Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Würdelose Jugend

Von Anatol Stefanowitsch

Der Köl­ner Stadt-Anzeiger inter­viewt die „Ben­imm­trainer­in“ Petra Baake, und die gibt fol­gende Per­le der sprachkri­tis­chen Weisheit von sich:

Welche Manieren sind uns „ver­loren gegangen?“

BAAKE In der Umgangssprache ist viel Stil und Klasse ver­schüt­tet. Jede Jugend hat „ihre Sprache“, aber das Niveau heute ist erschreck­end niedrig und würde­los. Es wird nur noch per Inter­net oder E‑Mail kom­mu­niziert. Das Bloßstellen oder Her­ablassen in manchen Fernsehsendun­gen ist erschreck­end — und kommt fast dem Pranger im Mit­te­lal­ter gle­ich. Bei Ein­ladun­gen ein­fach nicht zu erscheinen? Früher undenkbar. Es gehörte zum guten Ton, sich abzumelden.

Ja, früher war eben alles bess­er. Sog­ar die Jugendsprache.

Nachruf auf eine Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Sprachen ster­ben mit weniger Kla­mauk, als man glauben kön­nte, wenn man mit den apoka­lyp­tis­chen Fan­tastereien der Anglizis­men­jäger kon­fron­tiert wird. Wie ich hier beschrieben habe, ster­ben Sprachen in drei Phasen, von denen keine etwas damit zu tun hat, dass Infor­ma­tion­ss­chal­ter in Ser­vice Point umbe­nan­nt wer­den. Weit­er­lesen

Quotenhits

Von Anatol Stefanowitsch

Man muss Rein­hard Mey nicht mögen, aber da er nun ein­mal ein großer deutsch­er Lie­der­ma­ch­er ist, sollte man ihm trotz­dem zum 65. Geburt­stag grat­ulieren. Das haben wir am 21. Dezem­ber überse­hen, und deshalb holen wir es heute nach. Ich selb­st bin kein allzu­großer Fan. Zum einen sind seine Texte deut­lich weniger geistre­ich, als all­ge­mein behauptet wird. Zum anderen nervt es mich, dass er sich mit seinem mäßig durch­dacht­en Gerede über eine Quote für deutschsprachige Musik im Radio vor den Kar­ren des „Vere­ins Deutsche Sprache“ span­nen lässt. Weit­er­lesen

Sprachpuzzle

Von Anatol Stefanowitsch

Ines Bal­cik hat sich am Fre­itag über diese Auf­schrift Gedanken gemacht:

 

Puzzeln

Puzzeln

Der Text weicht in zwei Punk­ten von der schrift­sprach­lichen Norm ab, wie sie in Wörter­büch­ern zu find­en ist: erstens sind das e und das l ver­dreht (die deutsche Schreib­weise sollte hier der englis­chen fol­gen: Puz­zle), und zweit­ens find­et sich hier die Dativ-Endung -n — Ines Bal­cik weist darauf hin, dass die Wörter­büch­er hier ein ‑s ver­lan­gen (sie ver­linkt auf canoo.net, aber Duden und Ber­tels­mann-Wörter­buch sehen das genau­so). Weit­er­lesen

Glanzlichter und trübe Tassen

Von Anatol Stefanowitsch

Die Aktion Lebendi­ges Deutsch hat­te ja bei der Hausauf­gabe für den let­zten Monat die gewün­schte Lösung gle­ich mit­geliefert:

Was ist ein „High­light“? Ein Höhep­unkt, ein Glan­zlicht? Wir bit­ten um Mei­n­un­gen und Vorschläge.

Am Woch­enende haben wir nun erfahren, welchen der eige­nen Vorschläge die vier trüben Tassen zum Sieger erk­lärt haben: Weit­er­lesen

Amtskollegen

Von Anatol Stefanowitsch

Ein klein­er Nach­trag zur Sil­ben­jagd, die ich hier kom­men­tiert habe. Kurz vor Schluss kramt Welt-Online-Textchef Sönke Krüger dort noch diese olle Kamelle hervor:

Und dann ist da noch der Amt­skol­lege, der von dpa über „Welt am Son­ntag“ bis zum „Spiegel“ flächen­deck­end vertreten ist, obwohl er eine Tau­tolo­gie, eine Dop­pel­mop­pelung ist: Denn „Kol­lege“ heißt schon „Amts­brud­er“, also ist der „Amt­skol­lege“ ein „Amt­samts­brud­er“. Weniger wäre auch hier mehr.

Diese Behaup­tung habe ich schon öfter gele­sen — wenn mich meine Erin­nerung nicht trügt, ist sie mir zum ersten Mal 1982 in Wolf Schnei­ders „Deutsch für Profis“ begeg­net. Sie ist aber, wie eigentlich alles, das die Sprach­nör­gler so von sich geben, kom­plet­ter Blödsinn. Weit­er­lesen

Imaginärer Silbenballast

Von Anatol Stefanowitsch

In der Welt-Online erscheint immer noch regelmäßig die Kolumne „Wort­ge­fecht“, in der Textchef Sönke Krüger der geneigten Leser­schaft sein man­gel­haftes Ver­ständ­nis der deutschen Sprache dar­legt. In dieser Woche ging es ihm um „unnötige Sil­ben“, mit denen wir sein­er Mei­n­ung nach unsere Sprache verunstalten:

Es ist nicht schw­er, zu kom­ponieren, aber es ist fabel­haft schw­er, die über­flüs­si­gen Noten unter den Tisch fall­en zu lassen.“ Ein wahres Wort, das Johannes Brahms da gesprochen hat, und es gilt weit über die Musik hin­aus, näm­lich auch für die Sprache. Dort sind es keine Noten, son­dern über­flüs­sige Sil­ben, die viele Texte schw­er­fäl­lig machen und den Lese­fluss aufhalten.

Lei­der tun sich viele Autoren schw­er damit, Sil­ben­bal­last abzuw­er­fen. So schreibt zum Beispiel der „Focus“: „Der Ver­fass­er kann seinen Let­zten Willen jed­erzeit abän­dern“ — obwohl ändern viel klar­er klingt.

Weit­ere Beispiele, die er nen­nt, sind Rück­ant­wort (er sähe lieber Antwort), Stillschweigen (er bevorzugt Schweigen), und Unkosten (er hält Kosten für angemessen­er) — es geht also gar nicht um „Sil­ben“ (mit denen man rein laut­liche Ein­heit­en beze­ich­net), son­dern um Mor­pheme, Kom­bi­na­tio­nen aus Bedeu­tung und laut­lich­er Form.

Krügers Kolumne bietet eine schöne Gele­gen­heit, wieder ein­mal den Unter­schied zwis­chen dümm­lich­er Sprach­nörgelei und wis­senschaftlich­er Sprach­be­tra­ch­tung deut­lich zu machen. Weit­er­lesen

Hatten Sie einen guten Rutsch?

Von Anatol Stefanowitsch

Zum Jahreswech­sel habe ich in vie­len Inter­netme­di­en die fol­gende dpa-Mel­dung gefun­den (zum Beispiel hier):

Ham­burg (dpa) — Der Wun­sch „Guten Rutsch!“ hat nichts mit Glat­teis zu tun Der Sil­vester-Gruß „Guten Rutsch!“ leit­et sich nach Ansicht viel­er Sprach­forsch­er vom hebräis­chen Wort für Neu­jahr ab: Rosch Haschana (Kopf/Anfang des Jahres).

Auf Jid­disch wird aus „Rosch“ ein „Rutsch“ — und das ist eines von vie­len Wörtern, die wie „mal­ochen“, „meschugge“, „Stuss“ oder „Zoff“ aus dem Jid­dis­chen ins Deutsche einge­flossen sind. Mit einem „guten Rutsch“ wün­scht man also einen „guten Anfang“.

Manche Wis­senschaftler leit­en den Sil­vester­wun­sch allerd­ings auch vom Gebrauch des Wortes „Rutsch“ für „Reise“ ab.

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Berufswünsche

Von Anatol Stefanowitsch

In der Online-Aus­gabe des Toron­to Star enthüllt Kylie Minogue einen inter­es­san­ten Berufswunsch:

Toron­to Star: If you weren’t singing and act­ing what would you be doing?

Kylie Minogue: In my oth­er life I would like to be a lin­guist. I am fas­ci­nat­ed by lan­guages.

Das passt gut. In meinem anderen Leben wäre ich gerne ein inter­na­tionaler Superstar.

Auf der konnotativen Leiter

Von Anatol Stefanowitsch

Vor den Feierta­gen habe ich ja eigentlich über den „Krieg gegen Wei­h­nacht­en“ und die Igno­ranz der­jeni­gen geschrieben, die ihn sich aus­gedacht haben. Aber weil ich neben­bei Mal­colm X als schwarzen Bürg­er­rechtler beze­ich­net habe, dreht die Diskus­sion des Beitrags sich nun haupt­säch­lich um die Frage, ob man das darf (eine ähn­liche, kurze Diskus­sion gab es schon ein­mal hier). Das The­ma ist also offen­sichtlich inter­es­sant genug, um sich ein­mal in einem eige­nen Beitrag damit zu befassen.

Das Prob­lem, vor das uns Begriffe wie Schwarz­er stellen, entste­ht durch einen Sprach­wan­del­prozess, den man in der Sprach­wis­senschaft als Pejo­ra­tion beze­ich­net — die Abw­er­tung der Bedeu­tung eines Wortes.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele ras­sis­tis­ch­er und sex­is­tis­ch­er Sprache.]
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