Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Weil ist faszinierend, weil Sprachwandel

Von Anatol Stefanowitsch

Wie die Oxford Eng­lish Dic­tio­nar­ies wählt auch die Amer­i­can Dialect Soci­ety jedes Jahr ein englis­ches Wort des Jahres. Während erstere in diesem Jahr das eher offen­sichtliche Self­ie zum Sieger kürten, fiel die Wahl der Amer­i­can Dialect Soci­ety auf das zunächst befremdliche because. Geehrt wurde das Wort nicht, weil es 2013 neu ent­standen oder beson­ders häu­fig ver­wen­det wor­den wäre, son­dern, weil es eine inter­es­sante gram­ma­tis­che Entwick­lung durchläuft.

Because + X

Herkömm­licher­weise kann because im Englis­chen nur in zwei gram­ma­tis­chen Struk­turen ver­wen­det wer­den – als soge­nan­nte „sub­or­dinierende Kon­junk­tion“, die einen Neben­satz ein­leit­et (wie in [1]), oder als Teil des prä­po­si­tion­sar­ti­gen Wortkom­plex­es because of (wie in [2]):

  • (1) Joe stayed home because she was sick.
  • (2) Joe stayed home because of her headache.

Im ersten Fall entspricht because der deutschen Kon­junk­tion weil (vgl. Joe blieb zu hause, weil sie krank war.), ((Oder auch den Kon­junk­tio­nen da und denn, wobei im Deutschen inter­es­sant ist, dass auf da ein Neben­satz und auf denn ein Haupt­satz fol­gt (da sie krank war vs. denn sie war krank), während weil sowohl mit Haupt­sätzen (weil sie war krank) als auch mit Neben­sätzen (weil sie krank war) auftreten kann.)) im zweit­en Fall würde man im Deutschen typ­is­cher­weise wegen ver­wen­den (wegen ihrer Kopf­schmerzen).

Dass die Amer­i­can Dialect Soci­ety because zum Wort des Jahres gewählt hat, liegt daran, dass seine gram­ma­tis­chen Möglichkeit­en sich in den let­zen Jahren dahinge­hend verän­dert haben dass es (vor allem in Online-Sprache) inzwis­chen auch mit Sub­stan­tiv­en (vgl. [3]), Adjek­tiv­en (vgl. [4]) und sog­ar Ver­ben (vgl. [5]) und Inter­jek­tio­nen (vgl. [6]) auftritt: Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2013: Whistleblower

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Whistle­blow­er war schon im ersten Jahr unseres Wet­tbe­werbs nominiert und lan­dete sog­ar auf dem drit­ten Platz (hin­ter dem Sieger leak­en und dem zweit­platzierten ent­frien­den). Seinen Anstieg im Sprachge­brauch ver­dank­te das Wort damals (wie auch das Verb leak­en) der plöt­zlichen Promi­nenz von Wik­ileaks, ein­er Net­z­plat­tform, die geheime Doku­mente veröf­fentlichte, die ihnen eben von soge­nan­nten Whistle­blow­ern zuge­spielt wurden.

Das Wort Whistle­blow­er ist inzwis­chen akzep­tiert­er Bestandteil der deutschen Sprache, es ste­ht im Duden, wo es mit „jemand, der Missstände [an seinem Arbeit­splatz] öffentlich macht“ definiert ist, und es find­et sich seit 2010 durchgängig im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus des Insti­tuts für Deutsche Sprache, ein­er Samm­lung von Tex­ten (haupt­säch­lich Zeitung­s­tex­ten), die wir in der Bew­er­tung unser­er Wortkan­di­dat­en immer als Abbild des all­ge­meinen Sprachge­brauchs verstehen.

Mit der englis­chen Vorgeschichte des Wortes sowie der Entlehnung ins Deutsche habe ich mich sein­erzeit in einem Sprachlog­beitrag aus­führlich befasst und will meine Diskus­sion hier nur kurz wieder­holen. Ich habe damals die Ver­mu­tung geäußert, dass sich das Wort von der Redewen­dung to blow the whis­tle on someone/something ableit­et, die zunächst all­ge­mein die Bedeu­tung „etwas been­den“ hat­te und sich bild­haft auf die Fab­rik­sirene bezieht, die das Ende ein­er Schicht sig­nal­isiert. Diese Deu­tung führt inzwis­chen auch die deutschsprachige Wikipedia neben den von mir damals abgelehn­ten Her­leitun­gen von Polizei- oder Schied­srichterpfeifen auf. Das Wort find­et sich seit Mitte der neun­ziger Jahre im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus, bre­ite Ver­wen­dung fand es, wie gesagt, aber erst ab 2010.

Die entschei­dende Frage ist, ob das Wort seit seinem dama­li­gen Häu­figkeitss­chub im laufend­en Jahr eine so drastis­che weit­ere Ver­bre­itung gefun­den hat, dass seine nochma­lige Nominierung gerecht­fer­tigt ist. Weit­er­lesen

Weihnachtsschlagzeile 2013

Von Anatol Stefanowitsch

Während man in Nor­dameri­ka ver­sucht, Wei­h­nacht­en abzuschaf­fen – wir berichteten – tut die deutsche Presse ihr bestes, aus diesem ja alle Jahre wiederkehren­den und deshalb nicht sehr nachrich­t­en­trächti­gen Fest eine Ereig­nis zu machen. Diese Ver­suche möcht­en wir im Sprachlog spon­tan ehren, indem wir eine „Wei­h­nachtss­chlagzeile des Jahres“ küren. Der Span­nung hal­ber präsen­tieren wir sie in auf­steigen­der Rei­hen­folge, begin­nend mit Platz 3. Weit­er­lesen

Zum Feste nichts Neues

Von Anatol Stefanowitsch

Wertkon­ser­v­a­tive deutsche Feuil­leton­is­ten – also deutsche Feuil­leton­is­ten – haben es zunehmend schw­er, die imag­inäre Beschnei­dung ihrer Frei­heit­en zu bekämpfen: Man­gels ern­sthafter Bedro­hun­gen müssen sie sich inzwis­chen damit zufrieden geben, gegen die Ent­fer­nung ras­sis­tis­ch­er Verunglimp­fun­gen aus Kinder­büch­ern oder der Ent­fer­nung männlich­er Pronomen aus Uni­ver­sitätssatzun­gen zu Felde zu zetern. Ihre nor­damerikanis­chen Geis­tesgenossen tun das auch gerne und aus­giebig, aber zusät­zlich kön­nen sie sich ein­mal im Jahr Höherem zuwen­den und zum Kampf gegen die Ent­fer­nung des Chris­ten­tums aus dem Wei­h­nachts­fest blasen. Dabei ste­ht eine per­fide rhetorische Massen­ver­nich­tungswaffe im Zen­trum ihrer Aufmerk­samkeit: die Floskel Hap­py Hol­i­days (zu deutsch etwa: „Schöne Feiertage“), die gerne in Zusam­men­hän­gen ver­wen­det wird, in denen Mer­ry Christ­mas Men­schen auss­chließen würde, die keine Chris­ten sind. Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2013: Gamification

Von Anatol Stefanowitsch

Heute eine kurze Diskus­sion eines erst­ma­lig (und ver­mut­lich ein­fach ein paar Jahre zu früh) nominierten Wortkan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres: Gam­i­fi­ca­tion, einem klas­sis­chen Fall eines Lehn­worts, das von ein­er Sprachge­mein­schaft gemein­sam mit der dazuge­höri­gen neuen Idee über­nom­men wurde. Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2013: Thigh Gap

Von Anatol Stefanowitsch

Nor­maler­weise entlehnt eine Sprachge­mein­schaft ein Wort, um eine soge­nan­nte lexikalis­che Lücke zu füllen – also eine Leer­stelle im Wortschatz. Solche Leer­stellen entste­hen typ­is­cher­weise, wenn etwas Neues beze­ich­net wer­den muss (z.B. eine neue Tech­nolo­gie, eine neue sportliche Aktiv­ität, eine neue Idee).

Das Wort, das ich heute disku­tiere, füllt eine lexikalis­che Lücke ander­er Art: Eine Lücke, die entste­ht, weil etwas, das schon immer da war, aber nie beachtet und deshalb auch nie benan­nt wurde, plöt­zlich in das Spot­light der gesellschaftlichen Aufmerk­samkeit gerät und eine Beze­ich­nung braucht. Bzw. eigentlich nicht „etwas, das schon immer da war“, son­dern ein Nichts, das schon immer da hätte sein kön­nen – näm­lich eine Lücke zwis­chen (weib­lichen) Ober­schenkeln, die auch dann noch sicht­bar sein muss, wenn die Beine ger­ade und die Füße aneinan­der gestellt sind (so die geläu­fig­ste Def­i­n­i­tion) oder sog­ar dann, wenn die Knie sich berühren (so die stren­gere Def­i­n­i­tion der englis­chen Wikipedia): die Thigh Gap.

[Inhaltswar­nung: Objek­ti­fizierende Beschrei­bun­gen des weib­lichen Kör­pers, Fat Sham­ing, Mager­sucht.] Weit­er­lesen

Wort des Jahres 2013: GroKo

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn das Wort des Jahres verkün­det wird, sind wir beim Sprachlog immer hin und her geris­sen zwis­chen Wort­wahlkol­le­gial­ität und Kopf­schüt­teln. Das Kopf­schüt­teln gewin­nt meis­tens. Also, jedes Mal.

Nach­dem man im let­zten Jahr das völ­lig unbekan­nte Wort „Ret­tungsrou­tine“ zum Sieger gekürt hat­te, wollte man dieses Jahr etwas nehmen, das alle ken­nen: Weit­er­lesen

Der Fake-Gebärdendolmetscher von Johannesburg

Von Anatol Stefanowitsch

Ein merk­würdi­ger Aspekt der gestri­gen Trauer­feier für Nel­son Man­dela in Johan­nes­burg wird heute in den Medi­en disku­tiert, nach­dem die aus­tralis­che Nachricht­e­na­gen­tur SBS ihn öffentlich machte: Der schein­bare Gebär­den­sprachen­dol­metsch­er, der neben den Redner/innen auf der Bühne stand, war gar kein­er. Die gehör­lose südafrikanis­che Abge­ord­nete Wilma Newhoudt wies per Twit­ter gle­ich zu Beginn der Feier­lichkeit­en auf diese Tat­sache hin: Weit­er­lesen

Die Shortlist zum Anglizismus des Jahres 2013

Von Anatol Stefanowitsch

Fast hun­dert Wörter haben Pub­likum und Jury in diesem Jahr für den Anglizis­mus des Jahres nominiert – mehr als je zuvor. In den let­zten Tagen hat die Jury diese Nominierun­gen auf ihre Tauglichkeit für den Wet­tbe­werb abgek­lopft und eine Short­list von 16 Wortkan­di­dat­en erstellt. Dabei wur­den zwölf Wörter streng nach unseren Kri­te­rien aus­gewählt; zusät­zlich durfte jedes Jurymit­glied ein Herzenswort nach Belieben auf die Short­list set­zen, um auch Außern­seit­er­wörtern eine Chance zu geben, sich zu beweisen.

Die sechzehn Wörter wer­den in den näch­sten Wochen hier und in den Blogs der Jurymit­glieder aus­führlich­er besprochen wer­den, bevor es dann Mitte Jan­u­ar an die Abstim­mung geht. Das Siegerwort wird am 28. Jan­u­ar 2014 offiziell bekan­nt­gegeben (wir hät­ten es früher gemacht, aber wir woll­ten den Kolleg/innen vom „Unwort des Jahres“ nicht dazwischenfunken).

Nun zu den Wörtern. Weit­er­lesen

Sprachbrocken: Der Verein Deutsche Sprache gegen sich selbst

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn es etwas gibt, das der Vere­in Deutsche Sprache noch mehr has­st als die (einge­bildete) Schwemme englis­ch­er Lehn­wörter im Deutschen, dann ist das der ver­meintliche Grund für diese Schwemme: die geopoli­tis­che Vorherrschaft der USA. Von ihrer Amerikafeindlichkeit getrieben haben die Sprach­nör­gler aus Dort­mund den Anti-US-Geheim­di­en­ste-Slo­gan „Yes, we scan“ zur Schlagzeile des Jahres gekürt, und von ihrem Wun­sch nach medi­aler Aufmerk­samkeit hin­geris­sen haben sie ihn der BILD zugeschrieben, die ihn am 10. Juni 2013 als Schlagzeile ver­wen­det hat­te. Weit­er­lesen