Archiv des Autors: Susanne Flach

Steile Kurven

Von Susanne Flach

Bei Streifzü­gen durch die MOOC-Welt, Sta­tis­tik­tu­to­ri­als auf YouTube oder kleinen Pro­gram­mierselb­sthil­fe­foren stoße ich in let­zter Zeit wieder­holt auf eine Wortwen­dung, die mich aber schon immer ver­wirrt hat: die steile Lernkurve oder vielmehr — da die meis­ten Onlin­eange­bote auf Englisch vorhan­den sind — die der steep learn­ing curve.

Denn ganz offen­sichtlich war­nen alle Dozieren­den davor, Kurse und Pro­gramme zu unter­schätzen: „It will be hard work, as R ini­tial­ly has a steep learn­ing curve“ (‚Es ist harte Arbeit, weil R am Anfang eine steile Lernkurve hat‘). Zu den emo­tionalen Hür­den beim Erler­nen ein­er Pro­gram­mier­sprache mach(t)e ich mir ja keine Illu­sio­nen. Was mich aber immer ver­wirrt hat, war der unklare Bezug des Adjek­tivs steil. Denn die vie­len, vie­len Ver­wen­dung von steep learn­ing curve sug­gerieren sofort, dass der Zeitaufwand (t) hoch, der Wis­sens­gewinn (w) aber anfangs frus­tri­erend ger­ing ist. Würde man das auf­malen wollen, wäre die War­nung in diesem Dia­gramm durch die grüne Lin­ie repräsentiert:

Abbil­dung 1: Steile (grün) und noch steilere (rot) Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung).

Aber was soll an der grü­nen Lin­ie beson­ders steil sein, so zum Anfang? Zum Zeit­punkt (t) habe ich mir nur Wis­sen (w1) angeeignet. Steil ist dabei doch höch­stens die rote Lin­ie, die aber genau das Gegen­teil zeigt, näm­lich, dass man sich in kürz­er­er Zeit (t) rel­a­tiv viel Wis­sen (w2) aneignen kann. Wollen die mir mit dun­kler Wel­tun­ter­gangsstimme sagen, dass man mit wenig Zeit viel erre­icht? Dass man also vor ein­er Lernkurve warnt, weil sie schnellen Lern­er­folg verspricht?

Da stimmt doch was nicht.

Die erste logis­che Anlauf­stelle Wikipedia weiß Bescheid: dort spricht man von ein­er „akademis­chen“ Ver­wen­dung der Redewen­dung (Stoff­menge in Abhängigkeit von Zeit, rote Lin­ie) und einem umgangssprach­lichen Ver­ständ­nis, das der „akademisch als kor­rekt zu betra­ch­t­en­den Def­i­n­i­tion“ „diame­tral“ gegenüber ste­ht. Let­zteres entspricht zwar nicht ganz mein­er grünkurvig dargestell­ten Ver­wirrung, diese ist aber immer­hin diame­tral. ((Auf Wikipedia kor­re­liert man das Laien­ver­ständ­nis mit der soge­nan­nten Blender-Kurve, welche mit anderen Vari­ablen hantiert, die aber, drehte man die Achsen sin­nvoll um, in groben Kur­ven der grü­nen Lin­ie in Abbil­dung 1 entspräche.)) Ist das wirk­lich nur ein weit­eres Beispiel dafür, dass Fach- und all­ge­mein­er Sprachge­brauch nicht übere­in­stim­men, wenn auch ein beson­ders extremes?

Nein. Das Durch­forsten von Kor­po­ra und der Ver­such, learn­ing curve ein quan­ti­ta­tives Muster abzurin­gen, bringen’s ans Licht: hier wer­den Äpfel und Bir­nen als Orangen bezeichnet.

Zunächst: Die akademis­che Inter­pre­ta­tion ist zweifel­los die math­e­ma­tis­che Funk­tion w(t). Dass man von ein­er steilen Lernkurve spricht, liegt daran, dass wir das Mehr an Quan­tität (hier: Lern­er­folg) über die Zeit mit ein­er nach oben gerichteten Lin­ie mit großer ‚Stei­gung‘ illus­tri­eren. Man ken­nt diese Darstel­lung beispiel­sweise von Börsenkursen: Kurs­gewinne zeigen nach oben, Ver­luste nach unten. Solche Dia­gramm­for­men sind dabei let­z­tendlich reine Kon­ven­tion, weil man ja lediglich die math­e­ma­tis­che Abhängigkeit ein­er Vari­ablen von ein­er anderen abbildet — man kön­nte das Dia­gramm um 180° oder auch nur um 90° drehen, ohne Infor­ma­tion­s­ge­halt einzubüßen. Aber dass diese anschauliche Darstel­lung die intu­iti­vere Kon­ven­tion ist, liegt daran, dass unsere Wahrnehmung all­ge­mein von der konzeptuellen Meta­pher MEHR IST OBEN (MORE IS UP) geprägt ist, die auf Erfahrung mit unser­er Umwelt basiert: je höher der Stapel Klausuren auf meinem Schreibtisch, desto mehr habe ich zu tun. Deshalb nehmen wir diese Kur­ven als steil wahr, obwohl steil ja nur ihre Darstel­lung ist.

Der umgangssprach­lichen Ver­wen­dung für steile Lernkurve liegt eine ganz ähn­liche Moti­va­tion zugrunde, die gegenüber der hil­f­sweisen Darstel­lung der math­e­ma­tis­chen Funk­tion aber grundle­gend metapho­risch ist. Was meinen wir damit? Schauen wir zur Erk­lärung mal ein paar Beispiele aus dem Cor­pus of Con­tem­po­rary Amer­i­can Eng­lish (COCA) an:

Over­all, you’ll face a fair­ly steep learn­ing curve to mas­ter OpenOffice’s eccen­tric­i­ties, but you can’t beat the price.

[Ins­ge­samt haben Sie eine recht steile Lernkurve vor sich, um die Ver­schroben­heit­en von OpenOf­fice zu meis­tern, aber der Preis ist unschlagbar.]

Any­body who rides a moun­tain bike wants to do what we do, but there’s a real­ly steep learn­ing curve so they usu­al­ly end up just watch­ing,“ he says.

[„Jede/r, der/die ein Moun­tain­bike fährt, möchte machen, was wir machen, aber das hat eine wirk­lich steile Lernkurve, weshalb sie meis­tens nur zusehen.“]

sec­ond Life pro­vides an addi­tion­al way for stu­dents to explore class mate­r­i­al, but it doesn’t appeal to every­one.“ A steep learn­ing curve can also dis­cour­age stu­dents who are not high­ly moti­vat­ed to use SL, he says.

[„sec­ond Life stellt zusät­zliche Möglichkeit­en für Studierende bere­it, um das Kurs­ma­te­r­i­al zu erkun­den, aber das ist nicht für jede/n attrak­tiv.“ Eine steile Lernkurve kann Studierende zusät­zlich ent­muti­gen, die wenig motiviert sind, SL zu nutzen, sagt er.]

Nahezu alle Belege für learn­ing curve hauen in die gle­iche Kerbe:  Ler­nen ist müh­sam, aufwändig, anstren­gend, mitunter ent­muti­gend. Es über­rascht nicht, dass das Nomen learn­ing curve nur ein einziges sig­nifikantes Adjek­tivkol­lokat hat: steep. ((Für diese Erken­nt­nis haben Dat­en aus der Kol­loka­tions­daten­bank des British Nation­al Cor­pus (via BNCweb) herge­hal­ten. Span­nweit­en von 1;0 bis 5;5. Der Serv­er für COCA ist ger­ade unten, aber am Woch­enende hab ich mir von dort noch schwache Assozi­a­tio­nen zu effi­cient, upward, shal­low und sharp notiert.)) Umgekehrt mod­i­fiziert steep — das wird nie­man­den vom Hock­er hauen — über­wiegend  Nom­i­na der Erhöhung oder des Auf­stiegs wie hillclimbridgery, rise oder ascent. ((In der Kol­loka­tion­sliste ste­hen auch Begriffe der absteigen­den Rich­tung wie cliff, slope, decline oder descent.)) Wir assozi­ieren Ler­nen also mit einem Weg (nach oben) zur Erken­nt­nis. Eine andere Per­spek­tive auf die Beschw­er­lichkeit­skon­no­ta­tion für steep learn­ing curve ist, dass es häu­fig in Struk­turen auf­taucht, die mit dem Verb to face ‚gegenüber­ste­hen‘ ein­geleit­et wer­den. In solchen face-Kon­struk­tio­nen ste­hen in der Objek­t­po­si­tion wiederum sig­nifikant häu­fig chal­lenges, risks, prob­lems, obsta­cles, hard­ships, dilem­mas und prob­lems, also eher weniger spaßige Dinge.

Die neg­a­tive Per­spek­tive aufs Ler­nen ist auch in der Wikipedia-Def­i­n­i­tion erwäh­nt. Dort hat man ver­sucht, die math­e­ma­tis­che Def­i­n­i­tion als pos­i­tive, die Laien­ver­wen­dung als neg­a­tive Ein­stel­lung zu deuten. Das ist nicht ganz falsch (abge­se­hen davon, dass eine math­e­ma­tisch-quan­ti­ta­tive rel­a­tiv wenig mit ‚pos­i­tiv‘ oder ‚Ein­stel­lung‘ zu tun hat), aber eben eine ungün­stige Ver­mis­chung von Ebe­nen. Aber jet­zt — um auf die Äpfel und Orangen zurück zu kom­men — kön­nen wir die Laien­ver­wen­dung auf konzeptuellen Meta­phern zurück­führen, also auf die grundle­gende kog­ni­tiv­en Strate­gie, abstrak­te Dinge durch greif­bare, konkrete Din­gen zu konzep­tu­al­isieren. Eine bekan­nte und hier nahe­liegende, über­ge­ord­nete Meta­pher wäre DAS LEBEN IST EINE REISE (LIFE IS A JOURNEY). Und auf dieser Rei­he geht es auf dem WEG zur Erken­nt­nis eben auch mal müh­sam nach oben. Wen diese Idee inter­essiert, find­et in Lakoff & John­son (1980a, 1980b) eine äußert dankbare Lek­türe. Wer mehr so auf bunte Bild­chen steht:

Abbil­dung 2: Steile und flache Lernkur­ven
(eigene Zeich­nung, CC BY-NC-SA 3.0 DE)

Bei der steilen Lernkurve ste­ht nicht der Lern­er­folg an sich im Vorder­grund (oder dessen Quan­tifizierung), son­dern die Anstren­gung a: wenn ich auf dem grü­nen Pfad mit der flacheren Lernkurve unter­wegs bin, hab ich zum Zeit­punkt t (oder wahlweise zum Wis­sen­stand w) mit a1 weniger Anstren­gung hin­ter mir, als wenn ich die rote Route (steile Lernkurve) nehmen muss. Konkrete, physis­che Empfind­un­gen während ein­er anstren­gen­den Bergbestei­gung oder eines flauschi­gen Hügelspazier­gangs dienen uns dabei als Quelle zur Ver­bal­isierung abstrak­ter Emo­tio­nen während ein­er Lern­er­fahrung. Die Y‑Achse ist zur Verdeut­lichung einge­zo­gen: bei der WEG/REISE-Meta­pher spielt die Quan­tifizierung — und stre­it­bar­erweise sog­ar der Betrag des Wis­sen­stands — nur eine unter­ge­ord­nete Rolle. Was bei Lernkur­ven inter­essiert ist der Grin­seg­rad auf dem Weg zur Erken­nt­nis zum Zeit­punkt t.

Denn wenn ich heute sage, dass R für eine funk­tionale Tech­nikanal­pha­betin ne steile Lernkurve hat, sage ich doch über­haupt nichts darüber aus, ob die R‑o­nautin­nen-Aus­bil­dung quan­ti­ta­tiv bei mir gefruchtet hat oder nicht.

P.S.: Fürs Deutsche ist die Meta­phern­strate­gie der steilen Lernkurve ähn­lich, wenn auch quan­ti­ta­tiv offen­bar nicht so stark mess­bar. Als einzige sin­nvolle Kol­lokate spuckt COSMASII aus dem Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (DeReKo) steil, flach und — öbach­tle! — PHP aus. Auch im DWDS sind sig­nifikante Verbindun­gen für Lernkurve mit lediglich schwachen Assozi­a­tio­nen zu steil eher mager (aber DWDS & DeReKo mit BNC & COCA ver­gle­ichen zu wollen, ist für diese Unter­suchung ohne­hin prob­lema­tisch). Das Wortschatz­por­tal der Uni­ver­sität Leipzig liefert als auf­fäl­lige Verbindung rechts von Lernkurve außer­dem vor sich, was auf die WEG-Meta­pher hin­weist (sie haben einen weit­en Weg vor sich). Der Ein­druck ist aber ein wenig, dass die Berg­steigemeta­pher im Deutschen schwäch­er aus­geprägt ist und bei Lernkurve häu­figer vom math­e­ma­tis­chen Konzept die Rede ist.

Lakoff, George & Mark John­son. 1980a [2003]. Metaphors we live by. Uni­ver­si­ty of Chica­go Press. [Auf Deutsch: Leben in Meta­phern: Kon­struk­tion und Gebrauch von Sprach­bildern. Carl Auer Verlag.]

Lakoff, George & Mark John­son. 1980b. Con­cep­tu­al metaphor in every­day lan­guage. Jour­nal of Phi­los­o­phy 77(8). 453–486. [Link]

Klein, aber oh yeah! [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Die Wahl geht in die End­phase — die großen Favoriten wur­den und wer­den in detail­lierten Einzel­beiträ­gen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel set­zen, allen Kan­di­dat­en, die die erste Runde über­standen haben, ein wenig Raum, ein biss­chen Zeit und viel medi­ale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbe­sprechung von Wörtern, denen wir zumin­d­est bei dieser Wahl keine größeren Chan­cen aus­gerech­net haben — eini­gen sog­ar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.

Weit­er­lesen

posten [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Nachtwerk­er hat uns posten beschert, was zu sein­er „eige­nen Über­raschung“ Runde 1 über­standen hat. Die Skep­sis war nicht unbe­grün­det: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kon­tinuier­liche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kri­teri­um FREQUENZZUWACHS zu inter­pretieren: Und: posten ist wirk­lich nicht unspannend.

Ursprung & Integration

posten hat einen Ein­trag im Duden (und ste­ht natür­lich auf sonem Anglizis­menin­dex, aber der wächst erfahrungs­gemäß schneller, als Sie fail! sagen kön­nen). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post ver­schick­en, zu: post < franzö­sisch poste“. Die konzeptuelle und orthografis­che Par­al­lele zur deutschen Post ist nahe­liegend, ety­mol­o­gisch nicht falsch und kön­nte dazu geführt haben, es beson­ders mit schreiben, aber auch den Alter­na­tiv­en senden oder schick­en ein­deutschen zu wollen (die ganz uner­schüt­ter­lichen schla­gen auch schon mal veröf­fentlichen, kom­men­tieren oder ein­stellen vor).

Des Dudens Aussprachehil­fe ist [poʊstn] (mit [oʊ] an nor­damerikanis­che Vari­etäten angelehnt; im britis­chen Englisch ist es [əʊ]). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bib­lio­thek kurz­er­hand zwei hip­pen jun­gen Men­schen [po:stn] aus dem akustis­chen Jute­beu­tel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegen­satz zur deutschen Post (kurz­er hal­bof­fen­er Vokal) liegt bei posten ein langer hal­bgeschlossen­er Vokal vor. Das ist wenig ver­wun­der­lich: /oʊ/ ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bor­d­mit­tel erset­zen. Das ist ein nor­maler Vor­gang und ist bei Alt-Anglizis­men wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks] statt [kəʊks]). ((Sie sehen, wir näh­ern uns der Fort­set­zung der Keks-Trilo­gie.))

Auch mor­phol­o­gisch fügt sich posten naht­los ins heimis­che Flex­ion­spar­a­dig­ma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostetAnders als bei manchen Entlehnun­gen gibt’s bei posten kaum orthografis­che Ver­wirrung: gepostet ist mit über 5 Mil­lio­nen Google-Tre­f­fern deut­lich vor gepost­ed mit etwa ein­er hal­ben Mil­lion. Das kön­nte an der laut­lich bere­its erfol­gten Inte­gra­tion liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begün­stigt (bei adden beispiel­sweise ist das Ver­hält­nis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilko­r­pus „Wikipedia-Diskus­sio­nen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Tre­f­fern klar vor gepost­ed mit 29.

Schreiben? veröffentlichen? Posten!

Wir posten Fotos, Sta­tus­meldun­gen, Videos oder Links auf Face­book, Beiträge auf Blogs oder Kom­mentare und Tipps in Foren und Mail­inglis­ten. Nun kön­nte man auch sagen, dass man einen Blog­beitrag schreibt, Fotos veröf­fentlichtNachricht­en inner­halb ein­er Mail­inglist sendet/verschickt oder in Foren kom­men­tiert. Zu argu­men­tieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Ren­nen werfen.

Denn wir kön­nen keine Büch­er posten (sehr wohl aber schreibenveröf­fentlichen oder schick­en), Lady Gaga postet keine neue Sin­gle (höch­stens das dazuge­hörige Video), und ob ich einen Kom­men­tar poste oder einen Kom­men­tar kom­men­tiere sind zwei ver­schiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskus­sion eher langweilig.

Neben dem seman­tis­chen Unter­schied, welche nicht-/realen Objek­te ich posten kann oder nicht, liegt eine syn­tak­tis­che Erk­lärung darin, mit welch­er Argu­mentstruk­tur posten über­wiegend assozi­iert ist. Anders als viele poten­tielle Konkur­renten wie schicken/schreiben wird posten meist tran­si­tiv ver­wen­det (das hat es mit veröf­fentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Mei­n­ung (im Forum); sel­tener intran­si­tiv (sie postet oft nachts) und noch sel­tener ditran­si­tiv. Eine ditran­si­tive Ver­wen­dung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Trans­fer implizieren und braucht deshalb einen beson­deren Inter­pre­ta­tion­skon­text: ?ich poste dir mor­gen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Pro­fil ein Video.

Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumin­d­est liegt der Fokus über­haupt nicht darauf, den Trans­fer­vor­gang zu jeman­dem abzuschließen oder zu beto­nen: ich kön­nte mir nen Wolf posten mit Bildern, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos — unab­hängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).

Damit unter­schei­det sich posten grundle­gend von schreiben oder schick­en (wer hat sich eigentlich und übri­gens diese Alter­na­tiv­en aus welchem Ärmel gezo­gen?), die in ihrer pro­to­typ­is­chen Ver­wen­dung ditran­si­tiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assozi­iert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in tran­si­tiv­en Ver­wen­dun­gen wie bei posten das indi­rek­te Objekt fehlt, fehlt natür­lich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.

Und bei schreiben und schick­en (trans.) son­st so? Die Behaup­tung, diese bei­den Alter­na­tiv­en wer­den über­wiegend ditran­si­tiv ver­wen­det, fehlt ein Plau­si­bil­itätskern. Klar, denn sie kön­nen einen Kom­men­tar schreiben, dessen Sig­nale nie­mand wirk­lich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tat­säch­lich URLs und RAW-Dat­en in Ihre Sta­tuszeile bei Face­book? Eben. Die These wäre dann ja noch zusät­zlich, dass man mit posten üblicher­weise das Ver­bre­it­en von Din­gen und Gedanken beze­ich­net, die gar keinen schreiberischen Charak­ter haben, oder, wenn das bei Sta­tus­meldun­gen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunst­werk liegt. Aber selb­st wenn Sie URLs abtip­pen wür­den (nein, nein, es heißt nicht copy & post), beze­ich­nen wir den abgeschlosse­nen oder geplanten Vor­gang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.

Gepostete Daten

Eine lose Belegsamm­lung aus den Wikipedia-Diskus­sio­nen (DeReKo):

Den Link zum Raub­druck-Ver­lag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nach­le­sen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]

Sor­ry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]

darf ich jet­zt trotz­dem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argu­mente einge­he? [WDD11/A00.10032]

Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Males­ta entsprechende Links posten würdest. Vielle­icht wirds dann ja klar­er. [WDD11/A00.16711]

Im übri­gen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wün­scht. [WDD11/A02.06862]

Er hat ihn ein­fach nur aus Prinzip gepostet … typ­isch. [WDD11/A02.82922]

Der Fokus liegt hier natür­lich auf der inter­ak­tiv­en Kom­mu­nika­tion zwis­chen Wikipedia-Autor/in­nen mit erhofften Empfänger/innen, aber die tran­si­tive Ver­wen­dung über­wiegt (Links, Quellen, Beiträge, Mei­n­un­gen). Weil nach gut 100 Bele­gen keine ditran­si­tive Ver­wen­dung zu find­en war, habe ich auf Google expliz­it danach gesucht:

Like & ich poste dir was auf die pin­nwand [Quelle]

ich poste dir meinen skype­na­men pri­vat. [aus einem Coach­ing-Forum]

Ich poste dir mal einen trig­ger mit dem man per aufer­ste­hung Helden wieder­bel­ben kann, den musst du prinzip­iell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gam­ing-Forum, mit Code]

Im Unter­schied zu kom­men­tieren oder veröf­fentlichen ist die ditran­si­tive Ver­wen­dung aber dur­chaus möglich (bei ?Ich veröf­fentliche ihr was auf die Pin­nwand wär ich skep­tisch). In diesen Beispie­len tritt die Trans­ferbe­deu­tung in den Vorder­grund: Inten­tion und ein Fokus auf Emp­fang und Empfänger/in. Denn entwed­er ist posten in der Bedeu­tung von schicken/emailen zu ver­ste­hen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untyp­is­che Ver­wen­dung vor­liegt) oder, wie im let­zten Beispiel, erfüllt das dir eine Funk­tion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.

Vielle­icht ist es ein quan­ti­ta­tiv wack­liger Ver­such. Aber die Ten­denz ist ein­deutig: posten hat sich seman­tisch und konzeptuell und syn­tak­tisch in genau die Lücke geset­zt, die das Web im deutschen Inven­tar geris­sen hat. Von der Beschränkung auf einen irgend­wie konkreten, aber irgend­wie nicht-physikalis­chen Kon­texts natür­lich ganz zu schweigen. 

Fazit (postende)

Bei son­er Wahl sollte man sich immer über­raschen lassen.

Hipster [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Unser Cheflexikologe Michael vom lexiko­gra­phieblog lehnte in diesem Jahr den Ruf in die Jury aus zeitlichen Grün­den ab und wusste bere­its bei der Nominierung von Hip­ster offen­bar, warum: Wie will man das denn bitte definieren? Hip­ster fällt — begrif­flich! — in die gle­iche Kat­e­gorie wie Spießer und Yup­pie: irgend­wie hat man eine klare Vorstel­lung davon, was das sein soll, man will’s erkan­nt haben, wenn man’s sieht — aber natür­lich will’s mal wieder kein­er gewe­sen sein. Kurz: jen­seits humoriger Selb­st­geißelung ist Hip­ster als Eigen­beze­ich­nung sel­ten. Der Hip­ster ist ein kul­turell nahezu undefinier­bar amor­phes urbanes Phänomen in klas­sis­chen Hip­ster­biotopen (hier kartografiert).

Das wort

Hip­ster, eine Ableitung vom Adjek­tiv hip ‚hip‘, gebildet mit dem Agen­tiv­suf­fix -ster, ver­gle­ich­bar in Wort­bil­dun­gen des Englis­chen wie trick­ster, drug­ster, joke­ster oder young­ster. ((Beson­ders gut gefällt mir noch die Schöf­pung Wimp­ster im DWDS aus der ZEIT 37/2006: „Bevorzugtes Objekt der Begierde: der ‚Wimp­ster‘, eine Mis­chung aus Trend­set­ter (Hip­ster) und Weichei (Wimp).“)) Der Oxford Eng­lish Dic­tio­nary (OED) kon­sta­tiert für die frühere Phase des Früh­neuenglis­chen (ab etwa 1500) eine erhöhte Pro­duk­tiv­ität. Das Suf­fix -ster ist aber älter und geht min­destens auf das Altenglis­che -estre oder -istræ zurück, wo es Berufs­beze­ich­nun­gen für weib­liche Per­so­n­en ableit­ete, ana­log zum -er für Män­ner. Im Mit­te­lenglis­chen wurde -estre durch das franzö­sis­che -eresse abgelöst — -ster wurde also zunehmend maskulin inter­pretiert und durch -eresse/-ess kom­ple­men­tiert. Mit der gestiege­nen Pro­duk­tiv­ität von -ster ließ das Wort­bil­dungsmuster im 16. Jahrhun­dert auch vere­inzelt Bil­dun­gen mit Adjek­tiv­en oder Ver­ben zu (z.B. young­ster, 1589, oder rub­ster, 1537). ((„-ster, suf­fix“. OED Online. Decem­ber 2012. Oxford Uni­ver­si­ty Press. 28 Jan­u­ary 2013 <http://www.oed.com/view/Entry/189877?rskey=dbgDgC&result=1&isAdvanced=false>.))

Hip­ster liegt fürs Deutsche — ver­mut­lich — aus­nahm­s­los als Maskulinum vor. Ver­suche, nach fem­i­ni­nen For­men zu suchen, sind zum Scheit­ern verurteilt, weil für Hip­ster die meis­ten Genus‑, Kasus- und Numeruskom­bi­na­tio­nen zusam­men­fall­en und Suchergeb­nisse deshalb nicht auseinan­derzuhal­ten, geschweige­denn ver­gle­ich­bar sind (die Hip­ster für FEM.SG,  MASK.PL und MASK.PL„gener­isch“, etc.). Der Hip­ster hat mit gerun­det 39,000 Tre­f­fern gegenüber die Hip­sterin mit 224 Tre­f­fern leicht die Nase vorn. Es ist unwahrschein­lich, dass hier 38,776 Fälle von Synkretismus vor­liegen. Wahrschein­lich­er ist, dass Hip­ster, obwohl gen­der­bar, nicht gegen­dert wird. Abgeleit­et von Hip­ster gibt es erste Ver­suche, hip­stern als Verb zu etablieren.

Entlehnung & Aktualität

Hip­ster gibt es schon länger, auch in der deutschen Sprache. Die Exis­tenz zweier voneinan­der rel­a­tiv unab­hängiger Wikipedia-Ein­träge zu Hip­ster (20. Jahrhun­dert) und Hip­ster (21. Jahrhun­dert) sug­geriert, dass zeit- und kul­turhis­torisch Hip­ster1 und Hip­ster2 zu tren­nen sind. Ein­er der früheren ver­i­fizier­baren Belege stammt aus der ZEIT von 1962, der hip­ster als „unüber­set­zbar“ bezeichnet.

Während bei Hip­ster1 üblicher­weise das Avant­gardis­tis­che, Poli­tis­che und Rebel­lis­che im Vorder­grund ste­ht und — gle­icher­maßen durch die ret­ro­spek­tive Brille — diesem deshalb eine gewisse Cool­ness zuge­s­tanden wird, wird Hip­ster2 Cool­ness als inhärentes Charak­ter­is­tikum eines hip­pen Selb­st­bilds unter­stellt (und damit abge­sprochen). Zusät­zliche zen­trale Def­i­n­i­tion­s­merk­male sind neben ein­er Woh­nung in Szenevierteln offen­bar gän­zlich unpoli­tis­che Chi­no­ho­sen, Kaf­feeschaum­vari­a­tio­nen, Tele­fone mit Bin­nen­ma­juskeln, Nerd­brillen, Club Mate und Jutebeutel.

Hal­ten wir fest: eine Neu- bzw. Wieder­entlehnung. Denn obwohl Hip­ster so neu nicht ist, erfüllt es ein zen­trales Kri­teri­um: eine deut­liche Zunahme 2012. (Man beachte die Karte der geografis­chen Verteilung der Suchan­fra­gen. Etwas über­raschen mag das hohe Inter­esse an Hip­ster für die der uncoolen Cool­ness unverdächti­gen Städte Duis­burg, Darm­stadt, Mainz und Mün­ster. Rel­a­tiviert wird das, weil Han­nover in der Liste nicht auftaucht.) 

Aber Michael fragte ja auch danach, ob es heute noch neu­tral oder pos­i­tiv ver­wen­det wird. Das ist eher unwahrschein­lich, vor allem, weil der Begriff zu häu­fig in Tex­ten über den Umbruch urbaner Gesellschaftsstruk­turen (→Gen­tri­fizierung) mit vie­len neg­a­tiv­en Begleit­e­mo­tio­nen auftaucht:

Hass auf die Hip­ster in Kreuzberg und New York. [Tagesspiegel, 22. März 2012]

Der Hip­ster mit dem Jute­beu­tel — das neue Has­sob­jekt. [Die Welt, 10. März 2012]

Der Hip­ster — bär­tig, cool, ver­achtet. [Tagesspiegel, 18. April 2012]

(Ein Gegen­beispiel zum „wir sind so nicht“ ist die taz, die den Hip­ster auf­fäl­lig neu­tral als „Men­schen wie du und ich“ beschreibt (taz, 18. Novem­ber 2012).)

Das war nicht immer so: die spöt­tis­chen oder aufge­lade­nen Beschrei­bun­gen sind eine neuere Entwick­lung. Im ZEIT-Archiv des DWDS find­en sich ab den 1990er bis 2009 viele Belege mit neutraler(er) Szenezustandsbeschreibung:

Er war irgen­det­was zwis­chen Häftling und Hartz IV, und nun stand er hier, mit­ten in Mitte, wo die Heimat der Hip­ster ist, vor einem Laden, der bräun­liche Sweat­shirt­jack­en und Jeans mit niedrigem Bund verkauft, stand dort wie ein Türste­her und ver­bre­it­ete Angst. (ZEIT 7/2008)

Char­lotte ist eine unter­drück­te Haus­frau, die in dem schwärmerischen Hip­ster das Gegen­pro­jekt ihres Estab­lish­ments erken­nt. Char­lotte Hellekant singt sie mit ein­er drama­tis­chen Durch­lagskraft, in der stets die bürg­er­liche Angst vor dem Kon­trol­lver­lust mit­flack­ert. (ZEIT 41/2002)

Und jen­seits von Zeitungs­bele­gen, in denen die Gen­tri­fizierungs­de­bat­te meist auf ein unbekan­ntes Wesen pro­jiziert wird? Eine kurze Analyse von etwa sechs Tagen Hip­stertweets: ein­er von einem Men­schen mit hip­ster im Alias, ein neu­traler Meta-Tweet (mein eigen­er) und der Rest von der fol­gen­den Sorte:

Twit­ter braucht drin­gend Warn­hin­weise: Ver­wahrloste Hip­ster sitzen auf der Park­bank mit nix außer ihrem Smart­phone, das sie fest umk­lam­mern. @SoucieSpogk

hip­ster hip­ster gib mir mein berlin zurück @Mel61718

Vor einiger Zeit waren es ja sie Alt-68er, die hier die Poli­tik prägten. Hab schon ein wenig Angst vor der Zeit, wenn die Hip­ster dran sind. @Zellmi

Fazit: wir sind alle ein bisschen Hipster

Bei vie­len, vie­len Tweets und Blog­posts über den Hip­ster genügt ein Blick ins Pro­fil der­jeni­gen, um zu wis­sen, dass es mit Hip­ster eigentlich ganz ähn­lich ist, wie mit Spießer: es sind immer die anderen und die haben auch noch an allem Schuld. Sie gehen nie bei Rot über eine unbekan­nte Kreuzung und spülen But­ter­dosen vor Wiederver­wen­dung ein­mal heiß durch? Sehense.

Hip­ster, ein Wort, das tat­säch­lich unüber­set­zbar ist. Zur rekur­siv­en Absur­dität von Ein­deutschungsver­suchen: eine mögliche Alter­na­tive wäre Trend­set­ter (Antwort auf die unschuldige Frage: „Wie würdest du Hip­ster über­set­zen?“), welch­es aber eben­falls auf dem Index ste­ht und wofür schon Schrittmach­er, Vor­re­it­er oder Weg­bere­it­er vorgeschla­gen wurden.

Eine Lücke gefüllt? Natür­lich, auch wenn’s schon recht lange im Deutschen heimisch ist (lange vor der Hip­s­ter­de­bat­te aktueller Couleur). Aber man darf ein­wer­fen, dass der Attrib­ut­epool der Klasse „Hip­sterIn­nen“ so der­maßen tief und bre­it ist, dass die Def­i­n­i­tion schw­er ist und der Begriff — in Abwe­sen­heit iden­ti­fizier­baren Ref­eren­z­gruppe — irgend­wie schwammig bleibt.

P.S.: Damit ich das Bild nicht umson­st gemacht habe: unlängst forderte die FU-Hochschul­gruppe von DIE PARTEI die Zulas­sungs­beschränkung für Jute­beutel­träger. ((Was machen wir jet­zt mit Good­ies auf Tagun­gen? Ein­lasskon­trollen für Wis­senschaftsver­lage?)) Aber die wollen ja auch den Pren­zlauer Berg end­lagern.

Wahlwer­bung, DIE PARTEI-Hochschul­gruppe, Freie Uni­ver­sität Berlin, Jan­u­ar 2013

Hashtag #adj2012

Von Susanne Flach

#Heute küm­mern wir uns nach Frack­en bzw. frack­ing gestern um den näch­sten Kan­di­dat­en: Hash­tag. Nominiert wurde es von Leser Ana­lytik­er. Eine Begrün­dung dazu gab’s nicht (ab dem näch­sten Jahr über­prüfe ich die Hausauf­gaben!). Erk­lärung offen­bar überflüssig.

Deshalb erläutern wir Hash­tag zunächst kurz für diejeni­gen, die Twit­ter bish­er nur aus dem Fernse­hen ken­nen ((Die Menge [Programmiersprachensprecher/innen]&!=[Twitter/innen] dürfte leer sein.)) und beson­ders für diejeni­gen, die sich kurz dacht­en, ich hätte vielle­icht ein <c> in der Über­schrift vergessen. Sodenn, Def­i­n­i­tion: Ein Hash­tag ist so eine Art Schlag­wort für den Zettelkat­a­log im Netz. Weit­er­lesen

Log in for Sprachschutz

Von Susanne Flach

Alle Wege führen zum Sprachlog! Deshalb begrüßen wir die ZDFin­fo-Zuschauer/in­nen, die über Ana­tols Besuch in der Sendung login hier­her gespült wur­den. Und für den Fall, dass Sie diese Unter­richtsstunde zum Klas­sik­er der Apoka­lypsethe­men ver­passt haben, kön­nen Sie seit heute mor­gen in der Mediathek Ihre Hausauf­gaben nach­holen (und das Chat­pro­tokoll von nach der Sendung). Möglicher­weise stellen Sie sich danach aber die Frage, wer eigentlich „gewon­nen“ hat, wenn man so will. Zwar „kippte“ die Stim­mung unter den Zuschauer/innen während der Sendung zugun­sten der sach­lichen Diskus­sions­führung. Erstaunlich ist aber, dass die Gegen­seite gewohnt argu­ment­frei, uner­wartet schlecht vor­bere­it­et und mit einem vorher­sag­baren Plat­titü­den­bin­go immer noch 43% der Pub­likums­gun­st auf sich ziehen konnte. 

Aber der Rei­he nach.

Weit­er­lesen

Das Wortwahl-Abo

Von Susanne Flach

Das „Unwort des Jahres 2012“ ist Opfer-Abo. Gestern hat die Jury um die Sprach­wis­senschaft­lerin Nina Janich von der Tech­nis­chen Uni­ver­sität Darm­stadt bekan­nt gegeben, dass man heute auf ein­er Pressekon­ferenz das Gewin­ner­wort bekan­nt geben wird. Dementsprechend hoch war dann heute mor­gen die Quote der EIL-Mel­dun­gen. Weit­er­lesen

Wissenschafts(unterrichts)sprache Deutsch

Von Susanne Flach

Anfang Dezem­ber machte wieder mal die Panikmache vor dem Aus des Deutschen als Wis­senschaftssprache die Runde (z.B. hier in einem Beitrag auf DRa­dio). Darin wird in einem Neben­satz des Argu­ments „fehlen­der Mehrsprachigkeit“ mal wieder gemault, dass beim Ausster­ben des Deutschen in der Wis­senschaft gle­ich auch die Hochschu­lun­ter­richtssprache Deutsch bedro­ht ist.

Weit­er­lesen

Wickie und der starke William

Von Susanne Flach

Vor zwei Wochen sorgte ein Artikel im Forschungs­magazin APOLLON der Uni­ver­sität Oslo für kollek­tives Aufhorchen inner­halb der Sprach­wis­senschaft. Der nor­wegis­che Lin­guist Jan Ter­je Faar­lund von der Uni­ver­sität Oslo und sein amerikanis­ch­er Kol­lege Joseph Emonds von der Palacký-Uni­ver­sität in Olo­mouc (Tschechien) behaupten, dass Englisch auf­grund der „fun­da­men­tal“ ähn­lichen Struk­tur von Englisch und Nor­wegisch eigentlich eine skan­di­navis­che Sprache sei. Damit stellen sie die bish­erige Klas­si­fizierung des Englis­chen als west­ger­man­is­che Sprache mit Friesisch und Nieder­ländisch als eng­ste „Ver­wandte“ in Frage.

Weit­er­lesen

Yolo & Yallaf!

Von Susanne Flach

Der Lan­gen­schei­dt Ver­lag suchte während des Som­mer­lochs wieder das Jugend­wort des Jahres — und will es am Son­ntag nach Juryauswahl und Pub­likumsab­stim­mung gefun­den haben. Yolo, was für you only live once (‚Du leb­st nur ein­mal‘) ste­ht und laut Jury als „Auf­forderung, eine Chance zu nutzen“ inter­pretiert wird. Weit­ere Nominierun­gen waren (in abw­er­tender Rei­hen­folge): FU!, yal­la, wulf­fen und Koma­su­tra.

Irgend­wie ist yolo sog­ar fast pfif­fig und sprach­wis­senschaftlich als Diskurs­mark­er beina­he inter­es­sant — zumin­d­est, wenn sich der Anspruch die Gewin­ner­worte der let­zten bei­den Jahre, Niveaulim­bo (2010) und Swag (2011), von unten ansieht.

Was aber genau die focussierte Jury aus Spießern von Welt dazu bewogen hat, wulf­fen zu nominieren, das als gut­ten­ber­gen bere­its im let­zten Jahr erkennbar schlecht als Unfug getarnt war, wird ihr Geheim­nis bleiben. Genau wie übri­gens die Nominierungs- und Auswahl­prozesse. Zwar kann jede/r Vorschläge ein­senden, aber schon das wortkarge 358-seit­ige Forum auf der Wahl-Seite lässt Zweifel daran aufkom­men, woher Kan­di­dat­en und Pub­likums­barom­e­ter genau kommen.

(Zu FU! möchte ich mich zum Beispiel gar nicht äußern (lol­rofllol).)

In Ord­nung. Die Jury kämpft ver­mut­lich noch mehr als wir beim Anglizis­mus des Jahres damit, die Aktu­al­ität und den tat­säch­lichen Sprachge­brauch der Kan­di­dat­en präzise zu bes­tim­men und einzu­gren­zen (ehrlich­er Ver­such voraus­ge­set­zt). Googles zeitliche Zuver­läs­sigkeit ist derzeit hundsmis­er­abel — selb­st wenn man die Tre­f­fer nach dem 20. Juli raus­fil­tert, an welchem Lan­gen­schei­dt die Kan­di­dat­en bekan­nt­gab, erhält man über­wiegend Pressemit­teilun­gen vom Anfang der Woche. Sei’s drum. Aber ob beispiel­sweise Koma­su­tra so neu ist? Schnell und ober­fläch­lich recher­chiert: komasutra.de ist eine seit April 2007 kon­nek­tierte Domain mit ver­steck­ten Par­ty­bildern. Naja, bleiben wir fair: ein kreativ­er Ham­burg­er macht ja noch kein kama­sutrös schiefge­laufenes Besäufnis.

Zumin­d­est bei der Ein­hal­tung des Nominierungskri­teri­ums „Kreativ­ität“ hat man sich möglicher­weise Mühe gegeben: zwar ist yolo for­mal ein stin­knor­males Akro­nym (sowas wie Laser). Aber immer­hin: sollte yolo tat­säch­lich im Sinne „eines Lebens­ge­fühls“ ver­wen­det wer­den, würde ich an dieser Stelle ganz ergrif­f­en nick­en wollen. Aber es liegt kaum ein brauch­bar­er Beleg aus dem deutschsprachi­gen Raum vor — vielle­icht ver­steck­en sie sich auch ein­fach viel zu gut im leeren Rund ein­er inter­ne­to­phoben Gen­er­a­tion. Doch selb­st meine bei­den Infor­man­tInnen (15 & 18) mocht­en dieses Wohlwollen mit „ach, diese amerikanis­che Ver­arsche pseudoin­tellek­tueller Hip­ster­scheiße?“ auch nicht so recht auslösen.

Bei der Beurteilung der Ver­bre­itung im Sprachge­brauch der Ziel­gruppe beg­nügt sich die Jury dementsprechend auch dieses Jahr mit Klick­zahlen eines Videos eines möglicher­weise bekan­nten Duos (hier: Drake feat. Lil Wayne — it’s in the name, wayne!). Diesen Beleg aber mit ein­er „nicht mehr wegzudenken[den]“ Ver­bre­itung eines Wortes gle­ichzuset­zen wäre in etwa so, als behaupte man, wir ver­stün­den „Ret­tungss­chirm“ als Aus­druck ein­er hip­pen Non­cha­lance, weil 82 Mil­lio­nen Mit­glieder der Sprachge­mein­schaft bei ein­er bun­desregieren­den Neu­jahrsansprache die Fernbe­di­enung nicht rechtzeit­ig gefun­den haben.

Vielle­icht hat die Jury aber auch ein­fach ganz großar­ti­gen Humor.