Archiv der Kategorie: Altes Sprachlog

In dieser Kat­e­gorie befind­en sich Ana­tol Ste­fanow­itschs Beiträge aus dem alten Sprachlog auf der SciLogs-Plat­tform (2010–2012)

Ramsauer, einfach unverbesserlich

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe das Ver­hält­nis der Deutschen Bahn zur englis­chen Sprache schon kri­tisi­ert und gelobt, aber eigentlich lässt es mich völ­lig kalt.

Mich regt etwas anderes auf: dass die Deutsche Bahn kom­plett den Anspruch aufgegeben hat, auch nur Anstal­ten zu machen, so zu tun als ob sie den Anschein erweck­en wolle, zumin­d­est ein Lip­pen­beken­nt­nis bezüglich ein­er prinzip­iellen Bere­itschaft abzugeben, wenig­stens vorzutäuschen, uns ein leeres Ver­sprechen machen zu wollen, dass sie the­o­retisch vorhabe, ihr Monopol auf den Schienen­verkehr in Deutsch­land zum Anlass zu nehmen, diesen auf eine Art zu betreiben, die wenig­stens für das zwanzig­ste Jahrhun­dert nicht völ­lig unangemessen gewe­sen wäre.

Wenn es einen Satz gibt, der bei mir Has­s­ge­füh­le aus­löst, dann ist es nicht „Thank you for trav­el­ling with Deutsche Bahn“, son­dern „Wir bit­ten um ihr Ver­ständ­nis“. Weit­er­lesen

Anglizismus des Jahres: Jury und Modalitäten

Von Anatol Stefanowitsch

Um die Ern­sthaftigkeit der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres zu unter­stre­ichen, habe ich die Jury noch um zwei Mit­glieder erweit­ert und außer­dem Wahlmodal­itäten fest­gelegt. Wie man sieht, haben wir eine ganz her­vor­ra­gende Jury und ein sehr trans­par­entes Ver­fahren, sodass die Wahl zum Anglizis­mus des Jahres 2010 der Beginn ein­er lan­gen und erfol­gre­ichen Tra­di­tion wer­den dürfte. 

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Unabhängig des Genitivs

Von Anatol Stefanowitsch

Die Berlin­er Mor­gen­post liefert jahreszeitlich passend eine Bilder­strecke mit der Über­schrift „Ein Fest unab­hängig jed­er Reli­gion”. Diese Über­schrift ist interessant

Unabhaengigjederreligion

Erstens, weil sie gel­o­gen ist — die Bilder­strecke bringt ein Beispiel nach dem anderen dafür, wie Chris­ten Wei­h­nacht­en feiern. Andere Reli­gio­nen kom­men nur auf einem einzi­gen Bild mit der fol­gen­den Bil­dun­ter­schrift vor: „Aber nicht über­all kommt das Fest gut an. Der islamis­che Gelehrte Jus­suf al-Kar­dawi will Wei­h­nacht­en ver­bi­eten lassen, weil es nicht mit dem islamis­chen Glauben vere­in­bar ist.“ Weit­er­lesen

Wahlaufruf zum Anglizismus des Jahres 2010

Von Anatol Stefanowitsch

Alle has­sen englis­che Lehn­wörter. Wir nicht. Wir geben jedem neuen Wort, egal, woher es stammt, zunächst ein­mal die Gele­gen­heit, seinen kom­mu­nika­tiv­en Nutzen unter Beweis zu stellen und ver­trauen darauf, dass die Sprachge­mein­schaft über­flüs­sige Wörter schnell wieder aussortiert.

Um den mehr oder weniger auf­schlussre­ichen Wahlen zum Wort und/oder Unwort des Jahres, mit denen uns ver­schiedene Sprachge­sellschaften und ‑vere­ine uns zum Jahreswech­sel beglückt haben oder dies noch tun wer­den, eine weit­ere hinzuzufü­gen, möcht­en wir den Beitrag, den die englis­che Sprache zur Entwick­lung des Deutschen macht, angemessen würdigen.

Wir bit­ten deshalb um Nominierun­gen für den „Anglizis­mus des Jahres 2010“.

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Bock zum Gärtner

Von Anatol Stefanowitsch

Während die Sprach­nör­gler in Deutsch­land sich haupt­säch­lich auf englis­che Lehn­wörter ein­schießen, bekämpfen ihre britis­chen Brüder und Schwest­ern im Geiste von der britis­chen Plain Eng­lish Cam­paignhaupt­säch­lich SMS- und Jugend­sprache, lange Sätze, Meta­phern — im Prinzip alles, was sie nicht verstehen.

Zum The­ma „Meta­phern“ geben sie den um eine klare Sprache bemüht­en Besuch­ern ihrer Web­seite zum Beispiel diese War­nung auf den Weg:

George Orwell’s advice is still worth fol­low­ing: ‘Nev­er use a metaphor, sim­i­le, or oth­er fig­ure of speech which you are used to see­ing in print.’ („George Orwells Rat gilt immer noch: Ver­wende nie eine Meta­pher, einen Ver­gle­ich oder son­st irgen­deine Rede­fig­ur, die du regelmäßig gedruckt siehst.“)

Irgend­je­mand hat aber offen­sichtlich vergessen, das der Press­esprecherin des Vere­ins zu sagen. Die äußerte gegenüber der Tageszeitung Dai­ly Mail gegenüber näm­lich jüngst Fol­gen­des (Rede­fig­uren, die man schon eine Mil­lion mal gedruckt gese­hen hat, sind in Fettdruck dargestellt): Weit­er­lesen

Wörterwahl nach Wutsherrenart

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe ja nie ein Geheim­nis daraus gemacht, dass ich wenig Begeis­terung für die Wahl von Wörtern zum Wort, Unwort, Jugend­wort oder über­flüs­sig­sten Wort des Jahres oder Monats, zum schön­sten aus­ge­wan­derten oder einge­wan­derten oder zum schön­sten Wort über­haupt auf­brin­gen kann. Ich habe ja nichts gegen Wörter. Viele mein­er besten Fre­unde sind Wörter. Aber, das wird man ja wohl noch sagen dür­fen, ausze­ich­nen sollte man keins von ihnen. Wörter sollen ihre Arbeit erledi­gen, näm­lich, uns beim Reden zu helfen, und davon abge­se­hen sollen sie uns in Ruhe lassen.

Das gilt natür­lich auch für das gestern von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres 2010“ gekürte Wut­bürg­er. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das Wort ohne­hin völ­lig unin­ter­es­sant; es ist ein ganz nor­males Nom­i­nalkom­posi­tum, von denen das Deutsche eins pro Sekunde prä­gen kön­nte, wenn es nur wollte. Und es wollte schon oft: ich nenne nur bespiel­haft Ehren­bürg­er, Schild­bürg­er, Spießbürg­er, Welt­bürg­er, Bun­des­bürg­er, Erden­bürg­er, Net­zbürg­er, Pfahlbürg­er, Cheese­bürg­er und Staats­bürg­er.

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Säumige Handwerker

Von Anatol Stefanowitsch

Die Ham­burg­er Handw­erk­skam­mer wirbt seit eini­gen Monat­en in Bah­nen, Bussen und Zeitun­gen, und im Sep­tem­ber sog­ar mit einem Groß­plakat am Dock 10, mit dem Slo­gan „Zugegeben, Ham­burg ist uns gut gelun­gen. Aber wir hat­ten ja auch 1.200 Jahre Zeit“.

Hamburgistunsgutgelungen

Ich nehme an, dass das Handw­erk sich mit diesem Werbe­spruch pos­i­tiv darstellen will, auch wenn ich den ver­schlun­genen Gedanken­gang nicht nachvol­lziehen kann, auf dem ein Wer­ber zur Überzeu­gung gelangt ist, dass der Slo­gan diesen Zweck erfüllt.

Denn dass die Ham­burg­er Handw­erk­er min­destens 1.200 Jahre brauchen, um über­haupt mal vor­bei zu schauen, das wussten wir auch so. Neu ist nur, dass sie auch noch stolz darauf sind.

Schneechaos

Von Anatol Stefanowitsch

Spiegelfechter Jens Berg­er hat sich vor ein paar Tagen mit der Frage beschäftigt, seit wann die Medi­en jeden Schneefall und die damit ein­herge­hen­den Verkehrs­be­hin­derun­gen als „Schneechaos“ beze­ich­nen und in den Archiv­en von Spiegel und ZEIT den Win­ter 1978/1979 ausgemacht.

Eine Suche auf Google Books zeigt, dass das Wort an sich viel älter ist: Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1900, aus den „Berggeschicht­en“ eines Arthur Achleit­ner, der über ein Law­ine­nunglück schreibt: Weit­er­lesen

Nen kurzer Nachtrag

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Nach­trag zu nen: Ein
Kom­men­ta­tor dort hat im Dig­i­tal­en Wenker-Atlas nachgeschla­gen und darin Belege für nen biss­chen gefun­den (diese Phrase taucht dort in Satz 31 auf und die For­men des indef­i­niten Artikels sind auf Karte 432 zusammengetragen).

Ich habe diesen Dialek­tat­las, in dem der Dialek­tologe Georg Wenker die Ergeb­nisse ein­er Frage­bo­gen­er­he­bung fes­thielt, die er 1887 durchge­führt hat­te, daraufhin noch ein­mal sys­tem­a­tisch durch­sucht und die Belege für nen biss­chen in eine Google-Karte über­tra­gen (dabei bin ich nach Augen­maß vorge­gan­gen, die geo­graphis­chen Koor­di­nat­en sind also nur unge­fähr). Hier ist die Aus­beute, in Farbe und unver­pix­elt (man muss etwas her­aus­zoomen um alle Belege zu sehen): Weit­er­lesen