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[AdJ 2011] — Welches ‑gate nimmst du?

Von Susanne Flach

Heute bloggen Kristin und ich zeit­gle­ich zum Kan­di­dat­en -gate. So ein Par­al­lel­post haben wir uns schon im let­zten Jahr gegön­nt: wir wis­sen also bis 22 Uhr nicht, welche Über­legun­gen die andere angestellt hat, wo sie gesucht hat und zu welchem Ergeb­nis sie kommt. Reizvoll.

(Hier geht’s zu Kristins Beitrag. Sie hat auch die Nominierungs­be­grün­dung von Patrick Schulz aus­ge­graben — ich hat­te gar nicht auf Kom­men­tar­seite 4 geguckt. Auch gut. Dann war ich wenig­stens nicht in eine von bei­den Rich­tun­gen vor­ein­genom­men, weil Patrick let­ztes Jahr das Siegerwort leak­en nominiert hatte.)

Nun denn: Zum ersten Mal in der tra­di­tion­sre­ichen Geschichte der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres ist ein Affix nominiert bzw. hat die erste Runde über­standen: -gate. Die Nominierung, genauer gesagt eigentlich die Entlehnung eines gebun­de­nen Deriva­tion­s­mor­phems an sich, ist deshalb ein biss­chen erstaunlich, weil in den aller­meis­ten Fällen unge­bun­dene, also freie lexikalis­che Ein­heit­en entlehnt wer­den. Es sind also besoders Nomen und Ver­ben, die Sprachen mit Vor­liebe aufnehmen; mit ein klein biss­chen Abstand fol­gen Adjek­tive — und ganz sel­ten in der Entlehnung­shier­ar­chie ste­hen Ein­heit­en, die sich eher am gram­ma­tis­chen Ende unseres Wortschatzes befinden.

Jet­zt haben wir mit -gate also ein Suf­fix, ein (augen­schein­lich) gebun­denes Mor­phem, ein Nom­i­nal- bzw. Derivationssuffix.

Aktualität?

In der Kürze der Zeit im ausklin­gen­den Semes­ter war es mir unmöglich, eine eventuelle Häu­figkeit genau zu bemessen bzw. das Vorkom­men des — nen­nen wir es vor­läu­fig — Wortbe­standteils genauer auf einen Zeitraum einzu­gren­zen. Das liegt primär daran, dass -gate in ober­fläch­lichen Suchan­fra­gen alle möglichen Wortkom­bi­na­tio­nen auswirft, die auf -gate enden: eine flotte Aufzäh­lung bein­hal­tet beispiel­sweise Sur­ro­gate, Aggre­gate, Agate, Spa­gate oder Col­gate. Ander­er­seits wer­den all die “echt­en” -gates überse­hen, die sich bere­its in der Schrei­bung der deutschen Orthografie angepasst haben: also eben nicht Karatchi-Gate oder Bat­tery-Gate, die mit einem Binde­strich die Suche ermöglichen und erleichtern.

Die schnelle Suche in Zeitungsko­r­po­ra bei Cos­mas II ergibt ein eben­so ver­wirrtes Bild und hil­ft bei der Aktu­al­ität­süber­prü­fung nur so viel weit­er: -gate ist als Affix schon lange belegt, eigentlich deut­lich zu alt und für die Wahl 2011 schon vor­weg nicht qualifiziert.

Also müssen wir uns der Nominierung anders näh­ern. Ich werfe deshalb zwei Fra­gen in den Raum: 1.) Hat sich die Bedeu­tung in den let­zten Jahren vor und speziell in 2011 spür­bar vom Surrogat(e) Water­gate ent­fer­nt? Dann frage ich mich allerd­ings auch 2.): worum han­delt es sich eigentlich — um ein Deriva­tion­saf­fix oder vielle­icht doch um den Kopf eines Kompositums?

Ursprung

Na, das über­rascht jet­zt nie­man­den: Water­gate, 1972. Der OED (in der Aus­gabe von 1989, auf der die online ver­füg­bare Def­i­n­i­tion beruht) definiert es folgendermaßen:

A ter­mi­nal ele­ment denot­ing an actu­al or alleged scan­dal (and usu­al­ly an attempt­ed cov­er-up), in some way com­pa­ra­ble with the Water­gate scan­dal of 1972.

Ein Skan­dal mit großer poli­tisch-gesellschaftlich­er Strahlkraft, kön­nte man sagen. Damals.

Im Englis­chen war -gate übri­gens ganz flott pro­duk­tiv zur Stelle (OED):

  1. Vol­ga­gate (1973), Dal­las­gate (1975), Kore­a­gate (1976),
  2. Motor­gate (1975), Lance­gate [is no Water­gate] (1977),
  3. Wine-gate (1973), Ice Cream Gate (1977)

Dabei sind die Grup­pierun­gen hier seman­tisch motiviert vorgenom­men (die sich bis heute wenig ver­wun­der­lich gehal­ten haben): Gruppe 1 ist nach den Orten des Skan­dals, Gruppe 2 nach den Namen der involvierten Per­so­n­en oder Pro­duk­ten und Gruppe 3 nach der Sub­stanz des Skan­dals ein­ge­ord­net. Außer­dem scheint mit zunehmender Zeit die Wucht des Skan­dals und sein­er Öffentlichkeitswirkung doch recht deut­lich abzunehmen.

Inter­es­sant ist auch, dass der OED -gate nicht als pro­to­typ­is­ches Affix kat­e­gorisiert, son­dern als com­bin­ing form. Dies sind For­men, die wie Affixe auftreten (als gebun­dene Mor­pheme), also wie etwa die form medico- (von med­ical), dazu gehören auch beispiel­sweise gebun­dene Mor­pheme wie -olo­gy, bio-, physio- oder astro-, die man auch als Wort­bil­dungse­le­mente der soge­nan­nten neok­las­sis­chen Kom­po­si­tion beze­ich­net (Wort­bil­dung mit gebun­de­nen lateinis­chen oder griechis­chen Ele­menten). Mit -gate scheinen wir uns also in der Grau­zone zwis­chen Kom­po­si­tion und Deriva­tion zu befind­en: Kom­po­si­tion wäre es nur dann eindeutig(er), wenn -gate ein freies Mor­phem wäre. (Ich suche aber noch die Rel­e­vanz der Erken­nt­nis, dass es sich um ein Kom­po­si­tion­se­le­ment han­deln kön­nte.)

Kompositum?

Die Frage ist für die Wahl aber drit­trangig und abschließend beant­worten möchte ich sie nicht. Jaha, dann kam heute näm­lich Babette und tat uns und der Twit­terge­meinde einen ganz wun­der­baren Gefall­en! Das lustige Ket­ten­mail­gate aus dem Bun­destag förderte heute unter anderem diese Ver­wen­dun­gen von Gate als freies Mor­phem zu Tage:

Ein Gate und die #Pirat­en sind nicht dabei? Ich pran­gere das an! #kürschn­er­gate (25. Jan­u­ar 2012) [@AlterPirat]

Mal ein Gate, ohne dass #Pirat­en scheisse gebaut hät­ten. #kürschn­er­gate (25. Jan­u­ar 2012) [@TeleGehirn]

wüsste er, was ihr hier alles als “gate” beze­ich­net, würde richard nixon sich im grabe umdrehen. (25. Jan­u­ar 2012) [@dielilly]

Das ken­nen wir auch schon von Ismus (“Das ist doch bloß wieder so ein komis­ch­er Ismus!”) — das gernz­i­tiertes Beispiel von freige­set­zten Mor­phe­men (mit lexikalis­ch­er Bedeu­tung). Das macht Kom­mu­nis­mus oder Fem­i­nis­mus natür­lich nicht zu Kom­posi­ta. Aber bei Gate bestünde dur­chaus das Poten­tial, dass es sich für den kleinen, leicht amüsant anmu­ten­den Skan­dal für die Früh­stückspause dur­chaus verselb­st­ständigt. Abwarten. Aber Gemach, Gemach — immer­hin suchen wir hier den Anglizis­mus des Jahres 2011 und nicht das Freie Mor­phem 2012.

#kürch­n­er­gate ist seit Stun­den Top­trend bei Twit­ter. Das ist nicht über­raschend — und illus­tri­ert die Bedeu­tungsver­schiebung von -gate in die Rich­tung, dass sich bei dem entsprechen­den Ereig­nis eben noch nicht mal um einen Skan­dal han­deln muss, um ein Gate zu sein.

Produktivität?

Diese Ein­schätzung wird von einem Beitrag in der Frank­furter All­ge­meinen (21.01.2012) gestützt:

Aber man kann Lauer, der ein­er von 15 Abge­ord­neten der Piraten­partei im Berlin­er Abge­ord­neten­haus ist, auch sehr schnell zum Aus­ras­ten brin­gen. Man muss nur „Part­ner­gate“ sagen, „Salz­gate“ oder „Eso­gate“. Es sind die auf Twit­ter benutzten Codewörter der Skandälchen, mit denen die Berlin­er Pirat­en es in let­zter Zeit regelmäßig in die Haupt­stadt­boule­vard­presse geschafft haben.

Also davon abge­se­hen, dass wir ver­mut­lich Prob­leme mit der Aktu­al­ität bekom­men, finde ich diese Bedeu­tungsver­schiebung eigentlich ziem­lich rel­e­vant für die Wahl. Die Suche im Cos­mas II bleibt hier ober­fläch­lich, aber ein gewiss­es Muster zeich­net sich ab:

Waterkant­gate” nen­nen spitze Zun­gen die kaum glaublichen Wahlkampfvorgänge, die bewirk­ten, daß laut und in allen Lagern von Poli­tik und Gesellschaft die Frage nach der Moral der Macht gestellt wird.
1987, Mannheimer Mor­gen, 3. Dezem­ber [H87/KM6.09413]

Welchen Song müßte er heute spie­len, um sein durch “Mon­ica­gate” ram­poniertes Image aufzupolieren?
1998, Frank­furter Rund­schau, 6. April [R98/APR.27953]

Die Lokal­presse fand einen grif­fi­gen Titel für den Abhörskan­dal im CDU-Haus: “Weser­gate”.
2003, Rhein-Zeitung, 1. Juli [RHZ03/JUL.00398]

Der Skan­dal hat­te als »Nip­ple­gate« für Schlagzeilen gesorgt.
2004, Nürn­berg­er Nachricht­en, 24. April [NUN04/SEP.02343]

Die Medi­en sprechen schon vom „Karatschi-Gate“ mit dem Poten­zial, Frankre­ichs neue Staat­saf­färe zu werden.
2010, Nürn­berg­er Nachricht­en, 23. Novem­ber [NUN10/NOV.02267]

Auch ein Kabi­nettsmit­glied ges­tand, dass ein Krawat­ten­verzicht erhe­blichen häus­lichen Ärg­er aus­gelöst hätte. Krawat­ten-Befür­worter sehen in See­hofers Vorstoß ein bedauer­lich­es Krawat­ten-Gate: „Stil­los“ und eine „Mis­sach­tung des Par­la­ments“, schimpfte ein auf Tra­di­tion bedachter CSU-Abgeordneter.
NUZ11/JUL.01355 Nürn­berg­er Zeitung, 14.07.2011

Es ist nur eine Stich­probe — aber wir sind im Deutschen offen­bar von der großen Staat­saf­färe zum kleinen Kan­ti­nen­witz gewan­dert. Von Water­gate zu bajuwarischen Empörung über Krawat­ten? Also da gehört schon eine gehörige Por­tion Dra­maque­enge­quen­gel, aus Let­zterem sowas wie Ern­sthaftigkeit rauszule­sen. Außer­dem fehlt der heuti­gen Ver­wen­dung der Aspekt der Ursprungs­be­deu­tung bzw. der, die noch in den 2000er Jahren vorherrschend war, näm­lich das des Staatsskan­dals und des die Öffentlichkeit täuschen­den Vertuschens.

Fazit?

Ich bin mir nicht sich­er, ob all diese Argu­mente -gate wirk­lich für einen der Top­plätze qual­i­fizieren. Was aber inter­es­sant ist, in Erman­gelung der son­st eher dürfti­gen Erfül­lung der Nominierungskri­te­rien: Wir haben eine Bedeu­tungsver­schiebung zum kleinen, amüsan­ten Skan­dal für zwis­chen­durch. Erneut ist für diese Ein­schätzung natür­lich der Sog von Twit­ter mitver­ant­wortlich. Und in der Kürze der Zeit dann trotz­dem eine span­nende und unter­halt­same Ent­deck­ung, auch für mich. So ist -gate dann doch irgend­wie ein putziger Kan­di­dat — vielle­icht mit Außen­seit­er­chan­cen, weil wir jet­zt ver­all­ge­mein­ert und unge­hemmt pro­duk­tiv auf alles anwend­bar die Gates belächeln dürfen.

[AdJ 2011] Where’s my Masterand?

Von Susanne Flach

Nominiert wurde Mas­terand von Leser/in kww:

Ich möchte das Wort “Mas­terand” vorschla­gen. Es ist natür­lich eine Analo­giebil­dung zu Diplo­mand, d.h. es beze­ich­net jeman­den, der an sein­er Mas­ter­ar­beit arbeitet.

Mir ist dieses Wort in diesem Jahr zum ersten Mal und bish­er nur in mündlich­er Form untergekom­men. Nach der Umstel­lung von den Diplom­stu­di­engän­gen zu Bach­e­lor/­Mas­ter-Stu­di­engän­gen taucht diese Sorte Men­schen jet­zt zum ersten Mal auf (zumin­d­est in mein­er Umge­bung). Google zeigt, dass es auch schriftlich vorkommt, vor allem in Stel­lenanzeigen und da meis­tens in der Kom­bi­na­tion “Diplomand/Masterand”.

Begeben wir uns auf Exkur­sion und begin­nen ein wenig früher.

Der Begriff Mas­ter, genau wie der unter augen­schein­lich­er Ver­drän­gung lei­dende Mag­is­ter, geht — wenig über­raschend — auf das Lateinis­che mag­is­ter zurück (Kluge 1889; Grimm­sches Wörter­buch [DWB]). In verkürzter Form wird mag­is­ter meist als ‘Lehrer, Gelehrter, Meis­ter’ wiedergegeben. Es ist auch ver­wandt mit dem deutschen Meis­ter und deshalb auch mit allen möglichen Ämtern (Bürg­er­meis­ter, ursprünglich wohl antonymisch-ana­log gebildet: Min­is­ter); also irgend­wie im Wort­feld der Gelehrten und Mächti­gen. Der Duden erwäh­nt gar die mor­phol­o­gis­che Ver­wandtschaft zu Mag­nat [s. ‘Herkun­ft’, da magis ‘mehr’, als adv. zu mag­nus, siehe auch magna cum laude, Magna Car­ta — alles irgend­wie Große halt].

Mag­is­ter (lat.) erfuhr im Deutschen nach der schon in früheren Sprach­sta­di­en geklaut­en lateinis­chen Bedeu­tung und Entlehnung Meis­ter im Mit­te­lal­ter eine weit­ere, zweite Entlehnung unter Kon­servierung des lateinis­chen Begriffs, näm­lich eine “von den uni­ver­sitäten seit dem 15. jahrh. aus­ge­hende, mit beibehal­tung der gelehrten lateinis­chen form: mag­is­ter lib­er­al­i­um artium wurde der in der artis­ten- (philosophis­chen) fac­ultät zum range der lehrerschaft erhobene genan­nt; auch doc­toren der the­olo­gie hieszen mag­istri” (DWB).

Immer noch ein Gelehrter (und stre­it­bar Mächtiger), aber eben mit der Bedeu­tungss­chat­tierung im akademis­chen Rahmen.

Warum das alles? Weil es im Englis­chen ähn­lich ablief. Also auch hier mag­is­ter > maystr (in diversen Schrei­bun­gen) > mas­ter. Schauen wir uns dazu mal eine Auswahl der reich­halti­gen Belegsamm­lung des OED unter dem Stich­wort mas­ter[1. “mas­ter, n.1 and adj.”. OED Online. Decem­ber 2011. Oxford Uni­ver­si­ty Press. 20 Jan­u­ary 2012 <http://www.oed.com/viewdictionaryentry/Entry/114751>.] an, wo allerd­ings die über­wälti­gende Anzahl an Ein­trä­gen (Bedeu­tun­gen) meine Vorstel­lungskraft von Wortbe­deu­tungs­ket­ten und ‑rela­tio­nen auf eine herbe Probe stellt — deshalb wirk­lich Auswahl:

In der Bedeu­tung als erster Ein­trag: ‘Herrsch­er, Mächtiger, Führer’

Ðonne he gemette ða scylde ðe he stier­an scolde, hrædlice he gecyðde ðæt he wæs mag­is­ter & ealdormonn.
(10. Jhd., King Ælfred, Pas­toral Care, Hat­ton xvii. 117; Über­set­zung: van Gelderen 2010: 46)

witodlice he sette him weor­ca mægstras, þæt hy gehyn­don hi mid hefigum byrþenum.
(11. Jhd. Old Eng. Hexa­teuch: Exod. (Claud.) i. 11)

Heo­re aȝene pine neure nere þe lesse þah heo meistres weren.
(13. Jhd., MS Lamb. in R. Mor­ris Old Eng. Hom­i­lies (1868) 1st Ser. 43)

A kingis prou­ost may haue na mare pow­er na has his mais­ter.
(15. Jhd., G. Hay Bk. Law of Armys (2005) 103

(Ich bitte um Entschuldigung — meine Altenglis­chken­nt­nisse reichen noch nicht aus, um mich in zeitlich vertret­barem Aufwand durch Kasuswin­dun­gen und Satzk­lam­mern zu friemeln.)

Es fol­gen 13 Hauptein­träge mit ein­er scroll­balke­natomisieren­den Zahl an unter Umstän­den obso­leten Unterbe­deu­tun­gen: Man­ag­er, Auf­se­her, Haushaltsvorste­her, Mil­itärober­er, Arbeit­ge­ber, Jeman­den-irgend­was-tuend-in-ein­er-Schule, irgend­was-tech­nis­ches (mas­ter slave), Haustierbe­sitzer (obäch­tle! Her­rchen!), Sieger ein­er Schlacht, Jemand-mit-Macht, Freier Mann, être maître, a woman’s huband, Schiff­skapitän, Besitzer von irgend­was — vielle­icht hätte ich mich auf Online Ety­mol­o­gy Dic­tio­nary beschränken sollen — Bridge­spielka­rte, Haupt­doku­ment, Gramophon­teil — oha, ab Bedeu­tung 11: Lehrer, in Kom­posi­ta auch als Schuldirek­tor, Lehrmeis­ter, Stil- und Kun­stikone — und wenn ich lange genug suchen würde, bes­timmt auch noch im Wort­feld des Spaßvogels.

Dreißig Kilo­me­ter (es fol­gen dann noch 10 weit­ere Ein­träge und eine Lat­te an offen­bar def­i­n­i­tion­swürdi­gen Kom­posi­ta) später sind wir also bei:

A hold­er of a senior degree from a uni­ver­si­ty or oth­er aca­d­e­m­ic insti­tu­tion, the degree being orig­i­nal­ly of a sta­tus which con­veyed author­i­ty to teach at a uni­ver­si­ty. Now usu­al­ly: the hold­er of a post­grad­u­ate degree below the lev­el of a doctorate.

Per­son mit einem weit­er­führen­den Abschluss ein­er Uni­ver­sität oder ein­er anderen akademis­chen Ein­rich­tung; der Grad befähigte ursprünglich zur Lehre an ein­er Uni­ver­sität. Jet­zt beze­ich­net mas­ter üblicher­weise den/die Träger/in eines post­graduierten Abschlusses unter­halb eines Doktorgrades.’

Bis ins 19. Jahrhun­dert beschränk­te sich mas­ter über­wiegend auf die Geis­teswis­senschaften (als Mas­ter of Arts oder mag­is­ter artium), das Dok­torat war das Pen­dant in den anderen Fäch­ern. In dieser Bedeu­tung ist mas­ter erst­mals 1380 belegt:

Heyr lyis Ingram of Kethenys prist maystr in arit.
(1380, Proc. Soc. Anti­quar­ies Scotl. (1896) 30 42.)

Nehmen wir die Orthografie als brauch­baren Indika­tor zur Aussprache, lis­tet der OED eine beein­druck­ende Liste an Entwick­lungssta­di­en von mag­is­ter > mas­ter:

Altenglisch (bis ca. 11. Jdh.): mæg­ster, magester, mag­is­ter, mægester, mægister
Im Über­gang zu Mit­te­lenglisch (11. Jdh.): mestre, mæstere
Mit­te­lenglisch (12.–14. Jdh.): maȝȝstre, mais­tere, maistr, mais­tur, maistyr, maystere, may­stir, maystur, maystyr, meis­ter, mei­s­tir, meistre, mesteir, meyster, mai­s­tir, mayster, maystre, maister,
Spätes Mit­te­lenglisch (15–16 Jhd.): masster, mas­tur, mas­tir, mastyr, mas­tre, mas­ter, mas­tar, muster;
Schot­tisch (17. Jhd.): maiester, mais­tere, mais­ter­ris (plur­al)
Eng. Region­al (18. Jhd.): maaster (north.), maas­ther (north.), maes­tur (west.), mais­ter,  mais­ther (north.), marster (south-east.), mayster, meast­er, meeast­er (north.), mester (north.), mes­ther (north.), mes­tur (north.);

Was auf­fällt: Bere­its im Mit­te­lenglis­chen war das <g> und ver­mut­lich lange davor auch das [ɡ] ver­schwun­den. Außer­dem war Mit­te­lenglisch recht nahe am heuti­gen Meis­ter. Durch Lautver­schiebun­gen und einem inten­siv­en Sprachkon­takt mit dem Alt­nordis­chen und Franzö­sis­chen (OED), lan­den wir im Früh­neuenglis­chen (etwa ab 1500) beim mas­ter. Man kön­nte fast sagen: Eine laut­liche Entwick­lung, die im Deutschen beim Meis­ter und akademisch beim Mag­is­ter ste­henge­blieben zu sein schein — die dann vom Bologna-Prozess aber hop­pla­hopp vor­angetrieben wurde.*

Kom­men wir zum Wesentlichen, son­st ste­ht nach­her im Kom­men­tar­bere­ich: “The­ma ver­fehlt!”. Immer­hin ist Mas­terand nominiert und die Fest­stel­lung, dass die Englis­che Sprache im Sprach­wan­del mal wieder n Zack­en flot­ter war, ist ja auch nicht so neu. Wie der/die Nominierende ver­mutete, ist Mas­terand eine analoge Bil­dung zu Diplo­mand und Mag­is­trand — also als Beze­ich­nung für jeman­den, der/die ger­ade kurz vor Erlan­gung des akademis­chen Grades ste­ht, also hier dem des Mas­ters. Mit Ein­führung der Bach­e­lor- und Mas­ter­ab­schlüsse und dem Aus­laufen der tra­di­tionellen Diplom- und Mag­is­ter­ab­schlüsse fehlen uns offen­bar auch die Gegen­stücke zu diplomieren und mag­istri­eren. Man kön­nte  ein­wen­den, dass mag­istri­eren gar nicht existiert — zugegeben, 255 Tre­f­fer sind im Ver­gle­ich zu über ein­er hal­ben Mil­lion für diplomieren nicht ger­ade üppig.

Wozu mag­istri­eren und diplomieren? Das Nom­i­nal­suf­fix -and ist ein Deriva­tion­ssuf­fix, das aus Ver­ben auf -ieren die entsprechen­den Nomen macht: neben den Diplo­man­den, Dok­toran­den und Habil­i­tanden gibt es auch die Proban­den, Kon­fir­man­den und Reha­bil­i­tanden, in der Math­e­matik (also unbelebte Entitäten) die Sum­man­den, Mul­ti­p­likan­den, Operan­den oder Inte­granden. Dieses Deriva­tion­ssuf­fix gibt es auch in der sel­teneren Alter­na­tive -end: Sub­tra­hend oder Div­i­dend — und aus dem Reich der Akademie natür­lich der Pro­movend.

Die deut­lich pro­duk­ti­vere Vari­ante ist das Suf­fix­paar -ant/-ent: auch hier wer­den Nomen aus -ieren-Ver­ben abgeleit­et, allerd­ings mit einem sub­tilen seman­tis­chen Unter­schied: Absol­vent, Min­is­trant, Diri­gent, Emi­grant, Emi­tent, Fab­rikant, Kor­re­spon­dent, Demon­strant, Kon­tra­hent oder Queru­lant beze­ich­nen Per­so­n­en, die die Verb­hand­lung selb­st ausführen.

Die -and/-end-Nomen hinge­gen beze­ich­nen Per­so­n­en, die von der Verb­hand­lung betrof­fen sind (Canoo.net, Duden.de). Manche qual­i­fizieren sich also über den Min­is­tran­ten zum Kon­fir­man­den. Darin liegt vielle­icht auch eine der Gründe der Kon­fu­sion, ob man (selb­st) eigentlich pro­movieren kann oder ob man pro­moviert wird. (Dies ist mir bish­er vor allem von Sprach­pflegern vorge­hal­ten wor­den, weil ich sage: man kann auch *hüs­tel* selb­st pro­movieren; also sprach­lich.) Ergoexkurs: Müsste man nicht sog­ar eine Unter­schei­dung zwis­chen Pro­movent und Pro­movend ziehen?

In einem Forum­sar­tikel bei leo.org bericht­en einige Foris­ten von ihren Bauch­schmerzen beim Wort Mas­terand (was ana­log aber auch für Bach­e­lo­rand gilt): Warum nicht Mas­ter-Stu­dent? Weil es nicht aus­re­ichend genau ist: Ein Mas­ter-Stu­dent beze­ich­net all­ge­mein­er jeman­den, der in einem Mas­ter­stu­di­en­gang eingeschrieben ist. Der Mas­terand hinge­gen spez­i­fiziert den Zeit­punkt des Studi­ums — kurz vor dem Abschluss.

So suchen bere­its viele Unternehmen in Stel­len­börsen und ‑anzeigen Mas­teran­den, oft wer­den derzeit noch Diplo­man­den ange­sprochen. Die gesucht­en Mitar­beit­er wer­den meist aus tech­nis­chen Stu­di­engän­gen rekru­tiert, weil sie ihre Abschlus­sar­beit­en häu­fig als Werk­studierende in den Unternehmen schreiben kön­nen. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb Mas­terand eine recht stat­tliche Anzahl von Google­tr­e­f­fern erzielt, aber in Trendlis­ten (z.B GoogleIn­sights) oder Kor­po­ra so gut wie gar nicht auf­taucht (weshalb die Nominierung in der Jury sehr skep­tisch gese­hen wurde) und wohl im all­ge­meinen Sprachge­brauch noch nicht angekom­men zu sein scheint.

Ein­er der Leo-Foris­ten merkt an, dass Mas­terand unsin­nig sei, weil — wenn sich Dok­torand und Diplo­mand von Ver­ben auf -ieren ableit­en — es gar kein mas­terieren gäbe. Nun ja, das ist aber auch nicht das Entschei­dende: Erstens kann man ana­log zu diplomieren oder pro­movieren natür­lich mas­terieren ver­wen­den, um die stres­sige Phase kurz vor dem akademis­chen Abschluss zu umschreiben. Zweit­ens ist auch diplomieren nicht ein­fach vom Him­mel gefall­en, son­dern eben­falls eine Deriva­tion, näm­lich von Diplom, dem Abschlussgrad also. So ist der Deriva­tion­sprozess Mas­ter > mas­terieren > Mas­terand qua­si impliz­it. Außer­dem finde ich diplomieren per­sön­lich auch nicht so nahe dran am Diplo­mand, wie beispiel­sweise pro­movieren am Doktoranden/Promovenden dran ist — weil bei der Dok­torar­beit jed­er nor­maler­weise bere­its mit dem Auf­schla­gen des ersten Buch­es pro­moviert, also während des gesamten Pro­mo­tion­sstudi­ums — und nicht erst in der heißen Endphase.

Drit­tens, und das ist entschei­dend, ist die Betra­ch­tung der Bil­dung von Mas­terand auf rein mor­phol­o­gisch-for­malen Aspek­ten über die Ableitung mas­terieren eigentlich eher unspan­nend. Plau­si­bler ist die Annahme, dass die Bil­dung auf der Analo­gie in einem fast iden­tis­chen, seman­tis­chen und konzeptuellen Rah­men beruht, also auf dem Abschlussgrad an sich.

Fazit

Wer es bis hier­hin geschafft hat: Her­zlichen Glück­wun­sch! Denn eigentlich ist die vor­weggenommene Schlussfol­gerung: Kein beson­ders heißer Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres.

Warum?

Erstens, und vielle­icht etwas wider­sprüch­lich für die Kri­te­rien der Wahl, weil die Über­lebenswahrschein­lichkeit von Mas­terand nahezu exor­bi­tant hoch ist — zumin­d­est bis wir Mas­ter namentlich durch einen anderen Abschluss erset­zt haben. Mas­terand wird Diplo­mand und Mag­is­trand in weni­gen Jahren kom­plett ver­drängt haben und der Kon­ven­tion­al­isierungsef­fekt wird auch die Bauch­schmerzen heilen. (Die Berufs­beze­ich­nun­gen Dipl-Ing oder Mag­is­ter wer­den mit ihren Trägern/-innen noch etwas überdauern.)

Zweit­ens, und das finde ich im End­ef­fekt für einen Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres zu wenig: Mas­terand bezieht sich in der Bil­dung auf einen Abschluss, der jeden Namen tra­gen kön­nte (es hat fast Eigen­na­men­charak­ter). Ergo: Es würde genau­so schnell wieder ver­schwinden. Was noch dazu kommt: Es find­et keine wirk­liche seman­tis­che Dif­feren­zierung statt. Also abge­se­hen von der Tat­sache, dass Diplom­stu­di­engänge jet­zt Mas­ter­stu­di­engänge sind — und es wirk­lich eine reine Analo­gie zu den beste­hen­den Begrif­f­en ist (durch Aus­tausch). Auch, dass dem Mas­ter ein Bach­e­lor­grad vorgeschal­tet wurde, ändert nichts an der Tat­sache, dass die Qualen, Pusteln und Stress­si­t­u­a­tio­nen die gle­ichen bleiben.

Drit­tens: Die einzige wirk­liche Bedeu­tungs­d­if­feren­zierung (siehe Nominierungskri­te­rien) befind­et sich eigentlich im Wort Mas­ter, nicht notwendi­ger­weise im Mas­terand. Mas­ter ist aber entsch­ieden zu alt, um 2011 noch irgend­je­man­den anglizis­mentech­nisch vom Hock­er zu hauen. Deshalb war mein erster Reflex auch eher: Und wo ist der Anglizis­mus? Mas­ter dif­feren­ziert aber nicht gegenüber Diplom, son­dern gegenüber seinem ety­mol­o­gis­chen Ver­wandten Meis­ter, also als Grau-Wieder-Re-Über­sprungs-Import. Man hätte für Mas­ter den Meis­ter im Bil­dungswe­sen aus nahe­liegen­den Grün­den aber nicht vorschla­gen kön­nen. Wir ver­tra­gen jede Menge Pol­y­semie — aber bei qual­i­fizieren­den Bil­dungs- und Beruf­s­graden hört die Pol­y­semiev­erträglichkeit auf fach­lich­er Grund­lage auf. Gut, die Nominierungskri­te­rien lassen auch zu, wenn etwas bis dato umständlich umschrieben wer­den musste: so erset­zt Mas­terand die Mas­ter­ar­beitschreiben­den oder gar ganze Phrasen wie die Studieren­den, die ihre Mas­ter­ar­beit schreiben.

Ich finde aber: Das reicht nicht.

Eine let­zte Bemerkung, der ich wirk­lich nicht wider­ste­hen kann: Die Meis­ternör­gler hin­ter dem Anglizis­musin­dex des VDS find­en, dass Mas­ter in den Natur­wis­senschaften ergänzend, für die Geis­teswis­senschaften aber ver­drän­gend ist — das ver­ste­he im Ungle­ich­schritt der Lexiko­nen­twick­lung im Deutschen und Englis­chen wer will: Ger­ade in den Geis­teswis­senschaften wäre der Mas­ter doch eine seman­tisch-ver­wandte Weit­er­en­twick­lung zu Mag­is­ter. Na, was soll’s.

Oder aber ich hab trotz­dem das The­ma ver­fehlt und hätte eigentlich über die Entwick­lung von -and/-end aus dem lateinis­chen Gerun­di­v­suf­fix -andus sin­nieren sollen. Ich set­ze es mal auf meine lange “irgen­wann noch zu bloggen”-Liste.

Spaß gemacht hat’s trotzdem.

DWB: Grimm, Jakob und Wil­helm Grimm. 1854–1961. Deutsches Wörter­buch [DWB]. Leipzig 1971. [Online]

Kluge, Friedrich. 1889. Ety­mol­o­gis­ches Wörter­buch der deutschen Sprache. Straßburg: Trüb­n­er. [Online].

[AdJ 2011] Der Shitstorm ist zurück!

Von Susanne Flach

Die Kan­di­dat­en für die Wahl zum Anglizis­mus des Jahres ste­hen fest — und wer­den von den Jurymit­gliedern in den näch­sten Wochen in Blogs und Foren disku­tiert wer­den. Ich mache bei mir den kurzen Auf­takt mit Shit­storm. Dieser Kan­di­dat ist bere­its zum zweit­en Mal nach 2010 nominiert, wo er es in die Endrunde schaffte (war wenig aus­sicht­sre­ich). Ich disku­tierte Shit­storm bere­its let­ztes Jahr in diesem Beitrag.

In die engere Auswahl schaffte es der Begriff also auch 2011. Shit­storm ist in ein­er schnellen Google­suche 2011 etwa dop­pelt so häu­fig wie 2010. Grund genug, mal zurück und voraus zu blick­en. Außer­dem wen­den wir uns der Frage zu, ob Shit­storm ein soge­nan­nter Scheinan­glizis­mus ist — das gehört auf den ersten Blick nicht hier­her, aber irgend­wie halt doch.

2010 schrieb ich:

Shit­storm lässt sich für das Deutsche all­ge­mein definieren als ‘Sturm öffentlich­er, massen­haft auftre­tender Entrüs­tung (im Web)’. Dabei bezieht sich Shit­storm aber nicht nur auf kon­struk­tive Kri­tik oder erwart­baren Gegen­wind, was ja die nahe­liegende Über­set­zung Protest­sturm beze­ich­nen würde, son­dern es bein­hal­tet – mit den Worten des Blog­gers Sascha Lobo – auch: “eine sub­jek­tiv große Anzahl von kri­tis­chen Äußerun­gen […], von denen sich zumin­d­est ein Teil vom ursprünglichen The­ma ablöst und [die] stattdessen aggres­siv, belei­di­gend, bedro­hend oder anders attack­ierend geführt [wer­den].” (Sascha Lobo, How to sur­vive a shit storm, Vor­trag auf der re:publica 2010)

Daran scheint sich im Grunde nichts wesentlich­es geän­dert zu haben. Es kön­nte sich aber eine Bedeu­tungsausweitung auf Kon­texte eines han­del­süblichen öffentlichen Protests bemerk­bar machen. Die Welt schreibt im Dezem­ber von öffentlichem Wider­stand auch, aber nicht nur, auf Face­book gegen die Wei­h­nachtswer­bung ein­er Elek­tron­ikkette. (Die Über­schrift muss ein Segen für den Jour­nal­is­ten gewe­sen sein!) Ganz ähn­lich sieht es das Busi­ness­magazin t3n, und kommt zu dem Schluss, dass Def­i­n­i­tio­nen und Ver­wen­dun­gen unein­heitlich sind:

Aus der PR-Sicht sind viele der all­ge­mein als Shit­storm beze­ich­neten PR-Krisen eigentlich gar keine. Erst wenn der Anteil der unsach­lichen, per­sön­lichen Kri­tik die argu­men­ta­tive Kri­tik übertönt, sprechen sie von einem Shit­storm. Berechtigte Kri­tik von Kun­den an einem Unternehmen oder ein­er Marke fällt dem­nach nicht darunter.
All­ge­mein betra­chtet wird der Begriff aber sehr viel weit­er gefasst. Alles was die Rep­u­ta­tion eines Unternehmens, ein­er Marke oder ein­er Per­son schadet und über das Social Web eine Eigen­dy­namik entwick­elt und eine kri­tis­che Masse über­schre­it­et, wird schnell als Shit­storm beze­ich­net. Ob das immer gerecht­fer­tigt ist, ist die andere Frage.

Ich bin mir nicht sich­er, ob die Aktion des Protests gegen den Elek­tron­ikkonz­ern unter die oben skizzierte Def­i­n­i­tion von Shit­storm fällt oder ob wir auf­grund dieser Ver­wen­dung und unter­schiedlich­er Auf­fas­sun­gen, wann ein Protest ein Shit­storm ist, von ein­er Bedeu­tungsausweitung des Begriffs sprechen dür­fen. Bliebe abzuwarten — es spräche aber dafür, dass sich hier ein Begriff vom reinen Social-Media-Kon­text in den öffentlichen, all­ge­meinen Sprachge­brauch ver­schiebt. Ein vor­sichtiges Her­zlichen Glückwunsch!

Die Herkun­fts­be­deu­tung im Englis­chen ist im Gegen­satz zur Ver­wen­dung im Deutschen auf den ersten Blick sehr viel all­ge­mein­er — also meist ganz ohne Web2.0, Social Media und gerne auch ohne die Öffentlichkeit. Nach wie vor find­et sich kein Ein­trag im OED oder im Mer­ri­am. Lediglich in Ein­trä­gen im Urban Dic­tio­nary (oft zweifel­hafte Quellen/Erklärungen) für shit­storm und shit storm oder bei Wik­tionary find­en sich Definitionen.

Set­zen wir mal auf die Def­i­n­i­tion im Wiktionary:

shit­storm, n.,

  1. (vul­gar) A vio­lent situation.
  2. (idiomat­ic, vul­gar) Con­sid­er­able back­lash from the public.

Aber kom­men wir kurz zum Deutschen zurück: Für Shit­storm gibt es seit dem 08. Juni 2011 einen Ein­trag in der deutschen Wikipedia, der Shit­storm über­raschen­der­weise zu den Scheinan­glizis­men zählt — ver­mut­lich auch auf­grund des ober­fläch­lich all­ge­meineren Verwendung/Definition. Scheinan­glizis­men sind Wörter, die sich zwar laut­lich als Entlehnung aus dem Englis­chen tar­nen, die aber entwed­er dort nicht existieren oder eine nicht-ver­wandte Bedeu­tung haben. (Die Wikipedia-Def­i­n­i­tion zu Scheinan­glizis­mus muss hier mal fix her­hal­ten. Wer Tips für eine gute, inter­es­sante wis­senschaftliche Studie parat hat, ab in den Kom­men­tar­bere­ich! Wobei ich “Scheinan­glizis­mus” ohne­hin eher für ein begrif­flich­es Kon­strukt der Sprachkri­tik halte, das uns sagt, dass wir Anglizis­men auch noch “falsch” erfind­en. Aber gut, ich schweife ab.)

Shit­storm (dt.) und shit­storm (engl.) haben aber sehr klar miteinan­der ver­wandte Bedeu­tun­gen. Das, was wir bei Entlehnun­gen ja sehr oft sehen, näm­lich dass wir nur eine von mehreren Bedeu­tungss­chat­tierun­gen importieren, ist auch bei Shit­storm passiert (das ist nix neues gegenüber 2010). Also wenn wir davon aus­ge­hen, dass Shit­storm nicht gle­ich shit­storm ist. Und selb­st wenn wir Shit­storm in einem anderen Kon­text ver­wen­den, so sind die bildlichen Beziehun­gen zwis­chen bei­den Konzepten so deut­lich zu erken­nen, dass ich Shit­storm nicht in einen Topf mit son­st üblicher­weise als Scheinan­glizis­men beispiel­haft aufge­führten Handy oder Beam­er würde wer­fen wollen.

Aber shit­storm wird in der englis­chsprachi­gen Net­zwelt eben doch auch so benutzt, wie bei uns: Das zeigen diese Twit­ter­mel­dun­gen der let­zten Stun­den und Tage aus einem 500km-Radius um New York (Ort willkür­lich gewählt, Ort­sangabe beruht auf den Biografieangaben der Twitterer):

Thank you Novar­tis for not recall­ing per­co­cet and endocet…us pharm­ers would sure­ly be fac­ing a phar­maged­don shit­storm […] [Link,@_RxLauren]

Inter­est­ing arti­cle in immi­gra­tion and eco­nom­ics on #CiF: […] fol­lowed by the usu­al shit­storm of idiots, unfor­tu­nate­ly… [Link, @acatcalledfrank]

Peo­ple give Tebow crap because of his (well-mar­ket­ed) Chris­t­ian beliefs. Imag­ine the shit­storm if he was vocal­ly agnos­tic! [Link, @SeanTheBaptiste]

[…] Once the pub­lic at large becomes aware of #NDAA, Oba­ma is going to learn what “polit­i­cal shit­storm” means. [Link, @Kaveros]

And it was writ­ten by a con! RT @techweenie Pre­pare for con­ser­v­a­tive shit­storm@Newsweek: Pre­sent­ing this week’s cover://t.co/Xlm26rgX #p2 [Link, @thejoshuablog]

Hal­ten wir ein­fach fest: Shit­storm ist kein Scheinan­glizis­mus. Wir haben eben im ersten Schritt nur die eine Bedeu­tung einge­führt. Diese scheint sich auszuweit­en — Kri­teri­um der Bere­icherung für den Sprachge­brauch erfüllt. Die Fest­stel­lung der Bedeu­tung auf­grund der Belegsamm­lung aus dem Englis­chen — obgle­ich in let­zter Instanz irrel­e­vant für unseren Sprachge­brauch — zeigt, dass es ein gen­uin­er Anglizs­mus ist.

Faz­it

Was Shit­storm trotz mein­er Skep­sis aus dem let­zten Jahr in diesem Jahr sog­ar zu einem recht guten Kan­di­dat­en macht: Wir sind offen­bar dabei, den Begriff aus den Face­book- und Twit­ter-Uni­versen rauszu­holen und dem all­ge­meinen Sprachge­brauch zu übergeben — inklu­sive ein­er Bedeu­tungserweiterung. Wie Falk Hede­mann bei t3n schreibt, wird der Begriff “infla­tionär” ver­wen­det — was früher Kri­tik war, sei heute ein Shit­storm.

Ich sehe das anders: Kri­tik und Shit­storm mögen gemein­sam auf einem Protestkon­tin­u­um liegen; die Aus­prä­gun­gen, Aus­führung­sor­gane und Über­mit­tlungskanäle sind aber unter­schiedlich. Das wird auch daran liegen, dass mit steigen­den Nutzerzahlen der son­st stammtis­chliche (hier: eben nicht aus tra­di­tionellen Medi­en abge­feuert­er) Protest in den öffentlichen Raum getra­gen wird. Shit­storm fügt dem Kon­tin­u­um also einen Hal­te­bere­ich hinzu — und gibt dem bish­er unge­hörten, aber neuerd­ings vokalisier­baren Unmut einen Namen.

Noch mehr Beulen für Athen

Von Susanne Flach

Let­zte Woche ging’s um Zähne und Beulen - und um die Schlussfol­gerung, dass nicht alles, was der Mut­ter­sprach­ler für nicht-exis­tent hält, in sein­er Sprache auch tat­säch­lich nicht-exis­tent ist.

Teil II: LIVE COOKING

In eine ganz ähn­liche Kat­e­gorie fällt live cook­ing. Illus­tri­ert ist das (von Tonks?) durch einen Car­toon mit einem Kochtopf, aus dem Hände ragen — was ange­blich zeigen soll, woran “Englän­der […] bei ‘Live Cook­ing’ denken”. Mit der Ver­wen­dung und der Anwen­dung von Live Cook­ing machen wir uns in den Ohren eines Mut­ter­sprach­lers des Englis­chen also des Kan­ni­bal­is­mus schuldig.

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Frische Beulen im Denglisch-Wahn

Von Susanne Flach

Die amerikanis­che Lin­guistin Gabe Doyle disku­tiert in ihrem immer sehr lesenswerten Blog Moti­vat­ed Gram­mar in einem Beitrag “Is speak­ing the lan­guage all it takes to be an expert?” die Frage, warum die Tat­sache, dass man eine Sprache als Mut­ter­sprache spricht, nicht immer aus­re­ichend ist, über den all­ge­meinen Gebrauch der­sel­ben zu sin­nieren. Damit spricht sie — vere­in­facht gesagt — einen der Gräben an, die zwis­chen Sprach­wis­senschaft und öffentlich­er Mei­n­ung (über Sprache) liegen. Das geht so: A hat zwar mut­ter­sprach­liche Kom­pe­tenz, aber keine Exper­tise von sprach­lichen Prozessen und sagt, dass es Phänomen Y entwed­er nicht gibt oder falsch ist. Experte B präsen­tiert Belege für die sys­tem­a­tis­che Ver­wen­dung von Phänomen Y.

Robert Tonks ist nach qua­si-eige­nen Angaben “der älteste Walis­er zwis­chen Rhein und Ruhr”. Ein Brite also, mut­maßlich Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen. Im Sep­tem­ber hat er ein Buch über Englisch in der deutschen Sprache veröf­fentlicht (It is not all Eng­lish what shines). Dort analysiert er englis­che Werbe­sprüche im Deutschen, (rück)“übersetzt” diese und macht sich dementsprechend und in der Summe über Deutsche (Wer­ber) lustig.

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Deutsch und das Grundgesetz

Von Susanne Flach

Gestern war’s soweit: Die Peti­tion gegen die Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz wurde vor dem Peti­tion­sauss­chuss­es des Bun­destages ange­hört — also genau genom­men die Peti­tion gegen die Peti­tion für die Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz. Ergo: Bei­de Peten­ten für und wider durften ihre Anliegen vortragen.

Hier gibt es die Diskus­sion (ca. 60 Minuten, ab 1:00:30) zum Anguck­en: Peti­tion­sauss­chuss, 7. Novem­ber 2011

Ich war live dabei — eine sehr inter­es­sante Erfahrung. Und ich glaube nicht, dass es zu hoch gegrif­f­en ist zu sagen, dass das eine doch recht ein­seit­ige Angele­gen­heit war. Der Bun­destag schreibt auf sein­er Web­seite: “Deutsch ins Grundgesetz”-Petition stößt auf Skepsis.

Aber sehen Sie selbst.

*Nein, ich bin nicht zu sehen. Ich sitze hin­ter dem Vide­owür­fel auf dem Ober­rang. Ich habe nicht gewusst, dass eine Stunde nicht aus­re­icht, mit der BVG von Moabit nach Tier­garten zu kom­men (für Nicht-Berlin­er: Moabit ist ein Teil von Tier­garten; je nach Def­i­n­i­tion liegt es ein­fach nur direkt daneben.)

Sprachkritik auf Ramschniveau

Von Susanne Flach

Am 10. Sep­tem­ber war “Tag der deutschen Sprache”. Keine Sorge — wer jet­zt hek­tisch im Ter­min- und Gedenk­tagskalen­der nach­sieht, ob er an diesem Tag einen Schrein ange­him­melt hat, der sei beruhigt: Dieser Tag ist eine Aktion des Vere­in deutsche Sprache (VDS). Damit will der VDS seit 2001 “ein Sprach­be­wusst­sein schaf­fen und festigen […]”

Jeden­falls kriechen an und vor diesem Tagen die Medi­en, vor­rangig die kleineren, vor dem Altar der Sprachkri­tik zu Kreuze und veröf­fentlichen im Zuge ihrer Prak­tikan­tenbeschäf­ti­gung­spro­gramme die entsprechen­den VDS-Pressemel­dun­gen. Einige Zeitun­gen ver­suchen sich gar in Kreativ­ität. Die Badis­che Zeitung (BZ) ist so ein Beispiel.

Die BZ präsen­tierte ein kleines “Floske­lal­pha­bet” des “Fast­food der Sprache”. Von A bis Z hohle Floskeln. Darunter: Zukun­ftsper­spek­tive (hä?), Dozierende & Studierende (gähn) oder nicht wirk­lich (schnarch). Aber mir soll’s heute um Ram­schniveau gehen.

Die Redak­teure wollen nach eige­nen Worten der Wahl zum Unwort des Jahres 2011 nicht vor­greifen — hal­ten sie Ram­schniveau doch für einen aus­richt­sre­ichen Kan­di­dat­en (mit dieser Ein­schätzen kön­nten sie sog­ar recht gut liegen) und schla­gen das Wort den­ngle­ich zur Wahl vor.

Aber aus falschen Motiv­en. Denn der BZ geht es nicht um das Wort Ram­schniveau an sich, son­dern darum, was gerne mal vor Ram­schniveau ver­wen­det wird — und warum diese Kon­struk­tion ange­blich ins Floske­lal­pha­bet gehört. Die BZ schreibt:

Ram­schniveau

Wir wollen der Jury, die das Unwort des Jahres 2011 ermit­telt, nicht vor­greifen, aber ihr dieses Wort vorschla­gen. “Irland auf Ram­schniveau her­abgestuft.” Ganz Irland? Natür­lich nicht, bloß seine Staat­san­lei­hen. Der Ire muss es unfair finden.

Hier drängt sich also die Frage auf: Wer­den sich die Iren belei­digt fühlen (müssen/dürfen)?

Na, vielle­icht auf Regierun­gen und Finanzspeku­la­teure, die ihnen die Suppe einge­brockt haben. Aber sprach­lich ist hier eigentlich alles in Ord­nung. Wenn die BZ sagt: “ ‘Irland auf Ram­schniveau her­abgestuft’ Ganz Irland? Natür­lich nicht, bloß seine Staat­san­lei­hen” — hat da jemand gröbere Ver­ständ­nis­prob­leme, dass es eben nicht um die Bewohn­er geht? Die Floske­lanal­pha­betisierungs­beauf­tragten der BZ überse­hen bei ihrer Kri­tik näm­lich einen alltäglichen und nor­malen sprach­lich-kog­ni­tiv­en Prozess, den wir gar nicht bewusst wahrnehmen; also Laien noch weniger und die meis­ten Sprachkri­tik­er schon mal gar nicht.

Dieser Prozess nen­nt sich Metonymie*: Von einem metonymis­ch­er Aus­druck spricht man dort, wo ein Begriff nicht in sein­er wörtlichen Bedeu­tung ver­wen­det wird (was immer die sein kön­nte), son­dern es sich in ein­er Bedeu­tungser­weiterung um eine enge seman­tis­che Ver­wandtschaft zwis­chen dem Beze­ich­nen­den und Beze­ich­neten han­delt. Soll heißen: Durch Metonymie kann sowohl das “Ganze für einen Teil” ste­hen (WHOLE-FOR-PART; Ich lese Shake­speare, Shake­speare als Autor für sein(e) Werk(e)), als auch umgekehrt ein Teil der Bedeu­tungss­chat­tierung für das Ganze (PART-FOR-WHOLE; Super­hirn, Hirn als Teil des Men­schen für den ganzen Menschen).

Wenn Neusee­land im Halb­fi­nale der Rug­by-Welt­meis­ter­schaft Aus­tralien geschla­gen hat, dann haben wed­er 20 Mil­lio­nen Aus­tralier gegen vier Mil­lio­nen Neuseelän­der ver­loren, noch siebenein­halb Mil­lio­nen Quadratk­ilo­me­ter gegen eine Viertelmil­lion — dann haben die Spiel­er gegeneinan­der gespielt, die ihr jew­eiliges Herkun­ft­s­land in ein­er Mannschaft repräsen­tieren. Wie unökonomisch wäre es denn, jedes Mal zu sagen: ‘Die Mannschaft mit Spiel­ern aus­tralis­ch­er Staat­sange­hörigkeit ver­lor deut­lich gegen die Mannschaft mit den Spiel­ern neuseeländis­ch­er Staatsangehörigkeit’?

Als Nichtalko­ho­lik­er dür­fen Sie zurecht pikiert sein, als Trinker beze­ich­net zu wer­den, auch wenn Sie jeden Tag eine Zwei-Liter-Flasche trinken. Fahren Sie zur Tankstelle, um den Schlauch mit dem Tankstutzen an die Öff­nung des Rohrs anzule­gen, von wo aus das Ben­zin in den Tank geleit­et wird — oder tanken sie ein­fach das Auto voll? Ich wün­sche viel Spaß beim Entlüften.

Metonymien sind so alltäglich, dass sie uns nicht auf­fall­en: Da ist Wash­ing­ton sauer auf Berlin, Lon­don macht Zusagen an Paris oder Deutsch­land ver­han­delt mit Peking. Dies sind sowohl Beispiele für das PART-FOR-WHOLE (Lan­deshaupt­stadt als Teil des Lan­des), als auch WHOLE-FOR-PART (Lan­deshaupt­stadt für die dort ansäs­sige Regierung bzw. Lan­des­beze­ich­nung für dessen poli­tis­che Führung). Sollte sich der Berlin­er unfair behan­delt fühlen, wenn die Griechen sauer auf Angela Merkel sind?

Mal sehen, wie es die Badis­che Zeitung mit ‘[LAND] auf Ram­schniveau’ hält:

Irland rang­iert damit nur noch eine Stufe über Ramschniveau.
Badis­che Zeitung, 16. April 2011.

Die Ratin­ga­gen­tur Stan­dard & Poor’s hat­te bere­its am Mon­tag Griechen­land auf das Ram­schniveau CCC herabgestuft.
Badis­che Zeitung, 15. Juni 2011.

Fair­erweise muss man dazu sagen, dass sich Ram­schniveau bei der BZ tat­säch­lich in den meis­ten Fällen auf die Kred­itwürdigkeit oder Staat­san­lei­hen bezieht, in 17 von 19 Tre­f­fern. Immer­hin. Aber trotz­dem nutzen natür­lich auch die Jour­nal­is­ten bei der BZ die Metonymie, um kom­plexere oder neue Umstände sprachökonomisch pointiert(er) darzustellen. Und im Kon­text wis­sen wir auch, dass Con­nemara oder Dublin immer noch reizend und bes­timmt nicht bil­lig sind.

Nun ist Ram­schniveau vielle­icht nicht beson­ders hüb­sch. Oder ermunternd. Oder zutr­e­f­fend. Oder gerecht. Oder psy­chol­o­gisch klug. Für eine Wahl zum Unwort des Jahres wäre es deshalb gar nicht so ungeeignet. Aber der BZ ging es ja um belei­digte Iren.

Bei aller Kri­tik am einzel­nen Begriff — die Kon­struk­tion Irland auf Ram­schniveau ist sprach­lich keine hohle Floskel, und ganz gedanken­los daherge­sagt ist sie auch nicht. Sie ist erk­lär­bar als eine Analo­gie zu einem gängi­gen Muster (z.B. Irland mit Defiziten im Staat­shaushalt) auf Grund­lage eines hunds­gewöhn­lichen, sprachökonomis­chen, kog­ni­tiv­en Prozesses.

Ganz neben­bei und weil es mir noch so auf­fällt: Die For­mulierung “Das Fast­food der Sprache”, mit der die BZ ihr Floske­lal­pha­bet umschrieben hat, fällt unter den Prozess der Meta­pher — und ist von der Metonymie gar nicht beson­ders weit entfernt.

In ein­er ersten Ver­sion dieses Beitrags habe ich zwei Fra­gen aufge­wor­fen. Zur Frage, ob die Iren belei­digt sein dürfen/sollen/müssen kam noch: Was hat Ram­schniveau in einem Floske­lal­pha­bet der Poli­tik­er­sprache zu suchen? Die Über­legun­gen dazu ufer­ten etwas aus — aber ich möchte nicht die Arbeit und das Gedanken­chaos von Stun­den ein­fach der Entf-Taste übergeben. Wer sich für die zweite Frage inter­essiert, kann mit meinen unaus­gereiften Über­legun­gen zum Begriff Ram­schniveau weit­er­lesen (als mögliche Her­leitung des Begriffs, sein­er Bedeu­tung und Erk­lärung der Ver­wen­dung, aber beton­ter­weise nicht als Recht­fer­ti­gung derselben):

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…und so hinten raus?

Von Susanne Flach

Heute wieder ein Betrag aus der Rei­he: Was macht lin­guis­tis­ches Wis­sen eigentlich für Otto Nor­malver­braucherin ganz nützlich?

Ich tran­skri­biere momen­tan wieder Sprachaufze­ich­nun­gen mit Gesprächspart­nern aus der Wirtschaft. Lin­guis­tisch und auch fürs Blog inter­es­sant wäre das als Grund­lage für eine Analyse von Anglizis­menan­teilen in der Vari­etät der deutschen Wirtschaftssprache. Aber um da einen Blog­beitrag draus zu machen, brauche ich erst das Ein­ver­ständ­nis der Ver­ant­wortlichen. Vor­weg vielle­icht: Es bleibt bei den fürs Deutsche han­del­süblich diag­nos­tizierten zwei bis vier Prozent.

Also kom­men wir zu etwas Unver­fänglicherem, was einem vielle­icht auch aus jed­er Unter­hal­tung bekan­nt sein kön­nte. Mir ist let­ztens näm­lich aufge­fall­en, dass ein Teil­nehmer das Par­tizip Per­fekt von out­sourcen mit out­ge­sourced wiedergegeben hat. Nun mag der eine oder die andere aufheulen, wie man es wagen kann, ein deutsches Affix in einen Anglizis­mus zu schmuggeln. Man kann natür­lich auch geout­sourced sagen (was das Prob­lem für den Sprachäs­theten nicht lösen würde). Der Sprech­er inter­pretierte out­sourcen hier als trennbares Verb und ähn­lich wie andere trennbare Ver­ben (anfan­gen > angefan­gen), fügt man das Par­tizip­prä­fix dann eben nach dem Halb-Prä­fix out ein. Ein ähn­lich­er Fall ist die Vari­a­tion bei gedown­load­et und down­ge­load­et, je nach­dem, ob man down­load­en als trennbar ansieht oder eben nicht. (Die Prob­lematik der ange­blichen Unverträglichkeit deutsch­er Flex­ion­s­mor­pheme in Anglizis­men lässt sich übri­gens ganz ein­fach aus der Welt schaf­fen, indem man anerken­nt, dass out­sourcen und down­load­en deutsche Wörter sind und dementsprechend nach unseren Regeln kon­jugiert werden.)

Mir geht es aber um etwas ganz anderes.

Ich habe oben out­ge­sourced bewusst mit <d> wiedergegeben. Wie ja nun jed­er weiß, wird im Deutschen das Par­tizipaf­fix, in diesem Fall das Zirkum­fix ge-V‑t für die Par­tizip­i­en regelmäßiger Ver­ben mit [t] gesprochen und mit <t> geschrieben. Bei Anglizis­men, vor allem bei solchen, die noch rel­a­tiv neu einge­wan­dert sind, ist größere Ver­wirrung vor allem in der Orthografie deshalb nicht ungewöhn­lich: Und zugegeben, out­ge­sourct und out­ge­sourcet sehen auf den ersten Blick tat­säch­lich selt­sam aus — oft behil­ft man sich bei der schriftlichen Wieder­gabe also (noch) zusät­zlich der Flex­ion­sregeln der Geber­sprache. Bei out­sourcen hat <out­ge­sourced> ver­mut­lich auch deshalb noch dop­pelt so viele Google­tr­e­f­fer, wie <outgesourc(e)t>.*

*[UPDATE: ke hat mich in einem Kom­men­tar darauf aufmerk­sam gemacht, dass ich in der Hek­tik völ­lig falsch gezählt habe: <out­ge­sourced> und <out­ge­sourct> haben grob etwa gle­ich viele Tre­f­fer bei Google. An der Annahme der Ver­wirrung bei der Orthografie ändert das (noch) nichts grundle­gen­des. Danke für den Hin­weis, SF]

Neben einem selt­samen Ausse­hen von out­ge­sourcet kön­nte das ein Grund sein, ober eben möglicher­weise ein gesproch­enes [d], also immer dann beson­ders, wenn die Inte­gra­tion eines Anglizis­mus in das deutsche Laut­sys­tem noch nicht voll­ständig abgeschlossen ist.

Der Grund also, weshalb ich geout­sourced hier mit <d> schreibe, liegt an der Art, wie es der Inter­viewte aussprach, näm­lich mit [d]. Die span­nende Frage also: Woran hört man, dass out­ge­sourced für diesen Sprech­er noch nicht voll­ständig inte­gri­ert ist, auch wenn er hier sog­ar für /r/ nicht die “englis­che”, son­dern die “deutsche” Vari­ante gewählt hat? Nun, bei diesem Sprech­er ist es mir schlicht im Kon­trast zu geset­telt (von set­teln, engl. to set­tle) aufge­fall­en, das er deut­lich hör­bar mit [t] realisierte.

Und nun?

Da kommt ein pho­nol­o­gis­ch­er Prozess zum Tra­gen, den das Deutsche hat, nicht aber das Englis­che: Ste­ht im Deutschen am Sil­ben- oder Wor­tende ein stimmhafter Kon­so­nant wie z.B. /b/, /d/ oder /g/, so wird dieser Kon­so­nant stimm­los aus­ge­sprochen, also als /p/, /t/ oder /k/. Genauer gesagt bet­rifft dieser Prozess nur die soge­nan­nten Obstru­enten, also die Kon­so­nan­ten, bei denen der Luft­strom kurzfristig kom­plett unte­brochen ist, und Frika­tive wie /z/ oder /ʒ/; bei den sono­ran­tis­chen Kon­so­nan­ten wie /m/ oder /n/ ist das nicht der Fall, die sind immer stimmhaft.

Mit anderen Worten und als Haus- und Hof­beispiel: Rad und Rat sind als [ra:t] in Iso­la­tion gesprochen nicht zu unter­schei­den. Liegt der stimmhafte Kon­so­nant dage­gen nicht am Sil­be­nende, bleibt’s beim stimmhaften Laut. Deshalb haben wir [li:bə] für Liebe, aber [li:p] für lieb oder [tsu:k] ‘Zug’ im Sin­gu­lar, aber [tsy:gə] ‘Züge’ im Plural.

Das ganze nen­nt sich Aus­lautver­här­tung (oder all­ge­mein­er Neu­tral­i­sa­tion) und ist neben dem Deutschen oder dem Nieder­ländis­chen auch in eini­gen slavis­chen Sprachen oder dem Türkischen zu find­en — aber eben zum Beispiel nicht im Englischen.

Es ist deshalb also span­nend zu sehen, dass geset­telt und out­ge­sourced in der Wieder­gabe (jet­zt dieses Sprech­ers) mal mehr, mal weniger einge­bürg­ert zu sein scheint. Was an sich für mich über­raschend war, da eigentlich meist erst die pho­nol­o­gis­che und dann die mor­phol­o­gis­che Ein­bürgerung erfol­gt — und bei­de Lex­eme waren ja schon mit ein­heimis­chem mor­phol­o­gis­chem Mate­r­i­al bestückt, bei der Bil­dung des Par­tizips näm­lich. Und ich stelle die These auf, dass man out­ge­sourcet auch in der großen Mehrheit schreibt, wie man es, äh, spricht.

Aus­lautver­här­tung bet­rifft natür­lich auch alle Fremd­wörter im Deutschen, die am Wort- oder Sil­be­nende einen stimmhaften Obstru­enten haben. Deshalb ist Blog laut­lich von Block nicht zu unter­schei­den (und für den Genuswan­del von das Blog zu der Blog höchst­wahrschein­lich mitver­ant­wortlich), bloggen unter­schei­det sich aber von blocken.

Die Aus­lautver­här­tung ist übri­gens ein Ele­ment eines typ­isch deutschen Akzents (beim Englisch sprechen). Mut­ter­sprach­liche Inter­ferenz führt dazu, dass Deutschsprachige die Aus­lautver­här­tung qua­si mit ins Englis­che importieren (z.B. Kort­mann 2005: 182). Wer also in der Sprachver­mit­tlung arbeit­et oder ein­fach einen kleinen, ein­fachen Tipp haben möchte, wie man am eige­nen Akzent im Englis­chen arbeit­en kann: Lehre und lerne, I want a suite und I want a Swede auch pho­nol­o­gisch zu unter­schei­den. Voilà.

Umgekehrt liegt in der Aus­lautver­här­tung möglicher­weise ein Grund (von mehreren), weshalb Sprech­er von Sprachen ohne Aus­lautver­här­tung Deutsch unter Umstän­den als “hart” wahrnehmen: Bei der Pro­duk­tion von stimm­losen Laut­en wird mehr Luft nach außen gepresst, weshalb diese Kon­so­nan­ten auch “lauter” klin­gen. Genau genom­men ist die Sache etwas kom­pliziert­er: die Artiku­la­tion der Phoneme /p, t, k/ ist eher eine Fall von For­tis ’stark’, die der Phoneme /b, d, g/ von Lenis ’schwach’ (Kort­mann 2005:  64, Roach 2009: 28f). Aber nun­ja, für die Illus­tra­tion reicht’s. Wen das nicht überzeugt: Fühlen wir von Quatsch­ern im Kino gestört, wer­den wir zur Unter­mauerung etwaiger Gen­ervtheit eher ein härter zis­chen­des, stimm­los­es [ʃ] anstim­men, als ein stimmhaftes und unaufgeregtes [ʒ].

Im Deutschen bin ich deshalb ja auch meist [su:s], im Englis­chen hinge­gen [su:z]. Das noch dazu. Und wer hier einen Bezug zum Anfang dieses Beitrags erwartet: Natür­lich ste­ht in der Tran­skrip­tion out­ge­sourcet, weil es sich um ein inhaltlich­es, also um ein an die deutsche Orthografie angepasstes Tran­skript han­delt — und lei­der nicht um ein phonetis­ches zu lin­guis­tis­chen Forschungszecken.

Statt Post­script: Wer noch ein­wen­den möchte, dass man statt out­sourcen auch aus­lagern sagen kön­nte: in vie­len Fällen und je nach Kon­text ist das eventuell möglich. Aber der Inter­viewte nutzte bei­de Lex­eme. Und, wenig über­raschend, sie waren sehr deut­lich nicht syn­onym aus­tauschbar: 1) out­sourcen, ‘Unternehmens­abläufe von ein­er Fremd­fir­ma aus­führen lassen’; 2) aus­lagern, ‘mit Teilen der Fir­ma ander­swo hinge­hen oder Unternehmen­sprozesse aus dem Stamm­lager aus­gliedern’. Also auch wenn man es wieder mal der Yukka­palme erzählen kön­nte: Klas­sis­che Bedeutungsdifferenzierung.

Lit­er­atur:
Kort­mann, Bernd. 2005. Lin­guis­tics: Essen­tials. Berlin.
Roach, Peter. 2009. Eng­lish Pho­net­ics and Phonol­o­gy. Cam­bridge.

Stephen Fry, language lover

Von Susanne Flach

Auch wenn hier jet­zt der Ein­druck entste­ht, das Blog sei über die Som­mer­pause zu ein­er Link­farm verkom­men: Diesen Hin­weis darf ich nie­man­dem voren­thal­ten, der der englis­chen Sprache mächtig ist, Stephen Fry ganz wun­der­bar find­et und sich für Sprache inter­essiert: Die BBC-Doku­men­ta­tion “Stephen Fry’s Plan­et Word” (BBC 2011). Michael hat­te zwar schon bei 2′36″ ein ARRRGH!-Erlebnis, aber wenn wir über die kleinen Detail­fra­gen hin­wegse­hen, die in der Wis­senschaft etwas fizzelig sind — viel Spaß!

[Das Video ist lei­der nicht mehr ver­füg­bar. Alter­na­tiv­en ändern sich oft.]

Um dem ganzen aber blog­seit­ig etwas Neues hinzuzufü­gen: Warum sind, sub­jek­tiv-objek­tiv gesprochen, solche Doku­men­ta­tio­nen bei uns nicht möglich? Eine fün­f­stündi­ge Doku­men­ta­tio­nen in fünf Teilen, und das zur besten Sendezeit? Wo ist der Inten­dant bei uns, der Mut dazu hat? (Bitte — das waren rhetorische Fra­gen!) Mal abge­se­hen davon, dass sie natür­lich, wenn über­haupt, dann im Nacht­pro­gramm bei Eins­Fes­ti­val laufen würden.

Vielle­icht fehlt uns aber auch ein Stephen Fry.

Bastian Sick und die Schirie-Pfeifin

Von Susanne Flach

Die Sports­chau fragte am Fre­itag in einem Inter­view den aus­gewiese­nen Sprachge­brauch­sex­perten Bas­t­ian Sick, welchen Her­aus­forderun­gen die medi­ale Öffentlichkeit während der laufend­en Fußball-WM im Bezug auf den Sprachge­brauch aus­ge­set­zt ist. Ich bin keine Exper­tin für Fem­i­nis­tis­che Lin­guis­tik und ich kann hier auch keine Empfehlung zu Alter­na­tiv­en für Mannschaft geben. Doch keine Sorge! Wo ein Sick auf­taucht, bleibt noch jede Menge ander­er Blödsinn im dig­i­tal­en Raum stehen.

Das Prob­lem liegt ja schon darin — “unter­halt­same” Sprachkri­tik hin oder her -, dass man den Ein­druck bekom­men kön­nte, Sick möchte ernst genom­men wer­den. Er begin­nt aber gle­ich mit einem ziem­lich däm­lichen, wenn nicht sog­ar sehr abw­er­tenden Wort­spiel zu Bir­git Prinz: “Selb­stver­ständlich ist sie eine ‘Kapitänin’, auch wenn sie ‘Prinz’ heißt und nicht ‘Prinzessin’ ”.

Wenn jet­zt alle Gehirn­win­dun­gen fürs Fremd­schä­men entspan­nt sind und sich die Fußnägel wieder geglät­tet haben, kann es weit­er gehen:

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