euphemis­men über poli­tisch kor­rek­te Sprache bis hin zu Orwells Neusprech. Alles inter­es­sante The­men und Grund genug für mich, mich ein­mal selb­st mit diesen Sprachregelun­gen auseinan­derzuset­zen, und sei es nur, um wieder wach zu werden. 

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