Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Wir sind wir

Von Anatol Stefanowitsch

In einem Kom­men­tar zu meinem let­zten Beitrag wies Robert Jäger (#16) auf das indone­sis­che Pronomen kami hin und definierte dessen Bedeu­tung als „wir excl. des Sprech­ers“. Das war eigentlich nur ein Flüchtigkeits­fehler — das Pronomen sig­nal­isiert, wie mipela im Tok Pisin, den Auss­chluss des Hör­ers, nicht des Sprech­ers –, aber dieser Fehler hat eine inter­es­sante Diskus­sion darüber aus­gelöst, ob es tat­säch­lich eine Ver­wen­dung der ersten Per­son Plur­al geben kön­nte, die den Sprech­er auss­chließt. Weit­er­lesen

Pluralis avaritiae

Von Anatol Stefanowitsch

Vor dem Landgericht Hildeshiem wurde heute der trau­rige Fall von drei Lot­tospiel­ern ver­han­delt, die jahre­lang gemein­sam in ein­er Tippge­mein­schaft waren. In ein­er Son­derziehung hat­ten sie dann im let­zten Jahr 1,7 Mil­lio­nen Euro gewon­nen. Statt den Gewinn zu teilen, behaupteten dann aber zwei der Spiel­er, der dritte habe just an diesem Spiel nicht teilgenommen.

Der dritte, der zu dem Zeit­punkt der Ziehung im Urlaub war, verk­lagte seine bei­den Mit­spiel­er daraufhin. Er habe den Kol­le­gen seinen Anteil an den Kosten für das Tipp­spiel vor seinem Urlaub gegeben und müsse deshalb auch am Gewinn beteiligt werden.

Wie ich vorhin im Radio gehört habe, führte er als Beweis für seine Sichtweise unter anderem an, dass ihn ein­er der Angeklagten im Urlaub angerufen habe und fol­gen­den Satz gesagt habe: „Wir haben gewon­nen, Sechser mit Zusatzzahl“.

Und hier wird der Fall lin­guis­tisch inter­es­sant. Für den Kläger ist das Tele­fonge­spräch ein klar­er Hin­weis darauf, dass er mit den bei­den anderen am Spiel beteiligt gewe­sen sei. Weit­er­lesen

Pippi Langstrumpf, N****prinzessin

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn die Bewohn­er ein­er Süd­seein­sel in einem Kinder­buch aus den vierziger Jahren mit einem krassen ras­sis­tis­chen Aus­druck beze­ich­net wer­den, muss man das dann hin­nehmen oder darf man bei ein­er Neuau­flage sprach­lich ein­greifen? Wäre es eine zeit­gemäße Mod­ernisierung, solche Wörter durch neu­trale Begriffe zu erset­zen, oder wäre das über­triebene „Polit­i­cal Cor­rect­ness“, Zen­sur, ein Ein­griff in ein unan­tast­bares Kunstwerk?

[Hin­weis: Der fol­gende Text und die Kom­mentare enthal­ten Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache]
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Legosexismus

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte heute für meine Töchter Legomän­nchen kaufen, und musste die erschreck­ende Fest­stel­lung machen, dass diese mit über­wälti­gen­der Mehrheit genau das sind: Män­nchen. Es gab über­haupt nur drei weib­liche Legofig­uren: eine junge Dame in einem spießi­gen geblümten Oberteil, die auf ein­er Bank sitzt und Musik aus einem Ghet­to­blaster hört (Erde an Lego: Bitte ein­mal „iPod“ googeln), eine Tochter aus gutem Hause, die auf einem Pferd neben einem lan­drover­ar­ti­gen Auto mit Pfer­dean­hänger sitzt, und eine Milch­magd mit ein­er Kuh auf einem Bauern­hof. Let­ztere ist im Lego-Uni­ver­sum — oder dem Teil, der ger­ade beim näch­sten Karstadt herum­ste­ht — die einzige Frau, die ein­er Beschäf­ti­gung nachge­ht. Alle anderen Beruf­stäti­gen sind Män­ner: von Sach­bear­beit­ern mit Aktenkof­fer über Piloten, Inge­nieure, Polizis­ten, Feuer­wehrmän­ner, Bauar­beit­er und Müllmän­ner bis zu Pirat­en und futur­is­tis­chen „Pow­er Miners.“

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beschrei­bun­gen ras­sis­tis­ch­er Stereo­type und (durch Sternchen entschärfte) Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache. Einige Kom­mentare enthal­ten Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache.] Weit­er­lesen

Kreuzchentests

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin mit mein­er monatlichen Würdi­gung der Aktion Lebendi­ges Deutsch und dem Wort des Monats dies­mal spät dran. Die vier alten Her­ren haben ihre Auf­gabe dies­mal bess­er bewältigt als man es in let­zter Zeit von ihnen gewohnt war. Die vorgeschla­ge­nen Alter­na­tiv­en sind nicht völ­lig daneben und das aktuelle Such­wort ist eins, bei dem einem wenig­stens nicht gle­ich eine offen­sichtliche deutsche Entsprechung in den Sinn kommt: Weit­er­lesen

Viermal Anglizismen

Von Anatol Stefanowitsch

Die Neue West­fälis­che hat das Wort Back-Fac­to­ry ent­deckt:

Noch ver­rück­ter, wenn Deutsch und Englisch ver­mis­cht wer­den zu Denglisch. So hat der Mann lange Zeit an ein­er großen Bäck­erei in einem Nach­barort den Namen Back­fac­to­ry gele­sen. Im Laden hat er nach der „Rück­en­fab­rik“ gefragt. Kopf­schüt­teln war das Ergebnis.

Kopf­schüt­teln auch von mir, darüber, dass die Neue West­fälis­che jeman­den bezahlt, um diese olle Kamelle der Sprach­nör­gler zum drei­hun­dert­sten Mal zu ver­wursten. Weit­er­lesen

Pink und Rosa

Von Anatol Stefanowitsch

Gestern auf dem Spielplatz. Eine Unte­hal­tung zwis­chen einem Mäd­chen und einem Jun­gen, bei­de etwa acht Jahre alt:

Sie: Find­est du ein pinkes Fahrrad bess­er, oder ein rosanes?

Er: Pink ist das­selbe wie Rosa.

Sie: Äh-äh, ist es über­haupt nicht.

Er: Doch, pink ist nur das englis­che Wort für „Rosa“.

Sie: Ja, aber es ist trotz­dem nicht dasselbe.

Er: Was ist denn der Unterschied?

Sie: Es sind zwei ver­schiedene Farben.

Er: Welche denn?

Sie: Pink ist so ’ne Art Neon­dunkel­rosa. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.

(Zeigt auf ihren Gürtel)

Pink und Rosa

Pink und Rosa

Hier, das hier ist Pink (zeigt eine Farbe, die unge­fähr Bild 1 entspricht), und das hier ist Rosa (zeigt eine Farbe, die unge­fähr Bild 2 entspricht).

Er: Hä? Das ist doch bei­des Rosa.

Dieses Gespräch (das ich hier etwas verkürzt drama­tisiert wiedergegeben habe) war aus gle­ich drei Grün­den inter­es­sant. Weit­er­lesen

Von Dongeln und Deppen

Von Anatol Stefanowitsch

Wer dachte, nur die lang­weili­gen alten Män­ner vom VDS wür­den sich über neu­modis­che Anglizis­men aufre­gen, hat sich getäuscht: auch die lang­weili­gen alten Män­ner von der Britis­chen „Plain Eng­lish Cam­paign“ regen sich über Wörter auf, die sie nicht ver­ste­hen. Und die lang­weili­gen alten Män­ner von der BBC schreiben einen ver­wirrten Artikel darüber: Weit­er­lesen

Bibliothekskatalog auf Bairisch

Von Anatol Stefanowitsch

Regionale Dialek­te sind mal mehr, mal weniger beliebt, aber selb­st bei den beliebten Dialek­ten lässt sich über viele Sprachen hin­weg beobacht­en, dass Sprech­er klare Stereo­type mit Hochsprache und Dialekt verbinden: Dialek­t­sprech­er sind sym­pa­thisch, fre­undlich, loy­al, ver­trauenswürdig aber ein biss­chen ein­fach gestrickt, während Sprech­er der Stan­dard­va­ri­etät intel­li­gent, gebildet, erfol­gre­ich, dafür aber ein biss­chen arro­gant und unfre­undlich wahrgenom­men wer­den. Sprachge­mein­schaften mit ein­er dom­i­nan­ten Stan­dard­vari­ante sind sich häu­fig einig, dass der Dialekt ins Pri­vatleben gehört, während das öffentliche Leben in der Hochsprache abgewick­elt wer­den sollte. Weit­er­lesen