Archiv des Autors: Kristin Kopf

[Ostern] Karfreitag

Von Kristin Kopf

Hier haben wir doch noch einen Tag, der den Kum­mer aus­drückt, mit dem es am Grün­don­ner­stag nichts wurde. Kar- geht auf althochdeutsch kara ‘Kum­mer, Sorge’ zurück (übri­gens ver­wandt mit dem englis­chen care). Ein Blick in Grimms Wörter­buch zeigt aber, dass das Wort Kartag ursprünglich nicht all­ge­mein einen trau­ri­gen Tag beze­ich­nete, son­dern einen ganz bes­timmten trau­ri­gen Tag: den “tag an welchem ein ver­stor­ben­er unter klaggeschrei beerdigt und dann das leichen­mahl gehal­ten wird” (DWB). Im Zim­brischen, ein­er deutschen Sprachin­sel in Ital­ien, hat es diese Bedeu­tung noch heute.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Der Kar­fre­itag ist also ein­fach der Tag, an dem Jesus dem christlichen Glauben nach starb und prompt beerdigt wurde. Im Mit­tel­hochdeutschen hieß der Tag karvrî­tac oder schlicht kar­tac.

Auch heute habe ich mich ein bißchen im restlichen Europa umgesehen:

  • heiliger Fre­itag’: Spanisch (Viernes San­to), Franzö­sisch (Ven­dre­di saint), Ital­ienisch (Ven­erdì San­to)
  • guter Fre­itag’: Nieder­ländisch (Goede Vri­jdag), Englisch (Good Fri­day) – Zumin­d­est im Englis­chen kommt es von der ursprünglichen Bedeu­tung ‘heilig’.
  • großer Fre­itag’: Rus­sisch (Великая пятница), Tschechisch (Velký pátek), Pol­nisch (Wiel­ki Piątek), Ungarisch (Nagypén­tek), Est­nisch (Suur reede), Rumänisch (Vinerea Mare)
  • Lei­dens­fre­itag’: Rumänisch (Vinerea Patim­ilor)
  • langer Fre­itag’: Schwedisch (Långfreda­gen), Dänisch (Langfredag), Nor­wegisch (Langfredag), Finnisch (Pitkäper­jan­tai) – Im Englis­chen scheint es auch ein­mal einen Long Fri­day gegeben zu haben, “due to the long fast imposed upon this day”.  Ob das die richtige Ety­molo­gie ist, weiß ich allerd­ings nicht.

Hat tip to … & Stephen Fry

Von Kristin Kopf

Oft find­et man am Ende eines englis­chsprachi­gen Blo­gein­trags die Wen­dung “Hat tip to NAME”. Sie dient dazu, darauf hinzuweisen, dass das Gepostete (Link, Video, Nachricht, Bild …) in einem anderen Blog gefun­den wurde oder man einen Hin­weis darauf per Mail/in den Kommentaren/… bekom­men hat. Es ist also eine Art von Urhe­ber­hin­weis, auch wenn er eher auf Find­erIn­nen denn auf wirk­liche Urhe­berIn­nen ver­weist. Oft wird der “Hat tip” aber auch ein­fach als Dank verwendet.

Ein paar Beispiele:

  • Für einen Comic­strip: “Hat tip to Greg Pou­los. (Lan­guage Log)
  • Für eine tech­nis­che Erk­lärung: “Hat tip to problogdesign.com for spelling this method out so clear­ly!” (Smit­ten Kitchen)
  • Für ein Foto: “Hat tip to Eric Kinzel” (Lan­guage Log)
  • Für eine Nachricht: “hat-tip Matt Wedel again (Tetra­pod Zool­o­gy)
  • Für einen Auf­satz: “hat tip to Mar­i­lyn Mar­tin” (Lan­guage Log)

Und woher kommt der Aus­druck? Vom Grüßen indem man einen Fin­ger an die Hutkrempe legt. Von da aus ging’s wohl vom reinen Gruß zur Anerken­nung zum Dank.

Und im Deutschen? Wir haben zwar Den Hut vor jeman­dem ziehen, aber das passt nicht wirk­lich auf solche Sit­u­a­tio­nen, weil es ein­fach zu viel Ehrerbi­etung und Respekt aus­drückt. Soooo viel haben die Hin­weis­ge­berIn­nen jet­zt auch nicht geleistet.

Bei Leser­hin­weisen lässt sich das meist recht gut regeln mit “Danke für den Link/Hinweis/… an NAME” o.ä.:

Was ist aber mit Hin­weisen aus anderen Blogs, die man selb­st gefun­den hat – dafür kann man sich doch nicht wirk­lich bei der Per­son bedanken? Das klingt ja dann, als wäre sie aktiv auf einen zugekommen?

Ein bißchen Googlen zeigt, dass der Hat tip ganz gerne über­nom­men wird:

  • Hat tip to Neu­roskep­tic: Ein satirisch­er Seit­en­hieb auf die Ver­hal­tensneu­ro­bi­olo­gie. (Varia & Even­tu­alia)
  • Und Hat Tip an Chris­t­ian But­ter­bach für den Hin­weis auf diesen erfrischen­den Post! (Eine neue Frei­heit)

Eine etwas nüchterne Alter­na­tive habe ich auch gefun­den, ganz ohne das dank­ende Element:

Lei­der ist es recht schw­er, nach Hat tips zu googlen, die Hat tip nicht ver­wen­den. Falls also jemand Hin­weise hat … ich werde auch weit­er ergänzen, falls ich noch andere For­mulierun­gen finde.

So. Und wie kam ich drauf? Genau: Ich wollte ein Video posten, in dem Stephen Fry über Sprache spricht. (Mal wieder.) Und dabei nicht unter­schla­gen, dass ich es nicht selb­st gefun­den habe, son­dern in der Linksamm­lung des Bre­mer Sprach­blogs, wo es “Zetter­berg” gepostet hat:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=wzMIKsrjcOI&hl=de&fs=1&rel=0]

(Im vorherge­hen­den Teil geht’s um andere Dinge.)

[Ostern] Gründonnerstag

Von Kristin Kopf

So, jet­zt wird hier mal wieder ein bißchen ety­mol­o­gisiert! Die Kar­woche bietet dafür ja wirk­lich mehr als genug Gele­gen­heit – los geht’s mit dem Grün­don­ner­stag. In mein­er Kind­heit wurde immer behauptet, das Erst­glied gehe auf mit­tel­hochdeutsch grî­nen ‘den Mund weinend/knurrend/winselnd/lachend verziehen’ zurück und drücke qua­si die Trau­rigkeit über die Gefan­gen­nahme Jesu aus. Weil greinen im Ale­man­nis­chen heute noch ein das Wort für ‘weinen’ ist, erschien mir diese Erk­lärung immer sehr einleuchtend.

2009-04-09-grunDoch Kluge hat eine Über­raschung parat: Im Mit­tel­hochdeutschen gab es die Fügung der grüene don­er­stac bere­its und somit einen ein­deuti­gen Bezug zur Farbe Grün. Aber was hat das Grün mit diesem Tag zu tun? Kluge und die Grimms sagen: In religiös­er Hin­sicht kaum etwas.

die deu­tung von gr. bleibt umstrit­ten, doch ist der name sichtlich eher volk­sthüm­lichen als kirch­lichen gepräges (DWB)

Bei­de bieten als mögliche Erk­lärung an, dass es Brauch war, an diesem Tag (grüne) Kräuter zu essen:

das reich und vielfältig entwick­elte brauchthum am gr., der genusz heil­brin­gen­der kräuter, das grün­don­ner­stag­sei (ant­laszei), der gr. als ter­min der säens und pflanzens u. s. w., […], läszt wie bei ostern an einen nach­hall vorchristlich­er übung denken; ob ihm, wie HOLTZMANN […] ver­mutet, ein Donars­fest im mai zugrunde liegt, bleibt uner­weis­lich (DWB)

Ist die schöne The­o­rie vom Greinen also wirk­lich nicht zu ret­ten? Muss der Grün­don­ner­stag den Hei­den über­lassen wer­den? In den kryp­tis­chen Lit­er­at­u­rangaben Kluges find­et sich doch noch ein Mini­hin­weis auf eine alter­na­tive Ety­molo­gie mit einem ganz ähn­lich klin­gen­den Wort – momen­tan habe ich aber keine Zeit (Habe ich erwäh­nt, dass ich sche­in­frei bin?), die entsprechen­den Zeitschriften und Büch­er herauszusuchen:

HWDA 3 (1931), 1186 f. Anders (Umdeu­tung von ahd. grun stm./stf. ‘Jam­mer, Unglück’): H. Jeske SW 11 (1986), 82–109; LM 4 (1989), 1752 f.”

Let­ztlich bleibt also rät­sel­haft, wie der Tag zu sein­er Farbe kam. Ich habe mich mal in anderen Sprachen Europas umge­se­hen um her­auszufind­en, was noch als Benen­nungsmo­tiv dienen kann:

  • ‘heiliger Don­ner­stag’: Spanisch (Jueves San­to), Ital­ienisch (giovedì san­to), Franzö­sisch (jeu­di saint), Rus­sisch (свято́й четве́рг)
  • großer Don­ner­stag’: Pol­nisch (Wiel­ki Czwartek), Ungarisch (Nagyc­sütörtök), Est­nisch (Suur nel­japäev), Rumänisch (Joia Mare)
  • weißer Don­ner­stag’: Nieder­ländisch (Witte Don­derdag) – wahrschein­lich wegen der litur­gis­chen Farbe Weiß.
  • Fußwaschungs­don­ner­stag’: Englisch (Maun­dy Thurs­day)
  • Reini­gungs­don­ner­stag’: Schwedisch (Skär­tors­da­gen), Nor­wegisch (Skjær­tors­dag), Dänisch (Skær­tors­dag) – schwed. skära und seine Entsprechun­gen heißen eigentlich ‘schnei­den’, haben hier aber wohl eine andere Bedeu­tung.

Aber der grüne Don­ner­stag ist doch nicht ganz einmalig:

  • Tschechisch: Zelený čtvrtek. Die tschechis­che Wikipedia sug­geriert irgen­deine Art von deutschem Ein­fluss (inklu­sive greinen), aber mehr kon­nte ich nicht errat­en. Wenn hier jemand Tschechisch kann … [break­ing news: Meine Fre­undin Esther hat’s über­set­zt: Der zitierte Bischof behauptet tat­säch­lich, es käme vom deutschen Grein­don­ner­stag, der durch Lautver­tauschung zum Grün­don­ner­stag gewor­den sei. Quellen gibt er dazu aber keine an, es ist also Vor­sicht geboten. Auch lustig: In Tschechien scheint man am Grün­don­ner­stag tra­di­tionell Spinat zu essen.]
  • Rumänisch: Joia Verde. Ist neben Joia Mare (s.o.) in meinen Wörter­buch angegeben. Ich kön­nte mir einen deutschen Ein­fluss über die Sieben­bürg­er Sach­sen gut vorstellen, will mich aber nicht zu weit aus dem Fen­ster lehnen.

Beze­ich­nun­gen in weit­eren Sprachen her­zlich willkom­men! Jens ja Lin­da, wie ist es mit Finnisch? Ich bilde mir ein, die Wort­gren­ze gefun­den zu haben (Kiiras|torstai), komme aber man­gels Struk­tur­wis­sen nicht auf die Nen­n­form des Erstglieds.

[Surftipp] Duden-Newsletter

Von Kristin Kopf

Die Duden-Sprach­ber­atung schreibt alle zwei Wochen einen Newslet­ter zu ver­schiede­nen sprach­be­zo­ge­nen The­men – seien es Gram­matik, Ety­molo­gie, Zweifels­fälle, Sprach­wan­del, Redewen­dun­gen, … eine unter­halt­same Mis­chung, die zudem den Vorteil hat, nicht täglich die Mail­box zu ver­stopfen (deshalb habe ich z.B. das “Word of the day” des OED wieder abbestellt). 2009-04-07-dudennewsletter1

O Herz Jesu, meine Kasus!

Von Kristin Kopf

Lateinis­che Wörter im Deutschen wer­den oft gnaden­los assim­i­liert. Zwar beste­hen Sprach­fa­natik­er häu­fig auf den “kor­rek­ten” Plur­al (Prak­ti­ka, Visa, oder aus meinem All­t­ag – und ich muss zugeben, dass ich da auch ein bißchen präskrip­tiv ver­an­lagt bin – Tem­po­ra, Kasus, Gen­era, Sim­plizia, …), aber was bet­rifft die anderen Kasus? (Ja, Kasus. Mit langem uuu­u­uu. Eigentlich vol­lkom­men abar­tig, so etwas im Deutschen beizubehalten.)

Wie gut, dass ich das “Studi­um Lat­inum” im Som­mer 2005 in mein­er ersten Euphorie nicht direkt verkauft habe. Ein bißchen was zu lateinis­chen Sub­stan­tivk­lassen. Ich mach’s kurz, versprochen!

Stimuli für Tempora

Also … jedes lateinis­che Sub­stan­tiv gehört in eine “(Deklinatinons-)Klasse”, auch oft verkürzt “Dek­li­na­tion” genan­nt. Diese Klasse bes­timmt über die Flex­ion­sendun­gen in den Kasus, also Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv und­soweit­er. Alle Sub­stan­tive ein­er Klasse ver­hal­ten sich gle­ich. Es gibt die a‑, i‑, u‑, e- und o‑Deklination (let­ztere gle­ich dop­pelt, ein­mal für Maskuli­na, ein­mal für Neu­tra), die kon­so­nan­tis­che, die gemis­chte und die aus aus Par­tizip­i­en beste­hende (wie amâns ‘Lieben­der’).

Und es gibt ein Prob­lem: Viele der Flex­ions­for­men ähneln sich sehr. Die beliebte lat. Endung -us, eine Endung für masku­line Wörter, find­et sich z.B. im Nom­i­na­tiv dreier Klassen.

Betra­chtet man daher Wörter wie Tem­pus, Genus, Kasus, Jesus, Exo­dus, Exi­tus, Koi­tus, … sehen sie ober­fläch­lich betra­chtet alle gle­ich aus – aber dahin­ter lauert das Grauen: Sie gehören alle zu unter­schiedlichen Klassen. Seht und staunt (vor allem, dass ich HTML-Tabellen machen kann!):

kons. Dekl. o‑Dekl. (m) u‑Dekl.
Sg. Nom. genus genius casus
Gen. generis geniî casûs
Dat. generî geniô cas
Akk. genus genium casum
Abl. genere geniô casû
Pl. Nom. genera geniî casûs
Gen. generum geniôrum casuum
Dat. generibus geniîs casibus
Akk. genera geniôs casûs
Abl. generibus geniîs casibus

-us und -i forever

Beson­ders beliebt scheint die o‑Klasse zu sein: Dass man aus lateinis­chen Wörtern, die auf -us enden, Plu­rale machen kann, die auf -i enden, weiß jedes Kind. (Modus Modi, Alum­nusAlum­ni, Stim­u­lusStim­uli, …) Vielle­icht wird dieser i‑Plural auch zusät­zlich noch durch ital­ienis­che Wörter gestärkt, die eine ziem­lich feste Kor­re­spon­denz oi aufweisen (Cel­loCel­li, Espres­soEspres­si, …) – aber das ist jet­zt freie Spekulation.

Auf jeden Fall wird das Wis­sen um den i-Plur­al häu­fig über­gen­er­al­isiert und es entste­hen Geni, Kasi oder Tem­pi – let­zteres gibt es sog­ar, aber als Plur­al zu Tem­po (aus dem Ital­ienis­chen). Um solche Bil­dun­gen zu umge­hen, muss man für jedes lateinis­che Wort extra den Plur­al ler­nen. Das gelingt uns zwar bei deutschen Wörtern ziem­lich prob­lem­los, aber die Wörter lateinis­ch­er Herkun­ft sind so infre­quent, dass ihre Plu­rale ein­fach zu sel­ten vorkom­men um sie sich wirk­lich zu merken. Wir müssten ja nicht nur die drei erwäh­n­ten Klassen ler­nen, son­dern auch noch alle anderen oben erwäh­n­ten. Und dann muss man natür­lich auch noch wis­sen, für welche Wörter lateinis­chen Ursprungs das nicht mehr gilt, denn viele haben ja mit­tler­weile einen “deutschen” Plur­al erhal­ten, wie Globus Globen.

Men­schen, die bei lateinis­chen Wörtern falsche Plu­rale bilden, wer­den oft verspot­tet und für min­der intel­li­gent gehal­ten. Das ist natür­lich Quatsch. Eigentlich ist das, was sie machen, viel span­nen­der als das, was wir braven Pro­duk­te bil­dungs­bürg­er­lich-human­is­tis­ch­er Erziehung nach­plap­pern: Sie suchen Muster und wen­den sie an. Das nen­nt man “Analo­gie”, und sie war und ist ein treiben­der Fak­tor in vie­len, vie­len Sprachwandelprozessen.

Warum nur ein lateinischer Plural?

Außer­dem, und jet­zt komme ich zum eigentlichen The­ma, ist die Gren­ze, die wir da ziehen, ziem­lich willkür­lich. Wie viel Latein braucht ein Wort lateinis­chen Ursprungs? Wir benutzen den Nom­i­na­tiv Sin­gu­lar für alle Sin­gu­lar­for­men und den Nom­i­na­tiv Plur­al für alle Pluralformen:

(1) Das Genus des Genus ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Genus. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­era, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­era tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Gin­ge es nicht noch orig­i­naler? Warum sollte man sich darauf beschränken, den lateinis­chen Plur­al zu benutzen, kann man nicht auch die anderen Kasus verwenden?

(1) Das Genus des Generis ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Generi. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­erum, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­eribus tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Dass das nicht passiert, ist irgend­wo erk­lär­lich: Es würde zu unseren nor­malen Sub­stan­tivk­lassen noch viele weit­ere hinzufü­gen, die wir extra für Fremd­wörter ler­nen müsste. So ein Stress! Das Sprach­sys­tem würde unglaublich aufge­bläht, der prak­tis­che Nutzen wäre aber gering.

Es gibt im Deutschen viele ver­schiedene Möglichkeit­en der Plu­ral­bil­dung (Hüte, Tage, Hämmer, Lämmer, Autos, Wagen, Pfannen, …), da fällt es nicht so auf, wenn noch ein paar lateinis­che Endun­gen dazus­toßen, das Sys­tem ist eh schon zer­split­tert. Zur Dek­li­na­tion von Sub­stan­tiv­en hinge­gen gibt es nur sehr begren­zte Mit­tel: Entwed­er sie ist stark (der Hut, des Huts, dem Hut, den Hut) oder schwach (der Löwe, des Löwen, dem Löwen, den Löwen). Es gibt ein paar Unregelmäßigkeit­en, aber die sind kaum der Rede wert. Ein Sys­tem also, in dem sich irgendwelche anderen Flex­ion­sendun­gen viel schlechter ver­steck­en können.

Christi Ausnahmeregelung

Aber … es gibt ein Gegen­beispiel. In einem Bere­ich hängt man ganz enorm an den lateinis­chen Flex­ion­sendun­gen. Na wo schon? Klar, in der Kirche! Ganz beson­ders in fes­ten Aus­drück­en sind sie beina­he Pflicht:

(8) Christi Him­melfahrt, Pas­sion Christi, Herz Jesu, Mariä Verkündi­gung, Mariä Him­melfahrt1, Lob sei dir, o Christe!

Aber auch in der son­sti­gen Ver­wen­dung tauchen sie immer wieder auf. Jesus ist u‑Deklination, Chris­tus o‑Deklination:

(9) Gen­i­tiv

a) Leben, Tod und Aufer­weck­ung Jesu (Quelle)

b) Christi Him­melfahrt […] beze­ich­net im Chris­ten­tum den Glauben an die Rück­kehr Jesu Christi als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Him­mel. (Quelle)

(10) Dativ2

a) Erlö­sung von Jesu Chris­to (ein Buchti­tel von 1957 – Quelle)

b) die Wiederkehr und per­sön­liche Erschei­n­ung Jesu Chris­to mit seinen Heili­gen und den Engeln sein­er Macht auf die Erde. (in einem Lehrbuch von 1924 Quelle)

(11) Akkusativ

a) in Jesum Chris­tum wurde uns die Möglichkeit gegeben die [Ur]Sünde zu über­winden um dem Kreis­lauf von Tat und Tat­nach­folge zu entkom­men (Quelle) (wahrsch. ist in hier die lat. Präposition)

b) nicht das Seinige getan hat zur Erhal­tung des Glaubens an Jesum Chris­tum als Sohn Gottes. (1938, Quelle)

Während die Dek­li­na­tion in den anderen Kasus eher sel­ten genutzt wird und es ziem­lich schwierig war, einiger­maßen aktuelle Beispiel­sätze zu find­en, ist sie für den Gen­i­tiv extrem üblich. Mein Duden (1996) gibt Jesu Christi sog­ar als einzig möglichen Gen­i­tiv an, für Dativ und Akkusativ lässt er Alter­na­tiv­en offen.

Alte Kirchen­lieder und Gebete sind eine wahre Fund­grube, dort gibt es sog­ar den Voka­tiv wie bei Lob sei dir, o Christe!3 Das ist ein Extraka­sus zur Anrede, so etwas gibt es im Deutschen eigentlich über­haupt nicht.

Dass sich das Kirchen­deutsch so ver­hält, ist aber nicht ver­wun­der­lich: Viele der Lied­texte, Gebete und auch die Bibelüber­set­zung selb­st sind viele hun­dert Jahre alt und wur­den meist kaum verän­dert weit­ergegeben. Da sie Vor­bilder für weit­ere Textpro­duk­tion und auch die gesproch­ene Sprache waren, wurde die lateinis­che Flex­ion lange Zeit beibehal­ten. Bes­timmt mit­ge­holfen hat auch die hohe Fre­quenz von Jesus Chris­tus, denn bei Wörtern, die sehr oft benutzt wer­den, behält man Unregelmäßigkeit­en eher bei als bei sel­te­nen Wörtern. Und ist ja auch irgend­wo cool, die zen­trale Per­son ganz anders zu behan­deln, auch sprachlich.

Weit­er­lesen

Oma, Großvater, Näni, Groma (Verwandtschaftstrilogie Teil 3)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Die Ver­wandtschaft­strilo­gie endet mit etwas, das mich weniger plagt als vielmehr neugierig macht: In manchen Fam­i­lien gibt es unter­schiedliche Beze­ich­nun­gen für die Großel­tern, je nach­dem, ob es die Eltern der Mut­ter oder des Vaters sind. Und auch son­st ist es span­nend, zu welchen Strate­gien man greift, um die Großel­tern auseinanderzuhalten.

Dazu kann man wenig The­o­retis­ches sagen, weil es um Haus­ge­brauch geht – vom Grimm­schen Wörter­buch und meinen üblichen Bibeln ist da nichts zu erwarten. Daher also gle­ich zu den Ergeb­nis­sen mein­er Umfrage:

Unter­schei­det Ihr in der Fam­i­lie die Großel­tern müt­ter­lich­er- und väter­lich­er­seits? Falls ja, wie? 

groseltern1

Wenn die einen Großel­tern mit dem Nach­na­men, die anderen mit dem Vor­na­men beze­ich­net wur­den (o.ä.), so wurde bei­des berück­sichtigt. Es fehlt ein bißchen was an 51, weil manche nur “Name” schrieben, das habe ich mal wegge­lassen, weil etwas unspezifisch.

Son­stiges” war übri­gens ein schön­er Fall, in dem die Großel­tern nach der Kör­per­größe in große(r) und kleine(r) Oma/Opa unter­schieden wurden.

Diejeni­gen, die wirk­lich durch ver­schiedene Beze­ich­nun­gen unter­schei­den, find­en sich hier noch ein­mal genauer:
groseltern2

Die “Son­sti­gen” :

  • Oma/Opa vs. Gro­ma/Gropa
  • Oma/Opa vs. Groß­ma­ma/Groß­pa­pa
  • Omi/Opi vs. Ömi/Öpi
  • Oma/Opa vs. Nana/Näni (Schweiz­er Einfluß)

Eni für ‘Groß­vater’ (und par­al­lel gilt das auch alles für ‘Groß­mut­ter’) ist nach Müller (1979) bis ins 14. Jh. im kom­plet­ten süd­deutschen Raum belegt, ganz beson­ders in der Schweiz und auch in Öster­re­ich. Um 1900 lebte das Wort als Neni/Näni/Endi(fat­ter) noch am Südos­trand der deutschsprachi­gen Schweiz (Appen­zell – Chur – Davos – Bosco Gurin), über die heutige Ver­bre­itung habe ich zwar nichts gefun­den, aber gestor­ben ist nicht. Die Form ist ver­wandt mit dem hochdeutschen Ahn, das ein­mal ‘Groß­vater’ hieß (vgl. hier).

Fun Fact: Mein Brud­er und ich unter­schei­den unsere Großmüt­ter nach dem Vor­na­men (also Oma + Name) – als unsere Großväter noch lebten, wur­den sie natür­lich auch entsprechend unter­schieden, allerd­ings nur wenn ganz expliz­it von ihnen die Rede war. Wenn es um das Großel­tern­paar ging, wurde immer die Beze­ich­nung für die Groß­mut­ter benutzt. Also “Wir fahren zur Oma X!” oder “Ich habe Geld von der Oma X bekommen!”.

[poll­dad­dy poll=1505958]

So, das war’s mit der Verwandt­schafts­umfrage. Ich bedanke mich noch ein­mal ganz her­zlich bei allen, die mir geant­wortet haben!

Und hier zum Mitmachen:

Aktu­al­isierung:

Wenn man selb­st etwas in der Umfrage ein­trägt, erscheint nur eine Stimme für “oth­er”. Die Antworten will ich Euch aber nicht vorenthalten:

  • Oma Spitz­name, Omi (2x)
  • Omama/Opapa vs. Ama/Apa

Ein Kuddelmuddel: Die Großverwandten (Verwandtschaftstrilogie Teil 2)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Mein Brud­er und ich haben einige Groß­cousins und -kusi­nen. Wir meinen damit die Enkel der Geschwis­ter unser­er Großel­tern – ganz beson­ders aus ein­er bes­timmten Fam­i­lie, weil wir mit den Kindern teil­weise in die Schule gin­gen. Wir haben auch ein paar Groß­tan­ten und Großonkel, aber das sind nicht die Eltern der Großkusi­nen/-cousins, son­dern deren Großel­tern. Hm, selt­sam. Wer sind denn dann die Kusi­nen oder Cousins unser­er Eltern? Dafür haben wir keine Beze­ich­nun­gen, wahrschein­lich auch, weil sie in unserem Leben nie wirk­lich eine Rolle gespielt haben.

groskusine1

Großver­wandte in Kristins Familie

Was sagen nun meine Versuchspersonen?

Großkusinen und ‑cousins

Was ver­ste­ht Ihr unter “Großku­sine”?

Es gab 13 Per­so­n­en, die die Beze­ich­nung Großku­sine nicht kan­nten und zusät­zlich 3, die die Beze­ich­nung nie ver­wen­den. Diese Antworten blieben unberück­sichtigt. Manch­mal wur­den mehrere Möglichkeit­en angegeben, die habe ich alle berück­sichtigt. Ein schönes Syn­onym für Großku­sine habe ich bei all­dem auch noch gel­ernt: Cous-Cou­sine. Ken­nt das noch wer?

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Eine Großku­sine ist …

Ihr seht, der Kampf tobt in erster Lin­ie zwis­chen den Kusi­nen der Eltern und deren Töchtern. Die VertreterIn­nen der Kusine-der-Eltern-Frank­tion argu­men­tierten häu­fig damit, dass die Tochter der Groß­tante natür­lich die Großku­sine sein müsse.

Die VertreterIn­nen der Enke­lin-der-Groß­tante-Frank­tion (wie ich) argu­men­tierten hinge­gen damit, dass jemand, der mit -kusine beze­ich­net wird, der­sel­ben Gen­er­a­tion ange­hören müsse wie man selbst.

Beson­ders inter­es­sant fand ich zwei Antworten:

  • alle (weib­lichen) Ver­wandten die ich zur mein­er eige­nen Gen­er­a­tion zäh­le, und bei denen die Ver­wandtschafts­beziehung weit­er ist als Schwester/Kusine
  • Ich wuerde mal sagen, dass Großkusi­nen bei mir all jene Ver­wandte sind, die irgend­wie ver­wandt mit mir sind und noch dazu weib­lich in mein­er (groben) Alter­sklasse. Falls zu alt wer­den sie dann Grosstan­ten. Maennlich entsprechend.

Diese bei­den unter­stützen die Enke­lin-der-Groß­tante-Frak­tion, sind aber noch radikaler: Die Großku­sine ist ein­fach eine ent­fer­nte weib­liche Ver­wandte gle­ichen Alters.

[poll­dad­dy poll=1505763]

Viele Leute schrieben über ihren Gebrauch und set­zten dazu, dass sie sich nicht sich­er seien, ob sie das Wort richtig gebraucht­en oder gar, dass sie sich sich­er seien, dass sie es falsch gebraucht­en. Ich glaube allerd­ings, dass es gar keinen ein­deuti­gen Gebrauch gibt, und die Antworten bestärken mich darin. Ich kann Euch auch nur allen rat­en, Groß­cousin zu googlen und die diversen Forums­beiträge dazu nachzule­sen: Man fühlt sich wie bei Lori­ot! Auch alle angegebe­nen “Quellen” scheinen nur jew­eils den per­sön­liche Gebrauch der AutorIn­nen widerzuspiegeln.

Und für alle, die auch noch abstim­men wollen:

Großtanten und ‑onkel

Vor­weg ein schneller Blick ins Deutsche Wörter­buch der Grimms, das einen älteren Sprach­stand widergibt:

  • grosz­tante, f., schwest­er des grosz­vaters oder der groszmutter
  • groszbase, f., avi­ta magna, soror avi [= Schwest­er des Großvaters]
  • grosz­muhme, f.: die gros­muhm matert­era magna, avi­ae soror […] so viel als der grosze-mut­ter schwester
  • gros­zonkel, m., was groszoheim
  • gros­zo­heim, m., avun­cu­lus mag­nus, avi­ae frater [= Brud­er der Großmutter]
  • groszvet­ter, m., patru­us mag­nus, avi pater­ni vel mater­ni frater [= Brud­er des Großvaters]

Oh, diese Unsitte der lateinis­chen Umschrei­bun­gen in der Lexiko­gra­phie! Ich habe sin­ngemäß über­set­zt, nach diesem Wörter­buch.

Das ergibt fol­gen­des Bild:

grostantegrimm

Dass danach unter­schieden wird, ob es Geschwis­ter der Groß­mut­ter oder des Groß­vaters sind, ähnelt dem Prinzip bei den Geschwis­tern der Eltern, das ich für das Alt- und Mit­tel­hochdeutsche schon erläutert habe. Die Beze­ich­nun­gen wan­dern qua­si eine Gen­er­a­tion “nach oben” und wer­den mit Groß- verse­hen, also alles schön par­al­lel. (Groß­cousin(e) find­et sich bei den Grimms über­haupt nicht, nicht ein­mal für Cousin(e) gibt es einen Ein­trag – let­ztere tauchen aber wenig­stens gele­gentlich in Beispiel­sätzen auf.)

Das damals geze­ich­nete Bild gilt, mit den Beze­ich­nun­gen Groß­tante und -onkel, heute noch immer. Meine Ver­suchsper­so­n­en waren sich hier viel, viel einiger:

Was [ver­ste­ht Ihr] unter “Groß­tante”?

grostantetorte

[poll­dad­dy poll=1505771]

Vielle­icht nicht so selt­sam, dass hier alles viel klar­er scheint – die Beze­ich­nung scheint es ja auch schon viel länger zu geben, wenn man sich danach richtet, dass das Grimm­sche Wörter­buch sie, im Gegen­satz zu Großkusi­nen und ‑cousins, kennt.

Wie bei Tante und Onkel auch, erwäh­nen hier manche, dass auch die Ehep­art­ner­in­nen der entsprechen­den männlichen Per­son Groß­tan­ten sein kön­nen, das habe ich aber nicht sys­tem­a­tisch verfolgt.

Und für weit­ere Abstimmungen:

… der weiß nicht, was er will

Von Kristin Kopf

Willkom­men im April! Ich hoffe, Euch macht heute kein­er zum Aprill­snar­ren:

APRILLSNARR, m. pois­son d’avril, engl. april’s fool, april­fool: selb­st die übri­gen, die man hier als lächer­lich hin­ter­gangne april­snar­ren (dupes) beze­ich­net. GÖTHE 46, 161. im nördlichen Eng­land sagt man april­gouk, aprils­gauch, kukuk. BRAND pop­u­lar antiq­ui­ties ed. Hal­li­well. Lond. 1848. 1, 139.

Inter­es­sant, dass es das Wort heute gar nicht mehr gibt, dafür aber den Aprilscherz. Eine kurze Recherche im DWDS fördert let­zteren in den let­zten hun­dert Jahren 49-mal zutage, ersteren hinge­gen über­haupt nicht. Im W‑Archiv der geschriebe­nen Sprache von Cos­mas-II gibt grade mal es einen April­snar­ren, allerd­ings in einem Liedti­tel (und den Aprilscherz 1039-mal).

Mey­ers Großes Kon­ver­sa­tions-Lexikon von 1905 ken­nt den April­snar­ren noch (dafür den -scherz nicht), so lange kann sein Tod also nicht her sein:

April­snarr, Spot­tname eines »in den April Geschickten«.

Wann ist der Narr also ver­schwun­den und der Scherz aufge­taucht? Haben die bei­den sich gegen­seit­ig abgelöst? Oder ist der Narr gar nicht tot, son­dern nur extrem sel­ten? So viele Fragen …

Egal wie – auf einen guten April! Ohne sein Wetter:

  • APRILLENWETTER, m. her­ren­gun­st und april­len­wet­ter sind verän­der­lich; april­len­wet­ter, män­ner­schwüre. FR. MÜLLER 1, 292.
  • APRILLENZEIT, f.

dein lieb­ster war ein junges blut,
und junges blut hegt wankelmut
wie die aprillenzeit.
BÜRGER 47a.

Von meiner Tante der Mann (Verwandtschaftstrilogie Teil 1)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Wegen mein­er Ver­wandtschaft­shausar­beit habe ich mich in der let­zten Zeit viel, viel, viel mit Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen beschäftigt. Dabei gibt es ein paar Dinge, die mich schon immer plagen:

  1. Ehep­art­ner von Tan­ten und Onkel
  2. Großkusi­nen und Groß­cousins / Groß­tan­ten und Großonkel
  3. Großel­tern müt­ter- und väterlicherseits

Zu jedem der Punk­te will ich in einem eige­nen Beitrag ein bißchen was erk­lären, und dann wer­den ich pseu­do-empirisch: Ich habe eine Umfrage gemacht! Die Ergeb­nisse baue ich ein, wo sie passen, aber sie sind natür­lich nicht sta­tis­tisch sig­nifikant oder sonst­wie ern­stzunehmen. Meine Ver­suchsper­so­n­en waren 51 deutsche Studierende/AkademikerInnen (27w/24m), alle mit deutsch­er Mut­ter­sprache1, einige wenige zweis­prachig, Alters­durch­schnitt 28,4 Jahre.

Mit den Ehep­art­nern der Tan­ten und Onkel geht es los:

Die meis­ten Men­schen, die ich kenne, beze­ich­nen die Ehep­art­ner ihrer Tanten/Onkel eben­falls als Tante/Onkel. Als Kind fand ich das unmöglich, Heiratsver­wandtschaft hat­te unter dieser Beze­ich­nung nichts für mich zu suchen. Aber was ist die Alter­na­tive? Jedes Mal zu sagen “Ach übri­gens, mein ange­heirateter Onkel hat sich gestern zusam­men mit dem Mann mein­er Tante betrunk­en” ist ziem­lich umständlich, und umständliche For­mulierun­gen umge­ht man ja gerne, vor allem bei so hochfre­quenten Ver­wen­dun­gen wie meinem Beispielsatz.

Die Wahl, vor der man ste­ht, ist also sich a) präzise oder b) kurz auszu­drück­en. Kurz ist die natür­lichere Wahl. Das zeigt auch das Umfrageergebnis:

Im Gespräch mit Drit­ten, wie beze­ich­net Ihr die Ehe­frau Eueres Onkels und wie den Ehe­mann Euer­er Tante? 

tantetorte

33 Per­so­n­en wählten die kürzeste Möglichkeit und beze­ich­nen die Ehep­art­ner eben­falls als Tante und Onkel. Zwei beson­ders span­nende Details:

  • Eine Per­son beze­ich­net dann nur ange­heiratete Tanten/Onkels als Tante/Onkel, wenn die Eheschließung vor ihrer Geburt stattge­fun­den hat.
  • Jemand beze­ich­net die ihm sym­pa­this­cheren und näher­ste­hen­den Ehep­art­ner als Tante/Onkel, die weniger sympathischen/entfernteren als Frau von Onkel, Mann von Tante.

Die 11 Per­so­n­en, die manch­mal Tante/Onkel und manch­mal Umschrei­bun­gen gebrauchen, ver­weisen meist auf das Kom­mu­nika­tion­sziel. Nur wenn ein Mißver­ständ­nis dro­ht, greifen sie zur Erläuterung. (Nur drei Per­so­n­en gaben an, bei­des aus­tauschbar zu gebrauchen.)

Die 3 Per­so­n­en, die Erläuterun­gen bevorzu­gen, wählen For­mulierun­gen wie “der Mann mein­er Tante”, mein ange­heirateter Onkel oder mein Onkel, der Mann mein­er Tante.

Es gibt übri­gens ein schönes Buch, Comut­ter, Papi und Lebens­ab­schnitts­ge­fährte von Helen Chris­ten, in dem die neueren Entwick­lun­gen in der Benen­nung und der Anrede von Ver­wandten und Ich-weiß-nicht-so-recht-ob-Ver­wandten unter­sucht wer­den. Ich habe es vor Ewigkeit­en mal ange­le­sen und komme grade nicht dran, aber wenn ich es das näch­ste Mal in den Hän­den halte, schaue ich, ob sich davon nicht etwas für das Sch­plock eignet.

[poll­dad­dy poll=1505575]

Für alle, die nicht Teil mein­er exk­lu­siv­en Umfrage sein kon­nten, gibt’s jet­zt noch die Möglichkeit, was zu sagen. Bitte nur ein­mal abstimmen:

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Japaner kein Ch-Champion?

Von Kristin Kopf

Das BILD­blog hat heute einen Beitrag veröf­fentlicht, in dem es um fehler­hafte Worter­set­zun­gen in der Bild geht. Ein­er der Artikel han­delt von einem Japan­er namens Hasebe, der bei Wolfs­burg Fußball spielt. Bild schreibt zu sein­er deutschen Aussprache:

Mit­telfeld­mann Mako­to Hasebe (25) kann das “ch” nicht aussprechen, z.B. also Cham­pi­ons League. Sein Dol­metsch­er Yun­pei Yamamori: “Diesen Laut gibt es im Japanis­chen nicht.” Stattdessen kommt bei ihm immer ein “F”.

Selt­sam, denkt man sich – das <ch> in Champi­ons League wird doch als tsch (IPA: [tʃ]) aus­ge­sprochen, und mit diesem Laut soll­ten Japaner­In­nen eigentlich kein großes Prob­lem haben, besitzen sie doch einen, der aus­re­ichend ähn­lich klingt, das [ʨ]. Urteilt selb­st – wer keine Sprache mit diesem Laut spricht, wird ihn ziem­lich sich­er für ein [tʃ] hal­ten: お茶 ocha ‘Tee’ (auf das dritte Wort von oben klicken).

Lesen wir mal weiter …

Das Sprach­prob­lem amüsierte die Mannschaft beim Früh­stück. Hasebe bestellt “Grape-FruFFt statt “Grape-FruCHt.

Der Ver­dacht bestätigt sich: Es ist gar nicht der [tʃ]-Laut gemeint, son­dern der [χ]-Laut. Also das, was in deutschen Wörtern als <ch> geschrieben wird, nicht das, was in englis­chen Wörtern als <ch> geschrieben wird. Oder sprechen die Bil­dredak­teure etwa Cham­pi­on wie Chemie aus?

Den [χ]-Laut, wie er in Grape­frucht (was ich eh nur als Grape­fruit oder Pam­pel­muse kenne) vorkommt, existiert im Japanis­chen tat­säch­lich nicht.1

Wie kommt es jet­zt aber zum [f]?

Im Japanis­chen gibt es fünf Vokale, die (fast) immer auf einen Kon­so­nan­ten fol­gen. So entste­hen z.B. die Sil­ben ha, hi, ho, he, hu. Das u ist aber kein [u] wie im Deutschen, der Laut klingt etwas anders. Man notiert ihn in IPA als [ɯ] und er klingt wie ein [u] wenn man dabei die Lip­pen nicht run­det. Wenn [h] vor diesem Laut ste­ht, wird es zu ein­er Art [f] – ganz genau zu einem [ɸ]. Nah genug an [f] dran, um ihn dafür zu ver­wen­den (wie auch schon mit [ʨ] und [tʃ]).

2009-03-30-ipazeichen2[ɸ] kommt also eigentlich nur vor [ɯ] vor. Trotz­dem kann Herr Hasebe es auch ander­swo im Wort aussprechen, z.B. bei Grape­fruɸt, wo er das [χ], das seine Sprache nicht hat, durch das [ɸ] erset­zt, weil es einiger­maßen ähn­lich klingt.

Wie kam es also zur Cham­pi­ons League? Ich ver­mute2, dass Bild das Wort nur deshalb gewählt hat, weil es aus dem Bere­ich Fußball kommt und es vielle­icht lustig klingt, dass ein Fußballer ein so wichtiges Wort nicht aussprechen kann. Man ging also ein­fach nach dem ver­meintlichen Prinzip “Was gle­ich geschrieben wird, wird auch gle­ich aus­ge­sprochen” und erset­zte den wirk­lichen Aussprachefehler bei Grape­frucht durch den einge­bilde­ten bei Cham­pi­ons League.

Dass Hasebe wed­er das [tʃ] noch das [χ] aussprechen kön­nen soll, erscheint mir extrem unwahrschein­lich. Oder sagt er nicht nur Grape­fruft, son­dern auch Fambions League?

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