Dieses Jahr nur zwei visuelle Eindrücke von der DGfS-Tagung:
Archiv des Autors: Kristin Kopf
[Lesetipp] Mobile Gesellschaft? Ach was!
Nachdem meine Beiträge zur Familiennamengeografie recht interessiert aufgenommen wurden, finden vielleicht einige von euch auch diesen Artikel aus der FAZ lesenswert (gedruckt erschienen letzten Sonntag in der FAS). Es geht um das Projekt Deutscher Familiennamenatlas, das ich schon erwähnt habe, mit vielen bunten Karten (die in der Druckausgabe größer sind als im Atlas selbst!) und einigen spannenden Details im Text.
[Videotipp] The linguistic genius of babies
Ich bin dieser Tage ganz furchtbar beschäftigt und komme leider kaum zum Schplock – wird aber wieder besser. Spätestens übernächste Woche. (Nächste Woche ist DGfS-Jahrestagung, sieht man da jemanden von euch?)
Inzwischen ein schneller Videotipp: Patricia Kuhl spricht über Spracherwerb. Sehr kurz, aber spannend. (Momentan nur auf Englisch, aber vielleicht kommen ja demnächst noch deutsche Untertitel dazu.)
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=qRRiWg6wYXw]
Sprachkontakt im Deutschen? *gähn*
So, der Anglizismus des Jahres 2010 ist gekürt und heute geleakt worden. Das möchte ich zum Anlass nehmen, ein bißchen über Sprachkontakt nachzudenken und zu zeigen, welche Formen und Intensitätsgrade es dabei geben kann. Um es schon mal vorwegzunehmen: Das Deutsche kann beim Kontakt eigentlich einpacken. Wirklich viel haben wir nicht zu bieten.
Kulturkontakt bringt Sprachkontakt
Sprachkontakt ist eine natürliche Begleiterscheinung von Kulturkontakt und je intensiver dieser Kulturkontakt, desto intensiver können sich auch die beteiligten Sprachen beeinflussen. Diese Kontaktsituation ist meist irgendwie asymmetrisch, das heißt eine der Sprachen hat mehr Prestige, wird von mehr Menschen gesprochen, wird von den Menschen mit den gefährlicheren Waffen gesprochen o.ä. – da gibt es einen ganzen Haufen mehr oder weniger voneinander abhängiger Faktoren. Und damit auch eine Warnung vorweg: Sprachkontakt ist weitaus komplexer, als ich ihn hier darstelle, es gibt eine Vielzahl von Kontaktszenarien mit den wildesten Resultaten.
Änderungswillig: Wort- und Namenschatz
Es lässt sich grob sagen, dass eine Sprache Teilbereiche hat, die aufnahmebereiter für Neuerungen sind und welche, die sich stärker sträuben. Einer dieser sehr aufnahmebereiten Teile ist der Wortschatz (das “Lexikon”). Hat eine anderssprachige Kultur ein nützliches Ding, das man selbst nicht besitzt, dann will man nicht nur das Ding haben, nein, man will es auch benennen können. Dazu gibt es einige Strategien, die sich in lexikalische und semantische Entlehnungen teilen lassen. Weiterlesen
Mehr Spaß mit Ngrams
Heute gibt es ein buntes Sammelsurium von Abfragen mit dem Ngram Viewer. Ich finde sie alle aus dem einen oder anderen Grund ganz erhellend. Vielleicht ja sonst noch wer?
Ab wann ist das Korpus brauchbar?
Meine “schönste” Abfrage ist sicher die folgende, die ich kürzlich (in einer minimal abweichenden Version) auch in den Sprachlog-Kommentaren gepostet habe:
Wie man sieht, wenn man draufklickt, habe ich Allerweltswörter abgefragt: der, die, und, in, … Das sind Wörter, die so häufig sind, dass man in einem ausgewogenen Korpus eigentlich keine großen Schwankungen erwarten würde. Man braucht sie einfach immer, für jeden Text. Klar, das geht nicht unbegrenzt weit zurück, irgendwann sind die Artikel ja auch entstanden, und Personalpronomen waren z.B. im Althochdeutschen noch lange nicht so gebräuchlich wie heute. Aber für die späte frühneuhochdeutsche und neuhochdeutsche Zeit, die der Ngram Viewer abdeckt, sollte es doch einigermaßen passen. Weiterlesen
[Werkzeug] Burnouts bei Cosmas II
Ein Freund hat mich gefragt, ob die Verwendung des Begriffs Burnout seit den 1990ern in Zeitungstexten zugenommen habe und wie er das herausfinden könne. Für eine medizinische Doktorarbeit. Juhu, konkreter Nutzen für die Menschheit involviert!
Nun gibt es elektronische Textsammlungen, mit denen sich solche Abfragen machen lassen, aber oft sind sie für Laien schwer zu durchschauen. (Und ich will nicht behaupten, dass ich da den vollen Durchblick hätte.) Eine davon ist das Deutsche Referenzkorpus, das man über Cosmas II nutzen kann. Bei Beiträgen zum Anglizismus des Jahres 2010 kamen schon öfter Recherchen dazu vor, jetzt will ich einmal exemplarisch zeigen, wie man an solche Fragestellungen herangehen kann.
Ich benutze hier die Weboberfläche, aber man kann sich die Software auch installieren. Zuerst braucht man aber (aus rechtlichen Gründen) auf jeden Fall ein Nutzerkonto. Leider ist die Navigation der Oberfläche suboptimal, man muss ständig zwischen der horizontalen Leiste und der linken Spalte hin- und herspringen. Zunächst einmal oben auf “Anmeldung”, dann links auf “Login” und dann oben wieder auf “Recherche”. Und wieder links auf “Archiv”. Hier kann man jetzt unter den folgenden Archiven auswählen:
- W — Archiv der geschriebenen Sprache
- W‑ÜBRIG — Archiv der aussortierten geschriebenen Korpora
- HIST — Archiv der historischen Korpora
- GFDS — Kartei der Gesellschaft für deutsche Sprache
- TAGGED — Archiv der morphosyntaktisch annotierten Korpora
- WK-PH — Archiv der phasengegliederten Wendekorpora
- W‑TAGGED — Auswahl mit CONNEXOR getaggter Korpora
Für unsere Zwecke brauchen wir das W‑Archiv, die anderen sind entweder zeitlich nicht relevant oder zu klein oder beides. Nach dem Klick darauf erscheint eine Übersicht über alle “virtuellen Korpora”, die darin enthalten sind. Das sind hauptsächlich Zeitungstexte aus ganz verschiedenen Jahren und ganz verschiedenen Umfangs. Damit wir sicher sagen können, dass es eine relative Zunahme von Burnout gibt, müssen wir sicherstellen, dass wir für alle untersuchten Jahre ungefähr gleiche Textmengen haben – wir brauchen also Zeitungen, die die gleichen Jahrgänge abdecken.
[Linktipp] Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz
Ich war mir erst nicht sicher, ob ich Anatol Stefanowitschs Petition gegen die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz mitzeichnen sollte. Ich fand die ganze Kampagne von BILD und VDS so albern, dass es mir unnötig erschien, denen noch weitere Aufmerksamkeit in Form von Gegenaktionen zukommen zu lassen.
Dann habe ich die Kommentare gelesen. Und eine Nacht drüber geschlafen. Heute morgen habe ich gleich als erstes unterschrieben.
Es ist skurril, krass, abartig und leider überhaupt nicht überraschend, wie sich die Befürworter der Deutsch-ins-GG-Aktion gebärden. Da haben wir, ganz typisch, den Verweis darauf, dass Anatol Stefanowitsch keinen deutschen Namen habe – was schon mal überhaupt keine Relevanz hat –, daraus resultierend dann der Schluss, dass er kein Deutscher sei, und daraus wird dann abgeleitet, dass er eh nichts zum Thema zu melden habe bzw. dass er ja dann inhärent “gegen” das Deutsche sei. Das kennt man. Bei der StuTS hat Prof. Wiese, die ja Untersuchungen zu Kiezdeutsch macht, von Drohmails erzählt, die sie bekommt. Ein Beispiel waren Aussagen wie “Sie haben zwar einen deutschen Namen, aber wahrscheinlich sind Sie …” und ähnliches. Ein deutscher Name scheint für solche Leute un-glaub-lich wichtig zu sein.
Dann gibt es die Leute, die die Verankerung im Grundgesetz nicht für eine rein symbolische Handlung halten, sondern für eine konkrete Handhabe, z.B. gegen Anglizismen, dagegen, dass Geschäfte ihre Produkte ausschließlich in einer Fremdsprache beschriften (was zumindest für Lebensmittel Unsinn ist), gegen die “Kreolisierung” des Deutschen, oder gar gegen den Sprachtod. Wie A.S. schon gründlich ausgeführt hat, ist das alles entweder absurd oder irrelevant.
Eine Verankerung des Deutschen im Grundgesetz definiert zudem noch lange nicht, was Deutsch eigentlich ist. Wie jede natürliche (und auch die meisten künstlichen) Sprache(n) verändert sich das Deutsche permanent. Meist sind dabei die Dinge, die in der Öffentlichkeit als sehr große Veränderungen wahrgenommen werden, eher irrelevant für das Sprachsystem (z.B. Rechtschreibreform). Aber egal welche Rolle sie für den Sprachwandel spielen: Er ist unaufhaltbar. Und warum sollte man ihn auch aufhalten wollen? Was ist denn so schlimm daran, dass sich eine Sprache verändert? Eine Sprache, die sich nicht mehr verändert, ist tot.
Und: Eine Sprache kann man nicht auf ihren Ausgangszustand zurückführen. Was wäre das denn? Für die Leute, die sich da ereifern, ist in der Regel das Deutsch ihrer Schulzeit das Maß aller Dinge. Bedenkt man aber, dass die alle ganz unterschiedlichen Alters sind, und dass sich auch schon vor langer Zeit Leute derart ereifert haben, wird langsam klar, dass man immer weiter zurückgehen müsste … ins Frühneuhochdeutsche, wo es noch gar keine Standardsprache gab, ins Mittelhochdeutsche, wo die Situation noch uneinheitlicher war, ins Althochdeutsche und dann … dann kommen die Sprachstufen, für die wir keine schriftlichen Quellen haben. Wird schwer, das zu sprechen. (Zumal, komm, schriftliche Quellen als Vorbild für gesprochene Sprache? Haha.)
Ich könnte mich noch weiter ereifern, aber das spare ich mir lieber. Meine Bitte: Schaut euch die Links an, bildet euch eine Meinung und entscheidet euch ganz bewusst, ob ihr die Petition mitzeichen wollt oder nicht. Ich habe es getan, unter anderen als bewusstes Statement gegen diesen ganzen Kommentarmüll.
[Update 25.1.2011: Suz hat einen sehr klugen Beitrag geschrieben, in dem sie die Argumente der Befürworter und Gegner von allen Seiten beleuchtet.]
[Anglizismus des Jahres] ausrollen?
ausrollen in Bezug auf Technik (z.B. ein Update) ist ein Kandidat für den Anglizismus des Jahres 2010, der von vielen Seiten als schon lang etabliert kritisiert wurde. Das ist hier besonders schwierig herauszubekommen, weil das Wort in einer anderen, weniger metaphorischen Bedeutung (Teppich, Teig), schon lange existiert. Wir haben es also mit einer Lehnbedeutung zu tun: Ein Aspekt des englischen to roll out, nämlich dieser technische/produktionsbezogene, wurde übernommen, aber einem deutschen Wort zugeschlagen. Das passiert oft bei Wörtern, die sich formal oder inhaltlich gleichen, hier ist beides der Fall.
Was kann man alles ausrollen?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, was das Wort überhaupt heißt. Ich lag mit meiner Intuition z.B. ziemlich daneben bzw. hatte nur einen Teilaspekt erfasst. Glücklicherweise gibt es einen Wikipediaeintrag für Rollout (seit Juni 2004), aus dem sich die folgenden Bedeutungen destillieren lassen (fast wörtlich übernommen!):
teilw. synonym: Markteinführung, Einführung
- Flugzeugbau: erstmaliges Herausrollen des Flugzeugs aus seiner Baustätte (oft mit Festakt verbunden)
- Software 1: Veröffentlichen und Verteilen von Softwareprodukten auf entsprechende Clients (auch Software-Distribution) – wird durch zentrales Hosting zunehmend obsolet
- Software 2: organisatorische Projekt-Themen (z.B. Informationsdistribution über Organisationseinheiten, Marketing, Software- und Prozess-Training, Monitoring und Reporting über den Rollout-Verlauf)
- Hardware: Austausch sämtlicher Computerhardware bei einem Generationswechsel der Computer eines Unternehmens
1, 2 und 4 sind mir klar, aber … 3? Hä? Hinzugefügt wurde die entsprechende Passage im November 2006, leider ohne Erklärung in den Diskussionsseiten. Weiterlesen
[Anglizismus des Jahres] entfrienden/entfreunden?
Heute beschäftige ich mich mit einem der Kandidaten, bei denen nicht das komplette Material entlehnt wurde, nämlich dem Doppelkandidaten entfrienden/entfreunden. Hier haben wir es mit einer Ableitung zu tun. Ihre Bedeutung würde ich ungefähr fassen als: ‘eine bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… bestehende Verknüpfung (“Freundschaft”) wieder auflösen’.
Vor man entfrienden kann, muss man frienden!
Will man diese Bildung untersuchen, dann muss man sich zunächst einmal anschauen, wie ihre Basis, also frienden/freunden, zustande kam, wie man sie in den folgenden Beispielen findet:
Noch mehr Leute hier, die ihre Eltern bei Facebook nicht gefriendet haben? (Quelle)
Ich hab so viele Leute gefriendet, wenn ich nicht mehrmals täglich die Frienslist lesen würde, käme ich gar nicht mehr hinterher! (Quelle)
Ella Lingens Gymnasium kann man nicht “frienden” nur “liken”, oder? (Quelle)
Hab ein paar von euch gefreundet ‚hoffe das ist ok! (Quelle)
Auffällig ist, dass hier meist das Partizip vorkommt, d.h. über die Handlung öfter in der Vergangenheit gesprochen wird. Mir selbst kommt der Infinitiv schon fast ungrammatisch vor. Weiterlesen
When you friend someone …
Bevor ich mich im Rahmen der Wahl zum Anglizismus des Jahres 2010 mit entfreunden/-frienden im Deutschen beschäftige, will ich kurz den Hintergrund im Englischen beleuchten – zumindest das davon, was ich einigermaßen klären konnte.
Anfreunden auf Englisch
“in the Facebook sense”
Das deutsche Verb frienden kommt vom gleichbedeutenden englischen to friend. Als heutige Bedeutung würde ich ansetzen ‘bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… eine Verknüpfung (“Freundschaft”) erstellen’. Ein bißchen anders sieht es die englische Wikipedia (eigener Eintrag seit dem 1. November 2010):
As a neologism, the term is a transitive verb meaning “to send a friend request on Facebook.”
Hier wird als Bedeutung also ‘jemandem auf Facebook eine Freundschaftsanfrage schicken’ angegeben. Das finde ich etwas zu eng, wird doch auch anderswo, z.B. bei LiveJournal oder MySpace, eine ganze Menge gefriendet. Außerdem stellt sich natürlich die Frage, ob frienden etwas ist, das man völlig eigenständig tun kann (also die Anfrage stellen), oder ob es nicht eher reziprok getan werden muss (der zukünftige “Freund” muss ja zustimmen). Wäre vielleicht ganz spannend, Beispiele daraufhin zu untersuchen, ob im alltäglichen Gebrauch schon der Versuch der Freundschaftsknüpfung als to friend gewertet wird.
Facebook selbst, das oft als Ursache für die Entstehung angegeben wird, verwendet das Wort übrigens nicht, sondern bedient sich einer Umschreibung: