Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sinnesfreuden (IV)

Von Anatol Stefanowitsch

Bevor wir näch­ste Woche unsere Rei­he über das Sinn machen abschließen, kom­men wir heute auf einen eher neben­säch­lichen Aspekt zu sprechen. Es wird manch­mal behauptet, die Redewen­dung sei nicht nur aus dem Englis­chen entlehnt (was möglicher­weise stimmt, obwohl ich mir da inzwis­chen nicht mehr so sich­er bin) son­dern sie sei sog­ar falsch entlehnt. Robert Sed­laczek hat zum Beispiel im Jan­u­ar in der Wiener Zeitung die Sätze Macht es über­haupt Sinn, zu spenden? und Selb­stver­ständlich macht spenden Sinn… genan­nt und dann fol­gende, bemerkenswerte Behaup­tung aufgestellt:

Aber stilis­tisch sind die bei­den Sätze eine Katas­tro­phe! Sie klin­gen wie eine schlechte Über­set­zung aus dem Englis­chen! Dort sagt man in der negierten Form „It doesn’t make sense“ und meint „Es hat keinen Sinn“. So ste­ht die Phrase im „Lan­gen­schei­dt“. „It makes sense“ wird dort gar nicht ver­merkt, ist aber vere­inzelt zu hören.

(ConAl­ma, die wir in der ersten Folge schon zitiert haben, find­et übri­gens auch, dass die Redewen­dung im Englis­chen „im Grunde in der Vernei­n­ung benützt“ wird).

Bemerkenswert ist Sed­laczeks Behaup­tung aus zwei Grün­den. Weit­er­lesen

Das Überleben der Häufigsten

Von Anatol Stefanowitsch

Über sprach­wis­senschaftliche Forschungsergeb­nisse bericht­en die Medi­en ja eher sel­ten. Umso erstaunlich­er, dass let­zte Woche aus­gerech­net eine Geschichte über unregelmäßige englis­che Ver­ben ihren Weg in die Presse gefun­den hat — zum Beispiel auf Spiegel Online und die Web­seite von Bild der Wis­senschaft (vie­len Dank and Sprach­blogleser Wolf­gang Hömig-Groß und Ste­fanie Pohle für den Hinweis).

An die unregelmäßi­gen Ver­ben wer­den sich die meis­ten ja noch aus dem Englis­chunter­richt erin­nern: während die meis­ten englis­chen Ver­ben die Ver­gan­gen­heits­form und das Par­tizip Per­fekt durch Anhän­gen der Endung -ed bilden, müssen bei den unregelmäßi­gen Ver­ben alle For­men einzeln gel­ernt wer­den — go — went — gone, zum Beispiel, take — took — tak­en, sing — sang — sung oder hit — hit — hit. Das ist zwar nichts im Ver­gle­ich zu den hun­derten von Verb­for­men, die man im Franzö­sis­chen oder Spanis­chen ler­nen muss, aber es erfordert trotz­dem eine Menge stu­pid­en Auswendigler­nens. Weit­er­lesen

Sinnesfreuden (III)

Von Anatol Stefanowitsch

In der let­zten Woche haben wir die Behaup­tung von Bas­t­ian Sick und anderen disku­tiert, dass Sinn machen deshalb „ungram­ma­tisch“ sei, weil machen nicht mit abstrak­ten Sub­stan­tiv­en gebraucht wer­den könne. Wir haben gese­hen, dass das schlicht falsch ist: jemand oder etwas kann Spaß, Freude, Laune eben­so machen, wie Lust (auf mehr), Appetit, Angst, Sor­gen, Mut, Hoff­nung, Kopfzer­brechen, etc.

Aber daraus fol­gt natür­lich nicht automa­tisch, dass alle abstrak­ten Sub­stan­tive mit machen ver­wen­det wer­den kön­nen. Sick sieht zusät­zlich ein qua­si-logis­ches Prob­lem :

[Sinn] ist entwed­er da oder nicht. Man kann den Sinn suchen, find­en, erken­nen, ver­ste­hen, aber er lässt sich nicht im Hau­ruck-Ver­fahren erschaffen.

Und diese Behaup­tung wird immer wieder gedanken­los über­nom­men. Weit­er­lesen

Beim Geld hört die Freundschaft auf

Von Anatol Stefanowitsch

Wer sich nicht nur für Sprache, son­dern auch für Sprachen inter­essiert, der ist bei einem der Urgesteine der Sprach­blogs, Lan­guage­hat, bestens aufge­hoben. Betrieben wird es von einem nei­der­re­gend gut bele­se­nen Poly­glot mit einem Faible für Hüte, der täglich über die unter­schiedlich­sten sprach­lichen und kul­turellen Aspek­te von Roma­nen und deren Autoren, Kuriositäten rund um Sprachen und deren Sprech­er, die Herkun­ft und Entwick­lung von Wörtern und vieles mehr schreibt.

Gestern schrieb er über diese Geschichte auf BBC.co.uk, die von einem Stre­it darüber han­delt, wer entschei­den darf, wie das junge EU-Mit­glied Bul­gar­ien den Namen der gemein­samen Währung zu schreiben hat. Weit­er­lesen

Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Die Reut­linger Nachricht­en liefern diese Woche ein Argu­ment für die Rein­hal­tung der deutschen Sprache, auf das ich nie gekom­men wäre. In einem Artikel über Ein­wan­derin­nen, die „nochmal in die Schule [gehen] — „obwohl sie Wasser­bauin­ge­nieurin­nen oder Ärztin­nen sind“ (gemeint sind dabei Deutschkurse), find­et sich fol­gen­des Kleinod:

Sie sind alle sehr motiviert“, berichtet Lehrerin Karin Weg­n­er. Keine Hausauf­gabe ist ihnen zu viel. Sie möcht­en gezielt all­t­agsrel­e­vante The­men wie Fam­i­lie, Kinder, Schule, Woh­nung, Einkauf ler­nen und wichtige Tele­fonate führen kön­nen. Vor allem die vie­len Anglizis­men im mod­er­nen Sprachge­brauch sind Hin­dernisse für das Ver­ste­hen, denn viele von ihnen haben nie Englisch gelernt. 

Aber sie haben ja auch nie Deutsch gel­ernt — die noch viel größere Zahl an deutschen Wörtern im mod­er­nen Sprachge­brauch dürfte also auch ein ziem­lich­es Hin­der­nis darstellen. Weit­er­lesen

Meute heute

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ hat sich diesen Monat ihren Namen aus­nahm­sweise ver­di­ent, wenig­stens zur Hälfte. Eine Alter­na­tive für das Wort Mob­bing war gesucht, und dies­mal haben die vier son­st oft so kun­st­losen Brüder bei der Auswahl aus den Vorschlä­gen der Teil­nehmer ein gutes Händ­chen bewiesen. Statt sich in alber­nen Wort­spie­len zu ver­lieren oder gegen jede sprach­liche Ver­nun­ft einen existieren­den und seman­tisch unpassenden Begriff in die Pflicht zu nehmen, haben die Teil­nehmer der Aktion dies­mal einen pro­duk­tiv­en Wort­bil­dungsmech­a­nis­mus ver­wen­det um das „englis­che“ Orig­i­nal mit sprach­in­ter­nen Mit­teln nachzu­bilden. Weit­er­lesen

Sinnesfreuden (II)

Von Anatol Stefanowitsch

Am let­zten Mon­tag haben wir Bas­t­ian Sicks Behaup­tung wider­legt, dass die Redewen­dung Sinn machen ein neues Phänomen sei, geschaf­fen eventuell vom Erfind­er der Früh­stück­sz­e­re­alien. Heute wollen wir begin­nen, uns mit der Frage zu beschäfti­gen, was gegen die Redewen­dung denn eigentlich einzuwen­den sein könnte.

In sein­er berüchtigten Glosse macht sich Sick zwei Seit­en lang über Men­schen lustig, die diese Redewen­dung ver­wen­den, bevor er über­haupt zu ein­er ersten Begrün­dung für seine Behaup­tung kommt, dass Sinn machen kein gutes Deutsch sei. Und die lautet so:

Sinn“ und „machen“ passen ein­fach nicht zusam­men. Das Verb „machen“ hat die Bedeu­tung von fer­ti­gen, her­stellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indoger­man­is­che Wurzel mag-, die für „kneten“ ste­ht. Das erste, was „gemacht“ wurde, war dem­nach Teig. Etwas Abstrak­tes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen.

Die Gram­matik, genauer: die Syn­tax­the­o­rie, beschäftigt sich mit den Prinzip­i­en, nach denen Wörter zu Sätzen zusam­menge­set­zt wer­den. Weit­er­lesen

Breakdance im Arbeiter- und Bauernstaat

Von Anatol Stefanowitsch

Über Sprache darf man ja sowieso behaupten, was man will. Für die Sprache der ehe­ma­li­gen DDR gilt das erst Recht. Jahre­send­fig­ur m. F. (mit Flügeln) habe man dort Wei­h­nacht­sen­gel genan­nt und Jahre­send­fig­ur o. F. (ohne Flügel) den Wei­h­nachts­mann, anstelle von Reis und Kartof­feln, die es natür­lich ohne­hin nicht zu kaufen gab, kan­nte der Ossi nur das Wort Sät­ti­gungs­beilage, Kühe hießen rauh­fut­ter­verzehrende Großviehein­heit und die Antibabyp­ille Wun­schkind­pille.

Nun sind das alles Wörter, die es tat­säch­lich gab. Aber dass sie außer den Bürokrat­en, die sie sich aus­gedacht haben, tat­säch­lich jemand ver­wen­det hat, darf wohl bezweifelt wer­den. Weit­er­lesen

Sinnesfreuden (I)

Von Anatol Stefanowitsch

Als ich im Jan­u­ar das Bre­mer Sprach­blog auf den Weg brachte, habe ich mir geschworen, über drei Dinge nie zu schreiben: erstens über die Frage, ob die Eski­mos 400 Wörter für Schnee haben, zweit­ens über die Frage, ob Fire­fox ein besser­er Brows­er ist als der MS Inter­net Explor­er und drit­tens über die Frage, ob die Redewen­dung Sinn machen, die Bas­t­ian Sick so berühmt gemacht hat, ein Vor­bote der sprach­lichen Apoka­lypse ist. Auf alle drei Fra­gen schien mir die kor­rek­te Antwort zu offen­sichtlich (Nein, Ja und Nein).

Bei den Schneewörtern haben meine guten Vorsätze ger­ade mal fünf Tage gehal­ten. Gle­ich mein drit­ter Beitrag hat das The­ma aus­führlich aufge­grif­f­en. Beim Browserkrieg bin ich immer­hin sechs Monate stark geblieben. Aber im Juli brauchte ich Hil­fe mit dem Lay­out, das ein­er der bei­den Brows­er nicht richtig darstellte, und da ging es nicht anders. Und heute fällt mein let­zter Vor­satz. Weit­er­lesen