Wir sollten uns viel öfter die Frage stellen, ob wir mit unserer ketzerischen Kritik an den Apokalypseprophezeiungen vom Untergang des Deutschen nicht zu einseitig argumentieren. Wo die anderen doch so überzeugende Argumente haben.
Archiv des Autors: Susanne Flach
No word for Labersack
Sprachlogleser Kai hat uns drüben auf Facebook einen Link zugespielt, weil ein paar Künstler/innen sich angeblich einer linguistischen Muse bedient und elf „unübersetzbare“ Begriffe illustriert haben. Da stehen jetzt so Dinge drin wie dépaysement, französisch für ‚das Gefühl, nicht im eigenen Land zu sein‘ (wörtlich: ‚Fremdheit‘) oder pochemuchka, angeblich russisch für ‚eine Person, die viele Fragen stellt‘. Immerhin hat das Beispiel für Deutsch, Waldeinsamkeit, einen Wikipedia-Eintrag und wir wissen jetzt glücklicherweise um seine gewisse kulturhistorische und diachrone Relevanz.
Diese Art von Lexikon- und Kulturverständnis ist natürlich nicht neu, sprachlich interessanter macht es solche Einwürfe aber nicht. Listen „unübersetzbarer Wörter aus anderen Kulturen“ und vergleichbare Meme enthalten auffällig häufig quellenlose Beispiele aus exotischen Sprachen, die niemand verifizieren kann. Wahlweise sind die Begriffe so selten, dass sie den Sprecher/innen überhaupt nicht bekannt sind. Mir ist das für einen ernsthaften linguistischen Kommentar mittlerweile eher zu lahm. ((Zur Einführung: ich hatte mal was zum albanischen Bartwuchs geschrieben, Anatol zu Wortschatzerweiterungen und Katastrophen im Japanischen. Ben Zimmer bietet im LanguageLog eine allgemeine Übersicht zu dieser Art der Kultur„forschung“.)) Deshalb warte ich bis auf weiteres erstmal geduldig auf eine Illustration zu Labersack, ‚German for a person who labers too much‘.
Etwas neuer — aber irgendwie besonders skurril — in diesem Fall ist: die Macher/innen berufen sich auf Through the Language Glass (dt. Im Spiegel der Sprache), ein exzellentes populärwissenschaftliches Buch des Linguisten Guy Deutscher. Zwar trägt dieses den Untertitel „Why the World Looks Different in Other Languages“, aber wer auch immer den digitalen Griffel geschwungen hat, kann das Buch nicht gelesen haben. Nicht nur, dass keines der Wörter von Deutscher auch nur erwähnt wird. ((Zur Überprüfung reicht bereits die Suchfunktion der Textvorschau bei Amazon.)) Es geht bei Im Spiegel der Sprache überhaupt nicht um löchrige Lexikonunterschiede, sondern um völlig andere, linguistisch wirklich relevante Fragen.
Nun könnte man sagen, dass man sowas nicht ernst nehmen darf (lieber solle man Kunst dahinter vermuten). Kann man echt nich ernst nehmen, tun wir auch nicht. Aber der antizipierte Schmunzeleffekt ist im Vorurteilskaraoke auf einer nicht-trivialen Ebene Ausdruck unserer Weltsicht: die Eskimo hocken den ganzen Tag mit Robbe am Stiel vor der Eishütte und warten in ihrem eintönigen Leben sehnsüchtig auf Besuch, weil ihnen für die vielen Wörter langsam die Aggregatzustände für gefrorenes Wasser ausgehen.
Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie diese Umsetzung.
Blogspektrogramm 35/2013
Trotz vieler nach‑, zwischen- und vorsemesterlicher Verpflichtungen — die erlesene Auswahl fürs sprachwissenshungrige Publikum! Klein, aber fein für diese Woche: Sprachevolution, wiederentdeckten Aufzeichnungen und britischer Programmiersprachalternativen.
- Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG interviewt den Linguisten und Kognitionswissenschafter Philip Lieberman zur Phsysiologie des Sprechens und Sprachevolution : „Kein Bewegungsablauf ist schwieriger als Sprechen“.
- Die Briten sind etwas pikiert, offenbar, weil PHP nicht in britischem Englisch formuliert wurde. Bei ADDEDBYTES hat man sich gedacht: so könnt’s in der britischen Variante aussehen.
- Der GUARDIAN berichtet über Michael Walsh von der University of Syndey, der eher zufällig Aufzeichnungen europäischer Kolonialisten über indigene Sprachen entdeckt hat. Für ein Feld, das grundsätzlich wenige Daten hat und meist gar keine historischen, ist das eine Bereicherung.
- Karte der Woche: basierend auf Daten des Atlas zur deutschen Alltagssprache hat die ZEIT Daten zum Artikel vor Eigennamen optisch etwas aufgehübscht.
Die Pflicht in der Sprache
Am Montag berichteten wir eher grundlegende Schwächen der Greenfield-Studie („Das Ego in der Sprache“), heute kommen wir in Lektion 2 kurz zu Bedeutungs- und Funktionswandel. Das wollte ich in etwas anderer Form eigentlich lexikalisch an Kindern illustrieren, ich fand die syntaktische Pflicht aber erhellender. Weiterlesen
Das Ego in der Sprache
Letzte Woche wurde in PSYCHOLOGICAL SCIENCE eine Studie veröffentlicht, die die These bestätigt sieht, dass sich der Wandel kultureller Werte von „gemeinschaftlich“ zu „individuell/materialistisch“ in der Sprache widerspiegelt (Greenfield 2013). Über die Studie berichtete bisher PsychCentral, einige Wissenschaftsblogs, Nachrichtenseiten wie CBS oder der TELEGRAPH und im deutschsprachigen Raum ORF und WISSENSCHAFT AKTUELL. Das Ergebnis der Studie: die Urbanisierung unserer Gesellschaft korreliert mit der Abnahme von „gemeinschaftlichen“ Wörtern (obliged, give, act, obedience, authority, belong, pray) und der Zunahme von Begriffen, die „Materialismus“ verkörpern (choose, get, feel, individual, self, unique, child) und so spiegelt Sprache direkt den Wandel gesellschaftlicher Werte wider. Weiterlesen
Motivierte Präpositionen
Auch die taz hat so eine Art Sprachglosse, auch wenn sie nicht so heißt und irgendwie auch etwas versteckt daher kommt. Aber Peter Köhler schreibt in DIE WAHRHEIT ab und zu über Sprachliches. Letzte Woche nahm er sich die Präpositionen vor und deren sich „breit machende“ falsche Verwendung. Aus meinen Abozeiten der taz-Printausgabe meine ich mich zu erinnern, dass DIE WAHRHEIT in Wahrheit so eine Satire- und Kommentarseite ist, aber das ist lange her. Satire dürfen wir in diesem Fall vermutlich ausschließen, nehmen wir die Sache also erstmal ernst.
Von der Neutralität der Linguistik
Auf Anatols gestrigen Literaturhinweis zu Luise Puschs Repliken auf Maskulinguisten kommentierte Leser Martin, dass er nicht versteht, wie man „aus sprachwissenschaftlicher Sicht einen aktiven Eingriff in den Sprachgebrauch befürworten“ könne. Auf diese Art Argumentation wollte ich schon seit langem mal eingehen. Die Gelegenheit ist günstig.
Des Donnerstagsrätsels Lösung
Mein erstes Etymologierätsel und dann soooooo viele richtige Antworten. Gruseliger Verdacht: Sie waren alle auf einer Klosterschule! Das war jetzt eins zum Warmbleiben, demnächst drehen wir an der Feinjustieren und schalten dann wieder einen Gang nach oben.
In diesem Sinne:
Das haben jetzt mal (fast) alle mehr oder weniger korrekt ausgeknobelt, die sich daran versucht haben. Deshalb: Herzlichen Glückwunsch! (In den Kommentaren des Rätsels sind auch eigentlich fast alle Erklärungen schon mitgeliefert.)
Donnerstagsrätsel (4)
Jeden dritten manchen irgendwannsten Donnerstag im Monat kommt unser cooles Donnerstagsrätsel, heute mal wieder mit einem Etymologiequiz.
Die unten stehenden Wörter im Wordle können paarweise miteinander in Verbindung gebracht werden (Achtung: zwei Paare sind zu dritt). Und, wie Kristin, die Erfinderin des Etymologiequizzes, sich das so gedacht hat, können die Verwandtschaftsbeziehungen seeeeeeehr weit zurück gehen. Und weil Verwandtschaft immer ein bisschen komplizierter ist, könnte sie natürlich auch nur teilweise sein, d.h. aus kleineren Elementen (v.a. Wurzeln, Stämme) bestehen.
Seiense nett zu mir, ich hab das zum ersten Mal gemacht und hoffe, dass es nur eine Lösung gibt. Aber auf jeden Fall: Viel Knobelspaß!
P.S.: Lösungen gibt’s am Montag. Schummeln ist …äh, also, hm — machense was se wolln. Die Kommentare sind teilweise offen (bzw. werden im Spannungsbogenaufbau manuell unsichtbar gemacht, d.h. nicht wundern, wenn ein bereits erschienener Kommentar vorläufig verschwindet), also im Notfall einfach gaaanz schnell runterscrollen und die Lösungsvorschläge abgeben.
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Hier geht’s zur Lösung. Die Nennung aller, die’s richtig gewusst haben, wäre jetzt n büschen sehr aufwändig. Aber Herzlichen Glückwunsch an alle! Es war schwerer als gedacht, es nicht zu leicht zu machen.
Von Tribunen und Tribünen
Am Montag scheiterte bei Wer wird Millionär? ein Kandidat an der „Wortherkunft“ von Tribüne, deren Herleitung RTL immerhin 125.000€ wert gewesen wäre. Was zunächst von RTL als einfach suggeriert und in der Folge von vielen Boulevardjournalisten und Kommentatoren als „offensichtlich“ dargestellt wurde, ist aber etwas komplexer (das Sprachlog twitterte).
Die Frage lautete: Weiterlesen