Archiv des Autors: Kristin Kopf

[Buchtipp] Vernäht und zugeflixt!

Von Kristin Kopf

Ich hat­te gehofft, diese Woche noch etwas Span­nen­des schreiben zu kön­nen – geplant sind z.B. noch ein, zwei Beiträge zu Ver­wandtschaftssys­te­men. Da jet­zt aber meine Hausar­beit über sel­bige in den let­zten Zügen liegt und mor­gen fer­tig wer­den soll, gibt’s nur einen schnellen Buchtipp.

2009-03-27-vernahtBere­its let­ztes Jahr erschienen, ist “Ver­flixt und … Vernäht und zuge­flixt! Von Ver­sprech­ern, Flüchen, Dialek­ten & Co.” von Ilse Achilles und Ger­da Pigh­in zwar kein Geheimtipp mehr, aber emp­fohlen wer­den muss es den­noch noch – vor allem den­jeni­gen unter Euch, die nicht aus der Lin­guis­tikecke kommen.

Ziel des Pro­jek­tes war es, Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen und inter­essierte Laien zusam­men­zubrin­gen, ein pop­ulär­wis­senschaftlich­es Buch mit Anspruch über Sprache zu schreiben. In elf Kapiteln stellen die Autorin­nen ver­schiedene The­men vor, die die Sprach­wis­senschaft beschäfti­gen. Jedes Kapi­tel hat eine Art “Pat­en” aus der akademis­chen Welt – Sprach­wis­senschaft­lerin­nen und Sprach­wis­senschaftler liefer­ten die Infor­ma­tio­nen, die Autorin­nen machen sie angenehm les­bar. Es geht z.B. um Sprach­wan­del, Jugend­sprache, Dialek­te, Rechtschrei­bung, Sprachen­ler­nen, Bilin­gual­is­mus, Fremd­wörter, Flüche, Ver­sprech­er, Gebär­den­sprache und Computerlinguistik.

Sprache ist ja so ein The­ma, bei dem es unglaublich viele selb­ster­nan­nte Experten gibt – dass man aber auch pop­ulär­wis­senschaftlich schreiben kann, ohne in die üblichen Schimpfti­raden über die Ver­lot­terung der Sprache, Denglisch und die Rechtschreibre­form zu ver­fall­en, wird hier unter Beweis gestellt. Wer sich bish­er noch nicht mit Sprach­wis­senschaft beschäftigt hat, wird in diesem Büch­lein einen wun­der­baren Ein­stieg find­en und ent­deck­en, dass man über Sprache auch ganz, ganz anders denken und urteilen kann, als das nor­maler­weise geschieht.

Hät­tet Ihr übri­gens errat­en, dass die Autorin­nen für Frauen­zeitschriften schreiben oder geschrieben haben?

Wir haben umler­nen müssen,” sagt Stein­bach, ein hochgewach­sen­er Mann, mit kräftigem Haar und angenehmem Lachen.

Nie im Leben, ne?

Fragen an das Internet beantwortet

Von Kristin Kopf

Word­Press ver­fügt über eine elende Sta­tis­tik­funk­tion, die man stun­den­lang sinn­los anstar­ren kann. Um die vergeudete Zeit etwas zu recht­fer­ti­gen, will ich ein paar “Fra­gen” beant­worten, die über Suchan­fra­gen zum Sch­plock geleit­et wur­den, wo dann zwar die Such­wörter, nicht aber die Antworten vorhan­den waren.

schmettern ethymologisch (12.3.2009)

Wahrschein­lich ist es ein laut­ma­lerisches Wort, das irgend­wie mit mit­tel­hochdeutschem smîzen ‘stre­ichen, schmieren’ (das ist die Vor­form von schmeißen) und niederdeutschem schmad­dern ‘schmieren’ ver­wandt ist.

Im Mit­tel­hochdeutschen hieß es sme­tern und hat­te die Bedeu­tung ‘klap­pern, schwatzen’. Das Wort hat ab dem 16. Jahrhun­dert die Bedeu­tung ‘mit Geräusch hin­schleud­ern’, man musste also immer etwas schmettern. Später dann brauchte das Verb kein Objekt mehr, es beze­ich­net sei­ther eher die Tat­sache, dass etwas einen ‘krachen­den Schall’ verur­sacht. Wenn man ein Objekt ver­wen­den will, benutzt man hin­schmettern.

Danke übri­gens für die Inspi­ra­tion mit ethymol­o­gisch!

eichhörnchen etymologisch (22.3.2009)

Voll­tr­e­f­fer – eine Volk­se­t­y­molo­gie! Klas­sis­ch­er Fall für Olschan­sky: Schon im Althochdeutschen hat man das Wort als Zusam­menset­zung aus Eiche und Horn analysiert (eih­horno), dabei geht es eigentlich auf das ger­man­is­che Wort *aikur­na- zurück, was die indoger­man­is­che Wurzel *aig- bein­hal­tet, ‘sich heftig bewe­gen, schwingen’.

Obwohl also ety­mol­o­gisch von einem Horn nicht die Rede sein kann, wurde das Wort Mitte des 19. Jahrhun­derts zu ein­er generellen Beze­ich­nung für alle ver­wandten Nagetiere der Famile Sci­uri­dae wie z.B. Baumhörnchen, Erd­hörnchen, Flughörnchen.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia (Ray eye), CC-by-sa‑2.0‑de

paumen hochdeutsch (19.3.2009)

Wahrschein­lich geht es hier um eine alte dialek­tale Form des Wortes Bäume. Zu Beginn der althochdeutschen Zeit gab es die soge­nan­nte “Zweite Lautver­schiebung”, und ein Teil davon, die “Medi­en­ver­schiebung”, verän­derte die west­ger­man­is­chen Laute b, d und g.

  • [d] wurde zu [t], das sieht man z.B. an Wörtern wie Tag, auf Englisch day, weil das Englis­che keine Zweite Lautver­schiebung hat­te. Es gibt noch massen­haft weit­ere Beispiele (Tochterdaugh­ter, Tordoor, Tierdeer, …).
  • [b] und [g] blieben im Hochdeutschen weit­er­hin [b] und [g] – ver­glichen mit dem Englis­chen ist also kein Unter­schied festzustellen: Buch book, Bierbeer, gutgood, graugrey, …

Im Alto­berdeutschen aber, vor allem im Alt­bairischen, wurde teil­weise [b] > [p] und [g] > [k]. (Es ist aber zumin­d­est in der Schrei­bung nicht kon­se­quent durchge­führt, oft ste­hen auch <b> und <g>.) Wir find­en in alt­bairischen Tex­ten also Wörter wie perg ‘Berg’, kot ‘Gott’ und paum, ‘Baum’. Hier ist z.B. ein Auss­chnitt aus dem Wes­so­brun­ner Gebet, dessen Entste­hung auf ca. 790 geschätzt wird:

Dat gafre­gin ih mit firahim fir­i­u­uiz­zo meista,
dat ero ni uuas noh ûfhimil,
noh paum nih­heinîg noh pereg ni uuas,
ni suigli ster­ro nohheinîg noh sun­na ni scein,
noh mâno ni liuh­ta noh der mâręo sêo.
Dô dâr niu­ui­ht ni uuas enteo ni uuenteo
enti dô uuas der eino almahtî­co cot, …

(Text nach TITUS)

Das habe ich bei den Men­schen als größtes Wun­der erfahren: dass es die Erde nicht gab und nicht den Him­mel, es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg, es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne, es leuchtete wed­er der Mond noch die glänzende See. Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder Ende hätte ver­ste­hen kön­nen, gab es schon lange den einen, allmächti­gen Gott, …” (Über­set­zung aus Nübling 2006:23)

Und im Grimm­schen Wörter­buch gibt es einige Beispiele für paumen:

  • FRUCHTTRÄGERLEIN, n. frucht­knospe, bei MEGENBERG 93, 15: (vor dem blitz) ver­hül­let diu nâtûr diu fruht­trager­lein, daჳ sint die frühti­gen knödel (knötchen) auf den paumen, mit pletern, sam dâ ain amme ir kint ver­hül­let mit windeln.
  • FÜRBASZ , adv. weit­er, weit­er fort. […] STEINHÖWEL (1487) 64; doch nach langem seinen bedunken in gůt dauchte, seyt­mal er der fin­ster nacht hal­ben nitt fürpasz mochte, auf einen paumen ze steigen.
  • NACHSPÜREN, verb.1) intran­si­tiv, spürend fol­gen, aufzus­püren (zu erforschen, zu ergrün­den) suchen […] die aich­hörn­lein lof­fen / auf den paumen, der ich keim kund / nach-spüren, weil ich het kein hund. H. SACHS 4, 286, 8 K.

So. Auf die näch­sten Suchan­fra­gen ist das Sch­plock vorbereitet!

… wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Von Kristin Kopf

Von mein­er Ger­man­is­tik-Ver­wandtschaft­shausar­beit sind ein paar Bröckchen fürs Sch­plock abge­fall­en. Es geht um den Wan­del der Typolo­gie von Ver­wandtschaftssys­te­men – also nicht darum, wie sich einzelne Wörter verän­dern (wobei ich darauf auch ein wenig einge­hen will), son­dern darum, wie sich kom­plette Sys­teme verän­dern. Und da kann sich erstaunlich viel tun. Ich will heute nur auf einen kleinen Teilaspekt einge­hen, der die Eltern­gener­a­tion (auch G+1 genan­nt) betrifft.

Dort wer­den im heuti­gen Deutsch zwis­chen Blutsver­wandten zwei Unter­schei­dun­gen getroffen:

  • Frau oder Mann? Mut­ter, Tante vs. Vater, Onkel
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? Vater, Mut­ter vs. Tante, Onkel

Da drang ein Dutzend Anverwandten / Herein, ein wahrer Menschenstrom!

Im Althochdeutschen gab es noch eine weit­ere Unterscheidung:

  • Frau oder Mann? muot­er, muo­ma, basa vs. fater, fetiro, oheim
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? muot­er, fater vs. muo­ma, basa, fetiro, oheim
  • Müt­ter­lich­er­seits oder väter­lich­er­seits? muo­ma, oheim vs. basa, fetiro

Die vier Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern lauteten also:

(1) muo­ma ‘Schwest­er der Mutter’
(2) basa ‘Schwest­er des Vaters’
(3) fetiro ‘Brud­er des Vaters’
(4) oheim ‘Brud­er der Mutter’

Und hier für Leute, die es lieber visuell haben:

verwahd

Ahd. Ver­wandtschaftssys­tem nach Nübling et al. (2006)

Ein solch­es Sys­tem nen­nt man auch bifur­cate col­lat­er­al type.

Da kamen Brüder, guckten Tanten, …”

Die Unter­schei­dung mütterlicherseits/väterlicherseits ist heute also ver­schwun­den. Wenn man sich die Wörter anschaut, dann kom­men sie einem aber alle noch bekan­nt vor. Wie kommt’s?

In mein­er Abbil­dung habe ich die Cousins und Kusi­nen unter­schla­gen. Die gab es in althochdeutsch­er Zeit natür­lich auch schon, unter anderem Namen. Wahrschein­lich hießen sie muomen­sun etc., waren also zusam­menge­set­zte Beze­ich­nun­gen – beson­ders viele Quellen gibt es aber nicht ger­ade, ich habe nur einen Auf­satz von 1900 gefun­den, der die For­men erwäh­nt, die meis­ten Darstel­lun­gen lassen sie ein­fach weg.

Schließlich kam es zu einem Bedeu­tungswan­del. In einem ersten Schritt begann man, die Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern auch für deren Kinder zu ver­wen­den – die Tochter von Base oder Vet­ter (wir sind jet­zt schon im Früh­neuhochdeutschen!) wurde auch zur Base, der Sohn von Oheim und Muhme auch zum Oheim, etc. Die Beze­ich­nun­gen hat­ten jet­zt also zwei Bedeu­tun­gen. Nach einem wilden Kud­del­mud­del einigten sich die Begriffe dann endlich: Oheim und Muhme durften Brud­er oder Schwest­er der Eltern beze­ich­nen, egal auf welch­er Seite, und Base und Vet­ter beka­men den Job, deren Kinder zu übernehmen. Damit sind wir typol­o­gisch bei unserem heuti­gen Sys­tem ange­langt: Es wird zwar unter­schieden, ob Schwest­er oder Brud­er der Eltern, aber nicht von welch­er Seite. Das nen­nt man auch lin­eal type. Von da an gab es nur noch auf der Wor­tebene Veränderungen:

… Da stand ein Vetter und ein Ohm!

Der Fam­i­liensegen stand bald schon wieder schief: Muhme und Oheim beka­men harte Konkur­renz, die neu­modis­chen Beze­ich­nun­gen Tante und Onkel, aus dem Franzö­sis­chen entlehnt, macht­en sich ab Mitte des 17./Anfang des 18. Jahrhun­derts bre­it. Unge­fähr Mitte des 20. Jahrhun­derts war die Schlacht dann geschla­gen, Tante und Onkel gin­gen siegre­ich hervor.

Auch Base und Vet­ter hat­ten zwis­chen­zeitlich keine Ruhe gefun­den, Anfang bis Mitte des 17. Jahrhun­derts kamen Cou­sine und Cousin zu Besuch, und es gefiel ihnen so gut, dass sie blieben. Die Base warf Mitte des 20. Jahrhun­derts das Hand­tuch, der Vet­ter führt noch Rückzugsgefechte.

2009-03-20-verwfnhd

(Früh-)Neuhochdeutsches Ver­wandtschaftssys­tem

Im Dig­i­tal­en Wörter­buch der deutschen Sprache habe ich mal ein bißchen herumpro­biert, in der Hoff­nung, den Nieder­gang von Muhme, Oheim, Base und Vet­ter sicht­bar machen zu kön­nen. Base musste ich gle­ich rauswer­fen, da waren zu viele Tre­f­fer mit der chemis­chen Bedeu­tung drunter. Muhme hat­te kaum Tre­f­fer, Oheim und Vet­ter gin­gen so. Hier mal exem­plar­isch der Oheim – auf­grund der gerin­gen Tre­f­fer­zahl ist das Dia­gramm aber nur dazu geeignet, einen groben Ein­druck zu bekommen:

oheimgrafik

Den Auf­stieg von Onkel, Tante, Cousin und Kusine kann man lei­der nicht nachver­fol­gen, zumin­d­est sehen die Unter­schiede für mich völ­lig insignifikant aus. An den Zahlen kann man im Ver­gle­ich aber ganz gut sehen, welche Form sich durchge­set­zt hat, nur eine Zunahme ist eben nicht erkennbar. Hier der Onkel1:

onkelgrafik

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[Surftipp] Blogwiese

Von Kristin Kopf

Die Blog­wiese ist die Spiel­wiese von Her­rn Wiese, der in der Schweiz wohnt. Dort geht es um Unter­schiede zwis­chen der Schweiz und Deutsch­land, ganz beson­ders sprach­lich­er Natur. Die meis­ten Beiträge sind wirk­lich unter­halt­sam zu lesen und auch gut gemacht, oft geht es z.B. um For­mulierun­gen aus Zeitun­gen, die für Deutsche unver­ständlich sind. Zum Ein­stieg empfehle ich diesen Beitrag, über eine Schweiz­er Redewen­dung: Wer führt eigentlich hier den Mist?

blogwiese

Ethymo- und Etnologie

Von Kristin Kopf

Heute hat jemand das Sch­plock mit dem Such­be­griff “ethy­mol­o­gisch” gefun­den (der Such­maschi­nen-Rechtschreib-Kor­rek­tur sei Dank!) – auch ein Fall von Hyper­ko­r­rek­tur: Weil wir bei Fremd­wörtern aus dem Griechis­chen dauernd irgendwelche <th>s schreiben, wird das auch manch­mal in Fällen gemacht, bei denen das <t> der Buch­stabe der Wahl wäre. (Schnell gegooglet: 271.000 Tre­f­fer für Ethy­molo­gie mit <th>, 289.000 mit <t> – *puh* Das war knapp!)

Wie kommt es, dass zwei Wörter, die aus der­sel­ben Sprache entlehnt wur­den und an der entschei­den­den Stelle gle­ich klin­gen, ver­schieden geschrieben werden?

Die Etymologie von Etymologie

Kluge ver­weist für Ety­molo­gie auf alt­griech. etymolo­gia ‘Lehre vom Wahren’, das über das Lateinis­che ins Deutsche entlehnt wurde.

Eth­nolo­gie hinge­gen geht auf alt­griech. éthnos ‘Volk, Schar’ zurück.

Tau vs. Theta

Was wir in lateinis­chen Buch­staben als <t> und <th> schreiben, sind im Griechis­chen zwei ver­schiedene Buch­staben: τ (Tau) und θ (Theta). Und auch zwei ver­schiedene Laute:

  • τ (Tau) klang im Alt­griechis­chen wie unser heutiges [t] in trinken,
  • θ (Theta) klang wie unser heutiges [] in taufen.

Bei der Schrei­bung von Wörtern mit diesen Buch­staben ori­en­tieren wir uns an der lateinis­chen Umschrift der Römer (die auch meis­tens zwis­chengeschal­tet waren, d.h. viele griechis­che Wörter wur­den aus dem Lateinis­chen entlehnt, nicht direkt aus dem Griechis­chen) – und die Römer nah­men für das Theta die Kom­bi­na­tion <th>.

Was ist der Unterschied?

[] ist ein soge­nan­ntes “aspiri­ertes T”. Das bedeutet, dass nach dem eigentlichen [t] noch ein klein­er Luftschwall fol­gt. Wir hören den Unter­schied im Deutschen i.d.R. nicht, weil er nicht bedeu­tung­sun­ter­schei­dend ist – das aspiri­erte T wird meist gesprochen, wenn es am Wor­tan­fang ste­ht und danach ein Vokal fol­gt, son­st kommt das “nor­male”. (Lei­der habe ich im Netz keine Audioauf­nahme gefun­den. Aber wenn man sich beim Sprechen genau zuhört und vielle­icht ein Blatt Papi­er vor den Mund hält – das bewegt sich bei aspiri­erten Laut­en –, kann man den Unter­schied schon bemerken.)

Das ist in anderen Sprachen anders – z.B. im Alt­griechis­chen.1 Dort sind [] und [t] so ver­schieden wie [t] und [d] im Deutschen.

Woher kommt’s?

Jet­zt wird es vage, wie das so ist, wenn man sich jen­seits schriftlich­er Quellen tum­melt. Griechisch ist ja eine indoger­man­is­che Sprache, wie das Deutsche auch, d.h. let­ztlich müssen diese Kon­so­nan­ten auf diesel­ben “Urkon­so­nan­ten” zurückgehen.

Für das Indoger­man­is­che set­zt man fol­gende Plo­sive2 an:3

  • p, t, k (“Tenues”)
  • bʰ, dʰ, gʰ (“aspiri­erte Medien”)
  • b, d, g (“Medi­en”)

Das alt­griechis­che geht wohl auf das idg. dʰ zurück – die aspiri­erten Medi­en wur­den näm­lich zu aspiri­erten Tenues, also stimm­los: idg. dʰ > pro­togriech. .

Die deutsche Entsprechung hat fol­gende Entwick­lung mit­gemacht: idg. dʰ > germ. ð (klingt wie engl. <th> in that) > west­germ. d > althochdt. t.4 Das griech. θύρα und das deutsche Tür sind z.B. miteinan­der ver­wandt. (Indogerm. hieß es *dʰw­er-.)

Mit dem geschriebe­nen <h> nach dem <t> kann das Deutsche also ein­fach nichts mehr anfan­gen – für Aspi­ra­tion gibt es ja Regeln: Eth­nolo­gie ist im Deutschen z.B. nicht aspiri­ert (weil das T nicht am Wor­tan­fang vor Vokal ste­ht), die alt­griech. Aussprache wird nicht berücksichtigt.

Das <th> in der Orthografie

Dass wir das <th> weit­er­hin fleis­sig schreiben, liegt daran, dass es in der deutschen Rechtschrei­bung kein starkes Prinzip zur Eingliederung von Fremd­wörtern gibt. Im anderen Sprachen wird auf die Orig­i­nalschrei­bung wenig Rück­sicht genom­men – Orthogra­phie heißt im Spanis­chen z.B. ortografía, Eth­nolo­gie ist etnología. Das Deutsche scheut sich vor so etwas. Dazu schreibe ich vielle­icht mal mehr.

Es gab einst ein <th> auch in Wörtern deutschen Ursprungs wie Thal, Thür, thun, Noth. Das <h> in solchen Wörtern wird im Grimm­schen Wörter­buch als Dehnungsze­ich­nen inter­pretiert: “[…] wobei h vor oder nach langem oder gedehn­tem vocal nur ein dehnungsze­ichen ist.”

Das “deutsche” <th> wurde bei der II. Orthographis­chen Kon­ferenz in Berlin 1901 abgeschafft, das Fremdwort-<th> wurde aus­drück­lich belassen.

Auch <ph> geht übri­gens auf ein pʰ zurück, und das <ch> in Wörtern griechis­chen Ursprungs auf kʰ. Dass <ph> im Deutschen als [f] aus­ge­sprochen wird (wie im mod­er­nen Griechis­chen übri­gens auch), kann ich nicht so gut erk­lären, es kön­nte etwas mit dem Lateinis­chen als Zwis­chen­schritt zu tun haben. Da werde ich aber noch nachforschen.

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Ein Atlas spricht Bairisch …

Von Kristin Kopf

… und zwar der Sprachat­las von Bay­ern – wer son­st? Auf ein­er Karte kann man sich sowohl die Dialek­twörter für bes­timmte Dinge (‘Holzs­plit­ter in der Haut’, ‘Beule am Kopf’, ‘Dachbo­den im bäuer­lichen Wohn­haus’, ‘kleines Wei­h­nachts­ge­bäck’, ‘Stech­mücke’*) als auch Laute (beruhend auf der mit­tel­hochdeutschen Entsprechung) und bes­timmte gram­ma­tis­che Eige­narten anzeigen lassen und sie mit einem kleinen Laut­sprech­er­sym­bol auch gle­ich abspie­len. Sehr schön gemacht!

sprespra

*Endlich der Beweis: Schnaken sind nicht harmlos!

Osnabrück, nicht Bar Celona: DGfS-Jahrestagung 2009

Von Kristin Kopf

Diese Woche war ich auf der Jahresta­gung der DGfS in Osnabrück (übri­gens die Haupt­stadt des schlecht­en Wortwitzes) und habe viele, viele Vorträge gehört, viele berühmte und weniger berühmte Men­schen gese­hen und wenig geschlafen. Es war ein Riesenspaß!

Ich habe natür­lich unglaublich viele span­nende Dinge gel­ernt, aber lei­der eignen sich immer nur Split­ter davon für ein Blog – meine per­sön­lichen High­lights waren die Plenumsvorträge von Mar­i­anne Mithun und Adele Gold­berg, die sich aber nicht gut zer­schnipseln lassen.

Hier also meine DGfS-Nachlese:

AG 1: Formen und Funktionen von Satzverknüpfungen

Ferraresi/Weiß – Und-(?!)Nebensätze

Mit und kon­nte in mit­tel- und früh­neuhochdeutsch­er Zeit nicht nur Koor­di­na­tion aus­ge­drückt wer­den, son­dern auch Subordination:

(1) alse lieb und ich dir bin ‘so lieb wie ich dir bin’ (modal-ver­gle­ichend)

(2) zuvor und er zu mor­gen eszbevor er früh­stücke’ (tem­po­ral)

(3) erget­zet sie der lei­de unt ir ir habet getân ‘entschädigt sie für das Leid, das ihr ihr ange­tan habt’ (rel­a­tivisch)

AG 5: Formen des Ausdrucks von Höflichkeit/ Respekt im Gespräch

Hentschel — Alle Men­schen wer­den Brüder

Im Ser­bis­chen kann man (wie in vie­len Sprachen) Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen auch für Nicht-Ver­wandte benutzen. Dabei benutzt man sine ‘Sohn’ sowohl für junge Frauen als auch für junge Män­ner. Die Beze­ich­nung für ‘Tochter’ kann gar nicht ver­wen­det wer­den. Wahrschein­lich hat es damit zu tun, dass die männliche Form als pos­i­tiv­er wahrgenom­men wird.
Im Chi­ne­sis­chen haben die Beze­ich­nun­gen für großer Brud­er und kleine Schwest­er teil­weise die Bedeu­tun­gen ‘Ban­denchef’ und ‘Pros­ti­tu­ierte’ bekom­men, wo sie nicht auf wirk­liche Geschwis­ter referieren.

Haase — Ref­er­enten­honori­fika­tion zwis­chen Gram­matik und Lexikon

Im Bask­ischen gibt es eine Markierung für Vertrautheit/Familiarität (im Gegen­satz zu den meis­ten Sprachen, die Höflichkeit/Distanz/Respekt markieren) – dabei wird extrem viel palatal­isiert und es wer­den Ele­mente in Ver­ben eingeschoben, die z.B. die Tran­si­tiv­ität verän­dern (das nen­nt man Alloku­tiv). Diese Art zu sprechen wird meist nur gegenüber Fam­i­lien­ange­höri­gen (aber nicht den Eltern), kleinen Kindern oder Tieren ver­wen­det. Weil sie auf so einen engen Kreis beschränkt ist, hat sie eine sehr hohe Var­i­anz — jede Fam­i­lie entwick­elt ihre eigene Version.

Simon — Zur Gram­matik der indi­rek­ten Anrede im Afrikaans und im älteren Deutsch

Im Afrikaans gibt es bes­timmte Beze­ich­nun­gen (Ver­wandtschafts- und Berufts­beze­ich­nun­gen), die man für die Anrede benutzt, um höflich zu sein. Dabei wer­den diese For­men nicht nur ein­mal zur Anrede gebraucht (wie “Herr Pfar­rer, …”), son­dern auch an Stellen, wo andere Sprachen ein Reflex­iv- oder ein Pos­ses­sivpronomen gebrauchen wür­den. Wenn man im Afrikaans über jeman­den spricht, sagt man z.B.

(1) Dom­i­nee skeer hom. ‘Der Pfar­rer rasiert sich

bei höflich­er Anrede wird es aber zu 

(2) Dom­i­nee skeer Dom­i­nee ‘Herr Pfar­rer, Sie rasieren sich (wörtl.: Herr Pfar­rer rasieren Her­rn Pfar­rer)’.

AG 13: Comparison constructions and similarity-based classification

Hahn — What makes things similar

Mit wenig Sprach­bezug, aber kong­ni­tiv sehr span­nend: Wenn wir Dinge miteinan­der ver­gle­ichen, ist die Ver­gle­ich­srich­tung wichtig. Wenn wir eine Lin­ie von 85° sehen, stim­men wir wahrschein­lich schnell zu, dass sie fast ver­tikal ist, wenn wir eine ver­tikale Lin­ie sehen, stim­men wir aber eher nicht zu, dass sie fast 85° hat.

Plenarvortrag

Gold­berg — Items and Generalizations

Es gibt im Englis­chen Adjek­tive, die nicht vor dem Bezugswort ste­hen kön­nen, son­dern eigentlich nur prädika­tiv ver­wen­det wer­den können:

(1) ??the asleep child

ist komisch, aber

(2) the child is asleep

geht. Das sind alles Adjek­tive die mit a- begin­nen (der Laut ist ein Schwa [ə]) und die meis­tens früher mal Prä­po­si­tion­alphrasen waren (also z.B. on sleep > asleep). Man kann sie heute noch sehr gut tren­nen, nach Wurzel und a:

(3) a|sleep, a|float, a|live, a|blaze

im Gegen­satz zu ähn­lich aussehenden/klingenden Adjek­tiv­en mit ein­er anderen Quelle (absurd, acute, aduld) die attribu­tiv ver­wen­det wer­den kön­nen (the absurd sit­u­a­tion). Heutige SprecherIn­nen ler­nen also eigentlich eine his­torische Regel, indem sie die For­men, bei denen das a- vom on stammt, anders behan­deln. Darüber sind sie sich allerd­ings nicht im Klaren, sie fol­gen eben dem Gebrauch der­er, von denen sie ler­nen, und da sie in Kon­tex­ten, in denen z.B. asleep gebaucht wird, nie den attribu­tiv­en Gebrauch hören, ler­nen sie die Regel. Im Vor­trag war das nur ein kleines Beispiel zur Begrün­dung eines bes­timmten Sprach- und Gram­matikver­ständ­niss­es, das aber hier den Rah­men spren­gen würde.

Ach, ich und die Kirschen (Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

… als sie etwa am Kirchgarten von den Tätern bedrängt wurden.”

kirschgarten

Ein Über­fall beim Kirch­garten? Wie kann das sein? Eine eilige Suche im Mainz­er Straßen­verze­ich­nis bestätigt den schlim­men Ver­dacht: Es gibt keine Mainz­er Straße namens Kirch­garten. Was es aber dur­chaus gibt, ist ein Kirschgarten. Also ein­fach ein Tippfehler? Vielle­icht. Aber vielle­icht auch der Auf­takt zum näch­sten Kapi­tel des isch-Lauts: der Hyperkorrektur.

[ʃ]-Verbot in der Standardsprache?

In Teil 2 wurde ja klar, dass im mit­teldeutschen Raum zwei Laute, näm­lich [ç] und [ʃ], zu einem wer­den. Wer die Umgangssprache mut­ter­sprach­lich erlernt, in der das passiert ist, der ken­nt nur [ʃ]. Das stört erst­mal keinen großen Geist, bis … ja, bis man Stan­dard­deutsch sprechen will.

Dann aber ste­ht man vor einem enor­men Prob­lem: Wie soll man die Wörter mit dem ich-Sch von den Wörtern unter­schei­den, die sowieso schon ein <sch> haben? Woher soll man wis­sen, welche der drei <sch>s in Tscheschisch vom ich-Laut kom­men und welche nicht?

schema-ch-schZum Zeit­punkt B ist es unmöglich, einem Wort anzuse­hen, ob es ursprünglich (und hochsprach­lich jet­zt noch) [ç] oder [ʃ] hat(te). Man lernt ja nicht zu jedem Laut seine Entste­hungs­geschichte dazu.

Was tun? Raten!

Da man weiß, dass [ʃ] in vie­len Fällen falsch ist, ver­sucht man, das fremde [ç] einzuset­zen. Oft auch dann, wenn die Stan­dar­d­aussprache eigentlich [ʃ] hat. Und was kommt raus? Genau: Tchechich. Oder, wie bei Hel­mut Kohls Pfälzisch: Gechichte.

Dieses Phänomen nen­nt man “Hyper­ko­r­rek­tur”: Man kor­rigiert etwas, das gar nicht falsch war — in meinem Beispiel das erste und das let­zte <sch> von Tschechisch. Meist passiert das, wenn man in sein­er Mut­ter­sprache oder in seinem Heimat­di­alekt eine Unter­schei­dung nicht ken­nt, die die Ziel­sprache besitzt. Im Hochdeutschen unter­schei­den sich [ʃ], [ç] und [x] laut­lich, in den betrof­fe­nen mit­teldeutschen Umgangssprachen nur [ʃ] und [x].

Von der Kirsche zur Kirche

kirschen

Was hat das nun mit dem Über­fall am 19.1. zu tun? Genau: Es kön­nte sein, dass die Per­son, die den Bericht geschrieben hat, Rhein­hes­sisch spricht und deshalb Kirschgarten in Kirch­garten “kor­rigiert” hat. Weil Kirch­garten nicht so offen­sichtlich falsch ist und die Schrei­bung ganz nor­mal aussieht, ist es dann wohl so geblieben.

In Fällen, in denen es das Wort mit <ch> nicht gibt, fällt es schneller auf, denn schrift­sprach­lich lernt man ja, wo <ch> und wo <sch> geschrieben wird.

Her­rgen (1986) hat aber auch viele Beispiele, wo <ch> geschrieben wurde, obwohl es kein anderes Wort im Hochdeutschen gibt, das ein <ch> hat — meist in Schu­lauf­sätzen: Deutchunter­richt, Bichof, Sparchwein.

Im Internet spricht man Tchechich!

Ein bißchen Googlen zeigt, dass die [ʃ]-Hyperkorrektur auch bei Erwach­se­nen öfter geschrieben wird, als man denkt. Zur Sicher­heit habe ich Tchechich gesucht — wenn’s zweimal in einem Wort vorkommt, kann es kaum mehr Zufall sein:

  • —-Sprache
    ——-Deutsch
    ——-Ital­ienisch
    ——-Spanisch
    ——-Nieder­ländisch
    ——-Dänisch
    ——-Pol­nisch
    ——-Tchechich
    ——-Por­t­o­gi­sisch
    ——-Enlisch
    ——-Französich
    (Quelle)
  • Nur lei­der kon­nt man hier auf Grund fehlen­der Tchechich-Ken­nt­nisse nicht wie bish­er mit­gröhlen. (Quelle — es ist konsequent!)
  • Gibt bes­timmt auch Pen­del­busse, aber wer spricht schon Tchechich? (Quelle)
  • Dieses for­mu­lar (auf Tchechich) werde ich bei jed­er fahrt bei mir haben, wenn ich kon­troliert werde zeige ich es vor und die polizei wird daraufhin nicht weit­er nach­forschen. (Quelle)

Warum heißt der Kirschgarten Kirschgarten?

2009-03-06-kirschgarten

Ganz am Anfang mein­er Nach­forschun­gen hat­te ich mal die wilde These, dass der Straßen­name Kirschgarten vielle­icht eine Ver­schrif­tung der regionalen Aussprachevari­ante mit [ʃ] gewe­sen sein kön­nte, und vielle­icht doch eine Kirche in der Nähe namensgebend war. Nach­dem im let­zten Teil ja klar wurde, dass die [ʃ]-Geschichte rel­a­tiv neu ist, geht das natür­lich nicht mehr — der Straßen­name ist ja viel älter als das Phänomen. Er hat also tat­säch­lich etwas mit Kirschen zu tun.

Die Stadt Mainz gibt auf ihrer Inter­net­seite fol­gende Erklärung:

Der Ort wurde bere­its 1329 als „im Kirschgarten” beze­ich­net. Der Name rührt von der Kirschborn­quelle her, die am Rochushos­pi­tal (Rochusstraße 9), entspringt.

Skep­tisch wie ich bin, habe ich eine Frau gefragt, die es wis­sen muss: Rita Heuser hat ein gigan­tis­ches Buch zu Mainz­er Straßen­na­men geschrieben. Und sie schreibt zur Erk­lärung der Mainz­er Seite:

[I]ch denke es war umgekehrt: die Quelle hat den Namen von dem ehe­ma­li­gen Flur­na­men Kirschgarten (erste Erwäh­nung: ortum nos­trum in Magun­tia dic­i­tur kirs­garte 1267; Kirs­born 1402).

Die ältere Form kirsgarte hat einen Laut­wan­del mit­gemacht, bei dem s nach r zu [ʃ] wurde, daher heute Kirschgarten (ein anderes Beispiel für den Laut­wan­del ist Hirsch).

Chon Chluss?

Ja. Hier endet das Ver­wirrspiel von ich und isch. Ich hoffe, es hat Spaß gemacht!

Ach, ich und die Kirschen (Teil 2)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Und isch?

Nun ist es so, dass in weit­en Teilen Deutsch­lands der ich-Laut kein ich-Laut mehr ist, son­dern ein isch-Laut — und der ist bes­timmt jedem schon ein­mal begeg­net.1 Gute Mainz­er sagen z.B. Tscheschisch, Geschis­chte, wöschentlisch, … über­all, wo im Hochdeutschen ein ich-Laut zu erwarten ist.

Dieses Phänomen nen­nt man “Koronal­isierung”. Der gesproch­ene Laut ist nicht ganz genau das [ʃ] <sch>, das man aus dem Hochdeutschen ken­nt, oft ist es noch etwas näher am ich-Laut dran. Dazu benutzt Her­rgen (1986) das Sym­bol [ʆ] (das kurz darauf aus dem inter­na­tionalen phonetis­chen Alpha­bet ent­fer­nt wurde — jet­zt richtig wäre wohl [ʃʲ]. Egal, es ist sehr nahe an [ʃ] dran, weshalb ich es ein­fach bei let­zterem belasse).

Nee, Du nisch!” — “Ach … :(“

Der ach-Laut darf nicht mit­spie­len. Er wird so aus­ge­sprochen, wie im Hochdeutschen auch. Das ist auch logisch, wenn man sich an die Assim­i­la­tion zurück­erin­nert: [ʃ] wird ja noch weit­er vorne im Mund aus­ge­sprochen als [ç] (da, wo auch die vorderen Vokale aus­ge­sprochen wer­den — zu denen passt es also per­fekt!), die ganze Bewe­gungserspar­nis für die Zunge wäre futsch, wenn sie nach a, o oder u so weit nach vorne rutschen müsste.

Woher kommt der isch-Laut?

Dass der ich-Laut ver­schwand, ist sehr ungewöhn­lich, denn sowohl im Hochdeutschen als auch in den Dialek­ten des betrof­fe­nen Gebi­ets gibt es ihn!

Ein Blick in den Kleinen Deutschen Sprachat­las zeigt, dass nur ganz, ganz wenige Ort­spunk­te mit [ʃ] belegt sind: 14 Stück ins­ge­samt (das sind 0,23% aller Belege, qua­si alle in Mit­teldeutsch­land). Es han­delt sich also nicht um eine alte dialek­tale Form.

Her­rgen führt einige mögliche Grunde für den Wan­del von [ç] > [ʃ] an (S. 115 ff):

  • phonetisch (d.h. laut­lich): [ç] und [ʃ] klin­gen sehr ähn­lich und [ʃ] ist leichter auszus­prechen (Natür­lichkeit­s­the­o­rie!)
  • pho­nol­o­gisch: [ç] wird nur sehr sel­ten benötigt, um ein Wort von einem [ʃ]-Wort zu unter­schei­den, die Ver­wech­slungs­ge­fahr beim Zusam­men­fall ist also sehr ger­ing (Fälle, bei denen dann Homonymie — also Gle­ichk­lang — entste­ht, sind z.B.: Men­schenMän­nchen, (sie) wis­chtWicht, Lösch­erLöch­er, KirscheKirche)
  • sprachex­tern (fehlende Norm): Was stan­dard­sprach­lich “richtig” ist, wird von der Sprecherge­mein­schaft sehr genau wahrgenom­men, eben­so, was sich für einen örtlichen Dialekt “gehört”. Die Umgangssprache (oder, wie Her­rgen sagt, der “Sub­stan­dard) ist bei weit­em nicht so fest an Regeln und Nor­men gebun­den, sodass die verän­derte Aussprache viel leichter ein­treten und um sich greifen kon­nte. Deshalb kommt die Koronal­isierung so oft in Städten (bzw. dort zuerst) vor, wo regionale Umgangssprachen benutzt werden.

Wann hat das alles angefangen?

Eine der ersten Erwäh­nun­gen des Phänomens stammt von Reis (1892, zitiert nach Her­rgen), der bemerk­te, dass “in Mainz, Darm­stadt und anderen Orten” die Laute [g] und [ç] <ch> mit dem Laut [ʃ] <sch> zusam­men­fie­len (“in den let­zten Jahrzehn­ten”, schreibt er). Der Laut­wan­del ist also ziem­lich neu, 150 Jahre sind für eine Sprache nicht sehr viel.

Beispiele bei Reis sind masche ‘mor­gen’ (vorher war es schon mor­je gewor­den), selisch ’selig’ und das klas­sis­che isch ‘ich’.

Der Südhesse [kann …] den ich-Laut überhaupt nicht sprechen

Die Ver­bre­itung dieses Phänomens her­auszufind­en war recht trick­re­ich — geholfen hat mir schließlich Her­rgens Dis­ser­ta­tion und ein Blick in Königs “Atlas zur Aussprache des Schrift­deutschen in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land” (1989). Aus let­zterem stammt die Abbil­dung hier — die Orte mit [ʃ] haben schwarze Balken.

ch-konig

Königs Atlas ist zwar mit Vor­sicht zu genießen, denn es wurde für jeden eingeze­ich­neten Ort (ins­ge­samt 44) nur eine Per­son befragt (dazu noch fast alles Freiburg­er Stu­den­ten — das erk­lärt die Beschränkung auf die dama­lige Bun­desre­pub­lik), dafür war die Analyse der Einzelper­son sehr aus­führlich, jede Per­son las ca. 45 Minuten lang Texte und Wortlis­ten vor.

Man sieht also, dass [ʃ] im west­mit­teldeutschen Gebi­et bei den SprecherIn­nen aus Koblenz, Kusel und Wit­tlich in 90 bis 100% nach [i] (also vorderem Vokal) gebraucht wird. Die Mainz­erin hat versagt 😉

Diese Verteilung bestätigt die Fest­stel­lun­gen Her­rgens — er find­et das [ʃ] fast auss­chließlich im mit­teldeutschen Raum.2 Er zitiert einzelne Gram­matiken, die es für die Dialek­te Ripuar­isch, Mosel­fränkisch, Hes­sisch, Rhein­hes­sisch und die Gebi­ete Oden­wald und Ber­gis­ches Land im west­mit­teldeutschen Gebi­et bele­gen und lässt auch den Osten nicht vor: dort kommt es vor allem in Leipzig (hey André!), Dres­den und Chem­nitz vor (also im ober­säch­sis­chen Gebiet).

Ins­ge­samt stellt er fest, dass es kein geschlossenes Gebi­et gibt, son­dern immer Inseln, die meist Großstädte umgeben (im west­mit­teldeutschen Gebi­et sind das Köln, Frank­furt, Mainz, Darm­stadt und Mannheim/Ludwigshafen) — das passt ja gut zum oben erwäh­n­ten sprachex­ter­nen Faktor.

Die Über­schrift ist übri­gens ein wun­der­bares Zitat aus Bauer (1957), zitiert nach Her­rgen: “Der Süd­hesse [kann …] den ich-Laut über­haupt nicht sprechen” — das waren noch Zeit­en, als Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen sich so aus­drück­en konnten!

Der Cliffhanger

Im näch­sten und let­zten Teil dieser Serie wird aufgedeckt, wie die Men­schen mit ihrem [ʃ] so umge­hen, wenn kein­er aufpasst!

Weit­er zu Teil 3 …

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