Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Verzählt

Von Anatol Stefanowitsch

Da wende ich dem Wis­senschafts­feuil­leton nur kurz den Rück­en zu, um mich ein paar Tage lang auf ein­er der wichtig­sten Kon­feren­zen der deutschen Sprach­wis­senschaft herumzutreiben, und ver­passe dabei glatt die sprach­wis­senschaftliche Sen­sa­tion des Jahrhun­derts. Hol­ger Dambeck weiß auf Spiegel Online näm­lich Fol­gen­des zu berichten:

So sehr sich amerikanis­che und europäis­che Kinder in Mathe-Tests anstren­gen – ihre Altersgenossen aus Chi­na sind bess­er. Dank eines ein­facheren Zahlen­sys­tems kön­nen sie schon früh bess­er zählen und rech­nen. Sprach­forsch­er glauben, dass die Methodik auch deutschen Kindern helfen würde. [SPIEGEL.de/Dambeck 2010]

Bevor ich erk­lären kann, was daran eine Sen­sa­tion wäre, muss ich erk­lären (wie es auch der Artikel tut), was mit einem „ein­facheren“ Zahlen­sys­tem gemeint sein soll: näm­lich ein Sys­tem sprach­lich­er Aus­drücke, das sich möglichst streng an der Dez­i­malschreib­weise ori­en­tiert. In dieser Schreib­weise gibt es, wie wir alle wis­sen, eigene Sym­bole für die Zahlen von Null bis Neun, ab der Zehn wer­den alle Zahlen als Kom­bi­na­tion dieser Sym­bole geschrieben, in der Ein­er, Zehn­er, Hun­dert­er, usw. in absteigen­der Rei­hen­folge genan­nt wer­den. Die Zahl „Ein­hun­dert­fün­fzehn“ etwa wird 115 geschrieben, was ja soviel heißt wie „Ein Mal Hun­dert, und ein Mal Zehn, und fünf Mal eins“.

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Unterwegs

Von Anatol Stefanowitsch

Ich komme ger­ade von ein­er Kon­ferenz aus Kiel und sitze im Zug nach Nürn­berg. Von da aus muss ich in eine kleine Uni­ver­sitätsstadt in der Nähe, wo ich einen Tag lang zu tun habe bevor ich auf die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sprach­wis­senschaft in Berlin weit­er­fahre. Kurz danach muss ich dann schon nach Mannheim auf die Jahresta­gung des Insti­tuts für Deutsche Sprache; vorher schaue ich vielle­icht noch auf dem jährlichen Tre­f­fen der SciLog­ger vor­bei, um meine neuen Mitblogger/innen per­sön­lich kennenzulernen.

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Die Spiegelung eines Plagiats in der Erschaffung von Wörtern

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte nicht noch ein­mal auf den Fall Hege­mann zurück­kom­men. Die ganze Angele­gen­heit wirkt mir inzwis­chen zu insze­niert — die völ­lige Abwe­sen­heit eines Unrechts­be­wusst­seins, die die Pla­gia­torin in jedem Inter­view demon­stri­ert, die schmun­zel­nde Kom­plizen­schaft des Feuil­letons und das Behar­ren auf dem lit­er­arischen Tal­ent der Pla­gia­torin mit dem immer gle­ichen Argu­ment, dass Abschreiben „im Inter­net“ nun ein­mal nor­mal und im Falle Hege­mann sowieso eine Kun­st­form sei, das trotzige Fes­thal­ten an der Nominierung des Pla­giats für den Preis der Leipziger Buchmesse.

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Intertextuelle Illusionen

Von Anatol Stefanowitsch

Eine Siebzehn­jährige schreibt einen Roman, der inhaltlich und sprach­lich weit über ihren Erfahrung­shor­i­zont hin­aus­ge­ht. Da es um Sex und Dro­gen geht und die Siebzehn­jährige blond und – nun ja, siebzehn ist, kann sich das deutsche Lit­er­atur­feuil­leton kaum einkriegen vor erregten Lobpreisun­gen. Sie bescheini­gen ihr eine „ern­ste Wild­heit, die in eine expres­sive Sprachge­walt drängt“ (Saar­brück­er Zeitung), beze­ich­nen das Buch als „lit­er­arischen Kugel­blitz“ (Die ZEIT) und „großen Com­ing-of-age-Roman der Nuller­jahre“ (Frank­furter All­ge­meine Zeitung) und behaupten ohne Ironie, dass sich „wohl alle deutschsprachi­gen Roman­de­büts [an ihm] messen lassen müssen“ (Tagesspiegel).

Dann stellt sich — eigentlich wenig ver­wun­der­lich — her­aus, dass der Roman „Axolotl Road­kill“ nicht nur jen­seits des sprach­lichen und inhaltlichen Erfahrung­shor­i­zonts der Ver­fasserin Helene Hege­mann liegt, son­dern auch jen­seits ihrer sprach­lichen und erzäh­lerischen Fähigkeit­en: Sie hat Teile daraus aus dem Roman „Strobo“ des Autors Airen abgeschrieben, wie Deef Pir­masens in seinem Blog Gefühlskon­serve zeigt.

Wie gesagt, es ver­wun­dert mich nicht. Natür­lich gibt es lit­er­arische Wun­derkinder; man denke an Jonathan Safran Foer, der ger­ade ein­mal 24 war, als sein über­wälti­gen­des Debüt Every­thing is Illum­ni­at­ed (dt. „Alles ist erleuchtet“) erschien. Nur schreiben die üblicher­weise über Dinge, von denen sie etwas ver­ste­hen. Wenn jemand über Dinge schreibt, von denen er oder sie nichts wis­sen kann, sollte man stutzig wer­den (diese Strate­gie ver­wende ich seit Jahren erfol­gre­ich, um Pla­gia­ris­mus in Sem­i­nar- und Exa­m­en­sar­beit­en aufzuspüren).

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Nachruf auf eine Sprache: Aka-Bo

Von Anatol Stefanowitsch

Man schätzt, dass alle ein bis zwei Wochen eine der derzeit noch sechs- bis sieben­tausend men­schlichen Sprachen für immer ver­schwindet, weil ihr let­zter Sprech­er oder ihre let­zte Sprecherin stirbt. Meis­tens geschieht das, ohne dass es jeman­dem auf­fällt. Aber da inzwis­chen in vie­len Gegen­den der Welt Sprach­wis­senschaftler ver­suchen, ausster­bende Sprachen in einem Wet­t­lauf gegen die Zeit zu doku­men­tieren, erfahren wir ab und zu davon.

Diese Woche ging der Tod der 85-jähri­gen Boa Sr., der let­zten Sprecherin des Aka-Bo, durch die Medien.

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Respektlose Lehnwörter

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­desverkehrsmin­is­ter Peter Ram­sauer ist schon öfter durch eine Abnei­gung gegen englis­ches Wortgut aufge­fall­en. Im let­zten Jahr strich er zum Beispiel aus dem Wahl­pro­gramm der CSU die „Anglizis­men“ her­aus und begrün­dete dies mit den Worten: „Wie will man in Deutsch­land etwas poli­tisch umset­zen, wenn man es nicht mal auf Deutsch sagen kann?“ [PNP.de/Kain 2009]. Ander­er­seits scheint er kein Eifer­er zu sein: Ende 2008 sprach er sich dage­gen aus, Deutsch als „Staatssprache“ im Grundge­setz zu ver­ankern [DONAUKURIER.de/Rücker 2008].

In den let­zten Tagen hat er durch anti-anglizis­tis­che Verord­nun­gen für sein Min­is­teri­um von sich reden gemacht:

Er erließ für sein Haus ein strik­tes „Denglisch“-Verbot, also die Ver­mis­chung deutsch­er und englis­ch­er Begriffe, berichtete die „Bild“-Zeitung. So heißt das „Trav­el Man­age­ment“ im Verkehrsmin­is­teri­um kün­ftig wieder „Reis­es­telle“.

Statt „Task Forces“ arbeit­en bei Ram­sauer jet­zt wieder „Pro­jek­t­grup­pen“. Und statt zum „Inhouse Meet­ing“ kom­men die Min­is­te­ri­al­beamten nun zum „hau­seige­nen Sem­i­nar“ zusam­men. „Ich will, dass im Haus wieder mehr deutsch gesprochen wird“, sagte Ram­sauer der Zeitung mit Blick auf seine Deutsche-Offen­sive im eige­nen Haus. [WELT.de]

Diese Maß­nah­men erscheinen mir nicht über­mäßig kon­tro­vers. Wie selb­st Sprach­nör­gler schon ver­wun­dert fest­stellen mussten, ver­suche auch ich, Fremd­wörter zu ver­mei­den, wenn es weit ver­bre­it­ete und im Zusam­men­hang angemessene deutsche Alter­na­tiv­en gibt. Ich tue das nicht aus Angst vor ein­er Über­schwem­mung des Deutschen mit frem­dem Wortgut, son­dern um zu zeigen, wie sprachge­wandt und gebildet ich bin.

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Englisch vor Gericht

Von Anatol Stefanowitsch

Obwohl es sich die Leser/innen meines alten und auch neuen Blogs
manch­mal anders wün­schen, beschäftigt sich ein ansehn­lich­er Teil meiner
Beiträge mit den Sprachkri­tik­ern, die häu­fig den öffentlichen Diskurs
über Sprache dominieren. Zum einen wäre es aus mein­er Sicht ein großer
Fehler, ihnen unwider­sprochen das Feld zu über­lassen, zum anderen
fasziniert mich die über­hitzte irra­tionale Rhetorik, mit der sie bei
den nichtig­sten Anlässen um sich werfen.

Ein Lehrstück sprachkri­tis­ch­er Redekun­st und Logik bietet eine
Presseerk­lärung des Vere­ins Deutsche Sprache (VDS) vom 11. Jan­u­ar 2010
mit dem leicht größen­wahnsin­ni­gen Titel „Sprach­schützer greifen
Jus­tizmin­is­ter an“. Anlass für diese Presseerk­lärung sind aktuelle
Pläne der Jus­tizmin­is­ter von Nor­drhein-West­falen und Ham­burg, die die
Voraus­set­zun­gen schaf­fen sollen, um inter­na­tionale Wirtschaftsprozesse
vor deutschen Gericht­en in Zukun­ft bei einem entsprechen­den Wun­sch der
Prozess­parteien in englis­ch­er Sprache zu ver­han­deln. Auf diese Art
sollen, wie die FAZ schon am 8. Jan­u­ar 2010 erläuterte, der
Jus­tiz­s­tan­dort Deutsch­land gestärkt und die Inter­essen deutsch­er Firmen
bess­er gewahrt werden: 

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Schweizer und Deutsche machen Sinn

Von Anatol Stefanowitsch

In den Kom­mentaren zu meinem let­zten Beitrag haben gle­ich zwei Leser die Ver­mu­tung geäußert, dass die Redewen­dung Sinn machen in den Schweiz­er Dialek­ten des Deutschen anders ver­wen­det wird als in den bun­des­deutschen. Nach Hek­tor Ks Ein­druck wird die oft als „richtige“ Alter­na­tive emp­foh­lene Redewen­dung Sinn haben in den ihm ver­traut­en Schweiz­er Dialek­ten gar nicht ver­wen­det, während Sinn machen weit ver­bre­it­et ist. Matthias hat eine genauere Ver­mu­tung: sein­er sprach­lichen Erfahrung nach wird Sinn haben in der Deutschschweiz nur in verneinen­den Zusam­men­hän­gen ver­wen­det (hat keinen Sinn), während Sinn machen bevorzugt wird, um pos­i­tive Aus­sagen zu machen.

Das sind zwei Hypothe­sen, die sich sprach­wis­senschaftlich sehr schön über­prüfen lassen, und das will ich hier kurz tun. Dazu habe ich aus den Kor­po­ra (Textsamm­lun­gen) des Insti­tuts für Deutsche Sprache in Mannheim jew­eils eine Schweiz­er und eine bun­des­deutsche Tageszeitung aus­gewählt, für die dort Jahrgänge vorhan­den sind, die etwa die gle­iche Zeitspanne abdeck­en (so ver­mei­de ich, dass Sprach­wan­del­prozesse das Bild verz­er­ren). Für die Schweiz war das das St. Galler Tag­blatt, für die Bun­desre­pub­lik die Rhein-Zeitung (kann es etwas Bun­desre­pub­likanis­cheres als das Rhein­land geben?). Das IDS hat für bei­de Zeitun­gen Jahrgänge zwis­chen 1996/97 und 2008, wobei beim St. Galler Tag­blatt einige Jahrgänge in der Mitte fehlen. Weit­er­lesen

Max Frisch macht Sinn

Von Anatol Stefanowitsch

Die meist­ge­le­se­nen Beiträge meines alten Blogs waren die, in denen ich mich mit der Herkun­ft, Bedeu­tung und inter­nen Logik der Redewen­dung Sinn machen beschäftigt habe. Es verge­ht keine Woche, in der nicht aus irgen­deinem Forum neue Leser den Weg zu mir find­en, weil jemand dort die Redewen­dung ver­wen­det und damit einen Sturm sprach­lichen Spottes aus­löst, in dessen Ver­lauf jemand dem Übeltäter zur Seite springt und auf meine Beiträge ver­weist. In denen zeige ich ja unter anderem, dass die Redewen­dung zwar ver­mut­lich durch das Englis­che inspiri­ert ist, aber im Deutschen schon sehr viel länger existiert als üblicher­weise angenom­men; dass sie sich prob­lem­los in die deutsche Sprachlogik ein­fügt (sofern es so etwas gibt) und auch ohne Hil­fe von außen hätte entste­hen kön­nen; dass sie etwas anderes bedeutet als die ange­blich besseren Alter­na­tiv­en Sinn haben und Sinn ergeben und dass große Dichter und Denker sie ver­wen­den (ich verknüpfe hier ein­fach den ersten Teil der viel­teili­gen Serie).

Nicht, dass das die Sprach­schatzmeis­ter beein­druckt: Das sei ja alles schön und gut, schreiben die typ­is­cher­weise, aber Sinn machen sei nun ein­mal unl­o­gisch, über­flüs­sig und unge­bildet, daran sei auch durch unbe­stre­it­bare Tat­sachen nichts zu ändern.

Vor zwei Wochen gab es wieder eine solche Sprach­schlacht im Law­blog, in ein­er eigentlich inhaltlich viel inter­es­san­teren Diskus­sion um die Frage, ob ehe­ma­lige Staatssym­bole als Marken­ze­ichen angemeldet wer­den dür­fen. In Ver­lauf des Gefechts ver­stieg sich ein­er der Kom­men­ta­toren zu fol­gen­der Behauptung:

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Unverständnis auf Deutsch

Von Anatol Stefanowitsch

Im Mit­te­lal­ter und in der frühen Neuzeit war Latein die Sprache der Wis­senschaft. Galileo Galilei, Johannes Kepler und Tycho Bra­he ver­fassten ihre Hauptwerke nicht in ital­ienis­ch­er, deutsch­er oder dänis­ch­er Sprache, son­dern in lateinis­ch­er. Das ermöglichte ihnen, ihre Ideen schnell und direkt nachvol­lziehbar auszu­tauschen, sie zu kri­tisieren oder darauf aufzubauen.

Das Tem­po der wis­senschaftlichen Forschung und der Grad ihrer inter­na­tionalen Ver­net­zung haben sich seit­dem drastisch erhöht, und der freie Aus­tausch von Ideen ist unverzicht­bar­er denn je. Wis­senschaftlich­er Fortschritt wäre schlicht nicht möglich, wenn Forsch­er jahre- oder auch nur monate­lang auf Über­set­zun­gen warten oder sprachkundi­ge Kolleg/innen bit­ten müssten, Ihnen bei der Lek­türe der Flut wis­senschaftlich­er Veröf­fentlichun­gen behil­flich zu sein.

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